Titel: Ueber Tuchmacherey in Baiern.
Fundstelle: Band 5, Jahrgang 1821, Nr. LXXII., S. 467
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LXXII. Ueber Tuchmacherey in Baiern. Bei Gelegenheit einer kleinen Schrift: An Se. koͤnigl. Majestaͤt von Baiern. Allerhoͤchstes Ministerium des Innern, Allerunterthaͤnigst treugehorsamste Vorstellung und Bitte von saͤmmtlichen Tuchmachern des Koͤnigreiches, in Betreff der Mauth, Plombirung auslaͤndischer Tuͤcher und Emporbringung der inlaͤndischen Tüchmacher- Zeug- und Lodweberei.“ 8. Landshut. 1821. 29. S. Ueber Tuchmacherey in Baiern. Es ist Thatsache, daß im ganzen Koͤnigreiche Baiern kaum der dritte Theil des Bedarfes an groͤberen und mittelfeinen Tuͤchern, und kaum der tausendste Theil des Bedarfes an feinen Tuͤchern erzeugt wird; daß fuͤr Tuͤcher jaͤhrlich Millionen in das Ausland gehen, und dadurch nicht bloß der nervus rerum gerendarum im Staate, sondern selbst die Arme der einzelnen Buͤrger, die Arbeit suchen und keine finden, gelaͤhmt wird; daß die Zahl der Tuchweber, statt mit der jaͤhrlich zunehmenden Zahl der Einwohner zu steigen, sich seit einem Jahrhunderte um mehr als die Haͤlfte verminderte; und es laͤßt sich mit Zuversicht voraussehen, daß, wenn hier nicht bald Abhuͤlfe geschieht, auch die wenigem noch in Angst und Kummer in Baiern fortarbeitenden Tuchmacher bald vollends werden zu Grunde gehen muͤssen; denn sie werden nicht im Stande seyn mit den auslaͤndischen Tuchfabriken Konkurrenz zu halten. Abgesehen von allen Nachtheilen, welche dadurch fuͤr die Industrie des Landes entstehen muͤssen, werden dieselben sich nur zu bald auch uͤber die akerbauende Klasse, selbst uͤber die reicheren Guͤterbesizer verbreiten, welche jezt ohnedieß schon tief, sehr tief in ihren Einkuͤnften herabgekommen sind, und wenn es so fortgeht, bald eben so wenig als der aͤrmere Landmann im Stande seyn werden, Steuern und Abgaben zu bezahlen. Es ist, um einen gelinden Ausdruk zu gebrauchen, eine gelehrte physiokratische Grille dem Akerbaue in einem Lande durch Vermehrung der Erzeugnisse des Bodens emporhelfen zu wollen, in welchem die Summe der jezigen jaͤhrlichen Erzeugnisse desselben den Bedarf so sehr uͤbersteigt, daß leztere kaum die Arbeitskosten mehr ertragen! Baiern ist, durch die Fruchtbarkeit seines Bodens und durch die nach allen Seiten hin gehemmte Ausfuhr der Produkte desselben bei jeder laͤngeren Reihe fruchtbarer Jahre in Gefahr in seinem eigenen Fette zu erstiken: der Bauer, wie der Guͤterbesizer, verarmt in eben demselben Verhaͤltnisse, als die Erndte reich ausfaͤllt, und der Staat sieht seine Kassen in dem Verhaͤltnisse leer, als die Scheunen alle voll sind. Soll dem Landmanne, soll dem Guͤterbesizer und mit beiden dem Staate selbst geholfen werden in diesen beaͤngstigen den Verhaͤltnissen, so bleibt wahrlich kein anderes Mittel, als Verbreitung der Schafzucht durch Foͤrderung der inlaͤndischen Tuchmanufakturen, damit bei diesen sichrer Absaz fuͤr die erzeugte Wolle entsteht, und wir endlich einmal unseren Bedarf an Tuch, fuͤr welchen wir Millionen in das Ausland jaͤhrlich senden, selbst erzeugen. Wenn es Thatsache ist, daß wir gegenwaͤrtig zuviel Getreide erzeugen, wenn unsere Aeker jezt zu unserem eigenen und des Staates Schaden zu viel Korn tragen, warum wollen wir nicht einen Theil derselben dazu verwenden, um dasjenige zu erhalten, dessen wir so sehr beduͤrfen; warum wollen wir nicht auf unseren Gruͤn den, wenn ich so sagen darf. Wolle bauen! Warum nicht Faͤrbepflanzen, die weit mehr ertragen werden, als Gerste und Hafer, sobald wir Fabriken haben werden, die derselben beduͤrfen? Was soll man aber thun, um unsere Tuchmachereien zu Tuchmanufakturen zu erheben, und die Erzeugung inlaͤndischer Tuͤcher zu foͤrdern? – Das, was alle Staaten, die sich vor mehreren Jahren in dem Falle befanden, in welchem wir gegenwaͤrtig sind, die vor 50 Jahren noch keine einzige bedeutende Tuchmanufaktur hatten, und die jezt nicht bloß ihren eigenen Bedarf an Tuͤchern aller Qualitaͤt selbst erzeugen, sondern auch noch Tuͤcher ausfuͤhren, gethan haben: „Die Einfuhr fremder Tuͤcher entweder ganz verbieten, oder 60 p. C. Mauth auf dieselbe legen.“ Auf diese Weise wurden die Tuchfabriken in Frankreich endlich so fest gegruͤndet, daß sie mit den hollaͤndischen und englischen Tuchmanufakturen wetteifern konnten; auf diese Weise erhielt unter Joseph Oesterreich seine herrlichen Tuchmanufakturen in Boͤhmen, Maͤhren und Kaͤrnthen, da es ehevor, so wie wir jezt, all sein Tuch aus dem Auslande (uͤber Regensburg) mußte kommen lassen. Daß freier Verkehr unter den deutschen Staaten stets ein chimaͤrischer Wunsch seyn und bleiben wird, hat die Geschichte unserer Tage nur zu klar erwiesen. Wenn die groͤßeren Staaten ihre Industrie mit einer chinesischen Mauer von Zollhaͤusern und Mauthbeamten umgeben, warum sollen wir den unsrigen ohne aͤhnliche Sicherungs-Anstalt gegen fremde Blutigel lassen? Das heutige Baiern ist nicht mehr der alte vielfarbige zerstuͤkelte baiersche Kreis des cidevant heil. roͤm. Reiches, wo man ehevor auf einer Streke von kaum 12 Stunden in das Gebieth von 13 verschiedenen souveraͤnen Herren kam, deren jeder am Ein- und Ausgange seines oft kaum eine Viertelstunde langen Gebiethes seine Zollbaͤume aufgestellt hatte, und der, seinen Nachbarn zum Troze oder zum Verderben, Waaren durchließ oder verboth, je nachdem es sein Interesse oder auch oft nur seine Laune so oder anders wollte. Baiern ist heut zu Tage ein geschlossener Staat, der groß und maͤchtig genug ist, gegen seine Nachbarn dasselbe System zu ergreifen, welches man gegen ihn wie gegen jeden anderen Staat ergriffen hat. Er kann dieß um so mehr, als er keinen direkten bedeutenden Ausfuhr-Handel treibt, als seine Buͤrger in jedem Nachbarlande, in welchem sie ihre Produkte oder Fabrikate einfuͤhren wollen, schweren Einfuhr-Zoll bezahlen, muͤssen, und es daher durchaus keine Repressalien mehr zu fuͤrchten hat. Man wird sagen: warum sollen wir schlechteres inlaͤndisches Tuch tragen, wenn wir die besten und feinsten hollaͤndischem englischen und franzoͤsischen Tuͤcher um die billigsten Preise haben koͤnnen? Gegen eine solche Behauptung laͤßt sich eben so wenig als gegen den so oft aufgestellten Grundsaz: „man muͤsse die Freiheit des Handels zum Untergange seiner Buͤrger und Bauern und Grundherren handhaben und schuͤzen,“ irgend etwas erwidern, da nicht auf jede Rede eine Antwort gehoͤrt. Das phisiokratische System, das System des Commerces, das System der Industrie ist, jedes fuͤr sich, so wie jedes Universal-Mittel, wahre Charlatanerie, sobald es als das allein guͤltige, allein begluͤkende und heilende, allein selig machende angesehen wird, und Alles in Allem seyn soll. Wenn jedes derselben hingegen an seinem Orte und zu seiner Zeit gehoͤrig angewendet wird, kann jedes derselben zum Heile fuͤhren, oder wenigstens vor dem Untergange retten. Fuͤr Baiern ist, in diesem Augenblike, Foͤrderung der Industrie das Einzige, was den reichen Guͤterbesizer, den Fuͤrsten und Grafen wie den Herren und den Bauer, und mit diesen den Staat selbst vor dem Verarmen bei vollen Scheunen, vor dem Erstikungs-Tode in eigenem Fette retten kann. Die Kaste der Kaufleute, die fuͤr den Augenblik, von Geschaͤften in auslaͤndischen Tuͤchern lebt, wird allerdings gegen Errichtung von Tuchfabriken in Baiern laut sich erklaͤren, und den Referenten in dieser Angelegenheit es mit einigen Stuͤken draps de Vigogne von Eupen und Verviers mit dicht vergoldeten Sahlleisten sonnenklar beweisen, daß man in Baiern so etwas nimmermehr zu erzeugen im Stande ist. Waͤhrend es Leute gibt, die aus Niedertraͤchtigkeit dieser Meinung sind, gibt es große Maͤnner, die aus Grille dieselbe Meinung vertheidigen. So behauptete der sel. Staatskanzler Fuͤrst Kaunitz (gewiß ein Mann, von hohem Geiste, der aber die Grille hatte, seine Waͤsche nach Paris zum Waschen zu schiken), Oesterreich koͤnne nimmermehr ein feines Tuch auf die Welt bringen. Ein Herr v. H. – Freund und Guͤnstling des Fuͤrsten, ließ auf seiner Fabrik in Kaͤrnthen ein Stuͤk Tuch verfertigen, das alle Kenner fuͤr eben so schoͤn und gut, wie das beste franzoͤsische erklaͤrten. Hr. v. H. zeigte dieses Tuch dem Kaiser Joseph II. Lassen Sie mir dieses Tuch, sagte Joseph; ich will ihnen und mir einen Spaß mit demselben machen. Fuͤrst Kaunitz kam um 4 Uhr, wie gewoͤhnlich, in seinem Désobligeant zum Kaiser gefahren, und der Kaiser praͤsentirte ihm das Kaͤrnthner'sche Tuch als ein so eben aus der neuesten franzoͤsischen Tuchmanufaktur hervorgegangenes Meisterstuͤk. Der Fuͤrst konnte es nicht genug bewundern, ergoß sich in Sarkasmen auf die Stupiditaͤt der oͤsterreichischen Fabrikanten, und der Kaiser schenkte ihm das Tuch mit dem Wunsche, daß er sich seine oͤsterreichischen Orden darauf moͤge stiken lassen. Der Fuͤrst that es auch treulich, und, etwas eitel wie er war, pries er allen seinen Freunden und Bekannten die in ihrer Art einzige Feinheit und hohe Qualitaͤt dieses Tuches. Einige Wochen darauf, nachdem der Fuͤrst das feine franzoͤsische Tuch an seinem Roke genug ausgepriesen hatte, sagte der Kaiser zu ihm: Sie verzeihen mir es, lieber Fuͤrst, wenn ich gegen sie that, was sie nie gegen mich sich erlaubten; wenn ich Sie taͤuschte. Das Tuch, was ich Ihnen fuͤr franzoͤsisch Tuch neulich gegeben habe, ist Kaͤrnthner'sches, ist aus der Fabrik Ihres Protégé, des Hrn. v. H. Sie sehen, mein lieber Kaunitz, daß ich gegen Sie Recht habe, wenn ich glaube, daß auch bei uns Fabriken gedeihen koͤnnen, wenn man sie unterstuͤzt. Aus der kleinen Manufaktur des Hrn. v. H. ging spaͤter eine der eisten und groͤßten Tuchmanufakturen in Oesterreich, die der Gebruͤder Moro, hervor. Daß Kaufleute gegen Waarenverbothe sind, laͤßt sich leicht begreifen; aber unbegreiflich ist es, wie diese Rechenmeister so kurzsichtig seyn koͤnnen, nicht zu sehen, daß gerade durch dieses Verboth die Sphaͤre ihres Wirkungskreises vergroͤßert wird: „Geld in stetem Umlaufe im Lande selbst!“ Man wird Sklave werden der Laune der Fabrikanten des Inlandes, wenn kein auslaͤndisches Tuch mehr herein darf; werden manche sagen. Man beguͤnstige nur durch Einfuhrs-Verboth die Errichtung von Tuchfabriken, und die natuͤrliche Folge hiervon, Konkurrenz, wird alle Furcht vor Fabrik-Despotismus und Monopol gar bald beseitigen vor jedem, der kein kommerzieller Hasenfuß ist. Einfuhrs-Verboth, oder wenigstens Erschwerung der Einfuhr ist, bei Gott, das Geringste, worauf Fabrikanten von Seite des Staates Anspruch machen koͤnnen. Sie sind dadurch nicht mehr gedekt, als die Bienen durch ihren Strohkorb vor den Stichen der Hornissen und Wespen fremder Gefilde. Folgendes Faktum wird obiges Symbol erlaͤutern. Man konnte in Oesterreich lange Zeit uͤber kein sogenanntes Hollaͤnder Regal-Papier zu Kupferstichen, die illuminirt werden sollten, und uͤberhaupt kein feines und gutes Papier zu Markte bringen. Ein wohlhabender und patriotischer boͤhmischer Edelmann, aͤrgerlich daruͤber, daß die Hollaͤnder die Lumpen zu ihrem Papiere in Boͤhmen kauften, auf der Elbe nach Holland schafften, und als Hollaͤnder Papier wieder einfuͤhren, und noch aͤrgerlicher daruͤber, daß ein verungluͤkter Gelehrter im Regierungs-Rathe von Boͤhmen Preise auf die Ausfuhr von Pappendekeln sezte, aber die Ausfuhr der Lumpen verboth, und dadurch dem Lande noch mehr entzog, entschloß sich ein Kapital von 30,000 fl. zur Errichtung einer Hollaͤnder Papier-Fabrike zu verwenden. Die Anstalt gedieh herrlich: aber kaum war sie in ihrem Erbluͤhen, als die Papier-Fabrikanten in Holland, welche ihren meisten Absaz in Oesterreich hatten, davon Kunde erhaltend ihre Waarenpreise, ungeachtet eines erhoͤhten Einfuhrzolles auf 40 p. C. so sehr herabdruͤkten, daß ihre hollaͤndische Waare in ganz Oesterreich wohlfeiler war, als der edle Boͤhme seine gleich gute Waare nicht liefern konnte. Soviel zur Beruhigung derjenigen, die da glauben koͤnnen, daß bei Einfuhrs-Verboth auf auslaͤndische Erzeugnisse kein Risiko mehr fuͤr die inlaͤndischen Fabrikanten zu besorgen ist, und die von Despotismus oder Monopol schwazen oder traͤumen, wo man bei der reinsten Liebe zum Vaterlande und zu seiner Kunst fuͤr seine eigene Existenz noch zittern muß. Wir waren und sind noch immer der Meinung, daß, so wie es um eine Haushaltung schlecht steht, in welcher dasjenige, was leicht und gut bei Hause verfertigt werden kann, und zu den ersten Beduͤrfnissen desselben gehoͤrt, aus dem Hause zur Arbeit gegeben und Fremden bezahlt wird, es um nichts besser mit der Haushaltung eines Staates steht, der das, was er selbst erzeugen kann, aus der Fremde kommen laͤßt; und daß, wie ein kluger Hausvater es den Seinigen endlich strenge verbieten wird, Arbeiten aus dem Hause zu geben und das Geld fuͤr dieselben zum Fenster hinauszuwerfen, so ein weiser Finanz-Minister die Einfuhr fremder Erzeugnisse, die man eben so gut im Lande selbst bereiten kann, soviel wie moͤglich erschweren muß. „Die Kunst, die Voͤlker zu regieren“, sagte einer der freisinnigsten Maͤnner des vorigen Jahrhundertes, Schloͤzer, »ist die Kunst, sie zu ihrem Wohle zu zwingen.« Folgende Tabelle gewaͤhrt eine Uebersicht des gegenwaͤrtigen Standes der Tuchmachereien in Baiern aus obigem Werkchen, welches wir allen Freunden der vaterlaͤndischen Industrie empfehlen. Tuchmacher Zeugmacher Loderer Baiern und die Oberpfalz 523 459 330 Baireuth 250 444 Der Unter- Main- und Rezat-Kreis 500 Der Rhein-Kreis 250 –––––––– –––––––––– –––––––– Summe 1523. 903. 330