Titel: Die Eisen- und Stahl-Fabriken zu Tula und Sestrabek in Rußland. Von Professor Petri in Erfurt.
Autor: Prof. Johann Christoph Petri [GND]
Fundstelle: Band 10, Jahrgang 1823, Nr. XXXIV., S. 205
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XXXIV. Die Eisen- und Stahl-Fabriken zu Tula und Sestrabek in Rußland. Von Professor Petri in Erfurt. Petri über Eisen- und Stahl-Fabriken in Rußland. Tula, die große und sehr gewerbsame Hauptstadt des gleichnamigen Gouvernements im europaͤischen Rußland, 132 Meilen von St. Petersburg, und 20 Meil. von Moskau, zaͤhlt 3470 Wohnhaͤuser, und gegen 22,000 Einwohner. Unter mehreren sehr ansehnlichen Fabrik- und Manufactur-Anlagen bemerke ich hier bloß die wichtigste, die schon von Peter I. im Jahr 1714 angelegte große Waffen-Fabrik. Sie liefert im Durchschnitte jaͤhrlich fuͤr 15,000 Mann Gewehre aller Art, zum Schießen, Hauen und Stechen, und beschaͤftiget gegen 4500 Arbeiter. Sie ist eine der groͤßten Gewehrfabriken nicht nur in Europa, sondern uͤberhaupt auf der Erde; denn sie enthaͤlt 1 Hammerwerk mit 8 Oefen, die das sibirische Roheisen zu Stahl verarbeiten, 1 Schmiede, worin Degenklingen, Saͤbel und Ladestoͤke gehaͤrtet werden, 2 Schleif- und Poliermuͤhlen, 1 Kupferhammer mit 1 Gluͤhofen, 1 Messingschmiede, 2 Bohrkammern, die Laͤufe zu bohren, 1 Saͤgemuͤhle mit 4 Rammen, 1 Gießhaus und 1 Schmiede zur Ausbesserung der Instrumente. Die jaͤhrlichen Kosten belaufen sich uͤber 100,000 Rubel. Im Durchschnitte von 10 zu 10 Jahren liefert diese Fabrik 112,800 Flinten fuͤr die regulaͤre Infanterie, 4500 fuͤr Jaͤger, 18,333 fuͤr Dragoner, 2347 fuͤr Musketiere, 42,552 Karabiner, 324 Stuzen, 63,073 Paar Pistolen, 11,170 Pallaste, 51,630 Saͤbel, 1000 Hirschfaͤnger und 95,500 Seitengewehre. Man macht hier ferner, außer den genannten sehr gut gearbeiteten Waffen, bestellte Gewehre von besonderer Schoͤnheit, Galanteriedegen, brilliantirte Arbeit, und sonst allerlei feine Eisen-, Stahl- und Galanterie-Waaren, so wie eiserne Bettgestelle, Tabourets, Stuͤhle, Thurmuhren, Kaffeemuͤhlen, Walzen, Springfedern, Brecheisen, Druk- und Preßwerke, Stempel fuͤr die Muͤnze, Tuchscheeren, Messer, Sensen, Schnallen, Uhrketten, Feilen, Degengefaͤße, Knoͤpfe und hunderterlei andere feine Stahlarbeiten. Diese bestellte Fabrikate geben im Außern den Englischen wenig nach, sind ungleich wohlfeiler, aber auch gewoͤhnlich unvollkommner, weniger dauerhaft und nicht immer so geschmakvoll. Man kann annehmen, daß jaͤhrlich uͤberhaupt fuͤr 100,000 Rubel Waaren verfertiget werden. Der Preis eines Infanteriegewehrs ist 4 Rubel, einer Jaͤgersflinte 5, eine Dragonerflinte 4 Rubels und 20–25 Kopeken, eines Karabiners von 3 1/2 bis zu 6 Rubel, eines Dragonersaͤbels von 2 1/2 bis 3 Rubel, eines Pallastes 2 Rubel und 70–80 Kopeken, und eines Seitengewehrs 1 Rubel. 18 große Raͤder, welche die verschiedenen Haͤmmer, Blasebaͤlge, Maschinen und uͤbrigen Werke in Bewegung sezen, werden vom Wasser getrieben. Der jaͤhrliche Gehalt der Arbeiter, worunter uͤber 3000 Meisterleute sind, von welchen keiner, ausser gegen Erlegung von 120 Rubel, willkuͤhrlich abgehen kann, belaͤuft sich auf 93,000 Rubel: der Unterhalt und die Kosten der ganzen Fabrik aber, wie schon gesagt, weit uͤber 100,000 Rubel. Außer den pflichtmaͤßigen Arbeiten liefern die Meister auch bestellte Waaren fuͤr eigene Rechnung, wozu ihnen jaͤhrlich 25,000 Pud (à 40 Pf.) Eisen fuͤr den Preis uͤberlassen werden, welchen die Krone dafuͤr bezahlt. Ein Auslaͤnder, der sich in Tula aufhaͤlt, verfertiget mathematische und physikalische Instrumente. – Außer dieser großen kaiserlichen Gewehrfabrik sind in Tula noch viele Privatfabriken, als: 2 Eisengießereien, uͤber 600 Schmieden, eine Menge Buͤchsenschaͤfter u.s.w. Tula liefert bis jezt in ganz Rußland den beßten und meisten Stahl, und die schoͤnsten Stahlarbeiten; auch wird mit den hiesigen Fabrikaten ein ansehnlicher Handel getrieben: man versendet sie in die enflegensten Gegenden des Reichs, und 2 große, stark besuchte Jahrmaͤrkte befoͤrdern den Absaz noch mehr. In der Umgegend gibt es mehrere sehr ergiebige Eisenminen. Die zweite große kaiserliche Schmiede- und Waffenfabrik befindet sich zu Sestrabek, einem Dorfe an der Sestra, 4 Meilen von St. Petersburg. Sie entstand 2 Jahre spaͤter, als die vorige, naͤmlich 1716, und ward ebenfalls von Peter dem Großen, vorzuͤglich fuͤr die neu geschaffene Flotte, von Holz angelegt. Sie besteht aus einigen Groß- und Ankerschmieden, Walzen, Schneide-, Bohr-, Dreh- und Poliermuͤhlen, aus einer Werkstaͤtte fuͤr Messing- und andere Metallarbeiten, einem Kupferhammer, einer Feinschmiede mit 24 Essen und anderen Maschinen, deren Geblaͤse, so wie in den uͤbrigen Werken, sehr kuͤnstlich vom Wasser getrieben wird. Peter widmete ihr so große Aufmerksamkeit, daß er sich nahe dabei ein steinernes Haus bauen ließ, und oft ganze Tage hier zubrachte, ja nicht selten selbst mit Hand anlegte. Im Jahre 1780, da die ganze Fabrik abbrannte, ward sie weit groͤßer und zwekmaͤßiger von Stein wieder aufgebauet. Sie verfertiget vorzuͤglich Waffen fuͤr die Armee und die Flotte; aber auch allerlei Grobschmiedwaaren von Schloͤßerarbeiten, unter den leztern, Schloͤßerchen in der Groͤße einer Erbse und Haselnuß. Das praͤchtige kaiserliche Lustschloß Zarskoje-Selo, 6 Meilen von der Residenzstadt, hat aus dieser Fabrik eine merkwuͤrdige eiserne Bruͤke. Sie hat 400 Meister und Arbeitsleute, und 1800 Famische Bauern, die statt des Kopfgeldes bloß Kohlen liefern. Es werden hier jaͤhrlich 4–5000 Pfund Eisen veredelt, wozu 35–36,000 Tonnen Kohlen erfoderlich sind. Man gießt vorzuͤglich eiserne und metallene Kanonen, große Kessel, kupferne und messingene Pfannen und andere Geraͤthschaften; auch wohnen hier mehrere Buͤchsen-, Gewehr- und andere Schmiede. Die Preise der Gewehre sind beinahe dieselben, wie in Tula. Vormals war hier auch eine Muͤnze befindlich, die aber schon langst eingegangen ist.