Titel: | Ueber Seiden-Raupenzucht. |
Fundstelle: | Band 16, Jahrgang 1825, Nr. LXXVI., S. 344 |
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LXXVI.
Ueber Seiden-RaupenzuchtVergleiche polyt. Journal, Bd. XI. S.
479.
D..
Ueber Seiden-Raupenzucht.
Ein Aufsaz in Gill's technical Repository, Januar 1825.
Seite 34 uͤber die Fortpflanzung der Seiden-Raupen und
uͤber Seidengewinnung von denselben in England veranlaͤßt uns, einige
Worte uͤber diesen bei uns in Deutschland so sehr vernachlaͤssigten
Industriezweig hier niederzuschreiben. Sie werden von clamantis in deserto, eine Stimme in der Wuͤste seyn; dieß soll uns
aber eben so wenig in unseren Predigten hindern, als der heilige Antonius von Padua,
welcher bekanntlich den Fischen eine lange Reihe von Predigten hielt, sich dadurch
in seinem heiligen Eifer erkalten ließ, daß die Fische waͤhrend der Predigt
das Maul aufrissen, und nach der Predigt wieder untertauchten, und nach wie vor
– Stokfische geblieben sind, wenn sie naͤmlich schon vorher zu dieser
edlem Gattung von Fischen gehoͤrten.
Oesterreich hat, seit Leopold I. unter Karl, Theresia und Joseph, unsterblichen
Andenkens, Millionen auf Seiden-Raupenzucht gewendet. Unser unvergeßlicher
Maximilian hat Tausende fuͤr unser Vaterland geopfert. So lang Friedrich's
des Einzigen Geist noch in seinen Preußen lebte, trugen die Tausende, die die
Kriegs- und Domaͤnen-Kammer auf die Seiden-Raupenzucht wendete, wenigstens
einiges Interesse: jezt ist Kapital sammt Interessen aufgegeben. Aus diesen, in drei großen
Staaten des mittleren Europa von Seiten der weisen Regierungen derselben gemachten
Versuchen erhellt: daß Regierungen jeden weiteren Versuch, Seiden-Raupenzucht auf
ihre Kosten zu treiben, sich ersparen koͤnnen; nicht aber, daß
Seiden-Raupenzucht in dem Klima dieser Laͤnder nicht mit Vortheil von
Privaten betrieben werden kann. Wer mit offenen Augen sieht, wie Kaiser und
Koͤnige und Regierungen uͤberhaupt, selbst bei der kleinsten
Unternehmung, die sie auf ihre Kosten zu betreiben gezwungen sind, – bedient
werden, von dem Tagloͤhner an, der Steine zu einem Aerarial-Gebaͤude
zusammen schleppt, bis zum Baumeister, und von diesem durch das ganze ABC hinauf bis zum Z-Meister; wer mit offenen
Ohren die weltbekannten Spruͤchlein: „der Koͤnig kann schon
zahlen“ – „es „geht auf Regimentskosten
etc.“ tausendmal in sein Ohr krachen hoͤrte, der wird, scheu
gegen die Poͤbelseelen in allen Klassen, denen ihr Bauch ihr Gott ist, die
Regierungen segnen, die, so weise wie die englische, sich so wenig als
moͤglich mit dem rein administrativen Theile des Finanzwesens befassen, und
sich von ihren Unterthanen die Kapitalien jaͤhrlich bezahlen lassen, deren
Zinsen sie durch eigene Administration kaum hereingebracht haben wuͤrden.
„Man braucht den Unterthanen nichts zu geben; man kann ihnen sogar
sehr viel nehmen“ sagte Colbert; „man muß sie aber nicht
hindern, vorerst das zu gewinnen, was man ihnen spaͤter nehmen will; man
muß sie gehen lassen in ihren Arbeiten.“ Wer immer die
Seiden-Raupenzucht auf Kosten der Regierungen in irgend einem Lande
einfuͤhren will, der hat ihr den Todesstoß gegeben, wo er sie in das Leben
rufen wollte. Der edle Graf Zinzendorf that unter Leopold
I. alles, was ein weiser Finanz-Minister zur Aufnahme der Seiden-Raupenzucht thun
kann, und die von ihm geschriebene Vorrede zu der ersten in deutscher Sprache
erschienenen Anleitung zur Wartung und Pflege der Maulbeerbaͤume und der
Seiden-Raupen ist ein schoͤnes Denkmal seines hellen Geistes und seines
Biedersinnes, den er selbst an dem, ganz von Jesuiten geleiteten Hofe Leopolds I.
zum Wohle seines Vaterlandes geltend zu machen den Muth hatte. Noch vor 30 Jahren
standen Maulbeerbaͤume in einigen Vorstaͤdten Wien's, die vor 100 Jahren unter
Zinzendorf's Finanz-Ministerium gepflanzt wurden, dem heftigen Froste so vieler
kalten Winter unter einem noͤrdlichen Klima von 48°, und dem Staube
einer ungepflasterten Hauptstadt trozend, in voller Jugendkraft; so wie auch jezt
noch hier und da in Baiern Maulbeerbaͤume unter Maximilians weiser Regierung
gepflanzt, sich hier und da an den Straßen, allen Winden ausgesezt, herrlich
erhalten haben. Es mußte den Finanz-Ministern unter Maria Theresia leicht seyn,
Zinzendorf's herrlich angefangenes Werk der Vollendung naͤher zu bringen;
allein sie hatten Aufseher noͤthig, die Pest aller Finanz-Verwaltungen. Wir
haben Urkunden in den Haͤnden gehabt, durch welche sich erweisen
laͤßt, daß diese Aufseher den Landleuten, welchen die Regierung fuͤr
jedes Pfund Coccons einen bestimmten Preis zugesichert hatte, und die dieselben
fuͤr diesen Preis wagenvollweise brachten, erst einen Kreuzer, dann zwei,
dann eben so viele Groschen abbrachen. Die Landleute fuͤhrten noch immer
wagenvollweise ihre Coccons zu; allein, als die Unverschaͤmtheit dieser
Niedertraͤchtigen so weit ging, daß sie kaum mehr den 8ten Theil der Summe
bezahlten, die die Regierung ausgesprochen hatte, und die sie derselben als
dafuͤr ausbezahlt verrechneten, dann hoͤrten die armen Bauern auf,
Maulbeerbaͤume zu pflanzen und Seidenraupen zu ziehen, und unter Joseph
mußten die Seidenspinn-Muͤhlen, die die Regierung mit einem Kapitale von
mehreren Hunderttausenden erbauen ließ, um einige hundert Gulden in Holzwerth
verkauft werden. Ob es in Baiern, in Preußen auch so war; weiß ich nicht, in
Oesterreich war es aber buchstaͤblich so. In Rußland wird der Seidenbau noch
gegenwaͤrtig auf Kosten der Regierung betrieben;Polyt. Journal Bd. XI. S. 480.
D.allein in Rußland ist die bekannte Frage: sed quis
custodiet ipsos custodes? durch eine Maschine geloͤset, deren Name
mit demselben Buchstaben anfaͤngt, den wir in dem Namen der großen Katharina
zu vorderst glaͤnzen sehen, und der Direktor der Seiden-Plantagen ist ein
Mann von militaͤrischem und botanischem Ordnungs-Geiste, kein
Finanzschreiber; er ist, zur Ehre unseres deutschen Vaterlandes, ein Deutscher edlen
Stammes: Freiherr Marschall von Biederstein.
Es wird manchem unserer Leser paradox scheinen, allein es ist darum doch nicht minder
wahr, daß man die Seidenraupen in Deutschland weit leichter ziehen, und weit bessere
und feinere Seide von denselben erhalten kann, als in Italien. Es ist allgemeine
Thatsache, daß die Seide, welche im noͤrdlichen China und Japan gezogen wird,
weit feiner und besser ist als diejenige, welche in den suͤdlichen Provinzen
dieser Laͤnder erhalten wird, so wie die piemontesische Seide die beste unter
den italienischen ist. Die Blaͤtter des Maulbeerbaumes werden in den
noͤrdlicheren Klimaten nicht so stark, (nicht so grob, duͤrfen wir
sagen,) wie in den waͤrmeren suͤdlichen, und es ist begreiflich, wie
die Seide im Verhaͤltnisse zu dem Nahrungsmittel stehen muß. Abgesehen von
diesem wichtigen Vortheile hat der Deutsche vor dem Italiener den nicht zu
berechnenden Vorsprung voraus, daß bei ihm die Zeit der Wartung und Pflege der
Seidenraupe gerade in jene Monate faͤllt, wo er auf seinen Feldern und in
seinen Gaͤrten wenig oder gar nichts zu thun hat: naͤmlich Ende Mai's
und den Junius uͤber, wo er in einigen Laͤndern beinahe muͤssig
ist, einen Feiertag um den anderen hat, wallfahrten laͤuft etc.,
waͤhrend fuͤr den Italiener und Franzosen die Arbeit mit den
Seidenraupen gerade in jene Zeit faͤllt, wo er mit Feld- und Gartenarbeiten
uͤberhaͤuft ist. In Italien mißlingt die Seiden-Ernte oft durch
kuͤhle Witterung, indem man in diesem Lande den Gebrauch unserer Oefen nicht
kennt und dieselben, wegen des hohen Preises des Holzes, wohl auch nicht mit
Vortheil gebrauchen kann; bei uns kann man den Seidenraupen mit einigen
Stuͤkchen Holz in dem Ofen von ihrem Auskriechen an bis zu dem Einspinnen
immer dieselbe gleichfoͤrmige Temperatur von + 20 bis + 22 R. verschaffen,
die Witterung mag so unguͤnstig seyn, wie sie immer will. Bei uns vertroknen
die Blaͤtter, wenn man einen Vorrath derselben wegen drohender Landregen
abschneiden muß, nicht so schnell, wie in dem waͤrmern Italien; sie lassen
sich laͤnger frisch und genießbar fuͤr die Raupen erhalten.
Die Schwierigkeiten, mit welchen wir bei der Seiden-Raupenzucht zu kaͤmpfen
haben, liegen lediglich in unserer Unwissenheit, in unserer Faulheit, und in der
Eigenheit unserer guten Landsleute, ernten zu wollen, ohne gesaͤet zu haben.
Wir wissen aus
Erfahrung, daß diese Schwierigkeiten leichter zu besiegen sind, als man glaubt, wo
man anders will, daß sie besiegt werden sollen. Wir kannten zwei Fraͤulein zu
Wien, (die Toͤchter des beruͤhmten Hofrathes an der obersten
Justizstelle, von Froidevaux, dem Oesterreichs Kultur so viel zu danken
haͤtte haben koͤnnen, wenn es beliebt haͤtte,) welche mit
Beihuͤlfe von 8 bis 10 Kindern in ihrer Nachbarschaft, denen sie eine kleine
Belohnung reichten, sich jaͤhrl. zwischen 5–600 Gulden so zu sagen
spielend und als Unterhaltung mit Seiden-Raupenzucht verdienten. Jeder Bauer
koͤnnte im Durchschnitte sich 60–80 fl. jaͤhrlich durch
Seiden-Raupenzucht spielend erwerben, und wollte er die Sache etwas im Großen
treiben, eben so leicht 2–300 fl. Von wem soll aber unser Bauer die wenigen
und einfachen Kunstgriffe, worauf es hierbei ankommt, lernen? Der Schullehrer weiß
nichts davon; der Pfarrer in der Regel noch weniger, als der Schullehrer, wenigstens
in katholischen Doͤrfern. Wuͤrde unser Landschulen-Unterricht
zwekmaͤßiger eingerichtet; wuͤrden, statt so vieler Firlefanzereien,
mit welchen die Landschuljugend geplagt und um VerstandIn einem Circulare an die Schul-Inspektoren in ** von einem gewissen Hrn.
N–r. wird es denselben vorzuͤglich aufgetragen „ja
nicht den Verstand ausbilden zu wollen.“
und Sittlichkeit zugleich gebracht wird, derselben einfacher und
zwekmaͤßiger Unterricht in Wartung und Pflege der Hausthiere, der Garten- und
Feldgewaͤchse, der Obst- und Forstbaͤume ertheilt; erhielten sie
Unterricht im Neugeln und Pfropfen, wozu nicht mehr Geschiklichkeit gehoͤrt
als zum Federnschneiden; lehrte man sie nur die Elemente der Bienenzucht und der
Seiden-Raupenzucht; wie ganz anders wuͤrde es im Lande in kurzer Zeit
aussehen. Es ist nichts leichter als Maulbeerbaͤume zu ziehen, zumahl, wo man
sie in Heken zieht. Wieviel Holz und Zeit geht nicht jaͤhrlich durch unsere
einfaͤltigen hoͤlzernen Zaͤune, und wieviel Land und wieviel
Ertrag geht nicht durch die schlecht gewaͤhlten lebendigen Zaͤune aus
Schlehen, Weinschaͤdling, Weißdorn oder gar aus geschnittenen Fichten zu
Grunde, die wahre Mistbeete fuͤr Insekten sind, und die so vortheilhaft durch
Maulbeer-Heken ersezt werden koͤnnten, verloren! Bis man indessen in irgend
einem Dorfe Maulbeerblaͤtter genug haben wird, um die Seiden-Raupenzucht mit einigem
Vortheile zu treiben, wird man im Kleinen, mit einigen Hunderten von Raupen, die
Lebensweise und die Behandlung dieser Thiere kennen lernen koͤnnen. Der
seelige Exbenediktiner Candidus Huber, der die bekannten
Holzbibliotheken verfertigte, der soviel in Baiern von P. Frank und Comp. in den
Zeiten des Obskurantismus zu leiden hatte, und erst unter der gegenwaͤrtigen
Regierung in sein Vaterland zuruͤkkehren konnte, zog jaͤhrlich, seit
seiner Ruͤkkehr nach Baiern, auf seinem Asyl zu Stahlwang einige Duzend
Seidenraupen zu seiner Unterhaltung: er doch die Eier dieser nuͤzlichen
Thiere mehreren seiner Amtsbruͤder an, ohne daß sein Beispiel sie zur
Nachahmung haͤtte reizen koͤnnen. Man muß klein anfangen, um groß
aufhoͤren zu koͤnnen. Man muß erst Futter fuͤr die Raupen
haben, ehe man dieselben ziehen will, und dieß ist es leider, was man weder
begreifen, noch thun will; um so weniger, als die Maulbeerbaͤume nicht unter
die sehr schnellwuͤchsigen Baͤume gehoͤren, und man von
denselben, bis sie nicht sehr alt sind, nichts als die Blaͤtter brauchen
kann. Man muß nicht vergessen, daß man fuͤr 20,000 Raupen (die
beilaͤufig 4 Pfund Seide geben,) 5 Zentner Maulbeerblaͤtter
braucht.
Die Wartung und Pflege der Raupen selbst unterliegt beinahe keinen Schwierigkeiten,
die von unserer noͤrdlichen Lage abhiengen; vielmehr haben wir derselben, wie
wir oben bemerkten, weniger, als in Italien und im suͤdlichen Frankreich. Die
Graͤnzen dieser Blaͤtter sind zu beschraͤnkt, um eine kurze
Anleitung zur Wartung der Seidenraupen zu geben, obschon man dieselbe, wenn man
nicht mit Bekaͤmpfung von Vorurtheilen aller Art zu thun haͤtte,
fuͤglich auf Einen Bogen bringen koͤnnte. Wir wollen indessen hier
eine Methode zur Reinigung der Seidenraupen, an welcher so unendlich viel gelegen
ist, angeben, die wir, aus Erfahrung, als hoͤchst bequem und vortheilhaft
empfehlen koͤnnen, und deren wir in keiner der vielen Schriften uͤber
Seiden-Raupenzucht erwaͤhnt gefunden haben. Wir sahen sie zuerst bei den oben
erwaͤhnten Fraͤulein von Froidevaux vor 30 Jahren zu Wien, und sie
besteht in folgendem einfachen Verfahren. Man verfertigt ein Nez von der
Laͤnge und Breite der Tafeln, auf welchen man die Seidenraupen haͤlt, aus starken groben
Garne: die Maschen dieses Nezes muͤssen so weit seyn, daß die Raupen leicht
durch dieselben durchkriechen koͤnnen. Wenn man es nothwendig findet, die
Raupen von ihrem Unrathe zu befreien, und auf eine neue reine Tafel zu bringen, so
legt man obiges Nez uͤber die Raupen, (nachdem diese ihr Futter aufgezehrt
haben) auf der zu reinigenden Tafel hin, und bestreut dasselbe, wie bei der
gewoͤhnlichen Fuͤtterung, mit frischen Blaͤttern. In wenigen
Stunden werden die Raupen alle durch die Maschen des Nezes durchgekrochen seyn, und
auf dem frischen Futter liegen. Man hebt nun das Nez, dasselbe an den Enden und in
der Mitte fassend, von der alten Tafel auf die neue uͤber, und man wird alle
Raupen, bis auf einige wenige, mit einem Male von einer Tafel auf die andere
gebracht, und zugleich auf die bequemste Weise gereiniget haben. Wer die
Muͤhseligkeiten und die Nachtheile der gewoͤhnlichen
Reinigungsmethoden kennt, wird diesem Verfahren seinen Beifall nicht versagen,
zumahl, wenn er dasselbe einmal versucht haben wird.
Eine der groͤßten Schwierigkeiten bei der Seidenzucht fuͤr uns Deutsche
ist das Abhaspeln der Seide von den Coccons, und die weitere Bearbeitung der dadurch
gewonnenen rohen Seide zur sogenannten Organsin- und Thrammseide. Ersteres erfordert
zwar nur eine hoͤchst einfache Maschine, welche noͤthigen Falles jeder
Wagner in einem Dorfe verfertigen koͤnnte; allein diese einfache Maschine
fordert sehr geschikte und geuͤbte Haͤnde, ein scharfes und
geuͤbtes Auge, und uͤberhaupt eine Gewandtheit, die nur die Frucht
vieljaͤhriger Uebung und Erfahrung seyn kann. Die wahre Guͤte der
rohen Seide haͤngt vorzuͤglich von dieser ersten Operation ab, durch
welche sie, je nachdem sie in mehr oder minder geuͤbte Haͤnde gerieth,
von 5 bis 20 per Cent, an Werth gewinnen und verlieren kann. Es gibt in Italien,
vorzuͤglich in Piemont, Frauenzimmer (denn diese Arbeit ist lediglich nur
eine Frauenzimmer-Arbeit), die in dieser Kunst so beruͤhmt sind, daß eine
Straͤhne Seide, deren Gebinde mit ihrem Siegel versehen ist, um 10 und mehr
Franken mehr gilt. Wenn bei uns jemals die Seidenzucht empor kommen sollte, so
muͤßte man vor Allem suchen, solche Abwinderinnen aus Italien nach
Deutschland zu ziehen, und zu diesen unsere Maͤdchen in die Schule schiken, oder man
muͤßte einige unserer Landsmaͤnninnen nach Italien schiken, um dort
diese Kunst zu lernen.
Wenn diese Vorarbeit der Seidenspinnerei schon mit solchen Schwierigkeiten
fuͤr uns verbunden ist, so unterliegt die Seidenspinnerei selbst, die
Verfertigung der Organsin- und Trammseide, noch weit groͤßeren. Auch hier
beduͤrfen wir hier nicht bloß geuͤbter auslaͤndischer
Kuͤnstler zur Verfertigung und Bedienung der aͤußerst zusammengesezten
sogenannten Seiden-Maͤhlen, sondern wir brauchen Landsleute, die 50, 60, 70
Tausend Gulden aufwenden, die zur Errichtung einer solchen Muͤhle nothwendig
sind.Man vergl. hiemit die Abhandlung „Verbesserungen im Spinnen und
Zwirnen der Seide zu Naͤhe-Seide, Organsin-Seide, Bergam-Seide
und allen Arten von Seide, zu welchen diese Verbesserungen brauchbar
sind, von Hrn. Badnall. Mit Abbildungen, Polyt. Journal. Bd. XIII. Seite 320.
D.
Es ist offenbar, daß man solche Capitalien nur dann erst wagen kann, wenn man
auf der einen Seite eines hinlaͤnglichen Vorrathes an Rohseide und auf der
anderen Seite eines Einfuhr-Verbothes fremder Seidenwaaren, wie in Oesterreich,
sicher ist. In England, wo jeder Zweig des Maschinen-Wesens den hoͤchsten
Grad der Vollkommenheit erreicht hat, konnte man wohl seine Capitalien mit Vortheil
darauf verwenden. Rohseide in Italien zu kaufen, und diese in England auf den auf
den hoͤchsten Grad von Vollkommenheit gebrachten Seiden-Spinnmuͤhlen
organsiniren zu lassen, um den Italienern selbst wieder wohlfeiler zu verkaufen, als
sie sich dieselbe selbst nicht liefern koͤnnen: doch, was in England im
Fabrikwesen geschieht, kann bei uns nicht als Norm dienen.
Wir wollen nun aus obenerwaͤhnter Abhandlung des Hrn. Gill einige Stellen ausheben, und beleuchten. Hr. Gill beginnt dieselbe mit einem Schreiben des Hrn. Daines Barrington an Hrn. Sam. More,
Secretaͤr der Society for the Encouragement of Arts
etc. Hr. Barrington, der so, wie viele englische Naturhistoriker, eine
wahre Glaubens-Dampfmaschine ist, die mit einer Kraft von mehr dann 100 Pferden
alles ruhig forttreibt, was man ihr zu glauben aufbuͤrdet, sagt, nach dem
paͤpstlichen alten Malpighi, „daß Donnerwetter den Seiden-Raupen
nachtheilig seyn
sollen.“ Ich hatte eines Tages, um zu sehen, ob es moͤglich
ist, zu Wien, wie in Japan, Seidenraupen im Freien zu ziehen, 300 Seidenraupen auf
zwei Maulbeerbaͤume gebracht. Es war 10 Uhr Morgens, und sehr warm. Um 2 Uhr
Nachmittags brach ein Gewitter mit einem Wolkenbruche und Hagel aus, wie man seit langer Zeit keinen gesehen hat. Ich hielt
natuͤrlich meinen Versuch fuͤr ganz verungluͤkt, ging jedoch,
wie das Gewitter voruͤber war, zu meinen Baͤumen, um zu sehen, was aus
meinen Ungluͤkskindern geworden ist. Wie groß war mein Erstaunen, als ich
auch nicht eine Raupe auf der Erde erblikte; denn ich sah zuerst auf diese, da ich
glaubte sie muͤßten alle herabgewaschen worden seyn. Das Wasser hat sie
weggewaschen, sagte der Gaͤrtner; sehen sie nur wie es die Erde um die
Wurzeln weggeschwemmt hat. Mit einer Art von Wehmuth blikte ich, unter meinen
Baͤumen stehend, in die Hoͤhe, und sah die schoͤnen weißen
Raupen munter und wohlerhalten an der unteren Flaͤche der Blaͤtter
umher kriechen. Die Thierchen waren nicht laͤnger als 4 Stunden auf einem
Baume im Freien, und hatten bereits gelernt, daß sie, wenn es regnet, sich nur an
die untere Seite des Blattes begeben duͤrfen, um gegen den Regen sicher zu
seyn: sie waren, so lang die Blaͤtter oben naß waren, an der unteren Seite.
Ich zaͤhlte sie so beilaͤufig und konnte bald auf 200 und einige
achtzig kommen; es sind gewiß nicht 10 abgefallen. Die folgenden Tage war die
Witterung sehr schoͤn: allein, schon am dritten Tage bemerkte ich, daß die
Raupen sich wenigstens um ein Drittel vermindert hatten, und ehe die Woche herum
war, sah ich auchauch auch nicht eine einzige Raupe mehr auf den Baͤumen. Es ist keine einzige
herabgefallen; sie sind alle mit den Sperlingen davongeflogen, die sie fleißig
hohlten. Dieser verungluͤkte Versuch beweißt wenigstens, (so wie viele
Duzende mit meinen Seidenraupen gluͤklich uͤberstandene Gewitter) daß
die Seidenraupen, wenigstens zu Wien, von Gewittern nichts zu befahren haben: zu Rom
mag es vielleicht lauter donnern, oder blizen, weil man dort die Schluͤssel
zum Himmel hat. Aliud est praxin exercere Romae, aliud in
Aegypto. Es scheint, nach obigem Versuche, daß, wenn man die
Maulbeerbaͤume in Heken, reihenweise, nur 6 Fuß hoch in Gevierten ziehen
wuͤrde, die man bequem mit einem Neze, wie die groͤßeren
Vogelhaͤuser in Lustgaͤrten, uͤberziehen koͤnnte, damit
die Voͤgel nicht zu den Raupen gelangen, diese bei uns so gut als in dem
noͤrdlichen China und Japan im Freien gezogen werden koͤnnten. Um
diese vor den Ameisen zu sichern, die ihnen eben so gefaͤhrlich sind, wie die
Voͤgel, duͤrfte man nur jeden Maulbeer-Stamm eine Spanne uͤber
seiner Wurzel mit einem Baͤndchen umbinden, welches man in Queksilber-Salbe
getaucht hat. Ueber dieses in Queksilber getauchte Baͤndchen steigt sicher
keine Ameise, und uͤberhaupt kein lebendes Insect, indem Queksilber-Salbe das
wohlfeilste und sicherste Mittel ist, Insecten zu verscheuchen.
Hr. Barrington erzaͤhlt, wie Koͤnig Jakob I.
sich es sehr angelegen seyn ließ, Seiden-Raupenzucht in England, nach dem Beispiele
Heinrichs IV. in Frankreich, einzufuͤhren: allein, seine Regierung fiel
bekanntlich in eine zu ungluͤkliche Zeit, als daß seine gutgemeinten
Proclamationen, in welchen er zur Pflanzung der Maulbeerbaͤume einlud, den
erwuͤnschten Erfolg haͤtten haben koͤnnen. Karls I.
Bemuͤhungen, die Englaͤnder zur Seiden-Raupenzucht zu
vermoͤgen, konnten, aus denselben Gruͤnden, wie unter Jakob I., keines
gluͤklicheren Erfolges sich freuen.
Hr. Barrington bemerkt, daß man die Maulbeer-Baͤume
mit weißen Fruͤchten jenen mit rothen vorzieht; daß aber Swinburn in seinen Reisen durch Calabrien
erzaͤhlt, man zoͤge daselbst die Maulbeer-Baͤume mit rothen
Fruͤchten vor, weil sie um 10 Tage spaͤter ausschluͤgen, und
weniger vom Froste zu leiden haͤtten. – Dieß mag in Calabrien der Fall
seyn, bei uns ist es nicht so: bei uns bewaͤhrt sich der weiße Maulbeer-Baum
ganz nach dem Beinahmen, den Plinius ihm gegeben hat: arbor
sapicus; er schlaͤgt nie aus, bis die Gefahr vor Reifen
voruͤber ist. Reife schaden bei uns dem Maulbeerbaume nie, wenn gleich die
Spizen seiner Zweige, wenn sie im vorausgegangenen kalten Nach-Sommer oder Herbste
ihr Holz nicht gehoͤrig ausreifen konnten, in strengen Wintern bei uns
erfrieren. Hr. Barrington sagt, nach Scott, in Chambers's
Dictionary daß man in Persien die Seidenraupen mit den Blaͤttern des
schwarzen Maulbeerbaumes fuͤttert. Die Seidenraupen fressen allerdings die
Blaͤtter desselben; allein die Seide, die sie dann spinnen, ist um so viel
groͤber, als das Blatt des schwarzen Maulbeerbaumes groͤber ist, als
das des weißen. Er dringt darauf, Surrogate fuͤr die Maulbeerblaͤtter
aufzufinden, und empfiehlt in dieser Hinsicht Salat-Blaͤtter (Littuce, Lactuca sativa). Allein es geht bei diesen
Surrogaten, wie bei den Kaffee-Surrogaten: Gerste und Kichern und Astragalus sind
darum, daß, sie wie Kaffee gebrannt und getrunken werden, noch kein Kaffee.
Hr. Barrington geht von dem sehr richtigen Grundsaze aus,
daß, da China das Land ist, in welchem man seit undenklichen Zeiten die
groͤßte Menge Seide zieht, man sich so genau als moͤglich an die Art
und Weise, nach welcher die Seidenraupen dort gewartet werden, halten muͤsse.
Allein, er geht in seinem frommen Glauben so weit, daß er uns mit dem bekannten
Luͤgner, dem Jesuiten du Halde, erzaͤhlt:
„daß die Seidenraupen, wenn sie jung sind, durch das Bellen der Hunde
und das Kraͤhen der Haͤhne sehr leiden.“ Er
fuͤhrt auch die Zeugnisse anderer Jesuiten hieruͤber an. Wie sehr uns
aber die Jesuiten, so wie in hundert anderen Ruͤksichten, so auch in Bezug
auf die Seidenraupen ganz besonders betrogen haben, erhellt unter anderen aus der
Vorrede des unsterblichen Grafen von Zinzendorf zu dem
oben erwaͤhnten Werke, in welcher er erzaͤhlt, wie die Jesuiten, die
in China waren, ihm die Entstehung der Seidenraupen erklaͤrten. Man
fuͤttert, sagen diese Luͤgenvaͤter, eine traͤchtige Kuh
waͤhrend ihrer ganzen Trachtzeit, und solang das Kalb an derselben saugt, mit
Maulbeerblaͤttern. Das Kalb wird sodann geschlachtet, und mit Haut und Haar
zu einer Wurstmasse gehauen. Diese Wurstmasse gibt man in eine Kiste, und stellt sie
auf den Boden des Hauses unter dem Dache. In wenigen Tagen werden sich Maden in
derselben zeigen, und diese Maden sind – Seidenraupen. Dieß war die
Nachricht, die die frommen Vaͤter einem Finanz-Minister gaben, der seinem
Lande die Wohlthat der Seidenraupenzucht verschassen wollte. Wie falsch du Halde's oben angefuͤhrte Angabe ist, erhellt
aus folgenden Erfahrungen. Ich zog zu Wien durch 3 Jahre, bloß zu meiner
Unterhaltung, in meinem Studierzimmer, jaͤhrlich so viel Seidenraupen, daß
ich mir aus der spielend gewonnen Seide jaͤhrlich 2 Paare seidene
Struͤmpfe und ein seidenes Tricot-Beinkleid konnte verfertigen lassen. In meinem
Studier-Zimmer waren meine 3 Hunde, die oft fuͤrchterlich zusammenbellten.
Meine seel. Frau, die auch mit Seidenraupen sich unterhielt, hatte die ihrigen in
einem dicht an der Kuͤche befindlichem Nebenzimmer, wo man unsern kleinen
Vorrath an jungen Haͤhnen stuͤndlich kraͤhen hoͤrte;
weder das Kraͤhen der Haͤhne, noch das Bellen der Hunde stoͤrte
die Raupen. Noch mehr: Vor unserem Fenster exercirten die Bataillons der Garnison im
Feuer. Die Seidenraupen blieben ungestoͤrt bei dem Krachen des
Bataillons-Feuers. Ob Hr. Barrington sich nicht von den leichtglaͤubigen
Seeleuten eben so gut, wie von du Halde, taͤuschen ließ, wenn er
erzaͤhlt, daß die Hummern durch den Kanonen-Donner der Schiffe
getoͤdtet werden, (ein Umstand, den er fuͤr du
Halde's Luͤge anfuͤhrt) muͤßte noch neueren Versuchen
unterzogen werden. Man schrieb so oft, daß die Seidenraupen keinen Rauch vertragen
koͤnnen. Ich habe das Ungluͤk Tabak rauchen zu muͤssen, wann
ich schreibe; die Seidenraupen, die ich in meiner Studier-Stube zog, fanden sich oft
in einer Wolke von Tabakrauch eingehuͤllt, zumahl wenn ein oder der andere
Freund, der dieselbe uͤble Gewohnheit mit mir theilte, mich besuchte: die
Seidenraupen litten nicht im Mindesten von diesem Rauche.