Titel: Neue Theorie der Salpeterbildung. Von Longchamp.
Fundstelle: Band 23, Jahrgang 1827, Nr. XCVII., S. 450
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XCVII. Neue Theorie der Salpeterbildung. Von Longchamp. (Vorgelesen in der Akademie der Wissenschaften d. 24. Nov. 1823.)Die Akademie hat die HHrn. Vauquelin, Chaptal, Gay-Lussac, Dulong und d'Arcet mit der Pruͤfung dieser Abhandlung beauftragt. Hr. Vauquelin nahm die Berichterstattung auf sich; da ihm aber seine Geschaͤfte noch nicht erlaubten, sich damit zu beschaͤftigen, so ersuchte ich Hrn. Gay-Lussac, meine Abhandlung in seine Annalen einzuruͤken, um eine Theorie, welche genau gepruͤft werden muß, zur Kenntniß der Chemiker zu bringen. A. d. O. Aus den Annales de Chimie et de Physique. Septbr. 1826. S. 1–29. Longchamp's, neue Theorie der Salpeterbildung. Glauber ist, wenn ich nicht irre, der erste, welcher uͤber Salpeterbildung schrieb, und dieser alte Chemiker hat uns vor ungefaͤhr 200 Jahren gesagt, daß der Salpeter sich durch die Zersezung animalischer und vegetabilischer Substanzen bilde: die neuen Chemiker sagen es auch noch, wenigstens in Betreff der Salpetersaͤure. Diese Meinung, welche durch die Zeit geheiligt zu seyn scheint; welche alle chemischen Lehrgebaͤude durchlief, die von Becher an, bis auf unsere Zeiten aufeinander folgten; welche die Anhaͤnger des Phlogistons, so wie die der pneumatischen Chemie nacheinander aufstellten und vertheidigten; welche noch dazu durch die Schriften ex professo bekraͤftigt wurde, die Stahl und Lavoisier,Dissertation uͤber den Salpeter, von Stahl 1698. – Mémoire sur les Terres naturellement salpêtrées: par Clouet et Lavoisier . 1777. A. d. O. die Haͤupter beider auf einander folgenden Schulen, uͤber diesen Gegenstand bekannt gemacht haben, scheint gegen alle Einwuͤrfe gesichert seyn zu muͤssen; auch weiß ich nicht, ob derjenige, welcher eine ohne Widerspruch von allen Chemikern angenommene Theorie angreifen will, nicht die gewoͤhnliche Wirkung des Vorurtheils an sich erfahren wird, durch welche Alles verworfen wird, was den Begriffen, in denen wir auferzogen wurden, entgegengesezt ist. Ich fuͤhle mich nicht stark genug, einen solchen Kampf auf mich allein zu nehmen, und habe daher so eben meine Theorie der Akademie zur Beurtheilung uͤbergeben, um durch dieselbe, wenn sie sie gut heißt, eine Stuͤze zu erhalten, welche in der Meinung der Gelehrten die Frage entscheiden wird. Erster Abschnitt. Die salpetersauren Salze finden und bilden sich in Materialien oder an Orten, welche weder vegetabilische noch animalische Substanzen enthalten, und auch niemals den Ausfluͤssen der Thiere ausgesezt waren. Die Akademie der Wissenschaften sezte im Jahre 1775 auf Verlangen der Regierung einen Preis auf die Beantwortung der Frage: welches sind die Ursachen der Bildung der Salpetersaͤure, und die Mittel diese Bildung in den kuͤnstlichen Salpetergruben zu bewirken? Die Anzahl der Bewerber war betraͤchtlich; die Kommissaͤre der Akademie hatten 66 ihnen uͤbergebene Abhandlungen zu pruͤfen.Die Akademie hat einen Band in 4to von diesen Abhandlungen herausgegeben, *) welcher in zwei Theile zerfaͤllt: der erste, der geschichtliche genannt, enthaͤlt die Pruͤfung und Beurtheilung derselben nebst den Betrachtungen der Kommissaͤre; der zweite enthaͤlt den Text der Abhandlungen, welche den Preis davon trugen oder Accesite verdienten; da jeder Theil seine Seitenbezifferung hat, so ist man genoͤthigt, jeden derselben auf verschiedene Art zu bezeichnen. Wenn ich auf den ersten verweisen muß, werde ich ihn mit G. Th. bezeichnen; der zweite wird mit T. d. A. bezeichnet werden. Dieser Band macht den XI. Theil der Memoires des Savans étrangers aus.A. d. O.*) Von diesem Werke, der Instruction sur la Fabrication du salpêtre, ist im Jahre 1779 zu Leipzig eine deutsche Uebersezung in 8vo herausgekommen. Durch die Herausgabe populaͤrer Schriften uͤber die Salpeterfabrikation haben sich in Deutschland besonders Gehlen und Trommsdorff verdient gemacht; das wichtigste und ausfuͤhrlichste Werk uͤber die Salpeter- und Pulverfabrikation ist jedoch bis jezt: Traite de l'art de fabriquer la poudre á Canon par Bottée et Riffault. Paris 1811. 4to A. d. R. Ohne Zweifel sind nur wenige unter diesen Abhandlungen, die nicht mit den falschen Theorieen der damahligen Zeit behaftet sind, und welche keine ungereimten Ideen und offenbar falsche Angaben enthalten; aber eine weise Kritik kann aus denselben gute Beobachtungen ausziehen, welche umsichtsvoll beurtheilt, uns auf den Weg der Wahrheit fuͤhren. Ich werde daher aus den Abhandlungen des Concurses von 1775 einen Theil der Thatsachen entnehmen, welche die Theorie, die ich mir schon lange von den Ursachen der Bildung der Salpetersaͤure in den salpeterhaltigen Materialien gemacht habe, rechtfertigen. Art. I. Diejenigen, welche sich mit der Salpeterfabrikation beschaͤftigt haben, wissen recht gut, daß die Erde, welche man aus den Kellern ausgraͤbt, durch Auslaugen salpetersaure Salze gibt, und daß dieselbe Erde, wenn man sie wieder an ihren vorigen Ort bringt, nach acht bis zehn Jahren wieder eine neue Quantitaͤt Salpeter gibt. Diese Thatsache kann man nicht laͤugnen, aber man hat sie durch folgende Betrachtung zu entkraͤften gesucht: „Gewoͤhnlich entzieht man den salpeterhaltigen Materialien durch das Auslaugen nicht alle ihre Salze; diese Materialien, der Luft ausgesezt, troknen dadurch aus, und da das Wasser nur auf ihrer Oberflaͤche verdunstet, so sezt es darauf allen Salpeter, den es aufgeloͤst enthielt, ab.“ (Instruction sur la Fabrication du salpêtre, Seite 25.) Dieser Einwurf waͤre von großem Gewichte, wenn es wahr waͤre, daß man aus den Materialien, die man wieder an ihre Stelle gebracht hat, nur eine kleine Menge Salpeter erhaͤlt; aber diejenigen, welche der Kunst des Salpetersieders nicht fremd sind, wissen recht wohl, daß wenn eine Keller-Erde durch das erste Auslaugen 100 Theile Salpetersaͤure, die mit verschiedenen Basen gesaͤttigt ist, gegeben hat, dieselbe, wenn man die ganze Masse wieder an ihren vorigen Ort bringt, nach acht bis zehn Jahren, noch einmal salpetersaure Salze geben wird, welche dieselbe Quantitaͤt Saͤure enthalten. Man erhaͤlt daher durch das neue Auslaugen nicht bloß den Salpeter, welcher, in den Materialien zuruͤkblieb, sondern auch, und zwar zum groͤßten Theile, denjenigen, welcher sich dadurch bildete, daß man die Erde in dieselben Umstaͤnde wieder versezte, welche die erste Salpeterbildung herbeigefuͤhrt hatten. Endlich werden diese schon zwei Mahl ausgelaugten Materialien, wenn sie neuerdings in denselben Keller zuruͤkgebracht werden, nach acht oder zehn Jahren dieselbe Quantitaͤt Salpeter geben, welche sie jedesmal bei den ersten zwei Auslaugungen abgaben; die Salpeterbildung sezt sich so ohne Ende fort, vorausgesezt, daß die Erde, welche wieder an ihren Ort gebracht wird, eine hinreichende Quantitaͤt von der Basis enthaͤlt, welche gewoͤhnlich die Bildung der Salpetersaͤure beschleunigt und diese Saͤure in dem Maße absorbirt, als sie sich erzeugt.Es ist erwiesen, daß eine Erde, in welcher die Thonerde vorherrscht, sich nicht in salpetersaure Salze umaͤndern kann; wenn daher die bei der vorhergehenden Salpeterbildung entstandene Salpetersaͤure der Erde den kohlensauren Kalk und die kohlensauren Alkalien, welche sie enthielt, entzogen, und nur einen festen Thon hinterlassen hat, so wird dieselbe, in die guͤnstigsten Umstaͤnde versezt, nicht mehr die Bildung von Salpetersaͤure bewirken. A. d. O. Art. II. Lavoisier (T. d. A. S. 503 bis 570) nahm mitten aus dem Steinbruche eine sehr große Anzahl Proben der Kreide von Roche-Guyon und Mousseaux, und alle gaben ihm durch Auslaugen eine kleine Quantitaͤt Salpeter mit vielem salpetersauren Kalk vermischt. Diese Proben waren oft mehrere hundert Klafter von. den Wohnungen und noch dazu an Stellen des Gesteines genommen, welche dem Regen und allen Veraͤnderungen der Witterung ausgesezt waren. Aus den Thatsachen, die er in seiner Abhandlung anfuͤhrt, hat er geschlossen, „daß die salpetrige. Saͤure in der Kreide von Roche-Guyon nicht urspruͤnglich vorhanden ist, sondern sich darin durch die Einwirkung der Luft bildet (Seite 565).“ Es ist bemerkenswerth, daß die Kreidenstuͤke, welche mitten aus dem Gesteine genommen wurden, oft mehr Salpeter enthielten, als die beßten gegrabenen Erden. Diese Resultate brachten Lavoisier, der, wie jedermann, glaubte, daß Salpetersaͤure sich nur in so weit bilde, als animalische Substanzen zugegen sind, in große Verlegenheit; man mußte sie daher notwendigerweise in Uebereinstimmung bringen, und er zieht sich nun folgendermassen aus dieser Sache: „Wie alles Gestein dieses Bezirkes, welches offenbar aus den Ueberresten von Seethieren gebildet ist, enthaͤlt diese Kreide wahrscheinlich noch einige animalische Substanzen, die nicht ganz zersezt sind, welche, indem sie durch die Einwirkung der Luft vollends verfaulen, Salpeter hervorbringen (Seite 565).“ Nach Untersuchung der Kreide von Roche-Guyon bereiste Lavoisier die Touraine und alle Provinzen, wo sich Tufstein findet, ein Baustein, der wegen seiner leichten Salpeterbildung so bekannt ist. Er ging in viele Steinbruͤche und nahm Proben, welche er alsdann auslaugte; beinahe alle gaben ihm salpetersauren Kalk, und in mehreren fand sich sogar Salpetersaͤure in groͤßerer Quantitaͤt, als in den guten gegrabenen Erden oder den kuͤnstlichen Salpetergruben (T. d. A., Seite 571 bis 609). Er fand jedoch mit Ausnahme einiger Muschelschalen, die er in zweien dieser Steinbruͤche antraf, keine Spur thierischer Ueberreste in diesem Gesteine, das aus Sand und kohlensaurem Kalk besteht. Zweiter Abschnitt. Die Salpetersaͤure bildet sich vermittelst der Luft in Materialien, welche keine Spur animalischer oder vegetabilischer Substanzen enthalten. Ein Preisbewerber (G. Th. Seite 114) nahm Erde vom Felde, welche er gut auswusch, um ihr alle salzigen Theile zu nehmen; er bildete daraus einen Haufen, welchen er in dem Maße mit reinem Wasser begoß, als er austroknete. Diese Erde gab, als sie nach Verlauf von sechs Monaten ausgelaugt wurde, Salpeter. Ein anderer Preisbewerber (G. Th., Seite 160) stellte einen noch genaueren Versuch an. Er nahm Erde vom Felde, welche sehr sorgfaͤltig ausgelaugt worden war, und ließ sie dann an der Sonne troknen, worauf er sie in zwei Theile theilte: der eine wurde in einen Keller auf Steinplatten gelegt, welche vermittelst eiserner Stuͤzen 2 Fuß weit sowohl von den Waͤnden als dem Boden entfernt gehalten wurden; der andere Theil wurde auf Steinplatten auf aͤhnliche Art unter eine Remise gestellt. Beide Theile wurden von Zeit zu Zeit aufgeruͤhrt, und durch Begießen mit reinem Wasser hinreichend feucht gehalten. Nach Verlauf eines Jahres gab die Erde aus dem Keller eine Lauge von Einem (Araͤometer-) Grade, die unter die Remise gestellte Lauge von nur einem halben Grade. Dieser Unterschied ruͤhrt wahrscheinlich daher, daß die Feuchtigkeit in dem Keller sich mehr gleich blieb, als unter der Remise; was aber auch immer die Ursache seyn mag, so beweißt dieser mit Ueberlegung angestellte Versuch, daß die Erden an der Luft sich mit. Salpetersaͤure vereinigen, ohne daß die Dazwischenkunft thierischer Substanzen noͤthig waͤre. Thouvenel, welcher Salpetersaͤure erzeugt hat, in dem er Kreide in Beruͤhrung mit den Gasarten brachte, welche aus faulenden und mit atmosphaͤrischer Luft vermengten animalischen Substanzen entstanden, erhielt diese Saͤure auch, als Stuͤke von derselben Kreide bloß in Beruͤhrung mit reiner Luft waren (T. d. A. Seite 124). Zwar erhielt er bei dem Versuche, welchen er anfuͤhrt, aus den Materialien, welche einer mit faulen Gasarten reichlich gemengten atmosphaͤrischen Luft ausgesezt waren, fuͤnfzehn Theile salpetersauren Kalk, waͤhrend er aus denjenigen, die in Beruͤhrung mit reiner atmosphaͤrischen Luft waren, nur sechs Theile dieses Salzes erhielt. Es fragt sich aber, ob Thouvenel die Zahlen nicht ein wenig seinen Ansichten unterworfen hat, denn er war einer derjenigen, welche am meisten die Nothwendigkeit animalischer Substanzen zur Bildung der Salpetersaͤure, zu beweisen wetteiferten. Wie dem aber auch sey, so ist doch selbst nach Thouvenel's Erfahrungen gewiß, daß die Salpetersaͤure sich bei gaͤnzlicher Abwesenheit animalischer oder vegetabilischer Substanzen bilden kann; dieses sagt er noch uͤberdieß selbst: „Es ist ausgemacht, nach meinen Versuchen, daß die atmosphaͤrische Luft, eben so gut, als die von faulenden Koͤrpern sich entwikelnde Luft, alles zur Bildung von Salpetersaͤure Noͤthige enthaͤlt, wenn sie nur Substanzen findet, welche deren Materialien aus ihr absorbiren koͤnnen.“ (T. d. A. Seite 89.) Der Salpeter zeigt sich endlich mitten auf dem Felde in allen Theilen von Indien, Egypten, Spanien und an vielen anderen Orten, wo man nicht die mindeste Spur animalischer Substanzen findet.Man war so sehr uͤberzeugt, daß die Salpetersaͤure sich durch die Gegenwart animalischer Substanzen bilde, daß einige behaupteten, wenn der Salpeter an verschiedenen Orten auf dem Boden Indiens sich zeige, dieses daher komme, weil dieselben oft von Fledermaͤusen heimgesucht wuͤrden. (G. Th.) A. d. O. Dritter Abschnitt. Die Salpetersaͤure ist einzig und allein aus den Elementen der Atmosphaͤre gebildet. Ich habe in den beiden vorhergehenden Abschnitten durch die uͤbereinstimmenden und gut beobachteten Thatsachen, welche ich angefuͤhrt habe, bewiesen, daß sich Salpeter an Orten, welche von Wohnungen ganz entfernt sind, in Materialien bildet, welche keine animalischen Substanzen enthalten; nun will ich aber auf die Thatsachen auch das Raisonnement folgen lassen, um zu zeigen, wie wenig der Saz begruͤndet ist, den man aufstellen zu koͤnnen glaubte: „daß Materialien, welche der Salpeterbildung faͤhig sind, niemals an der Luft ohne die Mitwirkung einer animalischen Substanz salpetersaure Salze geben“ (S. 16 der Instruction sur la fabrication du salpêtre). Man nimmt (Instruction etc., S. 24) mit Thouvenel an, daß die animalischen Substanzen nicht nothwendig mit den Erden in Beruͤhrung seyn muͤssen, sondern daß ihre Ausduͤnstungen hinreichen Salpeter zu bilden. Wir wollen nun alle moͤglichen Annahmen pruͤfen, um zu sehen, wie sich die Salpetersaͤure unter diesen Umstaͤnden bilden koͤnnte. Sollte dieses vielleicht durch den Stikstoff geschehen, der sich waͤhrend der Faͤulniß aus den animalischen Substanzen entwikelte? Allein alle Chemiker wissen, daß die Producte dieser Faͤulniß, Ammoniak, Kohlensaͤure, Kohlenwasserstoffgas und vielleicht Kohlenoxydgas und Wasser sind, aber kein Stikgas; wenn aber auch dieses Gas entstuͤnde, wie sollte es sich mit der Kreide verbinden Man hat Beispiele von solchen ungewoͤhnlichen Verbindungen der Gasarten in ihrem statu nascente, aber dieses ist nicht der Zustand, in welchem sich der Stikstoff in diesem Falle befindet, weil das Blut, welches sich in Faͤulniß befand, zwei Fuß von der Kreide entfernt war, die es nach der Behauptung zum Theil in Kalksalpeter umaͤnderte.Die Commissaͤre der Akademie, unter welchen auch Lavoisier war, nahmen Kreide, welche sie sorgfaͤltig mit siedendem Wasser auswuschen, um alle Salze auszuziehen; diese ausgewaschene Kreide hingen sie in durchsichtig geflochtenen Koͤrben zwei Fuß uͤber faulendem Blute auf. Nach Verlauf einiger Monate ergab sich in der Kreide ein Salpetergehalt von vier bis fuͤnf Unzen auf den Centner (G. Th. S. 126). A. d. O. Oder sollte es durch eine stikstoffhaltige Verbindung, welche diese Ausduͤnstungen mit sich fuͤhren wuͤrden geschehen? Man weiß aber, daß bei der Faͤulniß des Blutes, des Harnstoffes und anderer aͤhnlichen Stoffe, aller Stikstoff zur Bildung von Ammoniak dient; selbst unter der Voraussezung, daß ein Theil des Stikstoffs dem Wasserstoffe entgehen und eine bis jezt unbekannte Verbindung bilden wuͤrde, wie sollte es zugehen, daß diese Substanz nur dann Salpeterstoff wird, wenn sie mit Kreide in Beruͤhrung kommt? denn wenn sie auf Kalk, Bittererde, Alaunerde u.s.w., trifft, bildet sich die Salpetersaͤure nicht mehr, oder wenigstens bloß in fast unmerklicher Quantitaͤt, und nur nach Verlauf langer Zeit; endlich entsteht nicht eine Spur Salpeter, wenn man sie mit aͤzendem oder kohlensaurem Kali in Beruͤhrung bringt. (Thouvenel, T. d. A., S. 119.) Oder sollte es durch eine Einwirkung der faulen Ausduͤnstungen auf die atmosphaͤrische Luft geschehen? Aber abgesehen davon, daß man sich diese Einwirkung nicht leicht erklaͤren koͤnnte, und daß es uͤbrigens in diesem Falle der Stikstoff der Luft seyn wuͤrde, welcher die Salpetersaͤure bildete, und nicht derjenige der animalischen Substanzen, so wuͤrde man doch noch den Einwurf, welchen man nicht beantworten kann, machen koͤnnen: warum ist die Kreide der einzige Koͤrper, welcher diese Einwirkung beguͤnstigt? So hat die Erfahrung in tausend Beispielen bewiesen, daß Salpetersaͤure an Orten gebildet wird, wo weder animalische Substanzen in Beruͤhrung kommen, noch irgend Ausduͤnstungen dieser Substanzen; so eben haben wir auch noch gesehen, daß es ganz unmoͤglich ist, daß der Stikstoff der animalischen Substanzen auf irgend eine Art zur Bildung der Salpetersaͤure beitragen kann; daher kann der folgendermassen aufgestellte Saz: „Allen zur Bildung der Salpetersaͤure erforderlichen Stikstoff geben die animalischen Substanzen her“ (Instruction etc., S. 16) nicht zugegeben werden. Es ist daher unmoͤglich, daß sich aus einer animalischen Substanz, welche allein der Faͤulniß uͤberlassen ist, irgend eine Substanz entbinde, welche fuͤr sich selbst oder durch ihre Wirkung Salpetersaͤure hervorbringen koͤnnte; aber verhaͤlt es sich noch eben so, wenn die animalischen Substanzen mit Erde vermengt sind? Es gibt keine chemische Thatsache welche vermuthen laͤßt, daß der Urin oder das Blut bei ihrer Faͤulniß andere Producte geben, wenn sie mit Erdarten vermengt sind, als wenn sie ohne Beimischung verfaulen; aus theoretischen Betrachtungen aber, werden wir sehen, daß sie in beiden Faͤllen dieselben seyn muͤßen. Was die festen Theile betrifft, wie z.B. den Faserstoff des Blutes, die Faser des Muskelfleisches u.s.w., so werden sie keine Salpetersaͤure bilden koͤnnen, denn wir haben so eben gesehen, daß die Gasarten oder Ausduͤnstungen, welche sich waͤhrend der Faͤulniß entwikeln koͤnnten, weder mittelbar noch unmittelbar zur Salpeterbildung beitragen wuͤrden; wenn also die animalischen Substanzen dazu beitragen wuͤrden, so koͤnnten sie bloß bei der Beruͤhrung eine Wirkung aͤußern. Legt man nun ein Stuͤk Muskelfleisch in einen Haufen von Erde, so werden alle Theile seiner Oberflaͤche wohl beruͤhrt; aber was ist diese Oberflaͤche in Beziehung auf die Masse? Es ist dasselbe Verhaͤltniß wie zwischen der Linie und der Ebene, welche sie begraͤnzt. Oder, wird man vielleicht sagen, in dem Maße als diese Oberflaͤche sich zersezen wird, wird sich der Erde eine neue Oberflaͤche darbieten, und so wird nach und nach die ganze Oberflaͤche des Stuͤkes mit dieser Erde in Beruͤhrung kommen? Dann muͤßte man annehmen, daß die Zersezung anfangs bloß an der Oberflaͤche des Stuͤkes eintreten wird, was wahrscheinlich falsch ist; in der Folge aber, wo die Oberflaͤche des Fleisches sich unaufhoͤrlich erneuert, bleiben die Theilchen der Erde, welche sie umgeben immer dieselben, und wenn sie einmal salpetrisirt sind, so werden sie die Beruͤhrung mit andern Theilchen verhindern; so daß, unter der guͤnstigsten Voraussezung, bloß die Theile der Erde, welche mit dem Fleische in Beruͤhrung sind, Salpetersaͤure werden erhalten koͤnnen. Man sieht, wie beschraͤnkt nun die Salpeterbildung seyn wuͤrde; es ist begreiflich, daß wenn das Stuͤk ein Wuͤrfel von einem Zoll Seitenlaͤnge waͤre, nicht der tausendste Theil der Masse durch seine Zersezung die Salpeterbildung beguͤnstigen wuͤrde. Wenn die festen Theile durch ihre Faͤulniß keine Salpetersaͤure bilden koͤnnen, werden die fluͤßigen Theile der Ausleerungen oder andere Substanzen wohl guͤnstigere Resultate geben? Es ist leicht einzusehen, daß die Bildung derselben immer beschraͤnkt seyn wird; denn wenn in diesem Falle eines der Agentien fluͤßig ist, so ist das andere fest und wird niemals fluͤßig; die Wirkung bei der Beruͤhrung wird man also noch sehr beschraͤnkt finden; erwaͤgt man nun, daß es bloß der kohlensaure Kalk ist, der sich in ein salpetersaures Salz umaͤndert, und daß man nicht wohl annehmen kann, daß die Erden, aus welchen man die Salpetergruben bildet, mehr als 1/10 von diesem Koͤrper enthalten, so folgt, daß nicht der Hundertste Theil des angewandten Urins sich zu Gunsten der Salpeterbildung zersezen wuͤrdeObgleich der Urin und andere aͤhnliche Substanzen, welche man zum Begießen der Salpetergruben angewandt hat, nicht unmittelbar zur Bildung der Salpetersaͤure dienen, so ist es doch moͤglich, daß sie mittelbar dazu beitragen, indem sie die Feuchtigkeit laͤngere Zeit in der Masse erhalten, als es das reine Wasser thun wuͤrde. A. d. O.. Daraus muͤßen wir nothwendig schließen: daß die animalischen Substanzen, es seyen feste oder fluͤßige, durch ihren Stikstoff zur Bildung der Salpetersaͤure nichts beitragen Es handelt sich hier bloß um die Zersezung der animalischen Substanzen, welche in den kuͤnstlichen Salpetergruben Statt findet; es ist moͤglich, daß diese Substanzen bei den Arbeiten im Laboratorium solche Veraͤnderungen erleiden, daß sie sich von selbst in Salpetersaͤure umaͤndern, wie Thenard einmal die Beobachtung gemacht bat. A. d. O.. Den so eben aufgestellten Grundsaz glaube ich durch Thatsachen und das Raisonnement bewiesen zu haben; es bleibt mir nun nichts mehr uͤbrig, als zu zeigen, wie die atmosphaͤrische Luft ohne Mitwirkung einer vegetabilischen oder animalischen Substanz, Salpetersaͤure bilden kann. Jedermann ist einverstanden, daß an den unter Dach gebrachten Orten bloß dann Salpetersaͤure sich bildet, wenn daselbst eine gewisse Feuchtigkeit herrscht und die Luft in allen Theilen circulirt; denn an den Orten, wo sich die Luft nicht erneuern kann, bildet sich keine Saͤure. So machte auch Lavoisier zu Roche-Guyon die Beobachtung, daß in den Hoͤhlen, welche sehr tief waren und nur Einen Ausgang hatten, keineswegs die tief liegenden Theile Salpetersaͤure enthielten, sondern bloß die am Eingange. Dieselbe Beobachtung machte dieser beruͤhmte Gelehrte im Tuffstein-Bruche der Turaine. Da sich Salpetersaͤure an Orten bildet, welche nur poroͤse oder leichte Erden, die einen und andern naͤmlich Kreide, Feuchtigkeit und Luft enthalten, die sich unaufhoͤrlich erneuert, so sollen wir sehen wie diese Saͤure unter so einfachen Umstaͤnden sich bilden kann; zu diesem Ende muͤßen wir untersuchen, welche Rolle jedes dieser Agentien spielen kann. Der Tuffstein, die lokeren Erden, die Kreide wirken hauptsaͤchlich absorbirend; dieses ist so richtig, daß Chevraud feste Kreiden gesehen hat, welche sich nicht salpetrisirten; so findet man auch in keinem Marmorsteinbruch, jemals Salpetersaͤure; auch zeigt kein Marmor, er mag den Veraͤnderungen der Witterung ausgesezt oder unter Obdach oder im Innern unserer Wohnungen gewesen seyn, die mindeste Spur Salpetersaͤure. Man muß daher die leichte Salpetrisirung des Tuffsteins und der Kreide hauptsaͤchlich ihrer Porositaͤt zuschreiben, weil sich die Marmorarten, welche doch wie leztere, nichts als kohlensaurer Kalk sind, niemals salpetrisiren. Wir werden jedoch sehen, daß die Salzbasis bei der Salpetrisirung auch eine Rolle spielt. Auf welchen Koͤrper uͤben nun die Kreide und der Tuffstein ihre absorbirende Kraft aus? Auf das Wasser. Aber mit Wasser in Beruͤhrung gebracht, erzeugen diese Substanzen keine Salpetersaͤure, wenn man die Luft ausschließt; wir wollen daher nun sehen, auf welche Art die Luft zur Bildung der Salpetersaͤure beitraͤgt. Sie traͤgt dazu auf zweierlei Art bei, naͤmlich sowohl durch diejenige, welche das Wasser mit sich bringt, als auch durch diejenige, welche die der Salpeterbildung faͤhigen Materialien absorbiren, wenn sie mit der noͤthigen Feuchtigkeit versehen sind. Die Chemiker wissen seit langer Zeit, daß alle Wasser Luft enthalten; aber Gay-Lussac und v. Humboldt (Journal de Phys. Bd. XX. Seite 129) haben zuerst gezeigt, was auch durch eine neuere Arbeit dieses lezteren Physikers mit Provençal (Mém, d'Arcueil, Bd. II. Seite 359) bestaͤtigt worden ist, daß die Luft im Wasser viel mehr Sauerstoff enthaͤlt, als die atmosphaͤrische Luft. Das Mittel aus zehn Versuchen, welche v. Humboldt und Provencal mit aus Wasser erhaltenen Luft anstellten, zeigt uns, daß der Sauerstoff 3105/10000, davon ausmacht. Die fruͤheren Versuche Gay-Lussac's und v. Humboldt's machen uns mit einer noch interessanteren Thatsache bekannt, daß naͤmlich, wenn lufthaltiges Wasser der Einwirkung der Waͤrme ausgesezt und die ausgeschiedene Luft theilweise aufgefangen wird, die zuerst erhaltenen Theile weniger Sauerstoff enthalten, als die lezteren. Dieses Resultat haͤngt so wesentlich mit meinen Ideen uͤber die Ursachen der Salpeterbildung zusammen, daß ich es hier anfuͤhren will. Sauerstoffgehalt in 100 Theilen des 1ten Theiles der erhaltenen Luft, 24,0; 2ten   – 26,8; 3ten   – 29,6; 4ten   – 33,0; 5ten   – 34,8; Nach Berzelius enthaͤlt das Stikstoffoxydgas 36,07 Sauerstoff, daher der lezte Theil der in Gay-Lussac's und v. Humboldt's Versuchen erhaltenen Luft, beinahe eben so viel Sauerstoff enthielt als das Stikstoffoxydgas enthaͤlt; man sieht, daß das Wasser auf den Sauerstoff und Stikstoff so wirkt, daß es diese beiden Gasarten auf eine innigere Weise zu vereinigen sucht, als sie es in der atmosphaͤrischen Luft sind. Wenn nun noch irgend eine Kraft zu derjenigen des Wassers hinzukommt, ist es nicht natuͤrlich zu denken, daß die Grundtheile dieser Gasarten noch staͤrker auf einander wirken und daß durch diese vereinten Kraͤfte eine Verbindung entstehen wird, welche die Salpetersaͤure ist; es sey nun daß diese Saͤure sich bildet, indem sie die ganze Kette der bekannten und unbekannten Verbindungen des Sauerstoffs mit dem Stikstoff durchgeht, oder daß sie durch die Wirkung dieser Gasarten auf einmal entsteht. Der Koͤrper nun, welcher bei der Salpeterbildung die Wirkung des Wassers beguͤnstigt; ist der Kalk in der Kreide. So wuͤrden also der Tuffstein, die Kreide, die salpetrisirbaren Materialien, bei der Salpeterbildung sowohl dadurch wirken, daß sie Wasser und Luft absorbiren, als auch dadurch, daß sie eine Salzbasis darbieten, welche die Bildung der Salpetersaͤure beguͤnstigt; das Wasser wuͤrde dadurch wirken, daß es Sauerstoff und Stikstoff absorbirt, und die Verbindung dieser Gasarten anfaͤngt. Der Luftzug, welcher bekanntlich zur Salpeterbildung noͤthig ist, wirkt auf zweifache Art: erstens dadurch daß er die des Sauerstoffes zu sehr beraubte Luft, welche nicht mehr zur Salpeterbildung dienen koͤnnte, erneuert und zweitens dadurch, daß er bei trokener Witterung die der Salpeterbildung faͤhigen Materialien austroknet, und ihnen sehr sauerstoffreiche Feuchtigkeit bei feuchter Atmosphaͤre zufuͤhrt; um jedoch zu haͤufiges Anfeuchten bei den kuͤnstlichen Salpetergruben zu vermeiden, muß, wie die Erfahrung bewiesen hat, der Luftzug nicht zu wirksam und von der Art seyn, daß er haͤufig die Luft erneuert, ohne die Oberflaͤche des Bodens gaͤnzlich auszutroknen. Alle Faͤlle der Salpeterbildung, sie geschehe entweder in Steinbruͤchen; oder in unterirdischen Gewoͤlben, Kellern oder Mistgruben; oder unter Schirmdaͤchern oder in kuͤnstlichen Salpetergruben; oder in den Schaf- und Pferdestaͤllen erklaͤren sich durch die Theorie, welche ich aufstellte, auf eine sehr einfache und genuͤgende Weise; ich habe nun bloß noch zu zeigen, daß sie auch fuͤr die Bildung des Salpeters in Indien, Spanien und anderen Orten einen zulaͤßigen Grund angibt. Bekanntlich ist alles Erdreich, was Salpeter darbietet sehr loker; auch weiß Jedermann, daß in den heißen Laͤndern und besonders in Indien, der Regen außerordentlich stark, obgleich sehr selten istMan weiß, daß die Quantitaͤt Wasser, welche waͤhrend eines Jahres zu Calcutta herabregnet, viermal so groß ist, als die, welche zu Paris faͤllt, waͤhrend die Anzahl der regnerischen Tage unter der Breite des erstern Ortes nur 78, und unter derjenigen zu Paris 134 ist.; nun haben Gay-Lussac und v. Humboldt bewiesen, daß das Regenwasser, wie das Flußwasser eine sehr oxydirte atmosphaͤrische Luft, wenn ich mich dieses Ausdrukes bedienen darf, enthaͤlt; die Absorption des Sauerstoffs geschieht nun ununterbrochen bis die Duͤrre, welche in diesen Climaten herrscht, den Boden gaͤnzlich ausgetroknet hat. Das Erdrreich in Indien, worin Salpeter vorkommt, ist also nach meiner Theorie, in den fuͤr die Bildung der Salpetersaͤure guͤnstigsten Umstaͤnden. Man sollte erwarten, daß ich auf eine Theorie der Salpeterbildung meine Ideen uͤber die Anlegung kuͤnstlicher Salpetergruben wuͤrde folgen lassen; aber wenn ich so sehr ins Einzelne einginge, wuͤrde ich die Aufmerksamkeit der Academie ermuͤden, ohne etwas sehr nuͤzliches zu thun. Wenn sie meine Arbeit fuͤr wichtig genug haͤlt, um Commissaͤre zu ernennen, welche beauftragt werden, sie zu untersuchen, so werde ich noch eine Note hinzufuͤgen, worin ich meine Gedanken uͤber kuͤnstliche Salpetergruben auseinandersezen werde, wie ich sie hatte, als ich um jene Zeit, da das Kriegsministerium uͤber diesen Gegenstand (im Jahre 1819) Untersuchungen anstellen ließ, anhielt, mit dieser Arbeit unter der unmittelbaren Leitung des Generaldirectors der Artillerie und des Genie am Kriegsministerium, beauftragt zu werden. Mein Ansuchen schien von diesem Ministerium gut aufgenommen worden zu seyn; aber es blieb wegen einer Opposition, welche ich nicht zu bekaͤmpfen suchte, ohne Wirkung. Ehe ich diese Abhandlung schließe, will ich noch einiges uͤber die Instruction sur la Fabrication du salpêtre sagen, welche im Jahre 1820 von dem Comité consultatif des poudres herausgegeben wurde. Ich habe dieses Werk oft angefuͤhrt, und bin uͤber die Ursachen der Salpeterbildung stets entgegengesezter Meinung. Da dieses Werk das neueste ist, welches uͤber diesen Gegenstand herauskam, und noch dazu von einem Comité herruͤhrt, das sich ausschließlich mit der Salpeter- und Pulverfabrikation beschaͤftigt, so mußte ich dessen Meinung uͤber einen Gegenstand, welcher seit mehr denn 12 Jahren, waͤhrend welcher ich an der Pulver-Administration Theil hatte, der Gegenstand meines Nachdenkens war, sorgfaͤltig pruͤfen. Einer der beruͤhmtesten Gelehrten unserer Zeit, einer derjenigen, welche durch ihre wichtigen Arbeiten in der Physik und Chemie am meisten zu den Fortschritten der Wissenschaft beitrugen, und unserm Lande zur groͤßten Ehre gereichen, mußte durch seine Stellung zur Redaction des Werkes beitragen, welches das Comité consultatif des poudres herausgab. Ich darf glauben, daß, wenn er die die Salpeterbildung betreffenden Thatsachen seinem eigenen Urtheile unterworfen und genau gepruͤft haͤtte, er die Theorie ergriffen haͤtte, welche ich jezt vorlege; aber er blieb wahrscheinlich unter dem Einflusse jener Gelehrten, welche allgemein glauben, daß die von allen Chemikern ohne Ausnahme angenommene Theorie, ganz den Thatsachen angemessen ist. Wenn es wahr ist, daß Hr. Gay-Lussac im Irrthume war, indem er auf die Autoritaͤt Lavoisiers, Berthollets und so vieler anderer beruͤhmter Chemiker eine nicht gegruͤndete Theorie annahm, so waͤre dieses eine neue Warnung fuͤr diejenigen, welche die Wissenschaften bearbeiten: sie werden lernen, keine Theorie, selbst keine derjenigen, welche am offenbarsten zu seyn scheinen, anzunehmen, ohne eine neue Beurtheilung der Thatsachen, und die Thatsachen selbst werden sie nur mit großer Behutsamkeit anerkennen, wie groß auch immer die Autoritaͤt des Namens seyn mag, der sie bekannt gemacht hat. Diese Art die Wissenschaft zu betreiben erlaubt uns keine zahlreichen Arbeiten; aber auch nur sie allein verspricht uns nuͤzliche Resultate. Anmerkung. Seitdem ich diese Abhandlung der Academie vorlas, habe ich sehr große Autoritaͤten, und sehr gewichtige Thatsachen zur Unterstuͤzung meiner Meinung gesammelt; ich will sie hier bekannt machen, denn ich kann niemals zu viel thun, um die Ideen, an welchen die Chemiker unserer Zeit nothwendig aus Gewohnheit haͤngen, zu bekaͤmpfen. Ich habe in meiner Abhandlung gesagt, daß Lavoisier im Jahre 1777 die animalischen Substanzen fuͤr unumgaͤnglich noͤthig zur Bildung von Salpetersaͤure hielt. Es scheint, daß dieß auch im Jahre 1786 seine Meinung war, zu welcher Zeit man die in der Anmerkung (S. 451) erwaͤhnte Sammlung drukte, weil er zur Zeit des Druks seine Abhandlung von 1777 mit keiner Bemerkung begleitete. Aber man muß glauben, daß er nachher seine Meinung aͤnderte, und die animalischen Substanzen nicht mehr fuͤr unumgaͤnglich noͤthig zur Bildung der Salpetersaͤure hielt, wenn er anders noch glaubte, daß sie zuweilen dazu beitragen koͤnnten, weil er davon bei einem Umstande nichts erwaͤhnt, wo er sie haͤtte anfuͤhren muͤßen, im Falle er nicht eine ganz entgegengesezte Meinung angenommen haͤtte. Lavoisier wurde im Jahre 1789 von dem Grafen Camburi um Rath gefragt, welcher von ihm wissen wollte, 1°. „ob irgend mineralischer Salpeter existirt, das heißt, Salpeter im Schooße der Erde, fern vom Zusammentreffen der atmosphaͤrischen Luft und der vegetabilischen und animalischen Substanzen; 2°. ob man annehmen darf, daß der Salpeter von Palo de Mofletta mineralischer Salpeter ist, der einer wirklichen Salpetermine angehoͤrt“ (Journal de Phys., Bd. XXXVI. S. 62). Er antwortete in folgenden Worten: „Mein Herr! Der Salpeter (nitre ou salpêtre) ist ein Salz, das sich taͤglich unter unseren Augen bildet, aber in Beruͤhrung mit der Luft; man hat bisher keine Spur an Orten entdekt, wo die Luft nicht freien Zutritt hat. Daher gibt es keine Salpetermine im Innern der Erde, und kann keine gebenDieß ist nur ein Brief von einigen Zeilen. Haͤtte Lavoisier seine Meinung entwikelt, so wuͤrde diese Behauptung nicht so befremdend seyn, er wollte sagen, daß er nicht glaube, daß eine Masse aus Materialien, welche der Salpeterbildung faͤhig sind, sich an Ort und Stelle in Salpeter verwandelt haͤtte, und ich glaube, daß Jedermann seiner Meinung seyn wird; dieses schließt jedoch keine Salpetermine, aus, welche einen ganz andern Ursprung haben werden, und deren Bildung und Existenz weder mehr noch weniger bewunderungswuͤrdig ist, als die des Steinsalzes.. Ich weiß nichts naͤheres uͤber die angebliche Salpetermine, die in Pouille entdekt wurde; uͤbrigens bin ich fest uͤberzeugt, daß dort, wie uͤberall der Salpeter immer an der Oberflaͤche des Erdreichs und des Gesteines vorkommt, oder wenigstens in sehr geringer Tiefe und an Orten, wohin die Luft leicht durchdringt.“ (Derselbe Bd. S. 65.) Auf die Frage: ob sich Salpeter ohne den Zutritt der atmosphaͤrischen Luft bilden kann, antwortet er: Man hat bis jezt keine Spur von Salpeter an Orten entdekt, wo die Luft nicht freien Zutritt hat..... Uebrigens bin ich fest uͤberzeugt, daß der Salpeter nur an Orten vorkommt, wohin die Luft leicht durchdringt. Somit stuͤzt er sich also stark auf eine Bedingung, die er fuͤr unumgaͤnglich noͤthig haͤlt. Der Graf Carburi fragte auch noch, ob sich Salpeter ohne die Mitwirkung vegetabilischer und animalischer Substanzen bilde, und Lavoisier antwortet nichts auf diesen zweiten Theil der Frage, woraus man wenigstens schließen kann, daß er nicht geneigt war, sie bejahend zu beantworten. Alle Chemiker wissen, daß Lavoisier, dieser große Mann, zu der Zeit, wo ihn die Wissenschaft verlor, mit einer Sammlung seiner Abhandlungen beschaͤftigt war, und daß er derselben diejenigen, welche zur Bekraͤftigung seiner Lehren beitrugen, einverleiben wollte. Daher kommt es, daß er in seinen zweiten Theil (S. 211.) eine Abhandlung von Seguin aufnahm, welche die Aufschrift hat: Ueber die Bildung der Salpetersaͤure durch directe Verbindung des Stikstoffgases und Sauerstoffgases, und welche folgendermassen sich endet: „Bei allen den Resultaten, welche ich so eben angefuͤhrt habe, wird die directe Verbindung des Stikstoffgases und Sauerstoffgases durch eine doppelte Verwandschaft, und noch viel mehr durch die Wirkung des electrischen Funkens beguͤnstigt. Aber ich werde zu einer anderen Zeit zeigen, daß das Stikstoffgas und Sauerstoffgas in gehoͤrigem Verhaͤltnisse uͤber kaustischem Kali mit einander vermengt, sich nach langer Zeit dann vereinigen, und salpetersaures Kali bilden, ohne Beihuͤlfe des electrischen Funkens. Ich habe in dieser Beziehung seit mehr als zwei und zwanzig Monaten Versuche angefangen; ich seze sie fort, und werde sie verfolgen bis die Absorption fast vollstaͤndig ist.“ (S. 215.) Lavoisier glaubte also im Jahre 1792, daß die vegetabilischen und animalischen Substanzen zur Bildung der Salpetersaͤure ganz und gar nicht noͤthig waͤren, weil er Seguin's Abhandlung abdrukt, um seine Lehre zu bestaͤtigen, und eine so klare und bestimmte Stelle mit keiner Anmerkung versieht. Ich will hier in Erinnerung bringen, daß Lavoisier die Stelle eines Administrateur des Poudres bekleidete, und daß er sich aus Beruf mit allem, was auf die Salpeterbildung Bezug hat, vom Jahre 1775 bis zum Jahre 1792 beschaͤftigte; daß er Mitglied und Secretaͤr der Commission war, welche die Academie der Wissenschaften fuͤr den Preis uͤber die Salpeterbildung ernannte, und daß endlich diejenigen, welche mit ihm gelebt haben, wohl wissen, daß er Hunderte von Versuchen uͤber Gemenge animalischer und vegetabilischer Substanzen anstellte, theils um die Thatsachen, welche von den Preisbewerbern angegeben wurden, zu bestaͤtigen, theils um fuͤr sich selbst Versuche in derselben Absicht anzustellen. Nachdem ich meine Abhandlung der Academie mitgetheilt hatte, beeilte ich mich, Proust damit bekannt zu machen, der sich mehr als 20 Jahre in Spanien aufgehalten hat, und also besser, als jeder andere meine Ideen uͤber die Bildung des Salpeters in diesem Lande berichtigen, oder meine Meinung, wenn er sie theilte, bestaͤtigen konnte. Ich will hier einige Stellen aus einem Briefe anfuͤhren, womit er mich den 27. December 1823 von Angers aus beehrte. „Mein Herr! Waͤren Sie mit unsern Armeen nach Spanien gegangen, Sie haͤtten Ihre Ideen in Madrid, Saragossa, Alcazar de San-Juan, Tremblac und in allen Provinzen, wo man Salpeter macht, bestaͤtigt gesehen.“ Einige haben mir eingewendet, daß man die Felder, auf welchen man den Salpeter sammelt, duͤnge, und ich bath daher Proust, mir zu sagen, was daran ist: „Nein, mein Herr, antwortete er mir, in Spanien duͤngt man kein Erdreich. Zu Madrid, zum Beispiel, braucht man den Pferdemist zum Baken des Brodes, aus Mangel an Holz.“ „Animalische Ausfluͤsse, Ueberreste von Vegetabilien? keineswegs. Wenn anders Jemand ein geduͤngtes Feld neben einem nicht geduͤngten versuchte, so konnte dieß nur einem solchen einfallen, der unsere Buͤcher gelesen hat, aber sicher hat man nichts aͤhnliches fuͤr die Regierung ausgefuͤhrt oder versucht.“ „Ausfluͤsse, Kali, Salzbasen! wozu dieses unter einem Himmel, wo die Atmosphaͤre alle Kosten fuͤr die Saͤure und Basis unnoͤthig macht?“ „Gehen Sie nach Sarragossa, und Sie werden mit dem groͤßten Erstaunen daselbst sehen, daß alle Haͤuser sich dort durch die Basis mit Salpeter uͤberziehen; und zwar bis zu den Steinen, welche den Kanal von Aragon begraͤnzen, den Sie ganz mit Salpeter bedekt finden werden.“ Proust ist ohne Zweifel einer der besten Beobachter, welche die Annalen der Chemie uns noch kennen gelehrt haben, und ich bin gewißermassen stolz darauf, zu sehen, daß meine Ansichten mit den seinigen uͤbereinstimmen. Die Leser der Annal. de Chim. et de Phys. werden nicht vergessen haben, daß John Davy sich zu Ceylon aufhielt, dessen Hoͤhlen, welche wahre natuͤrliche Salpetergruben sind, er besuchte; er wurde dadurch auf folgende Betrachtungen gefuͤhrt. Nach der Untersuchung der Hoͤhlen, welche ich besucht habe, so wie auch nach den Proben, welche mir aus anderen Hoͤhlen, die ich nicht gesehen habe, zugeschikt wurden, glaube ich, daß sie alle aͤhnlich sind, und daß das Gestein, aus welchem sie bestehen, immer wenigstens kohlensauren Kalk und Feldspath enthaͤlt. Die Zersezung des Lezteren gibt die Basis des Salzes her, und das kohlensaure Salz, welches auf den Sauerstoff und Stikstoff der Atmosphaͤre eine eigenthuͤmliche Wirkung ausuͤbt, deren Natur man uͤbrigens noch ganz und gar nicht erforscht hat, bringt die Saͤure hervor. Man sieht, daß John Davy ganz in meine Ideen eingeht; er hat sich uͤbrigens an die Beobachtung der Thatsache gehalten, ohne die Erscheinung zu erklaͤren, das heißt, ohne den Einfluß der Porositaͤt der Materialien, welche sich salpetrisiren, und die Rolle, welche die Feuchtigkeit beim Act der Salpeterbildung spielt, zu erkennen. Ich bemerke noch, daß der Auszug der Abhandlung John Davy's in dem XXV. Band der Ann. de Chim. et de Phys. Februarheft, enthalten ist, welches am Ende des Mai erschienen ist, folglich 6 Monate spaͤter, als ich meine Abhandlung der Academie mitgetheilt hatte. Ich muß noch sagen, da es damals mehr als 10 Jahre waren, daß ich die Theorie, welche ich vorlegte, annahm, und daß ich sie schon mehreren Personen mitgetheilt hatte. Ich kann in dieser Beziehung Hrn. Chapelain als Zeugen anrufen, meinen alten Collegen bei der Pulver-Administration, dem ich sie schon 1816 auseinandergesezt habe, zu welcher Zeit er die Pulverfabrik zu Vonges bei Dijon bewohnte, welches lezteres mein Aufenthaltsort war. Zusaz der Redaction. Im Bulletin des Scienc. technolog., Nov. 1826, S. 266 findet sich ein kurzer Aufsaz, Longchamp's Theorie der Salpeterbildung betreffend. Der Verfasser desselben, welcher sich D. B. F. unterzeichnet hat, sagt, daß er ganz mit Longchamp's Theorie einverstanden sey, und daß die Erfahrungen, die er waͤhrend langer Zeit gemacht habe, mit dessen Ansicht uͤbereinstimmen. Ich habe selbst oft, faͤhrt er fort, den Plan gehabt, nach dieser Theorie kuͤnstliche Salpetergruben anzulegen. Zu diesem Ende haͤtte ich an einen feuchten Ort Gipsschutt, oder kreidehaltige Erden mit Kohle und etwas salzsaurem Kalk vermengt, gebracht. Die Kohle ist bekanntlich ein Koͤrper, der stark absorbirt, und es ist wahrscheinlich, daß er die Salpeterbildung sehr beguͤnstigen wuͤrde. Was mich vorzuͤglich in dieser Meinung bestaͤrkt, ist die Beobachtung eines hollaͤndischen Chemikers, welcher ein Gemenge von Stikstoff und Sauerstoff durch Kohle absorbiren ließ, und dadurch Salpetersaͤure erhielt. Ich habe mich auch sehr verwundert, diese Thatsache in Longchamp's Abhandlung nicht angefuͤhrt zu finden.