Titel: Ueber die Seiden-Manufacturen in Frankreich, den gegenwärtigen Zustand derselben, und über die Mittel, dem Verfalle derselben vorzubeugen.
Fundstelle: Band 24, Jahrgang 1827, Nr. XXXI., S. 140
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XXXI. Ueber die Seiden-Manufacturen in Frankreich, den gegenwaͤrtigen Zustand derselben, und uͤber die Mittel, dem Verfalle derselben vorzubeugen. (Fortsezung von S. 71.) Ueber die Seiden-Manufacturen in Frankreich, und uͤber den gegenwaͤrtigen Zustand derselben. Abwinden und Spinnen auf den Seidenmuͤhlen. „Der Seidenhaͤndler, oder der Fabrikant, der gesponnene Seide kauft, uͤberzeugt sich von ihrer Nummer, oder von dem Grade der Feinheit derselben auf eine einfache, mechanische Weise, und das bedungene Austroknen entzieht der die Feuchtigkeit begierig einsaugenden Seide allen Ueberschuß derselben. Allein er weiß noch nicht, wieviel sie im Magazine und bei dem Entschaͤlen verliert, und dieser Abfall betraͤgt noch mehr, als die Feuchtigkeit selbst. Vielleicht daß er, aus langer Erfahrung, durch das Auge, durch das Gefuͤhl, durch den Geruch oder Geschmak beurtheilen kann, ob die Seide mit Oehl, Salz oder Seife verfaͤlscht wurde: er wird aber dadurch nie die Menge dieser Stoffe schaͤzen, oder andere beigemengte Stoffe entdeken koͤnnen. Dieß gilt sowohl von der rohen als von der gesponnenen Seide: leztere kann sogar noch mehr damit uͤberladen seyn, wenn man auf der Muͤhle derselben fette oder gummihaltige Stoffe zusezte.“ „Es gibt kein anderes Mittel sich uͤber diese Betruͤgereien auf eine positive Weise zu uͤberzeugen, als wenn man ein Pfund Seide, das man auf Gerathewohl aus einem Ballen herausgreift, bis auf den Grund entschaͤlt. Dieses Entschaͤlen wird, nach dem Netto-Gewichte, das nach dieser Arbeit uͤbrig bleibt, den hier zu erwartenden Abgang bestimmen, und durch die Analyse zugleich uͤber die Menge und die Natur der fremdartigen Stoffe, mit welchen die Seide verdorben wurde, den gehoͤrigen Aufschluß geben. Dieses leichte, einfache und sichere Mittel ist sowohl fuͤr ehrliche und rechtliche Seidenspinner hoͤchst wichtig, indem die scheinbar niedrigen Preise, um welche man verfaͤlschte Seide hingeben kann, auch den ehrlichen Mann zwingen, seine Ehrlichkeit oder den Seidenhandel aufzugeben, als fuͤr den Kaufmann der Seide, der dadurch gegen den Verlust gesichert wird, den die Betruͤgereien der Seidenspinner ihm taͤglich verursachen. Der Fabrikant endlich wird die Seide mit vollkommener Kenntniß des Abganges, den er bei dem Entschaͤlen zu erwarten hat, so wie des Grades von Weiße und Staͤrke, der ihr nach dieser Arbeit uͤbrig bleibt, bei seinem Kaufe beurtheilen koͤnnen.“ Entschaͤlen. „Vergebens suchte man bisher die Veruntreuungen einiger treulosen Faͤrber bei dieser Arbeit zu entdeken. Der Handelshof von Lyon wollte eine gleichfoͤrmige Straͤhnung der Seide einfuͤhren; allen Straͤhnen dieselbe Laͤnge, z.B. 400 Meter und eine gleiche Zahl von Gebinden, wie bei Leinen- und Baumwollengarn geben. Allein dieses Mittel scheint uns unzureichend: denn die Tram-Seide besteht aus zwei leicht zusammengedrehten Faden, und die Organsin-Seide aus zwei einzeln gedrehten und dann erst zusammengedrehten oder gezwirnten Faden. Durch dieses Drehen werden die Faden beilaͤufig um ein Sechstel bis auf ein Viertel verkuͤrzt. Wenn sie aber entschaͤlt und ausgewunden werden, und ihren Gummi und ihre Zurichtung verlieren, und auf dem Ausringebaume (Cheville) ausgedehnt werden, winden sie sich etwas ab, und Tramseide gewinnt dadurch ein Zehntel, Organsinseide ein Fuͤnftel bis ein Viertel. Man kann sich hiervon uͤberzeugen, wenn man ein abgemessenes Stuͤk Tram- oder Organsinseide mit Speichel oder mit warmem Wasser befeuchtet, und dann wieder mißt: ein Faden Trame von 10 Zoll wird wenigstens 11 Zoll, und ein eben so langer Faden Organsin 12 bis 13 Zoll messen. Ein untreuer Faͤrber wird sich also einen Normal-Seidenspinnhaspel verfertigen lassen, die Seide nach dem Entschaͤlen auf demselben aufwinden, um die normalmaͤßige Laͤnge und Zahl von Gebinden zu gewinnen, und den Ueberschuß sich beilegen, und man wird dem Ritterthume der Industrie eine neue Quelle oͤffnen. Zwei geschikte Abwinderinnen koͤnnten auf diese Weise hundert Straͤhne von 400 Metern in zwei Stunden auf Maschinen-Haspeln abwinden. Wir wissen, daß ein aͤhnlicher Betrug bei der Naͤheseide Statt hat, die nach den Schnellern gewunden wird, und daß der Betruͤger 10 p. C. dabei gewinnt. Ebenso viel wuͤrde man auch an anderer Seide gewinnen.“ „Man muß indessen nicht die Faͤrber und die Arbeiter wegen Abgaͤngen in Verdacht haben, die nicht immer aus ihrer Schuld entstehen.“ „Wir haben oben die Betruͤgereien bei dem ersten Abwinden und auf den Seidenmuͤhlen angegeben: allein, auch in den treuesten Haͤnden liefert die Seide Verschiedenheiten in den Abgaͤngen, die von dem Boden, auf welchem sie erzeugt wurde, und von dem verschiedenen Grade der Vervollkommnung der Abwindung und Spinnung abhaͤngen. Hiernach koͤnnen wir die Seide auf folgende Weise classificiren.“ „Die leichteste, am besten gesponnene und aufgewundene Seide verliert durch vollkommenes Abschaͤlen und Trokenen 24 1/2 bis 25 p. C., waͤhrend groͤbere und schlecht gearbeitete 27 und 28 p. C. verliert. Fremdartige zugesezte Koͤrper vermehren den Abgang bis auf 28 und 30 p. C. nach dem Abschaͤlen.“ „Unter Seide von erster Guͤte gehoͤrt die weiße chinesische und persische, die piemontesische Seide und einige Seide aus den Spinnmuͤhlen in Piemont und Languedoc, namentlich die des Hrn. Rocheblave zu Alais, die Seide von St. Jean du Gard, von Roquemaure, und die der HHrn. Poidebard und Bonnard zu Lyon, die auch bei der Ausstellung der Producte unserer Industrie sich Auszeichnung verdienten.“ „In die zweite Classe gehoͤrt die Seide der neuen Spinnmuͤhlen zu Kasembazar in Indien, die Seide aus dem Maylaͤndischen, aus dem Friaul, aus Toscana, aus der Provence und dem sogenannten Nieder-Dauphiné.“ „Die dritte Classe bildet die indische Seide (altes Gespinnst), die Levantiner, die Sicilianische und Neapolitanische, die aus Valencia und Grenada in Spanien, und die aus dem Vivarais, die doch gut seyn koͤnnte und daher desto mehr Tadel verdient: man wechselt daselbst das Wasser nicht fleißig genug in den Abwinde-Beken, und die Abwinderinnen haben die verderbliche Gewohnheit, die Puppen in demselben zu zerdruͤken.“ „Weiße Seide ist immer weniger mit fremden Stoffen verfaͤlscht, weil sie weniger Faͤrbestoff und nur sehr wenig fluͤchtiges riechendes Oehl enthaͤlt.“ „Es gibt nur Ein Mittel, um auf einer Gelte den Veruntreuungen, uͤber welche sich die Fabrikanten beklagen, und dem Geschreie der Faͤrber gegen die Fabrikanten auf der anderen ein Ende zu machen, d.h. das Entschaͤlen gaͤnzlich von dem Faͤrben zu trennen, und einige Entschaͤlungs-Werkstaͤtten zu errichten, nachdem man vorlaͤufig Entschaͤlungs-Proben an der Seide unter gehoͤriger Aufsicht vorgenommen hat. Wir wollen unsere Idee erklaͤren.“ „Wir sezen, ein Kaufmann kauft aus irgend einer Spinnmuͤhle unter der Bedingung, vorerst den Abgang bei dem Entschaͤlen zu bestimmen, Seide. Er nimmt nun auf Gerathewohl aus jedem Ballen ein Kilogramm Seide, dem man gleiche Nummer gibt, die der Ballen fuͤhrt, bemerkt das Brutto-Gewicht desselben, und schikt es zum Entschaͤlen, was auf eine einfache und sichere Weise in einer Stunde geschehen kann. Nach dem Troknen wird es gewogen, und das Bureau der Entschaͤlungs-Anstalt beurkundet schriftlich den Betrag des Abganges bei dem Abschaͤlen. Nun weiß der Kaufmann, ob man die Seide mit irgend einem fremdartigen Stoffe verfaͤlscht hat, mag es nun bei dem Abwinden oder auf der Seidenmuͤhle geschehen seyn. Den Ueberschuß am Abgange kann er nun dem Spinner oder Abwinder abziehen, und auf diese Weise sich gegen jeden Betrug sichern, umsomehr, da Spinner und Abwinder nun sehen werden, daß man ihre Betruͤgereien entdeken kann; daß also sie selbst dabei leiden. Es wird sich also nur mehr um Ausmittlung der Feuchtigkeit handeln.“ „Der Fabrikant, der ungepruͤfte Seide kauft, und den Abgang an derselben kennen lernen will, wird auf dieselbe Weise verfahren.“ „In dieser Werkstaͤtte kann dann jede Art Seide nach der Farbe, die sie erhalten soll, entschaͤlt werden, von der bloßen Entgummung angefangen bis zum gaͤnzlichen Aussieden.“ „Man faͤnde also in diesen beiden Arbeiten, der Probe des Entschaͤlens sowohl als der Entschaͤlung selbst, vollkommene Sicherheit gegen Betrug von Seite der Abwinder und Spinner, genaue Kenntniß des Abfalles und der Guͤte und Staͤrke der Seide, so daß kein Faͤrber, da man das Gewicht kennt, das die Farbe der Seide gibt, sich zu Unterschleifen herablassen koͤnnte; man gewaͤnne an Schnelligkeit bei dem Entschaͤlen, das so lang hergeht, und an Wohlfeilheit.“ „Wir kennen die Einwuͤrfe und Schwierigkeiten, die unwissende und eigennuͤzige Individuen dagegen erheben koͤnnen, und haben sie durch Thatsachen vor der Handelskammer zu Lyon widerlegt.“ Seide, die auf unsere Weise entschaͤlt wird, nimmt die Farbe schneller und gieriger auf, als bei der gewoͤhnlichen Entschaͤlung durch Seife: man bedarf also bei dem Faͤrben weniger Beize und weniger Faͤrbestoff, und man braucht die Seide nicht so lang im Bade zu lassen, wodurch man an Zeit und Muͤhe gewinnt.“ „Da das Entschaͤlen die langweiligste Operation in der Faͤrberei ist, werden ehrliche Faͤrber sich gern derselben enthoben sehen, und die Unzen-Schneider werden ihren Handel aufgeben. Die Faͤrber werden auf diese Weise, zumahl wenn die Taxe fuͤr die Farben genauer bestimmt wird, nicht auswandern, wie dieß durch die Errichtung einiger sogenannten Gemeinde-Faͤrbereien in einigen Fabrikstaͤdten der Fall war. Ueberhaupt wird auch die Moralitaͤt im Ganzen dabei gewinnen, und Zutrauen wiederkehren.“ Faͤrberei. „Wir haben gezeigt, daß die Seide durch das Faͤrben an Gewicht gewinnt. Außer dem, daß sie Farbestoff aufnimmt, saugt sie auch Wasser ein, von welchem sie durch das staͤrkste Ausringen und sorgfaͤltigste Troknen nie wieder so vollkommen befreit werden kann, als sie es ehevor gewesen ist. Es gibt aber noch andere Mittel sie auf Kosten ihrer Gute und des Fabrikanten schwerer zu machen: wer kennt nicht die orientalische Flotte der Faͤrber? (la flotte du Levant). „Man laͤßt die weiße Seide laͤnger in einem warmen Seifenbade oder in einem gypshaltigen Wasser, oder in einem Wasser, dem man Kreide beimengte, oder Gyps- oder Alabaster-Staub, oder gewisse metallische oder mineralische schwefelsaure Verbindungen, die wir nicht nennen wollen; man schont die Seide beim Auswinden; man troknet sie weniger, und sie gewinnt dabei 3 bis 5 p. C. am Gewichte. Wenn die Spulerinnen diesen Betrug nicht am Staube entdekten, waͤre es vielleicht schwer, denselben aufzuspuͤren.“ Himmelblau, Rosen- und Lilafarben und andere sogenannte physische, durch Saͤuren erhoͤhte Farben, (couleurs physiques)Die Seidenfaͤrber nennen ihre metallischen Aufloͤsungen so wie uͤberhaupt ihre Ansaͤze (Mordants, Beizen) Physik.A. d. R. geben der Seide bei der ehrlichsten Behandlung 1 1/2, bis 2 p. C.“ „Wir haben 2750 Gramm Seide bis auf den Grund entschaͤlt, Tram und Organsin; es bleiben uns nach 24stuͤndigem Troknen, 2010 Gramm. Wir faͤrbten sie rosenfarben. Nach dem staͤrksten Ausringen und vierundzwanzigstuͤndigem Troknen in einer Trokenstube bei 25° wog sie 2040 Gramm; nahm also um 30 Gramm zu, oder um 1 1/2 p. C.“ „2440 Gramm rohe Organsin-Seide aus Vivarais ließ, nach dem Entschaͤlen, 1720 Gramm zuruͤk. Sie verlor also 28 1/2 bei dem Entschaͤlen, und 1 1/3 uͤber die erlaubte Bedingung.“ „Diese 1720 Gramm wurden Lilafarben gefaͤrbt; sie nahm die Farbe mit Begierde an, und wog gefaͤrbt, und, wie oben, getroknet, 1745 Gramm, oder 1 1/2 p. C., obschon sie erst anderer Seide nachgefaͤrbt wurde.“ „Wir analysirten den bei der Entschaͤlung erhaltenen Abgang, und erhielten einen gallertartigen Niederschlag der von der im Beten zerquetschten Puppe herkam, binnen 48 Stunden, selbst in der Sonne getroknet, in Faͤulniß uͤberging, und abscheulich stank. Wir berechneten, daß auf Ein Pfund Seide 2 Loche dieser Gallerte kamen: ein Verlust am Gelde fuͤr den Kaͤufer von ungefaͤhr 140 Franken.“ Entfaͤrben. „Die Nachtheile dieser Methode wurden oben erwiesen. Sie ruͤhren von der Eigenschaft der angewendeten Saͤuren und von der auf Gerathewohl genommenen Dosis derselben her, und von dem Umstande, daß die Faͤrber diese Saͤuren nicht zu neutralisiren wissen.“ „Bei der oben vorgeschlagenen Entschaͤlungs-Anstalt, so wie bei meiner Art zu Entfaͤrben, fallen alle diese Nachtheile weg: die Arbeit geschieht ohne Saͤuren und ohne Alkalien. Man kann nach unserer Methode chinesischen Flor in 2 Stunden entschaͤlen, wozu man sonst 10–12 Stunden Kochen in Seife braucht. Chineser, Japaner und Inder brauchen rohe weiße Seide als Eintrag bei ihren Atlassen, wo die Kette allein sichtbar ist.“ Schwefeln. „Wir haben die Nachtheile des Schwefelns gezeigt, und werden eine zwekmaͤßigere Methode in der Folge angeben, die bessere Dienste leistet.“ (Die Fortsezung folgt.)