Titel: Ueber Longchamp's neue Theorie der Salpeter-Bildung.
Fundstelle: Band 24, Jahrgang 1827, Nr. XXXIV., S. 148
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XXXIV. Ueber Longchamp's neue Theorie der Salpeter-Bildung. Gay-Lussac uͤber Longchamp's neue Theorie der Salpeter-Bildung. Hr. Gay-Lussac zeigt in einem Schreiben an Hrn. Longchamp in den Annal. de Chim. et de Phys. Januar 1827, S. 86–95, daß die Beobachtungen, auf welche lezterer Chemiker seine neue Theorie der SalpeterbildungPolyt. Journal Bd. XXIII. S. 450.A. d. R. gruͤndete, theils unzureichend sind, theils ganz und gar kein Zutrauen verdienen. Es wird hinreichend seyn, hier die wichtigsten Bemerkungen Gay-Lussac's gegen Longchamp's Behauptungen aus obigem Schreiben mitzutheilen. Im ersten Abschnitte seiner Abhandlung behauptet Longchamp: Die salpetersauren Salze finden und bilden sich in Materialien oder an Orten, welche weder animalische noch vegetabilische Substanzen enthalten, und auch niemals den Ausfluͤssen der Thiere ausgesezt waren. Den ersten Beweis dafuͤr findet Longchamp darin: daß die aus Kellern gegrabene Erde beim Auslaugen salpetersaure Salze abgibt, und daß dieselbe Erde, wenn man sie wieder an den naͤmlichen Ort bringt, nach acht bis zehn Jahren eine neue Quantitaͤt Salpeter gibt. Diese Thatsache aber, bemerkt Gay-Lussac, ist Longchamp's Theorie ganz und gar nicht guͤnstig, weil kein Ort vermoͤge seiner Lage geeigneter seyn kann, animalische Substanzen durch Einziehen (infiltration) zu empfangen, als ein Keller. Als zweiten Beweiß fuͤr seine Behauptung gibt Longchamp an: daß Lavoisier mitten aus dem Steinbruche eine sehr große Menge Proben von der Kreide zu Roche-Guyon und zu Mousseaux nahm, und daß er aus allen durch Auslaugen eine kleine Quantitaͤt Salpeter mit vielem salpetersaurem Kalke gemengt erhielt. Dagegen sagt Gay-Lussac Folgendes: „Ich habe die ganze Abhandlung Lavoisier's gelesen, aber darin keine Beobachtung gefunden, welche zum Beweise des von Ihnen aufgestellten Sazes dienen koͤnnte, weil Lavoisier nicht alle Umstaͤnde zu wuͤrdigen suchte, die zur Salpeterbildung an den Orten, wo er sie beobachtete, beitragen konnten. Wenn er aus den in seiner Abhandlung angefuͤhrten Thatsachen den Schluß zog, daß die salpetrige Saͤure in der Kreide zu Roche-Guyon nicht urspruͤnglich vorhanden ist, sondern sich durch die Wirkung der Luft bildet, so wollte er damit nicht sagen, daß sie sich ohne die Mitwirkung animalischer Substanzen, diejenige einer Basis ausgenommen, bilde; in der That schrieb er, wie Sie selbst richtig bemerken, die Bildung dieses Salzes der Gegenwart einer in der Kreide enthaltenen animalischen Substanz zu. Zwar scheint Ihnen die Erklaͤrung, welche er von der Gegenwart dieser animalischen Substanz in der Kreide gibt, nicht genuͤgend; aber wir wollen uns nicht bei Erklaͤrungen aufhalten, sondern zu Thatsachen uͤbergehen.“ „1) Ich sammelte vor sieben Jahren, mit HHrn. Baritot, Aubert und Lecocq, Proben der Kreide in der Umgegend von Roche-Guyon, weit von den Wohnungen, und diese Proben gaben, der Destillation unterworfen, Ammoniak, verbreiteten dabei den Geruch, welcher die animalischen Substanzen auszeichnet und schwaͤrzten sich auch.“ „2) Die Kreide, welche aus dem Steinbruche zu Meudon genommen war, und welche unter dem Namen Spanisch-Weiß (Blanc d'Espagne) verkauft wird, gab aͤhnliche Resultate.“ „3) Erde vom Felde gibt ebenfalls bei der Destillation die Producte der animalischen Substanzen, oft sogar nachdem sie gut ausgelaugt worden ist.“ „Es darf daher nach diesem nicht mehr sonderbar scheinen, daß sich ein wenig Salpeter in der Erde und in der Kreide bildet, und daß dieser allmaͤhlig von dem Wasser mitgenommen, sich auf der Oberflaͤche anhaͤuft, worauf lezteres verdunstet, besonders wenn man erwaͤgt, daß die Producte, welche Lavoisier erhielt, das Resultat einer langen Reihe von Jahren seyn konnten.“ „Sie lassen, mein Herr, diesen beruͤhmten Chemiker sagen, daß alle Proben der Kreide, die er untersuchte, ihm viel salpetersauren Kalk gaben; wir wollen nun davon einen Beweiß sehen.“ „Eine weiße Auswitterung (N. XXVI., S. 544 des XI. Bandes der Savans étrangers), welche in einer Hoͤhlung von vier bis fuͤnf Fuß Tiefe gesammelt wurde, die vollkommen gegen Regen und uͤble Witterung geschuͤzt, auf der Hoͤhe eines fast unbesteigbaren Kreidefelsens sich befand, an dessen Fuß die Kirche d'Authile ausgegraben ist, gab auf 100 Pfund folgende Resultate: Reines Kochsalz in schoͤnen Krystallen 4 Unzen 2 Quent. 52 Gran Salzsauren Kalk –   – 6   – 68  – Salpetersauren Kalk –   – 6   – 68  – Bemerken Sie wohl, daß dieses das Resultat von 100 Pfund einer Auswitterung ist, welche nur in zwanzig Jahren hervorgebracht werden konnte; daß das Kochsalz und der salzsaure Kalk, welche sich nicht an Ort und Stelle gebildet haben, von dem asser mitgenommen und hier abgesezt worden sind, und daß nichts der Annahme widerstreitet, daß der salpetersaure Kalk, von welchem ich vermuthe, daß er sich in der oberen Erde gebildet hat, (denn wissen Sie wohl, daß die Hoͤhlung zu zwei Drittel der Boͤschung ist) auf aͤhnliche Art abgesezt worden ist, wenn Sie nicht lieber annehmen wollen, daß die Hoͤhlung zuweilen den Tauben oder anderen Voͤgeln, von welchen man in dieser Gegend sagt, daß sie sehr gierig nach solchen Auswitterungen sind, zum Zufluchtsort gedient haben kann. Bemerken Sie endlich wohl, daß die Hoͤhle d'Authile in der moͤglichst guͤnstigen Lage zur Production des salpetersauren Kalkes ist, weil Lavoisier ausdruͤklich sagt, daß sie vollkommen gegen Regen und uͤble Witterung geschuͤzt ist, und Sie werden sich dann nicht mehr wundern, daß ich behaupte, daß Lavoisier's Erfahrungen Ihrer Theorie ganz und gar nicht guͤnstig sind.“ Im zweiten Abschnitte seiner Abhandlung sucht Longchamp zu beweisen: daß die Salpetersaͤure beim Zutritte der Luft sich in Materialien bildet, welche keine Spur animalischer oder vegetabilischer Substanzen enthalten. Er fuͤhrt hier, wie Gay-Lussac zeigt, einen alten Versuch eines ungenannten Preisbewerbers an, weil dieser seiner Ansicht guͤnstig ist, waͤhrend er die ihm unguͤnstigen aber genauen Versuche Lorquoc's und vieler anderen Preisbewerber mit Stillschweigen uͤbergeht und die Angaben des geschikten Beobachters Thouvenel der Unwahrheit beschuldigt. Im dritten Abschnitte seiner Abhandlung behauptet Longchamp: daß die Salpetersaͤure ausschließlich durch die Elemente der Atmosphaͤre gebildet wird. Gay-Lussac, welcher im Vorhergehenden gezeigt hat, daß die von Longchamp angegebenen Thatsachen gar nicht uͤbereinstimmend und gut beobachtet sind, erklaͤrt ihm in Beziehung auf diesen Saz, daß er seine Schluͤsse groͤßtentheils fuͤr unbestimmt und ungenau finde, und daß er keineswegs bewiesen habe, was er haͤtte beweisen wollen, daß naͤmlich die Salpetersaͤure ausschließlich durch die Elemente der Atmosphaͤre gebildet werde, und daß das Wort ausschließlich seine Meinung ganz unhaltbar macht. Die Stellen in Lavoisier's Werken, welche Longchamp zu seinen Gunsten auslegt, koͤnnen nicht so ausgelegt werden, und das, was er von Proust und J. Davy anfuͤhrt, haͤlt Gay-Lussac fuͤr ganz gewichtlos, weil diese Chemiker nicht alle Umstaͤnde ausgemittelt haben, welche die von ihnen beobachteten Erscheinungen hervorgebracht haben konnten.