Titel: | Ueber die Seiden-Manufacturen in Frankreich, den gegenwärtigen Zustand derselben, und über die Mittel, dem Verfalle derselben vorzubeugen. |
Fundstelle: | Band 24, Jahrgang 1827, Nr. LXXII., S. 361 |
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LXXII.
Ueber die Seiden-Manufacturen in
Frankreich, den gegenwaͤrtigen Zustand derselben, und uͤber die Mittel,
dem Verfalle derselben vorzubeugen.
(Beschluß von S.
139.)
Ueber die Seiden-Manufacturen in Frankreich.
Das Entschaͤlen der Seide auf eine wohlfeilere und
weniger langweilige Weise als mittelst der Seife war laͤngst schon ein
Gegenstand der Forschungen der Chemiker. Man haͤlt das gegenwaͤrtige
Verfahren mit Recht fuͤr fehlerhaft, indem die Seife sich nicht ganz in
Wasser aufloͤst, sondern mehr oder minder zersezt wird, theils durch die
schlechte Beschaffenheit des Wassers, theils wegen der erdigen Salze in den
Filaturen, von welchen wir oben gesprochen haben. Ein Theil des Oehles der Leise
scheidet sich in weißen Kluͤmpchen ab, legt sich in aͤusserst
duͤnnen Schichten auf die Seife, und hindert spaͤter das Eindringen
der Farbestoffe. Dadurch erhaͤlt dann die Farbe weniger Glanz, wird weniger
haltbar und schießt. Vergebens bemuͤhten die Faͤrber sich, diesem
Nachtheile abzuhelfen. Man erkennt die Gegenwart dieses Oehles durch den ranzigen
Geruch der Seide, der durch die Waͤrme, welche bei der Appretur derselben
angewendet wird, noch mehr entwikelt und erhoͤht wird. Dieser Geruch ist so
stark, daß das Kartenpapier, das man zwischen die Lagen des Seidenzeuges legt, wenn
man denselben zwischen zwei heißen Eisenplatten preßt, immer davon angestekt
bleibt.
Die durch das Kochen verlaͤngerte Einwirkung der Seife auf die Seide
vermindert auf der anderen Seite nothwendig die Festigkeit und Elasticitaͤt,
das Nervige an der Seide: sie wird wollig und verwirrt sich leicht. Man weiß, daß
Seide, selbst bloß in reinem Wasser laͤngere Zeit uͤber gekocht, sich
zersezt und in Stuͤke zerfaͤllt.
Man war von den Nachtheilen dieses Verfahrens schon fruͤher so sehr
uͤberzeugt, daß die Academie royale des Sciences et
Arts zu Lyon bereits im J. 1760 einen Preis fuͤr ein Verfahren
ausschrieb, durch welches die Seife bei dem Entschaͤlen beseitigt werden
kann. Sie hat diesen Preis wiederholt mehrere Mahle ausgeschrieben, ohne ein
genuͤgendes Resultat zu erhalten. Hr. Genève, eines der
ausgezeichnetesten Mitglieder dieser Academie, bemerkt in seinem Berichte
uͤber diesen Gegenstand sehr gruͤndlich, daß das Oehl der Seife, indem
es die Poren der Seide verstopft, das Eindringen des Farbestoffes verhindert, Lila
und Violett schmuzig, das Weiß garstig und uͤberhaupt die Farben weniger
haltbar macht. (Rapp. Acad. 1765). Die beruͤhmten
Chemiker, Macquer und Bergmann, welchen die Farbekunst soviel zu verdanken hat,
machten dieselben Bemerkungen.
Seit laͤngerer Zeit beschaͤftigten sich mehrere Chemiker mit diesem
wichtigen Gegenstaͤnde. Die HHrn. Rigaud und Neyret zu St. Quentin, Baumé zu
Paris, versuchten die Seide durch Alkohol mit Kochsalzsaͤure gemengt weiß zu
machen; dieses Verfahren, das 12 bis 14 Tage erfordert, und den Preis der Seide um 3
Franken im Pfunde erhoͤht, ist aber unanwendbar, um so mehr, als es die Seide
nicht entschaͤlt und nur sehr unvollkommen entfaͤrbt.
Brugnatelli, Hermbstaͤdt, Crell, Proust haben
diese Versuche wiederholt, haben versucht mittelst Dampfes zu bleichen auf Berthollet's Weise; allein ihre
Versuche gelangen durchaus nicht.
Niemand hat, soviel wir wissen, vor uns den Salpeter-Aether versucht. Er
bleicht die Seide, die man in denselben taucht, augenbliklich, ohne ihr zu schaden;
allein diese Fluͤßigkeit kostet 30 Franken das Pf., und man braucht
fuͤr jedes Pfund Seide ein Pfund Salpeter-Aether; dieses Verfahren ist
also nicht anwendbar.
Hr. Roard, der alte Director
der Gobelins-Manufactur zu Paris hat sehr viele Versuche uͤber das
Entschaͤlen der Seide angestellt. Er las im J. 1806 eine lange Abhandlung
uͤber diesen Gegenstand am Institute vor, und schlug vor die Seide mittelst
Seife auf ein Mahl und zugleich zu entgummen, entschaͤlen und zu bleichen.
Man wiederholte diese Versuche zu Lyon in Gegenwart der HHrn. Eynard, Raymond, Leroy, Barre, Deschamps d. aͤlt. und Margaron: diese Herren fanden sie in mancher Beziehung
fehlerhaft.
Als wir in Italien Chemie lehrten, stellten wir mit unserem beruͤhmten und
achtbaren Collegen, Sr. E. dem Hrn. Grafen Moscati, Med. Doct., den der Tod nun auch schon
den Kuͤnsten und Wissenschaften entriß, die er so großmuͤthig und geistreich
foͤrderte, viele Versuche uͤber die Seide an. Um auf eine
wissenschaftliche Weise und nach positiven Grundsaͤzen bei unserer Arbeit zu
verfahren, zersezten wir in einem Papin'schen Topfe (Autoclave) 2500 Gramm Rohseide aus der schoͤnen Filatur des
Senators Dandolo de Barese, einer der besten Filaturen in
Italien. Wir wollten die Grundbestandtheile der Seide kennen lernen, und unterzogen
sie einer Analyse, und gaben uns nicht mehr damit ab, Proust's und anderer neuerer Chemiker Versuche
uͤber die Einwirkung gewisser Mittel auf die Oberflaͤche der Seide zu
wiederholen. Wir wollten die Natur und das Verhaͤltniß der Grundbestandtheile
der Seide kennen lernen. Folgendes Resultat ging aus unseren Arbeiten hervor.
2500 Gramm Rohseide, so wie sie aus der Filatur kommt, bestehen aus
thierischer in Gallerte verwandelter
Faser
1855 Gramm,
Pflanzen-Gummi
508 –
Faͤrbenden harzigen Stoff
105 –
Fettwachs (Adipocire)
8
–
Fluͤchtigem Oehle
2
–
Verlust auf den Filtern, durch
Verduͤnstung etc.
22
–
––––––
2500 Gramm.
Unsere Analyse stimmt, bis auf einige Kleinigkeiten, mit jener Beacuné's, Brugnatelli's, Crell's, Klaproth's, Bérard's,
Proust's, nach welchen allen die Seide besteht
1) Aus einem Pflanzen-Gummi, der demjenigen aͤhnlich ist, der das Blatt
des Maulbeerbaumes uͤberfirnißt. Dieser Gummi gibt der Seide Steifheit und
Festigkeit. Er ist gruͤnlich und erhaͤrtet an der Luft.
2) Aus einem faͤrbenden harzigen festen Stoffe, der bei 30° am
hundertgradigen Thermometer schmilzt, in reinem Wasser unaufloͤsbar, in
Seifenwasser aber, so wie in kochendem Alkohole und in Salpeter-Aether
aufloͤsbar ist.
3) Aus einem riechenden fluͤchtigen Oehle, welches man leicht erhaͤlt,
wenn man Alkohol oder Aether uͤber Seide destillirt, welcher dadurch eine
goldgelbe Farbe erhaͤlt. In der frischen Seide betraͤgt dieses Oehl
1/500 derselben.
4) Aus einem weißen, fetten, schmierigen Stoffe, der wahres Fettwachs (Adipocire) ist, den Proust
entdekte und im 66. Bande des Journal de Chimie
beschrieb. Man behauptet, daß dieser Stoff es ist, welcher dem Seidenfaden den glaͤnzenden Firniß
leiht: er ist in demselben zu 1/2, p. C. (1/200) vorhanden.
5) Endlich aus thierischer Gallerte, die durch die Arbeit des Thieres faserig wird,
und durch Einwirkung der atmosphaͤrischen Luft fest und elastisch. Diese ist
der wahre rohe oder Hauptstoff, der den Seidenfaden bildet. Wir glauben die ersten
zu seyn, die ihn rein darstellen, und von anderen ihm beigemengten Stoffen
unterschieden, von welchen man ihn reinigen muß, wenn er die Farbe aufnehmen und zu
Geweben dienen soll.
100 Kilogramm roher, gelber, frisch gesponnener Seide bestehen demnach aus
74 K.
280 Gr.
thierischem Faserstoffe oder eigentlichem Faden;
21 –
–
–
Pflanzengummi.
4
–
–
–
Harz oder Faͤrbestoff.
0
–
220 –
fluͤchtigem Oehle.
0
–
500 –
Fettwachs.
––––––––––
100 Kilogr.
Die weiße Seide enthaͤlt dieselben Stoffe, außer dem Faͤrbestoffe, der
sich in derselben nicht findet, obschon der harzige Stoff in ihr vorhanden ist. Sie
muß also 1 bis 2 p. C. beim Entschaͤlen weniger verlieren, als die gelbe
Seide.
Durch diese Versuche gelangten wir auf die Methode, die Seide ohne Seife zu
entschaͤlen, indem wir einige dieser Stoffe selbst zum
Entschaͤlungs-Mittel machten, ohne die Seide dadurch zu schwachen, zu
entnerven.
Wenn die fruͤheren Versuche ohne Erfolg blieben, so ruͤhrt dieß davon
her, daß die Chemie, die damahls noch nicht weit genug vorgeruͤkt war, weder
Kenntnisse noch Mittel zur gehoͤrigen Analyse der Seide darboth. Die
genuͤgenden Resultate, welche wir erhielten, und die durch die sichersten
Proben bestaͤtiget sind, verdankt man nicht dem Zufalle, sondern zehn Jahre
lang fortgesezten Arbeiten im Laboratorium, als wir noch in Italien Chemie lehrten.
Diese Arbeiten wurden in den lezteren 7 Jahren zu Lyon fortgesezt, und durch die
Weisungen, die wir von Seidenhaͤndlern, Seidenfabrikanten und Seidenfarben
erhielten, vervollkommnet.
Wir koͤnnen folglich unsere 17jaͤhrige Arbeit der
Seiden-Manufactur mit jener Zuversicht darbiethen, zu welcher uns positive Erfahrung berechtigt,
und sind uͤberzeugt, daß, wenn wir unsere Landsleute uͤber ihr eigenes
wichtiges Interesse aufklaͤren, sie nicht versaͤumen werden, jene
Maßregeln zu ergreifen, die bei den gegenwaͤrtigen Verhaͤltnissen so
dringend geworden sind, wenn sie anders dem unvermeidlichen Verfalle dieses Zweiges
der Industrie vorbeugen wollen.
Wir wollen diesen Aufsaz mit folgenden Betrachtungen schließen, die wir mit
Aufmerksamkeit zu lesen und wohl zu beherzigen bitten:
1) daß man die innere Guͤte der Seide, und den Abfall, den sie veranlassen
kann, weder durch das bloße Ansehen noch durch das Angreifen bestimmen kann; daß
man, wenn man auf einen Abfall von 25 p. C. rechnet, man sich leicht um 3 bis 5 p.
C. taͤuschen kann, was bei dem Preise der Seide nicht unbedeutend ist.
2) Daß die HHrn. Fabrikanten, die keinen sicheren Maßstab weder uͤber diesen
Abfall noch uͤber die Zunahme an Gewicht waͤhrend des Faͤrbens
der Seide in Haͤnden haben koͤnnen, einem bedeutenden Verluste und der
Gefahr ausgesezt sind, durch untreue Haͤnde, die diese Seide zum Gewebe
verarbeiten, betrogen zu werden.
3) Daß das einzige Mittel, diese großen Nachtheile zu beseitigen, darin besteht, daß
man eine oͤffentliche Entschaͤlungsprobe-Anstalt (essai public de décreusage) eine bloß zu diesem
Zweke bestimmte Werkstaͤtte errichtet. Dadurch werden die
Seidenhaͤndler sicher gestellt gegen allen Betrug von Seite der Seidenspinner
und Seidenmuͤller, auf welche sie jeden Abfall uͤber 25 p. C.
zuruͤkwerfen koͤnnen, statt daß sie denselben jezt zu ihrem eigenen
Schaden erleiden muͤssen, und die Seidenfabrikanten werden bei dem Kaufe der
Seide nicht bloß wissen, was dieselbe geben muß, sondern sie werden zugleich gegen
allen Betrug der Seiden-Spinner und Seiden-Muͤller, so wie
derjenigen Arbeiter gesichert seyn, durch deren Haͤnde die Seide noch weiter
laufen muß.
4) Daß unsere Art, die Seide zu entschaͤlen, den Fabrikanten die
hoͤchsten Vortheile gewaͤhrt, indem sie nicht bloß schneller und
einfacher, sondern zugleich auch wohlfeiler ist, als die gegenwaͤrtig
uͤbliche. Die Seide wird nicht gesotten, sondern bloß in einem Bade
geschwenkt, das aus milden Stoffen besteht, durch welche die Seide nicht leidet. Man
braucht bloß Eine Stunde
hierzu, waͤhrend man bei der bisherigen Methode 6 Stunden braucht, und, wenn
die Seide nur gemeine Farben erhalten soll, auch nur eine halbe Stunde. Eine nach
der neuen Art entschaͤlte Seide nimmt die Farbe viel lebhafter auf; die
Farben werden darauf haltbarer; man braucht weniger Faͤrbestoff, und nur die
Haͤlfte der gewoͤhnlichen Zeit zum Durchziehen. Außer der Ersparung an
Farbmaterial und an Zeit beim Faͤrben wird die Seide beim Faͤrben
schwerer; man erhaͤlt Ersaz; fuͤr den Abgang beim Schaͤlen, wie
wir oben erwiesen haben. Die aus solcher Seide verfertigten Zeuge lassen sich
schoͤner appretiren und haben nicht den widerlichen Oehlgeruch, den die
jezige Seide dadurch erhaͤlt.
5) Endlich, was das Wichtigste ist, hat bei den von uns vorgeschlagenen Maßregeln
keine Moͤglichkeit einer Entwendung durch treulose Haͤnde mehr Statt;
das schaͤndliche Gewerbe der Unzen-Schneider (piqueurs d'once), die Seide um 25 bis 30 p. C. unter ihrem Werthe
verschachern, wird mit allen seinen unendlichen Nachtheilen von selbst verschwinden
muͤssen.
Der Verfasser wird auf sein Verfahren ein Brevet fuͤr 15 Jahre nehmen, und
dieses der Chambre de Commerce oder irgend einer
Gesellschaft uͤberlassen.