Titel: Erweiterung der Theorie des Hrn. Longchamp, über die Salpeterbildung, von Thomas Graham, M. A.
Fundstelle: Band 24, Jahrgang 1827, Nr. XCVII., S. 431
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XCVII. Erweiterung der Theorie des Hrn. Longchamp, uͤber die Salpeterbildung, von Thomas Graham, M. A. Graham, uͤber Salpeterbildung. Hr. Th. Graham theilt in dem Philosophical Magazine and Annals of Phil. Maͤrz. 1827. S. 172–180, eine Abhandlung uͤber die neue Theorie der Salpeterbildung des Hrn. Longchamp (vergl. polytechn. Journal Bd. XXIII. S. 450.) mit; im ersten Theile derselben sezt er seinen Landsleuten diese Theorie auseinander, und diesen koͤnnen wir somit fuͤglich uͤbergehen; den zweiten Theil derselben hingegen, welcher diese Theorie theils berichtigt, theils erweitert, theilen wir hier in einer Uebersezung mit. Die HHrn. Gay-Lussac und v. Humboldt haben bekanntlich gefunden, daß die Luft im Wasser mehr Sauerstoff enthaͤlt, als die atmosphaͤrische Luft, und daß, wenn lufthaltiges Wasser der Einwirkung der Waͤrme ausgesezt wird, die zuerst sich entwikelnden Theile der Luft weniger Sauerstoff enthalten, als die lezten. Dieses hatte Hr. Longchamp dadurch erklaͤrt, (vergl. polytechn. Journ. Bd. XXIII. S. 461.), daß das Wasser den Sauerstoff und Stikstoff auf eine innigere Weise zu vereinigen sucht, als sie es in der atmosphaͤrischen Luft sind. Hr. Graham bestreitet diese Meinung, und faͤhrt nun folgendermaßen fort: Daß mehr Sauerstoff absorbirt war, ruͤhrt ohne Zweifel bloß daher, daß das Wasser fuͤr dieses Gas ein groͤßeres Absorbtionsvermoͤgen hat, als fuͤr das Stikgas, und nicht, wie Hr. Longchamp glaubt, daher, daß das Wasser „auf den Stikstoff und Sauerstoff so wirkt, daß es sie inniger zu vereinigen strebt, als sie in der atmosphaͤrischen Luft sind.“ Der von Hrn. Longchamp aufgestellte Saz, worauf sich alles andere zuruͤkfuͤhren laͤßt, und uͤber welchen ich nur noch Einiges bemerken will, heißt: – der salpetersaure Kalk entsteht durch die Wirkung des Sauerstoffs und Stikstoffs, die im Wasser aufgeloͤst sind, auf den kohlensauren Kalk. Bei allen Koͤrpern ist die Vereinigungs-Verwandschaft am groͤßten, wenn sie im fluͤßigen Zustande sind. Nun habe ich schon in einer fruͤheren Abhandlung (Annals of Phil. N. R. Bd. XII. S. 69.) gezeigt, daß Sauerstoffgas und Stikgas, wenn sie vom Wasser absorbirt sind, sich wirklich in fluͤßigem Zustande befinden; Hr. Longchamp hat ihnen daher eine Wirkung zugeschrieben, welche nicht ganz ohne Grund ist. Die Theorie des Hrn. Longchamp scheint mir, so weit sie geht, die Erscheinungen getreu zu erklaͤren. Der Proceß der Salpeterbildung geht in der Natur bestaͤndig fort, und zwar unter Umstaͤnden, wobei augenscheinlich keine anderen Agentien zusammentreffen, als kohlensaurer Kalk, und die Elemente der atmosphaͤrischen Luft. Man muß daher glauben, daß unter den Umstaͤnden, wo noch thierische Substanzen zu diesen Agentien hinzukommen, leztere zu der Salpeterbildung nicht wesentlich beitragen. Wo das lezte Resultat Salpeter ist, scheint anfangs salpetersaurer Kalk vorhanden gewesen, und das salpetersaure Kali auf dem Wege der Zersezung des salpetersauren Kalkes durch irgend ein Kalisalz entstanden zu seyn. Es kann jedoch nicht gelaͤugnet werden, daß die Salpeterbildung in kalkhaltigen Substanzen, wenn faulende, vegetabilische und animalische Stoffe mit ihnen in Beruͤhrung, oder allgemeiner gesagt, ihnen nahe sind, sehr befoͤrdert wird. Der Versuch von Thouvenel (Polyt. Journ. Bd. XXIII. S. 455.) beweist dieses sattsam; auch wird dieß durch das immer gleiche, allgemein uͤbliche Verfahren bei der Anlage der Salpeterplantagen ganz bestaͤtigt. Diese Thatsache scheint daher ein sehr gewichtiger Einwurf gegen Hrn. Longchamp's Theorie: sie kann jedoch meiner Meinung nach, ohne alle Abaͤnderung dieser Theorie erklaͤrt werden. Ich bin geneigt, die guͤnstige Wirkung, welche die Zersezung animalischer und vegetabilischer Substanzen, auf die Salpeterbildung aͤußert, der reichlichen Production eines Koͤrpers zuzuschreiben, der auch in der Luft immer in merklicher Quantitaͤt gefunden wird – dem kohlensauren Gase. Die freie Kohlensaͤure macht einen Theil des kohlensauren Kalkes in dem Wasser oder der Feuchtigkeit, welche vorhanden seyn muß, aufloͤslich; dadurch wird nun der kohlensaure Kalk faͤhiger auf den Sauerstoff und Stikstoff, welche das Wasser absorbirt hat, zu wirken. Der Sauerstoff, Stikstoff und kohlensaure Kalk sind nun alle in fluͤßigem Zustande und in Wasser aufgeloͤst; sie sind daher in den guͤnstigsten Umstaͤnden, um gegenseitig auf einander zu wirken. Kohlensaurer Kalk ist in reinem Wasser unaufloͤslich, waͤhrend Wasser, welches mit Kohlensaͤure gesaͤttigt ist, 1/1500 seines Gewichtes davon aufloͤst; es entsteht naͤmlich, wenn kohlensaurer Kalk in Wasser vermittelst Kohlensaͤure aufgeloͤst wird, Kalk-Bicarbonat, welches nur in Aufloͤsung existiren zu koͤnnen scheint. Bekanntlich ist aber Kohlensaͤure eines der betraͤchtlichsten Producte der Faͤulniß sowohl thierischer als vegetabilischer Substanzen. Das Wasser verschlukt unter den gewoͤhnlichen Umstaͤnden eher mehr, als sein gleiches Volumen kohlensaures Gas. Nun hat Thouvenel, freilich ganz und gar nicht in dieser Absicht, eine Reihe von Versuchen angestellt und aufgezeichnet, die es außerordentlich wahrscheinlich machen, daß unter den Producten der Faͤulniß es die Kohlensaͤure allein ist, welche zur Salpeterbildung beitraͤgt; insoferne naͤmlich diese Producte, nachdem sie ihrer Kohlensaͤure beraubt waren, indem man sie durch Aezkali oder Kalkwasser hatte streichen lassen, ehe sie auf den Kalk wirkten, ihre salpeterbildende Kraft verloren hatten; waͤhrend ohne dieß, ihr Vermoͤgen Salpeter zu bilden, sehr bemerklich war. Ich gebe hier Thouvenel's Versuche, so wie sie von den Hrn. Aikin in ihrem Chemical Dictionary, dem besten Werke, das wir uͤber die technische Chemie besizen, erzaͤhlt werden. Thouvenel fuͤllte eine Retorte mit faulenden Substanzen, und verband damit drei Recipienten nach Art der Woulfischen Flaschen, wovon der lezte sich in eine Roͤhre endigte, die mit dem pneumatischen Apparate in Verbindung stand. Es wurden zu gleicher Zeit vier verschiedene Ansaͤze dieses Apparates gebraucht. Bei dem ersten davon wurden in die zwei Recipienten zunaͤchst der Retorte, vier Unzen Kalk, die mit destillirtem Wasser angeruͤhrt waren, gebracht, waͤhrend der dritte Recipient eine Aufloͤsung von Aezkali enthielt. Bei dem zweiten Ansaze, enthielten die beiden ersten Recipienten destillirtes Wasser, und der lezte befeuchteten Kalk. Bei dem dritten Ansaze enthielten die zwei ersten Recipienten Kalkwasser; und bei dem vierten Ansaze eine Aufloͤsung von Aezkali: der dritte Recipient enthielt in beiden Faͤllen den Kalk. Diese wurden nun alle gleichmaͤßig derselben Temperatur, naͤmlich von 74° bis 80° Fahr. (18,6 bis 21,3° Reaum.) sechs Monate lang, ausgesezt, worauf man untersuchte, welche Veraͤnderung mit ihrem Inhalte vorgegangen war. „Der Kalk in dem ersten Apparate gab 26 Gran salpetersauren Kalk, der mit etwas salpetersaurem Ammoniak gemengt war; das Kali in dem dritten Recipienten war mit Kohlensaͤure gesaͤttigt worden, und hatte sich zum Theile an den Seiten desselben krystallisirt, enthielt aber keinen Salpeter.“ „In dem zweiten Apparate hatte das Wasser der zwei ersten Recipienten einen sehr faulen Geruch von dem Gase, welches durch dasselbe strich, angenommen, und enthielt ein wenig Ammoniak, gab aber beim Abdampfen kein salpetersaures Salz; der Kalk im dritten Recipienten gab durch Auslaugen nur 4 Gran salpetersauren Kalk. „In dem dritten Apparate hatte das Kalkwasser seine Erde als kohlensaures Salz abgesezt, und die uͤberstehende Fluͤßigkeit hatte einen starken Geruch nach Ammoniak und faulem Knoblauch; beim Abdampfen gab sie 5 oder 6 Gran salpetersaures Ammoniak. Der Kalk in dem dritten Recipienten gab nur eine geringe Spur salpetersauren Kalkes.“ „In dem vierten Apparate, war das Kali krystallisirt, enthielt aber keinen Salpeter; mit Schwefelsaͤure brauste es stark auf, indem es ein sehr stehendes und sehr stinkendes Gas ausgab: Der Kalk in dem dritten Recipienten gab gar keine Anzeige der Gegenwart irgend eines salpetersauren Salzes. Das in den Recipienten gebliebene, und in dem pneumatischen Apparate gesammelte Gas zeigte sich bei allen vier Versuchen etwas entzuͤndlich, obgleich es in dem Zustande, wie es von den faulenden Substanzen austrat, ein hineingetauchtes Wachslicht ausloͤschte. Dieses faule brennbare Gas, war an und fuͤr sich selbst unfaͤhig, den Kalk in ein salpetersaures Salz zu verwandeln; wenn es aber mit befeuchteter atmosphaͤrischer Luft gemengt wurde, erschien bald Kohlensaͤure und dann wurde das Gas faͤhig dem Kalke Salpetersaͤure abzugeben, wie Anfangs. (Man vergl. Aikins Chemical Dictionary, Bd. II. 160, und Mém. Etrang. de l'Acad. des Sciences, Bd. XL. S. 503.) Diese Versuche Thouvenel's, und besonders leztere Beobachtung, zeigen, daß die Kohlensaͤure ein wichtiges Agens bei der Salpeterbildung ist, wenigstens so deutlich, als man es von Versuchen dieser Art nur erwarten kann. Man hat schon laͤngst bei der Behandlung der Salpeter-Plantagen die Beobachtung gemacht, daß zwar freies Aussezen an die Atmosphaͤre fuͤr das Fortschreiten der Salpeterbildung unumgaͤnglich noͤthig, daß aber ein starker Luftzug uͤberaus nachtheilig ist. Die schnelle Circulation der Luft wuͤrde die gaͤnzliche Verfluͤchtigung des kohlensauren Gases zur Folge haben, welches unserer Meinung nach, fuͤr diese Salpeterplantagen so vortheilhaft ist. Die Atmosphaͤre enthaͤlt zu jeder Zeit und an jedem Orte kohlensaures Gas in Menge, wie dieses das Kalkwasser, das man ihr aussezt, hinreichend zeigt. Bei denjenigen Kalksteinen und kalkhaltigen Erden, welche man freiwillig salpetersaure Salze hervorbringen sieht, mag die Thaͤtigkeit des kohlensauren Kalkes auch von seiner Aufloͤsung abhaͤngen, welche durch die Absorbtion von Feuchtigkeit und Kohlensaͤure aus der Atmosphaͤre entsteht. Es waͤre jedoch interessant zu untersuchen, ob diese Erden und Kalksteine nicht zuweilen in sich selbst die Kohlensaͤure enthalten, die in Verbindung mit Wasser noͤthig ist, um ihre theilweise Aufloͤsung zu bewirken, und sie so in Stand zu sezen, besser auf den absorbirten Sauerstoff und Stikstoff – die Elemente der Salpetersaͤure – zu wirken? Sollte sich diese Theorie, von der Mitwirkung der Kohlensaͤure bei der Salpeterbildung wirklich bewaͤhren, so ließen sich daraus offenbar mehrere Verbesserungen bei der kuͤnstlichen Erzeugung des Salpeters, ableiten. – In den Annal. de Chim. et de Phys. Febr. 1827. S. 215–221 beantwortet Hr. Longchamp das Schreiben von Hrn. Gay-Lussac (am angef. Orte Jan. 1827), welches vielleicht in einem zu leidenschaftlichen Tone abgefaßt war, und woraus wir die wichtigsten Bemerkungen in dem XXIV. Bd. S. 148–152. dieses Journales mitgetheilt hatten. Hr. Gay-Lussac hatte daselbst behauptet, daß die immerwaͤhrende Salpeterbildung in den Kellern nicht zu Gunsten der Theorie des Hrn. Longchamp ausgelegt werden koͤnnte, weil kein Ort vermoͤge seiner Lage geeigneter seyn kann, animalische Substanzen durch Einziehen (infiltration) zu empfangen, als ein Keller. Dagegen sagt nun Hr. Longchamp, daß dieß zwar zu Paris bis zu einem gewißen Puncte wahr sey, wo man die Keller nicht ausgraͤbt, aber keinesweges in den Provinzen. Gibt es denn auf einem Landschlosse einen Keller, dessen Boden tauglich ist, und der nicht alle sieben oder acht Jahre ausgegraben werden kann; und in den Speisegewoͤlben, Scheunen, Magazinen, wo findet man dort Spuren animalischer Substanzen, die den Salpeter haͤtten bilden sollen? Hr. Longchamp hatte behauptet, daß Lavoisier aus allen Proben der Kreide, die er untersuchte, vielen salpetersauren Kalk erhielt. Hr. Gay-Lussac fuͤhrte nun einen Fall an, wo der Kalksalpeter sehr wenig betrug. (Bd. XXIV. S. 150.) Dieß war aber, wie Hr. Longchamp dagegen bemerkt, einer der Faͤlle, in welchen das Minimum von Salpeter erhalten wurde, und er fuͤhrt dagegen einige extreme Faͤlle an, welche das Maximum von Kalksalpeter gaben. Hr. Gay-Lussac warf Hrn. Longchamp vor, zu seinen Gunsten einen alten Versuch eines ungenannten Preisbewerbers (Bd. XXIII. S. 454.) angefuͤhrt zu haben, und lezterer bemerkt nun dagegen, daß alle in der Instr. s. l. Fabr. du Salp. angegebenen Versuche von 1775–1780 angestellt, aber bloß die Namen derjenigen Concurrenten genannt wurden, die Preise oder Accessite erhielten. Jener ungenannte Preisbewerber hatte uͤbrigens eine Ehrenerwaͤhnung erhalten.