Titel: Cochenillezucht. Auszug eines Schreibens eines englischen Reisenden aus Gibraltar an einen seiner Freunde im südlichen Frankreich.
Fundstelle: Band 30, Jahrgang 1828, Nr. LVI., S. 204
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LVI. Cochenillezucht. Auszug eines Schreibens eines englischen Reisenden aus Gibraltar an einen seiner Freunde im suͤdlichen Frankreich. Aus dem Phare du Hàvre im Bulletin d. Se. techn. Juli 1828. S. 2. Cochenillezucht. Ich habe zu Cadiz gesehen, daß Alles das, was man mir uͤber den Nopal und uͤber die Insecten, welche die Cochenille liefern, sagte, vollkommen richtig ist; daß naͤmlich die oͤkonomische Gesellschaft zu Cadiz diese Pflanzen und diese Thiere aus Mexico kommen ließ, und dieselben mit dem besten Erfolge in ihrem Acclimatationsgarten zieht. Die Franzosen haben sich waͤhrend ihres Aufenthaltes in dieser Stadt einige davon verschafft; man sagt, daß ein Apotheker auf Corsica sie acclimatisirte; indessen geschah dieses Verschaffen mit der Ihrer Nation eigenen Knauserei. Sie kennen den ungemein gluͤklichen Erfolg, den unsere Verpflanzung der Cochenille nach der Insel Malta hatte; die armen, aber fleißigen Einwohner dieser Insel muͤssen das Andenken der Englaͤnder segnen, die ihnen diesen Reichthum auf ihre Felsen brachten. Sie verdanken denselben unserem Consul zu Cadiz, und der Generalgouverneur von Malta hat es sich zum angelegensten Geschaͤfte gemacht, die Cultur der Cochenille auf dieser Insel auf alle moͤgliche Weise zu foͤrdern. Er hat den Einwohnern die Pflanzen und die Insecten unentgeldlich ausgetheilt. Es thut mir indessen leid, Ihnen sagen zu muͤssen, daß man uns mit der Verpflanzung der Cochenille nach Indien zuvor gekommen ist, indem meine Briefe aus Malta der Societaͤt zu London nicht mitgetheilt wurden, die nicht ermangelt haben wuͤrde, die Aufmerksamkeit unserer k. ostindischen Compagnie auf diesen so wichtigen Gegenstand zu lenken. Der Koͤnig von Holland erfuhr, daß man in Andalusien den Nopal und die Cochenille acclimatisirt hatte, und sorgte dafuͤr, daß beide nach seiner Insel Java verpflanzt wuͤrden, wo das Klima zur Anzucht beider aͤußerst guͤnstig ist. Der Ausfuͤhrung dieses Planes standen indessen große Schwierigkeiten entgegen. 1) die aͤußerst argwoͤhnische Eifersucht der Spanier.Bekanntlich war im spanischen America die Ausfuhr der lebenden Cochenilleinsecten bei Todesstrafe, und der Zutritt zu den mit Wachen umstellten Cochenillplantagen jedem Fremden verboten. Indessen gelang es doch schon vor beinahe 50 Jahren Hrn. Thiery de Menonville (der ein eigenes Werk uͤber Anzucht und Wartung und Pflege der Cochenille und des Nopals schrieb), die Cochenille nach den franzoͤsischen Antillen zu verpflanzen. Man vergleiche hieruͤber: „Anleitung zum Studium der physiologischen und systematischen Botanik, von J. E. Smith, Praͤsident d. Linn. Ges. etc. aus dem Englischen uͤbersezt von Dr. Schuttes. 8. Wien 1827 b. Ant. Doll.“ (einem der besten Werke zum populaͤren Unterrichte in der Botanik.) 2) ließ die patriotische Gesellschaft zu Cadiz durch Koͤnig Ferdinand die Ausfuhr des Nopals und der Insecten, die die Cochenille liefern, unter schweren Strafen verbieten. 3) mußte man Pflanzen und Insecten in ziemlich großer Menge zu erhalten suchen, um fuͤr die vielen moͤglichen Faͤlle, unter welchen sie auf einer so langen Reise und unter so vielen anderen unguͤnstigen Umstaͤnden zu Grunde gehen konnten, vorlaͤufig zu sorgen. 4) mußte man ein Individuum finden, das die Wartung und Pflege derselben praktisch versteht. Der Koͤnig von Holland sandte einen seiner Unterthanen nach Cadiz und unterhielt ihn daselbst zwei Jahre lang. Dieser sehr verstaͤndige Mann wußte nach und nach in den Garten der Gesellschaft Zutritt zu gewinnen und die Cultur dieser Pflanzen und Thiere zu lernen. Er wußte den Auftrag seines Souveraͤnes zu erfuͤllen, der, wie man sagt, selbst die noͤthigen Instructionen fuͤr ihn hieruͤber entwarf. Zu Cadiz ahnete man nicht das Geringste von den wohlbemessenen Schritten des reisenden Hollaͤnders, dessen Aeußeres eben so national phlegmatisch war, als er mit schlauer Thaͤtigkeit seine Sendung zu erfuͤllen wußte. Er wußte sich so geschikt zu benehmen, daß er nicht nur nach und nach uͤber 1000 junge gesunde Nopals und eine bedeutende Menge Insecten, sondern den ersten Gaͤrtner dieser Anstalt selbst bekam, der unter schoͤnen Bedingungen sich entschloß, im Dienste des Koͤniges von Holland auf 6 Jahre nach Batavia zu gehen. Man sagt, daß ihm 8 bis 10,000 harte Piaster zu dieser Reise zugesichert wurden, waͤhrend er im Dienste der Gesellschaft taͤglich nur 3 Shillings hatte, die uͤberdieß auf spanische Weise bezahlt wurden. Sobald der Koͤnig wußte, daß sein Plan gluͤklich ausgefuͤhrt war, ließ er zu Vließingen eine Kriegscorvette seiner Flotte, die Lilie, auslaufen, die Anfangs Maͤrz zu Cadiz ankam. Ich sah sie auf der Rhede: sie ist eine ziemlich schoͤne Corvette. Nach dem persoͤnlichen Verdienste ihres Capitaͤnes scheint es mir, daß der Koͤnig in der Wahl seiner Individuen eben so viel Geist zeigte, als sein Agent bei Ausfuͤhrung seines Auftrages. Waͤhrend der Nacht wurde der Gaͤrtner sammt der ganzen Ladung an Bord gebracht, die Corvette lichtete am folgenden Tage den Anker und segelte mit ihren kostbaren Schaͤzen nach Batavia. – Erst nach der Abreise erfuhr man zu Cadix, was geschehen war, und was ich hier nach den Angaben eines Mitgliedes der patriotischen Gesellschaft erzaͤhlt habe. Dieses Mitglied, das in den Vorurtheilen seiner Nation fuͤr ausschließende Privilegien und MonopolDie, mit Erlaubniß des Hrn. Briefschreibers, nirgendwo haͤufiger und egoistischer sind, als in England selbst. A. d. Ueb. aufgewachsen ist, und dieselben tief eingesogen hatte, ergoß sich in Klagen uͤber die Englaͤnder, die, wie er sagte, nicht damit zufrieden, daß sie Spanien um America brachten, auch noch die ersten gewesen sind, die ihm die Cochenille, einen Zweig der Industrie, den Spanien als legitimes Eigenthum besaß, entrissen. Ehre dem Koͤnige von Holland, der mit so vieler Weisheit zum Wohle seiner Unterthanen koͤniglichen Aufwand zu machen versteht. Die Franzosen, die so lang Herren von Cadiz waren, blieben ruhige Zuschauer der Anstrengungen, die die Englaͤnder und Hollaͤnder in diesem Zweige der Industrie gemacht haben.