Titel: | Ueber die Drehung des Baumwollen-Garnes. Von Hrn Joh. Koechlin. |
Fundstelle: | Band 33, Jahrgang 1829, Nr. XCII., S. 388 |
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XCII.
Ueber die Drehung des
Baumwollen-Garnes. Von Hrn Joh. Koechlin.
Aus dem Bulletin de la
Société industrielle de Mulhausen. N.
9 S. 296.
Koechlin, uͤber die Drehung des
Baumwollen-Garnes.
Die Kunst des Baumwollen-Spinnens, die in so innigem
Verhaͤltnisse zur Mechanik und Geometrie, und
uͤberhaupt zu den eigentlichen Wissenschaften (sciences exactes) steht, sollte
nicht laͤnger mehr sich auf unsichere und unbestimmte
Theorien gruͤnden, auf Systeme, die bloß auf Schlendrian
beruhen, und keiner allgemeinen Anwendung faͤhig
sind.
Es ist indessen in diesem Zweige der Industrie noch manches
dunkel, und unter diese Dunkelheiten gehoͤrt auch die
Drehung der Faden, uͤber welche ich einige Versuche und
Betrachtungen anstellte, die vielleicht einiges Licht
uͤber diesen Gegenstand verbreiten koͤnnen.
Man weiß, daß die Zahl der Drehungen, welche eine bestimmte
Laͤnge eines Fadens erhalten soll, die Feinheit desselben
vermehrt. Indessen wurde bisher das wahre Verhaͤltniß der
Drehung zu der Nummer noch nicht in aller Schaͤrfe
bestimmt, und die meisten Spinner sind in dieser Hinsicht einem
blinden Tappen und der Gnade der Weber uͤberlassen.
So lang man bloß ordinaͤre Nummern verfertigte,
fuͤhlte man die Nothwendigkeit, diese Frage zu
erlaͤutern, nur wenig; in Spinnereien aber, wo man viele
verschiedene Nummern spinnt, und zumal hohe, ist dieß ein
Gegenstand von der hoͤchsten Wichtigkeit.
Die Vollkommenheit eines Fadens haͤngt gar sehr von dem
Grade der Drehung ab: ist der gehoͤrige Grad der Drehung
uͤberschritten, so verliert der Faden seine
Elasticitaͤt und wird bruͤchig; bleibt man unter
demselben zuruͤk, so vermag er nicht die Gewalt
auszuhalten, welche die Kette, zumal bei dem Weben, erleiden
muß. Auch die Guͤte des Eintrages
haͤngt von dem Grade der Drehung ab; bei gewissen Zeugen
braucht man eine staͤrkere, bei anderen nur eine leichte
Drehung.
Zu starke Drehung, obschon sie oͤfters dem Faden nicht
schadet, wird immer dem Spinner zur Last fallen, weil er dadurch
seine kostbare Zeit verliert und folglich auch sein Geld.
Alle diese mit dem gegenwaͤrtigen Systeme verbundenen
Nachtheile beweisen, wie sehr eine feststehende Regel bei
haͤufigem Nummer-Wechsel, und folglich bei Garn
von verschiedener Qualitaͤt, das in so vielen
Spinnfabriken gefordert wird, nothwendig ist.
Um die Frage gehoͤrig zu stellen, muß man, wie es mir
scheint, aͤhnliche Drehung an zwei Nummern verschiedener
Faden diejenige nennen, durch welche die Staͤrke zweier
Faden verhaͤltnißmaͤßig zu ihrer Dike, oder zur
Oberflaͤche des Durchschnittes derselben, wird; d.h.,
wenn N. 30. eine aͤhnliche
Drehung, wie N. 60. hat, so ist
erstere zwei Mal staͤrker, als leztere. Diese
aͤhnliche Drehung ist es, um die es sich handelt, und die
man in jedem Falle und fuͤr jede unbekannte Nummer finden
muß, wenn sie einmal durch die Praxis fuͤr eine Nummer
festgesezt wurde. Die Drehung gibt dem Gespinnste
Staͤrke, indem die Fasern, die Anfangs nur in geraden
parallelen Linien neben einander liegen, dadurch in eine
Schnekenlinie kommen. Die Groͤße des Winkels, welchen
diese Schnekenlinie mit dem rechtwinkeligen Durchschnitte des
Fadens bildet, den man als Cylinder betrachten muß, bestimmt den
Widerstand, welchen dieser Faden dem Zuge entgegenstellt, und
dieser Winkel ist verschieden bei verschiedenen Arten des Garnes
von derselben Nummer; d.h. z.B., er ist groͤßer beim
Einschlage, und kleiner bei der Kette; er bleibt aber immer
derselbe fuͤr dieselbe Art, die Feinheit mag noch so
verschieden seyn. Wir wollen annehmen, N. 10. bestehe aus 100 Baumwollen-Fasern und
N. 100 aus 10, so ist es
offenbar, daß wenn die 10 Fasern unter demselben Winkel gedreht
sind, wie die 100 Fasern, der Widerstand sich wie die Zahl
dieser Fasern verhalten wird.
Wir wollen nun sehen, in welchem Verhaͤltnisse die Nummer
des Fadens zur Zahl der Drehungen seyn muß, wenn immer derselbe
Winkel entstehen soll, wo man auf einer Flaͤche den Theil
der Oberflaͤche des Fadens, als Cylinder betrachtet, der
Eine Drehung erhielt, entwikelt.
Textabbildung Bd. 33, S. 388
abcd sey das Parallelogramm,
welches diese Oberflaͤche bildet.
cd und ab bilden die Umfaͤnge
dieses Fadens.
bd und ac die Hoͤhe oder den
Schritt der Schnekenwindung.
Wenn man die Diagonale ad
zieht, so gibt der Winkel bad
die Neigung der Schnekenlinie.
Wir wollen nun eine andere Oberflaͤche des Fadens von
Einer Drehung nehmen, dessen entwikelte Flaͤche efga seyn soll.
ef und ag seyen die
Umfaͤnge.
ae und gf die Hoͤhe der
Schnekenwindung. Der Winkel der Schneke ist in beiden Figuren
derselbe.
Im Parallelogramme abc kam Eine
Drehung auf die Laͤnge. ac; in dem anderen aefg ist nur Eine Drehung fuͤr die
Laͤnge ae.
Fuͤr dieselbe Laͤnge ist also die Zahl der
Drehungen des großen Parallelogrammes zu jener des kleinen
umgekehrt wie die Hoͤhen der Schnekenwindung, oder wie
ae zu ac, oder auch, wegen der
Aehnlichkeit der Dreieke aef
und acd, wie ef zu cd. Die Zahl der Drehungen
verhaͤlt sich demnach umgekehrt, wie die Umfaͤnge
ef und cd, oder wie die Durchmesser,
weil leztere sich auch wie ihre Umfaͤnge verhalten. Da
ferner die Durchmesser sich unter einander wie die
Quadrat-Wurzeln der
Durchschnitts-Oberflaͤchen verhalten, und diese
lezteren in umgekehrtem Verhaͤltnisse zu den Nummern der
Faden oder des Garnes stehen, so ergibt sich:
daß die Zahl der Drehungen fuͤr
eine und dieselbe Laͤnge sich wie die
Quadrat-Wurzeln der Nummern verhaͤlt.
Dieser lezte Ausdruk ist der einfachste, und auch derjenige, der
am leichtesten anzuwenden ist; man darf nur die Zaͤhler
in Verhaͤltnis mit den Quadrat-Wurzeln der Nummern
bringen.
Man seze z.B., man sollte Kette von N. 81 spinnen. Man weiß nun, daß man mittelst eines
Zaͤhlers 30 der Kette von N.
36 die gehoͤrige Drehung geben kann. Folglich hat man
√36 = 6 : √81 = 9 : : 30 : x. x = 45.
Man weiß also nun, daß, alles Uebrige gleich gesezt, der
Zaͤhler fuͤr die Kette N. 81 wird fuͤnf und vierzig Zaͤhne
haben muͤssen.
Da die Neigung der Schnekenlinie, welche durch die Drehung
hervorgebracht wird, nach den verschiedenen einzelnen Arten des
Garnes wechselt, und so z.B. verschieden ist
fuͤr Kette,
fuͤr Einschlag zum Faͤrben,
fuͤr Einschlag zum Musselin,
fuͤr Einschlag zu dichteren Geweben;
und da die Regel, die ich so eben
erklaͤrt habe, nur relative Drehungen gibt; so
bleibt es der Praxis uͤberlassen, fuͤr eine
einzige Nummer einer jeden dieser Art und anderer Arten Garnes,
nach dem Beduͤrfnisse des Webers, die bestaͤndigen
Zahlen oder Grundlagen zu bestimmen, nach welchen alle
uͤbrigen Nummern berechnet werden muͤssen.
Diese Zahlen, die die Anzahl der Drehungen in einer gegebenen
Laͤnge andeuten, werden in umgekehrtem
Verhaͤltnisse zu dem Winkel der Schnekenlinie stehen.
Diese Theorie uͤber die Drehung des Garnes ist nicht meine
Erfindung. Man kennt sie bereits, aber noch verworren und
unbestimmt, in England und in mehreren unserer
Spinn-Fabriken; ich habe aber weder in irgend einer
Schrift, noch in irgend einem Gespraͤche mit erfahrnen
Maͤnnern eine Erlaͤuterung hieruͤber
gefunden, die mir Genuͤge haͤtte leisten
koͤnnen. Die erste Idee hieruͤber verdanke ich
Hrn. Emil Weber zu Massevaux.
Ich mußte nun noch sehen, ob diese Theorie sich auch in der
Praxis erwahrt. In dieser Hinsicht stellte ich eine Reihe von
Versuchen uͤber die Staͤrke und
Elasticitaͤt der Kette an verschiedenen Nummern an, deren
Drehung nach dieser Regel bestimmt war. Die Resultate finden
sich in einer unten beigefuͤgten Tabelle, aus welcher man
entnehmen wird, daß die Staͤrke der Faden sich so
ziemlich wie ihre Dike verhaͤlt.
Ich konnte dieser Tabelle nicht die Versuche uͤber den
wenig gedrehten Einschlag beifuͤgen, indem bei dieser Art
Garnes die Staͤrke und die Elasticitaͤt sich nicht
so leicht durch ein Instrument bestimmen laͤßt; indessen
hat die Uebung in der Bestimmung der Staͤrke desselben
mittelst der Hand eine Regel dargeboten, die, selbst bei großen
Unterschieden in der Nummer und in der Wolle, so ziemlich
verlaͤssig ist: naͤmlich
N.
35 façon Louisiane,
62 Jumel,
96 Géorgie long,
144 do,
gaben, nach der Quadrat-Wurzel
ihrer Nummern gedreht, einen Widerstand beim Abreißen, der so
ziemlich im Verhaͤltnisse zur Dike derselben steht.
Diese Versuche haben alles deutlich bestaͤtigt, was
Raͤsonnement von dieser Theorie erwarten ließ, und die
Wahrheit derselben fuͤr jeden Fall erwiesen. Wenn kleine
Abweichungen von derselben in Bezug auf den Unterschied in der
Laͤnge zu machen waͤren, so muͤßten sie
hoͤchst unbedeutend seyn.
Ich komme auf die Tabelle der Versuche uͤber die
Staͤrke und Elasticitaͤt zuruͤk.
Die erste und die vierte Spalte zeigt die Zahl der
Versuche.
Die zweite die metrischen Nummern.
Die dritte den Widerstand, den der
Faden beim Zuge auf Regnier's
bekanntem Probirer leistete. Die Zahlen druͤken die
Decagramm aus, welche ein Faden in einer Laͤnge von 3 bis
4 Zoll tragen kann, ehe er reißt.
Die fuͤnfte zeigt die, jeder
Nummer zukommende Elasticitaͤt, welche nach der Zahl der
Linien bestimmt wurde, um welche sie sich verlaͤngern
kann, ehe sie reißt: die urspruͤngliche Laͤnge
eines Fadens ist zu 18 Zoll gerechnet.
Die sechste weist die Arten der
Baumwolle.
Die siebente enthaͤlt die
Verhaͤltniß-Zahlen in umgekehrtem
Verhaͤltnisse zu jeder Nummer, oder im geraden zum
Gewichte einer gegebenen Laͤnge des Fadens, und zeigt die
Staͤrke, welche jeder Faden haben muͤßte, wenn
diese Staͤrke im Verhaͤltnisse zu seiner Dike
stuͤnde, wobei N. 30 bis N. 36 zur Grundlage angenommen
sind.
Alle diese Versuche wurden an Garn gemacht, welches
durchgedaͤmpft wurde.
Um noch genauere Resultate zu erhalten, habe ich bei jedem
einzelnen Versuche fuͤnf bis zehn Spulen genommen, und
den Faden einer jeden Spule zwei bis vier Mal versucht. In dem
Verhaͤltnisse, als man die Drehung des Fadens vermehrt,
vergroͤßert sich auch die auf Regnier's Probirer angezeigte Staͤrke; die
Elasticitaͤt hingegen vermindert sich. Hieraus folgt, daß
es einen gewissen Punkt gibt, auf welchem das Verhaͤltniß
dieser beiden Eigenschaften das beste ist; dieser Punkt
laͤßt sich aber nur durch Erfahrung finden. Man muß sich
also, wenn man Versuche uͤber die Staͤrke der
Faden anstellt, wohl huͤten, nicht auch die
Elasticitaͤt desselben zu pruͤfen.
Wenn man zwei Reihen von Versuchen anstellt, uͤber
Elasticitaͤt und uͤber Staͤrke, so wird
jene den besten Faden andeuten, in deren Zahlen der kleinste
Unterschied sich zeigt, wenn auch der mittlere Durchschnitt der
ganzen anderen Reihe zusammengenommen zuweilen staͤrker
ausfiele.
Die Tabelle zeigt, daß die Staͤrke sich beinahe umgekehrt
wie die Nummern verhaͤlt, ungeachtet der Verschiedenheit
der Baumwolle; daß die Elasticitaͤt ein ganz anderes
Verhaͤltniß befolgt, als die Staͤrke, und daß sie
sich in hoͤheren Nummern weit weniger vermindert, als
diese leztere. Man sieht auch, daß die Guͤte der langen
Baumwolle aus Georgien (N. Amerik.) vorzuͤglich darin
besteht, daß sie mehr die Elasticitaͤt, als die
Staͤrke des Fadens vergroͤßert.
Es scheint ferner noch, daß die Wahrscheinlichkeit in
hoͤheren Nummern schlechten Faden zu erhalten,
in einem weit hoͤheren Verhaͤltnisse zunimmt, als
in dem Verhaͤltnisse der Feinheit; denn, obschon bei dem
feinen Gespinnste weit sorgfaͤltiger auf das
Kardaͤtschen geachtet wird, und hier mehr duplirt und
bessere Baumwolle genommen wird, so ist doch die Staͤrke
des feinen Fadens nichts desto weniger im Verhaͤltnisse
mit der Dike. Alle diese Mittel, durch welche das Garn
verbessert wird, dienen also nur als Ersaz fuͤr die
unguͤnstigen Zufaͤlligkeiten, die bei dem Spinnen
des feinen Garnes Statt haben koͤnnen. Der Unterschied,
welchen Faden aus verschiedenen Arten von Wolle nicht bloß in
Hinsicht auf ihre Laͤnge, sondern auch auf ihre einzelne
Staͤrke darbieten, laͤßt noch ein weites Feld zur
Untersuchung offen. Man muͤßte in dieser Hinsicht Faden
von gleicher Feinheit aus verschiedener Baumwolle
vergleichen.
Es bleibt auch ferner noch der Einfluß der verschiedenen Systeme
der Zubereitung und des Duplirens auf die Vollkommenheit des
Fadens zu bestimmen uͤbrig.
Endlich waͤre es auch noch sehr interessant, das Gesez zu
kennen, nach welchem die Elasticitaͤt nach den
verschiedenen Graden der Feinheit verschieden ist.
Tabelle uͤber die Staͤrke
und Elasticitaͤt des Baumwollen-Garnes zur
Kette.
Textabbildung Bd. 33, S. 392
Zahl der
Versuche; Metrische Nummern; Staͤrke;
Elasticitaͤt; Qualitaͤt der Baumwolle;
Verhaͤltnißzahlen zum Gewichte einer gegebenen
Laͤnge des Fadens
Hr. Naͤgely erstattet im Namen
des Ausschusses fuͤr Mechanik, Bericht uͤber obige
Abhandlung, die er pruͤfte, und deren Angaben er richtig
fand.
Er bemerkt, daß aus der in derselben aufgestellten Regel sich
ergibt, daß wenn die Nummer vier Mal feiner ist, die Drehung nur
doppelt ist; wenn sie neun Mal feiner ist, die Drehung nur drei
Mal staͤrker ist; daß lange Baumwolle weniger Drehung
verlangt, als kurze, und einen runderen, weniger flaumigen Faden
gibt, indem mehr Drehungen auf derselben Faser vertheilt sind,
und die hervorstehenden Enden, die man nie ganz niederlegen
kann, sich weniger oft wiederholen; daß bei Baumwolle von gleich
langer Faser ein Unterschied in Hinsicht auf
Feinheit und Grobheit dieser Faser Statt hat, da groͤbere
Fasern weniger Drehung fordern, um einen gleich starken Faden zu
geben, der aber dann mehr flaumig seyn wird, und weniger gleich,
und da auch feine Fasern, wenn sie zugleich nervig und stark
sind, gleichfalls weniger Drehung fordern und einen runderen
mehr elastischen Faden geben; daß also lange, seidenartige,
starke Wolle weniger Drehung braucht und sich schneller spinnt;
daß er eine etwas staͤrkere Elasticitaͤt an der
Wolle hoͤherer Nummern aus den besten Fabriken im Elsaß
fand, als Hr. Koechlin.