Titel: Bemerkungen des Hrn. Prosper Débia, über das System der unterspannten Brüken (Ponts sous-tendus.)
Fundstelle: Band 34, Jahrgang 1829, Nr. V., S. 24
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V. Bemerkungen des Hrn. Prosper Débia, uͤber das System der unterspannten Bruͤken (Ponts sous-tendus.) Aus dem Bulletin des Sciences technologiques. Junius S. 165. Mit Abbildungen auf Tab. I. Débia, uͤber das System der unterspannten Bruͤken. Ich habe so eben im Bulletin d. Scienc. technol. April 1829. S. 344 (Polytechn. Journ. 1. August-Heft S. 161.) einen Artikel gelesen, der uͤber das System der unterspannten Bruͤken (Ponts sous-tendus) Nachricht ertheilt. Der ungenannte Verfasser hat gegen dieses System, welches wahrscheinlich eine fluͤchtige Lectuͤre ihm in einem falschen Lichte darstellte, einen Entwurf gemacht, den man leicht widerlegen kann. Er sagt: „Es ist wirklich leicht begreiflich, daß es sehr schwer seyn muß ein langes Stuͤk Holz so vorzurichten, daß es einem bedeutenden Laͤngendruke zu widerstehen vermag; sobald sich dieses Stuͤk nach abwaͤrts kruͤmmt (ein Umstand, der vielleicht nicht zu vermeiden ist), wird diese Kruͤmmung immer groͤßer werden, und das ganze Gebaͤude einstuͤrzen machen.“ Der ungenannte Verfasser hat ohne Zweifel nicht bedacht, daß ich diesem langen Stuͤke Holz eine Kruͤmmung nach aufwaͤrts gebe. Es sey AMB in Fig. 21. die Kruͤmmung des Holzes, deren Sinus versus MC. Es ist offenbar, daß, ehe sich dasselbe nach abwaͤrts kruͤmmt, der Punkt M auf C herabsteigen muß; mit einem Worte, der Sinus versus muß kleiner werden, und die Wirkung dieser Verkleinerung ist, daß die Punkte A und B sich weiter von einander entfernen werden. Wenn aber die Punkte A und B sich von einander entfernten, muͤßte ohne Zweifel durch diese Bewegung der Sinus versus der unteren Kruͤmmung ANB gleichfalls kleiner werden; der Punkt N wuͤrde streben sich dem Punkte C zu naͤhern, und folglich den Punkt M mittelst der Stuͤze MN heben. Es sind also hier zwei entgegengesezte Kraͤfte, und ich finde nicht, daß es sehr schwer seyn sollte, diese Kraͤfte gegen einander aufzuwaͤgen, wenigstens in solchem Maße, daß die Elasticitaͤt des Drathes die Sache wieder in den urspruͤnglichen Stand zuruͤk zu bringen vermag, sobald die Last entfernt ist, durch deren Anwendung eine leichte Veraͤnderung in der Figur des Gebaͤudes entstanden ist. Ich wage es zu glauben, daß der ungenannte Hr. Verfasser, wenn er hieruͤber nachdenken will, den Vortheil einsehen wird, der entstehen muß, wenn man dem Drache eine starke Kruͤmmung nach unten gibt. Ich habe gerathen, dem Sinus versus ein Zwanzigstel zu geben. Auf diese Weise kann man den Raum, der die Kruͤmmung des Drathes von der Kruͤmmung des Holzes trennt, benuͤzen, und Andreas-Kreuze von einer Stuͤze zur anderen anbringen, so daß man mittelst dieser Vorrichtung ohne viele Schwierigkeiten einem ungeheueren Druke Widerstand zu leisten vermag. Da der Verfasser des erwaͤhnten Artikels aber hierauf nicht Ruͤksicht genommen hat, so wurde er zu dem falschen Schlusse verleitet, daß, weil mein System bisher noch nicht angewendet wurde, es sowohl in Hinsicht auf Wohlfeilheit als auf Festigkeit anderen Systemen nachstehen muͤsse. Man kann, wie es mir scheint, die verschiedenen Verfahrungs-Weisen, nach welchen man den Bretterboden einer Bruͤke stuͤzt, auf drei wesentlich verschiedene Systeme zuruͤkfuͤhren. 1) Dasjenige, welches am Allgemeinsten angewendet wird, zieht der ungenannte Verfasser allen uͤbrigen vor. Indessen fordert dieses System sehr dike Widerlagen, um dem Druke des hoͤlzernen Bogens auf dieselben widerstehen zu koͤnnen. Ferner muß der Bogen selbst stark genug seyn, um jeder Veraͤnderung der Form Widerstand leisten zu koͤnnen, die dadurch entstehen koͤnnte, daß die Last sich auf irgend einem Punkte derselben befindet. Man hat also hier bei diesem Systeme zwei verschiedene Arten von Schwierigkeiten und zwei besondere Ruͤksichten bei dem Baue. 2) Die geraden Schließen oder geraden Baͤnder, wie sie an der Bruͤke zu Schafhausen, an der Bruͤke de la Pile uͤber den Ain angebracht sind. Die Schließen muͤssen hier außerordentlich stark seyn, damit die horizontalen Stuͤke gar keine senkrecht wirkende Kraft zu aͤußern haben. Der Bau der lezteren der beiden oben genannten Bruͤken zeigt die Unbequemlichkeiten bei diesem Systeme deutlich. Indessen werden bei demselben die Widerlagen weder gezogen noch gedruͤkt. 3) Die Haͤngebruͤken. Hier wird die ganze Last durch krumme Spannriegel getragen. Die horizontale Kraft ist an dem außerhalb der Bruͤke gelegenen Mauerwerke ganz verloren. Die Befestigung der Ketten an diesem Mauerwerke, welches die Ketten emporzuheben streben, hat auch seine Schwierigkeiten, und man weiß, daß geschikte Baumeister sich in dieser Hinsicht taͤuschen. Uebrigens wird hier nur jene Kraft der Spannriegel wirklich benuͤzt, die ihnen im Verhaͤltnisse des Sinus versus der Kruͤmmung uͤbrig bleibt. Ich uͤberging nun das erstere dieser Systeme, dessen Wohlfeilheit mir durchaus nicht einleuchten will, indem bei dieser Bauart starke Widerlagen nothwendig sind, die nicht wenig kosten, und der Bau des hoͤlzernen Bogens selbst seine Schwierigkeiten hat. Ich habe gesucht die beiden lezten Systeme so zu verbinden, daß die Maͤngel derselben beseitigt werden konnten, und jene Vortheile blieben, die ihnen Niemand streitig machen kann. So habe ich, wie bei dem zweiten Systeme der geraden Spannung, vermieden die Widerlagen zu ziehen oder zu druͤken, und uͤberdieß die Kraft benuͤzt, die man bei den Haͤngebruͤken verliert, und sie zum Zusammendruͤken des Schlußbogens angewendet, den sie befestigt. Die senkrechte Kraft, die den Spannriegeln im Verhaͤltnisse zu ihrer Kruͤmmung bleibt, ist hier, wie bei den Haͤngebruͤken, benuͤzt, und stuͤzt den zusammengedruͤkten Bogen, welchem man folglich keine starke Kruͤmmung zu geben braucht. Das Holz, aus welchem dieser Bogen gebaut ist, braucht nicht sehr dik zu seyn; der gewoͤhnliche Bretterboden der Bruͤke dient Statt desselben. Ich habe gezeigt, wie man, ohne alle Schwierigkeit, den Widerstand vermehren kann, den sie zu leisten hat. Ich habe auch, fuͤr den Fall, daß man eine bedekte Bruͤke bauen wollte, wie z.B. nach Art der Bruͤke uͤber den Ain bei la Pile vorgeschlagen, zu beiden Seiten Spannriegel anzubringen, deren Sinus versus ihrer Kruͤmmung unten uͤber die Mitte der Bruͤke hinabreichte, und deren Enden sich ungefaͤhr in der Hoͤhe des Daches an starke aufsteigende senkrechte Pfosten anlehnten, die an der Vorderseite des Baues angebracht stehen. Die horizontale Kraft dieser Spannriegel waͤre dann nuͤzlich zum ganzen Baues verwendet, waͤhrend die senkrechte Kraft, wie bei Haͤngebruͤken, zur Stuͤzung der Baͤnder oder senkrechten Stuͤzen, welche das Dach mit dem Fußboden vereinigen, und so als Haͤngestangen dienen, verwendet waͤre. Man wuͤrde dann, ungefaͤhr in der Hoͤhe der Stuͤzen, andere Spannriegel anbringen, deren Sinus versus ihrer Kruͤmmung dieselbe Tiefe, wie jener der ersteren, erreichte, und deren Hauptdienst darin bestaͤnde, den ganzen Bau durch die Gewalt des Drukes fester zusammen zu halten. Ein Schlußbogen, dessen Kruͤmmungs-Sinus versus die Hoͤhe des Daches erreichen wuͤrde, wuͤrde sich, in gleicher Hoͤhe mit diesen lezteren Spannriegeln, gegen die oben erwaͤhnten senkrechten Pfosten stellen, die ich Widerlags-Pfosten (montans-culées) nennen will, obschon sie nicht in die Erde eingelassen sind, sondern bloß auf den Antrittsbalken ruhen. Es wird gut seyn, wenn Alles eine kleine Kruͤmmung nach aufwaͤrts bildet. Ich habe auf diese Weise mehrere Baue mit so leichtem und duͤnnem Materiale ausgefuͤhrt, daß es beinahe unmoͤglich schien, dasselbe zu irgend etwas verwenden zu koͤnnen. Ich will nur eine kleine gedekte Bruͤke hier als Beispiel anfuͤhren, die 10 Meter lang und aͤußerst fest ist. Die senkrechten Pfosten und die Spannriegel sind rohe Weiden, von der Staͤrke, wie man sie zu Faßreifen braucht, mit Ausnahme der Widerlags-Pfosten, die aus Eichenholz, und so zugerichtet sind, daß man Thuͤren an jedem Ende der Bruͤke anbringen kann. Das Dach ist aus Stroh, und die Seitenwaͤnde sind gegen den Regen durch Vorspruͤnge geschuͤzt. Einfache Bretter aus Pappeln bilden den Fußboden der Bruͤke. Eine auf zwei Stangen aufgenagelte Querleiste bildet an jedem Ufer die Antrittsbalken, aufweichen die ganze Strohhuͤtte oder Strohbruͤke ruht. Solche Antrittsbalken reichen in dem hier vorgeschlagenen Systeme beinahe allzeit hin den ganzen Bau zu tragen, obschon sie nicht in die Erde eingelassen sind, sondern bloß mir ihren Enden auf derselben ruhen. Man kann also nach diesen Grundsaͤzen mit Drath und mit sehr leichtem Holze sehr starke und laͤngere Dachbalken verfertigen, als man bisher anwenden konnte, so daß man auf aͤhnliche Weise auch bedeutend große Hallen, Circus und dergl. unter Dach bringen kann. Dieß mag hinreichen, um zu beweisen, daß man mein System nicht verstanden hat. Ich halte es fuͤr meine Pflicht, gegen den entscheidenden Ausspruch des ungenannten Verfassers meine Gegengruͤnde vorzutragen, und bin uͤberzeugt, daß mein System die beiden wuͤnschenswerthesten Eigenschaften, Festigkeit und Wohlfeilheit, vereinigt. Da die Gelegenheiten, in welchen man von meinem Systeme Gebrauch machen kann, sehr haͤufig vorkommen, so fuͤge ich diesen Bemerkungen nur zwei Abbildungen bei, welche die Beschreibungen dieser Bauart erlaͤutern werden, und vielleicht einladen koͤnnen, meine Versuche zu wiederholen. Fig. 22. zeigt eine unterspannte laͤndliche Bruͤke (pont-sous-tendu) von 10 Meter aus Weiden geflochten, bei welcher nicht ein Faden Eisendrath ist. Die Spannriegel selbst sind aus Weidenstaͤmmen oder Aesten, die gespalten und in einander eingefuͤgt und mit zarten Weidenreisern gebunden sind, wie man Reifen bindet. Liebhaber des laͤndlichen Aufenthaltes koͤnnen solche kleine Bruͤken zu mannigfaltigen Zweken benuͤzen: da sie sehr leicht sind, so koͤnnen sie ehe vollendet werden, ehe man sie uͤber den Bach legt, und koͤnnen auch leicht von einem Orte auf den anderen gebracht und daselbst benuͤzt werden, weil sie keine Widerlage brauchen. Fig. 23. ist das Geruͤst zu einem bedekten Gange von 30 Metern in der Laͤnge, um eine Verbindung zwischen zwei Gebaͤuden herzustellen. Die senkrechten Pfosten haben 2,76 Meter in der Hoͤhe. Ein Strik aus Eisendrath, außen an diesem Gange und innerhalb desselben angebracht, laͤuft, zu beiden Seiten, in der Hoͤhe der Stuͤzen, und wird mittelst Bolzen gespannt, die durch die starken Pfosten ziehen, welche hier Statt der Widerlagen dienen. Eben diese Vorrichtung hat auch an der Hoͤhe des Daches Statt. Man hat also hier acht Seile aus Eisendrath, unter welche sich die Last vertheilt, welche dieser Bau sowohl, als dasjenige, was von demselben getragen wird, bildet. Man hat diesem Gange eine leichte Woͤlbung gegeben. Vielleicht ließe die Wirkung des Schlußbogens, der von den Spizen aus entspringt, und dessen Sinus versus bis an das Dach reicht, erlauben, demselben eine ganz gerade Form zu geben.

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