Titel: Ueber eine sehr wichtige Entdekung, welche das Daseyn eines kieselsauren Eisens erwiese.
Fundstelle: Band 35, Jahrgang 1830, Nr. XCIII., S. 380
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XCIII. Ueber eine sehr wichtige Entdekung, welche das Daseyn eines kieselsauren Eisens erwiese. Aus dem Recueil industriel N. 33. S. 310. Entdekung eines kieselsauren Eisens. Der achtungswuͤrdige Greis, Doctor Eynard zu Lyon, der in einem Alter von mehr denn 80 Jahren noch die Thaͤtigkeit eines Mannes von vierzig Jahren besizt, und taͤglich noch mit aller Thaͤtigkeit und Anstrengung an Foͤrderung der Kuͤnste und Gewerbe arbeitet, hat vor Kurzem eine fuͤr unsere Stahlfabriken sehr wichtige Entdekung gemacht. Er theilt in seinem Studierzimmer, das ein wahres chemisches Laboratorium ist, und dem gemeinsten Manne, so wie dem Gelehrten, offen steht, mit der edelsten Uneigennuͤzigkeit, jedem, der ihn darum ersucht, seinen weisen Rath mit. Vor einigen Monaten wollte er, nach Contés sinnreichen Versuchen, den Feilen dadurch eine neue Schaͤrfe geben, daß er sie auf einige Tage in eine Mischung aus fuͤnf Theilen Wasser und einen Theil Schwefelsaͤure legte. Als er die Feilen herausnahm, sah er zu seinem Erstaunen, daß der Boden des Gefaͤßes, welches aus Glas war, eine weißlich graue, gleichsam schleimige Masse enthielt. Er seihte die Fluͤssigkeit ab, sammelte die Masse und troknete sie. Bei genauerer Untersuchung derselben fand er, daß sie reine Kieselerde war, und sich weich und seidenartig, wie Amiant, anfuͤhlte. Er sammelte so viel von derselben, daß er Hrn. D'Arcet etwas davon senden, und die Aufmerksamkeit der Gelehrten auf diesen Gegenstand lenken konnte. Man hat bisher behauptet, daß das Eisen nur mittelst Kohlenstoff in Stahl umgewandelt wird. Man wird sich aber erinnern, daß, waͤhrend Hr. Clouet Eisen mittelst Demants in Stahl verwandelte, er, auf der anderen Seite, einen sehr schoͤnen Stahl dadurch erhielt, daß er Eisen mit reiner Thonerde und mit Kieselerde caͤmentirte. Im J. 1732. ließen sich die Gebruͤder Perru, aus Neuschatel, zu Lyon nieder, und fabricirten daselbst Zieheisen und staͤhlerne Cylinder, um Gold und Silber zu flaͤtschen. Diese Cylinder, die außerordentlich glaͤnzendgaͤnzend und so hart sind, daß sie von keiner Feile angegangen werden, wurden, wie man sagt, mit Kieselerde geschmolzen. Man hat sie noch bis auf die heutige Stunde nicht nachmachen koͤnnen, und ein Paar solcher Cylinder oder Walzen von 5 Zoll im Durchmesser von diesen Gußmeistern verfertigt, wird noch heute zu Tage um 2400 Franken verkauft. Hr. Boucingo „(sic, vielleicht Bousingault),“ ein Beamter an den Eisengruben von St. Étienne, hat im XVI. Bande der Annales de Chimie einige Notizen uͤber Kieselerde in Verbindung mit Stahl mitgetheilt; er behauptet, daß das Eisen keine Kieselerde besizt; er spricht aber weder vom Bleche noch vom weißen Gusse, und seine Untersuchungen sind nicht so weit getrieben, daß sie eben so interessant haͤtten werden koͤnnen, als es die Sache an und fuͤr sich ist. Vor einigen Jahren hat ein Gießer aus der Auvergne, Namens Ranquet, der sich zu Lyon niederließ, Toͤpfe aus weißem Gusse gegossen, die außerordentlich hart waren, und aus deren Scherben Hr. Culhot, ein sehr geschikter Kuͤnstler zu Lyon, Cylinder von solcher Haͤrte goß, daß man sie mit scharfen Instrumenten weder zurichten noch poliren konnte. Man konnte nur mittelst des Halsbandes, des Schmergels und des Kolkothors mit ihnen zu Recht kommen, und dazu brauchte man beinahe ein paar Monate. Dieser Gießer bediente sich keiner Kohle zu seinem Gusse, aus welchem er ein großes Geheimniß machte. Hr. Eynard fand Kieselerde im gekoͤrnten Gusse und im Stuͤkgusse, (fonte en grenaille et en morceaux) so wie im gewalzten Eisenbleche; nie aber im geschmiedeten Eisen. Es thut also noch immer Noth zu wissen: 1) Ob die Caͤmentation, oder die Verwandlung des Eisens in Stahl, dem Kohlenstoffe oder vielmehr der Kieselerde zuzuschreiben ist, welche lezterer enthaͤlt? 2) Wie viel ein gegebenes Gewicht Stahl Kieselerde enthaͤlt? 3) Ob, wenn man Eisen ohne Kohle caͤmentirt, und bloß reine Kieselerde zu demselben nimmt, man Stahl erhaͤlt? 4) Ob, wenn man, im Gegentheile, dem Stahle die Kieselerde entzieht, und ihn neuerdings gießt, man einen reineren Stahl erhalten wuͤrde, oder ob, im Gegentheile, dieser Stahl wieder zu Eisen wuͤrde? 5) In welchem Verhaͤltnisse man Kieselerde und Stahl mischen muͤßte, um einen vollkommenen und sehr harten Stahl zu erhalten? 6) Ob der gewoͤhnliche weiche Guß durch Beimengung einer gewissen Menge Kieselerde weißer und harter Guß wird? Diese Versuche, mit Sorgfalt von geschikten Gießern durchgefuͤhrt, koͤnnten auf wichtige Resultate in unseren Stahlfabriken fuͤhren: wir fuͤhren sie hier mit dem Wunsche an, daß man sich mit diesen Versuchen beschaͤftigen moͤge.Bei aller Verehrung, die wir fuͤr den achtbaren Greis, Hrn. Dr. Eynard hegen, maͤssen wir doch gestehen, daß wir nicht einsehen, worin diese Entdekung eigentlich liegen soll, indem man schon vor Clouet behauptete, daß Kieselerde eine Rolle bei der Stahlbildung spiele, und Clouet selbst diese Ansicht dadurch widerlegte, daß er auch im Demant, d.i. mit dem reinsten Kohlenstoffe Stahl erzeugte. Wenn man Stahl durch Caͤmentirung mit Holzkohle erzeugt und dann Kieselerde im Stahle findet, wird sich das Vorkommen dieser lezteren in dem Stahle leicht dadurch erklaͤren lassen, daß Kieselerde in der angewendeten Kohle, welche ein Pflanzenkoͤrper ist, enthalten ist. Man muͤßte also, wenn der alte Streit wieder von vorne aufgegriffen werden sollte, zuvoͤrderst die Kohle analysiren, mit welcher man den Stahl caͤmentirt, und sehen, wie viel Kieselerde in derselben enthalten ist. Es wird Ich dann zeigen, ob man diese Menge Kieselerde als in den Stahl uͤbergegangen, oder mehr oder weniger finden wird. A. d. Ue.