Titel: Ueber den Anbau der gemeinen Cichorien (Cichorium Intybus L) und die Benüzung der Rinde der eßbaren Kastanie (Castanea vesca) zum Färben u.s.w. Von Hrn. Colard.
Fundstelle: Band 36, Jahrgang 1830, Nr. XI., S. 64
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XI. Ueber den Anbau der gemeinen Cichorien (Cichorium Intybus L) und die Benuͤzung der Rinde der eßbaren Kastanie (Castanea vesca) zum Faͤrben u.s.w. Von Hrn. Colard. Aus dem Bulletin de la Société industrielle de Mulhausen N. 13. S. 237. (Im Auszuge.) Colard, uͤber den Anbau der gemeinen Cichorien etc. Die gemeine Cichorien gewaͤhrt in der Landwirthschaft als Futterpflanze, als Gemuͤse, als Arzeneigewaͤchs manchen Vortheil. Diese Pflanze wird zu wenig gebaut. Sie liefert ein reichliches und gesundes Futter, widersteht den strengsten Wintern und fordert keine andere Aufmerksamkeit, als daß man sie zu gehoͤriger Zeit erntet, was drei bis fuͤnf Mal des Jahres geschehen kann, denn man darf sie nicht zu hoch aufschießen lassen. Sie nimmt mit jedem Boden vorlieb. Die Kuͤhe geben, wenn sie mit dieser Pflanze gefuͤttert werden, treffliche Milch, und der Bitterstoff der Cichorien hilft ihnen den Klee, die Luzerne, Esparsette, mit welchen man sie gewoͤhnlich fuͤttert, und die so oft Blaͤhungen und Unverdaulichkeiten erzeugen, und blaue Milch verursachen, kraͤftig verdauen. Man koͤnnte zwar diesem Mittel durch Salz abhelfen; allein unsere Salzschreiber vertheuern und verderben das Salz so sehr, daß der Landwirth dasselbe entbehren muß. Da der Bau der Runkelruͤbe sich immer mehr verbreitet, so wuͤrde auch dieses Futter durch Abwechslung mit Cichorien verbessert. Durch das Ausziehen der Wurzeln dieser Pflanze werden schwere Boden leichter und fruchtbarer gemacht, indem sie dadurch tiefer, als mit dem Pfluge, umgearbeitet werden. Die Wurzeln geben, getroknet, geschnitten und geroͤstet, den bekannten Cichorienkaffee, den man, bei der gegenwaͤrtigen geringen Menge dieser Wurzel, oft aus schlechten, zerfressenen und halbverfaulten Wurzeln bereiten muß. Wo man keinen Kaffee mit Vortheil daraus bereiten kann, gibt diese Wurzel, gaͤnzlich verfault, mit den Abfaͤllen der Oehlgewaͤchse gemengt, einen trefflichen Duͤnger. Wenn man die Wurzel im Winter ausgeilen laͤßt, erhaͤlt man aus derselben den Cichoriensalat (barbe de capucin), der eben so gesund ist, als er angenehm schmekt. Der Arzeneigebrauch derselben ist bekannt. Es heißt im Recueil industriel, Februar 1829. S. 156., „die Rinde der eßbaren Kastanie (Castanea vesca, Fagus Castanea L), die man bei uns als unnuͤz wegwirft, ersezt in vielen Faͤllen, wenn man ein Extract daraus bereitet, in der Seidenfaͤrberei die Stelle der Gallaͤpfel.“ Die Versuche, die ich mit derselben auf Baumwolle und Wolle machte, gaben mir ziemlich gute Resultate. Es waͤre zu wuͤnschen, daß man hieruͤber in unseren Fabriken Versuche im Großen anstellte; denn alle Rinde der Kastanien, die man zu Pfaͤhlen verwendet, wird als unnuͤz weggeworfen. Wenn die Rinde dieses Baumes benuͤzt wuͤrde, und dieser Baum dadurch mehr Werth erhielte, wuͤrde er, da er ohnedieß schon so nuͤzlich ist, noch fleißiger gebaut werden, und uns einen Tribut gegen das Ausland ersparen. Hieruͤber erstattet Hr. Joh. Risler der Société folgenden Bericht. Die wilde Cichorien ist bekanntlich eine ausdauernde Pflanze unseres Landes, die an Wegen und Rainen waͤchst, und auch unter dem Namen Wegwart, Hindlaͤufte etc. bekannt ist. Man baut zwei Abarten derselben: die eine ist die gewoͤhnliche, die andere hat eine ruͤbenfoͤrmige Wurzel. Erstere wird auf den Aekern wegen ihrer Blaͤtter als Viehfutter, und in Gaͤrten als Gemuͤse gebaut; die zweite baut man auf Aekern sowohl der Wurzel, wegen, die laͤnger ist, als an ersterer, fleischig wie eine Moͤhre, und zum Cichorienkaffee dient, als auch wegen der Blaͤtter, die man als Viehfutter benuͤzt.Die wilde Cichorien bluͤht blau; man hat aber auch noch weiß bluͤhende, und roth bluͤhende, die durch Cultur bestaͤndig bleiben. Es gibt noch eine hollaͤndische Sorte, deren Wurzelblaͤtter roth sind, als die in der Mitte des festen Landes wildwachsende.A. d. Ue. Man saͤet sie gewoͤhnlich im Fruͤhlinge entweder fuͤr sich allein auf die Acker, oder gemengt mit Klee, Gerste, Hafer. Ihre Cultur fordert keine besondere Sorgfalt. In Gaͤrten kann sie den ganzen Sommer uͤber sowohl auf das Mistbeet, als in freien Grund gesaͤet werden. Sie gedeiht beinahe in jedem Boden, wenn er nur einige Tiefe hat. Die Wurzeln, so wie die Blaͤtter derselben, enthalten einen milchigten Saft, der bitter und tonisch ist. Er bestaͤtigt, was Hr. Colard von dieser Pflanze., als Futterpflanze sagt, und fuͤgt mit Recht bei, daß dieses Futter zugleich sehr fruͤhzeitig kommt; daß es selbst in sehr trokenen Jahren gut gedeiht; er beschraͤnkt aber die Ernte auf eine drei- bis viermalige Ernte. Als Ursache, warum man sie nicht hoch aufschießen lassen darf, bemerkt er, daß der Staͤngel hart, hohl und aͤstig wird. Sie muß gruͤn verfuͤttert werden, und ist nicht bloß fuͤr Kuͤhe, sondern auch fuͤr Pferde ein gutes Futter, und fuͤr Schafe, die es gierig fressen. Er bestaͤtigt die heilsame Wirkung dieser Pflanze gegen die Nachtheile des Klee- und kleeartigen Futters, und des Runkelruͤbenfutters.Wir muͤssen jedoch hier bemerken, was der unsterbliche Landsmann der guten Herren zu Muͤlhausen, der alte Professor Spielmann zu Straßburg, schon vor mehr als einem halben Jahrhunderte uns lehrte, daß die Cichorien, so wie alle Pflanzen aus ihrer Familie, sehr viel von ihrer urspruͤnglichen Bitterkeit durch Cultur verlieren. Nil utilus sole et sole totis coroporibus! A. d. Ue. Zur Cichorienkaffee-Bereitung findet Hr. Risler den Arbeitslohn zu hoch. Zwei Cichorienkaffeefabriken zu Colmar gingen vor einigen Jahren zu Grunde. Die Fabriken zu Straßburg, Cambrai, Lille liefern den Zentner (50 Kilogramm) Cichorienkaffee um 20–28 Franken. Der Bau der Cichorien hat indessen, zumal bei kleineren Wirthschaften, wo gewoͤhnlich die sogenannte Dreifelderwirtschaft eingefuͤhrt ist, ihre Schwierigkeiten; denn die Cichorien bleiben 5 Jahre im Felde. Sie verunreinigen ferner das Feld so, daß dort, wo man sie einmal gebaut hat, der Aker nie wieder rein zu bringen ist, wenn man auch noch so tief gepfluͤgt und die Wurzeln so zu sagen mit den Haͤnden ausgelesen hat. Die kleinste junge Wurzel schlaͤgt, wenn sie mit Erde bedekt wird, wieder von Neuem aus, und schadet dadurch dem Getreide, das nachgebaut wird. Nur dort also, wo man sehr große Grundstuͤke besizt; wo der Arbeitslohn sehr wohlfeil ist; wo man Jahre lang nach den Cichorien andere Gewaͤchse, als Getreidearten, z.B. Runkelruͤben, „(Erdaͤpfel, Mays)“ in denselben Boden bauen kann, nur dort kann der Cichorienbau wahren Vortheil gewaͤhren.Diese Bemerkung ist, leider, nur zu gegruͤndet, und wiederhohlt sich, ungluͤklicher Weise, bei vielen anderen Pflanzen, deren Anbau man im Großen vorgeschlagen hat, und die, schon bei kleinen Versuchen, eine pestis agrorum geworden worden sind. Da aber noch in vielen Gegenden Deutschlands die Pest der Hutweiden nicht ausgerottet ist, so waͤre wenigstens dieß zu wuͤnschen, daß Same von Chichorium Intybus auf denselben ausgestreut wuͤrde, damit die hungernde Herde doch wenigstens einiges Futter faͤnde.A. d. Ue. Hr. E. Schwarz erstattet Bericht uͤber die Kastanienrinde. Er beginnt seinen Bericht mit der Bemerkung, daß, wenn Kastanienrinde in der Faͤrberei angewendet werden kann, sie sicher in vielen Faͤllen die Gallaͤpfel nicht zu ersezen vermag; denn, obschon sie dieselben Grundstoffe besizt, so enthaͤlt sie diese doch in ganz anderen Verhaͤltnissen, was in der Faͤrberei nicht unbedeutend ist. Mehrere ausgezeichnete Chemiker haben sich mit der Analyse verschiedener Rinden beschaͤftigt, welche Gallaͤpfelsaͤure, Gerbestoff und Extractivstoff enthalten. Obschon die Verhaͤltnisse, welche sie angegeben haben, bei den Schwierigkeiten, die sich bei diesen Arten von Analysen zeigen, nicht in aller Strenge genau sind, und seyn koͤnnen, so reichen sie doch zu, um den Faͤrber bei seinen Arbeiten zu leiten. So wissen wir z.B., daß die Rinde alter Baͤume mehr Gerbestoff enthaͤlt, als die Rinde junger, und daß man diesen Umstand bei Anwendung der Rinden in der Faͤrberei nie aus dem Auge verlieren darf. Wir wissen ferner, daß Eichenrinde eine derjenigen Rinden ist, die am meisten Gerbestoff enthalten; Kastanienrinde eine derjenigen, die am meisten Extractivstoff enthaͤlt. Es ist ferner allgemein bekannt, daß Gallaͤpfel eine große Menge Gallapfelsaͤure enthalten, indem Hr. Braconnot aus 500 Gramm Gallaͤpfel an 150 Gramm Gallaͤpfelsaͤure erhielt. Da nun der Extractivstoff, der Gerbestoff und die Gallaͤpfelsaͤure mit Eisendeuteroxyd ganz verschieden gefaͤrbte Niederschlaͤge geben, so ist es klar, daß, wenn man in einer bestimmten Farbe faͤrben will, man nicht die Gallaͤpfelsaͤure durch Kastanienrinde oder Eichenrinde ersezen, und einen dieser Stoffe Statt des anderen brauchen kann, indem die Verhaͤltnisse der oben erwaͤhnten drei Stoffe in diesen drei verschiedenen Koͤrpern so sehr verschieden sind. Um diesen Grundsaz zu erweisen, erzeugte ich eine Reihe von Farben mittelst Eisen und Thonerde mit Kastanienrinde, und verglich sie mit jenen, die ich bei gleicher Basis mittelst Gallaͤpfeln erhielt. Um meine Versuche noch zu wechseln, bereitete ich zwei verschiedene Arten von Abkochungen: die eine mit Wasser, die andere mit Essigsaͤure von 2° an Baumès Araͤometer: leztere gab, da sie die Aufloͤsung des Extractivstoffes beguͤnstigte, mehr gesaͤttigte Farben. Die beiden Musterkarten, die ich hier vorzulegen die Ehre habe, bieten die Resultate von 28 Versuchen dar, die ich unternahm, um die verschiedenen Farben, welche diese beiden adstringirenden Stoffe mit Thonerde allein, mit Eisen allein, und mit beiden lezteren zugleich zu liefern im Stande sind, kennen zu lernen. I. Versuch. Ein mit essigsaurer Thonerdeaufloͤsung von 10° Baumé getraͤnkter Lappen nahm in einem Gallaͤpfelabsude eine sehr lichte matte gelbe Farbe an, waͤhrend er in Abkochungen von Kastanienrinde ziemlich stark stiefellederfarben (couleur cuir de botte) wurde. II. Versuch. Drei Lappen, wovon der eine in einer Aufloͤsung von essigsaurem Eisen von 3° Baumé, der andere in derselben Aufloͤsung von 1 1/2° Baumé, der dritte in derselben Aufloͤsung von 1/2° Baumé getraͤnkt wurde, nahmen in einem Gallaͤpfelbade eine mehr oder minder gesaͤttigte mausgraue Farbe (gris de souris) an, je nachdem die Eisenaufloͤsung mehr oder minder gesaͤttigt war, waͤhrend sie in einem Bade aus Kastanienrinde mehr oder minder aschgrau (gris de cendre) wurden. III. Versuch. Ein weißer Lappen, einige Augenblike lang in einem Gallaͤpfelbade gekocht, in welchem Ein Loth Gallaͤpfel mit 3 1/2 Pfd. Wasser gekocht wurden, faͤrbte sich, nachdem er hierauf in eine Aufloͤsung von schwefelsaurem Eisen von 3° Baumé getaucht wurde, augenbliklich perlgrau (gris de perle) mit einem leichten Stiche in's Violette; waͤhrend ein aͤhnlicher Lappen, eben so lang in einem Absude von 3 Pfd. (3 livres) Kastanienrinde in 3 1/2 Pfund Wasser gekocht, in derselben Eisenaufloͤsung nur matt silbergrau (gris d'argent terne) wurde. IV. Versuch. Ich nahm hierauf eine Mischung aus drei Theilen essigsaurer Thonerdeaufloͤsung von 11° Baumé, Einem Theile essigsaurer Eisenaufloͤsung von 7° Baumé, und traͤnkte in derselben zwei Lappen, wovon einer mit Gallaͤpfel, der andere mit Kastanienrinde gefaͤrbt war: der Versuch fiel zu Gunsten der Kastanienrinde aus. Die Farben, welche die Rinde mit dieser Beize gab, wenn leztere rein und mit 16 Theilen Wasser verduͤnnt war, waren angenehmer, als jene, welche die Lappen mit Gallaͤpfeln erhielten; sie waren zwischen grau und olivenfarben, und gaben einen sehr ausgezeichneten Grund. V. Versuch. Ich verfertigte eine Gallaͤpfelabkochung aus Einem Pfunde Gallaͤpfel und 3 1/2 Pfund Essigsaͤure von 2° Baumé, und sezte 16 Loth Eisenvitriolaufloͤsung von 42° Baumé zu. Ich erhielt auf diese Weise eine außerordentlich schwarze Tinte, welche ich glaube Ihnen der Guͤte und Einfachheit ihrer Bereitung wegen empfehlen zu duͤrfen. Eine Abkochung von 3 Pfund Kastanienrinde in 3 1/2 Pfund Wasser mit der vorigen Menge Eisenaufloͤsung von derselben Qualitaͤt gab nur eine mittelmaͤßige und wenig starke Tinte. Die sogenannten Applicationsschwarz (noirs d'application), die ich aus obigen Mischungen machte, boten dieselbe Verschiedenheit dar. Im Vorbeigehen muß ich bemerken, wie ich das Eisendeuterosulfat bereite, von welchem hier die Rede ist. Ich mische naͤmlich gleiche Theile Wasser und Salpetersaͤure von 40° Baumé bei einer Temperatur von 40° am hundertgradigen Thermometer und seze so lang Eisenvitriol zu, bis keine rothen Daͤmpfe mehr aufsteigen. Aus diesen Versuchen erhellt, daß die Kastanienrinde wohl zur Erzeugung verschiedener Modefarben (couleur de fantaisie) dienen kann, wenn sie mit Thonerde oder Eisen verbunden wird; daß sie aber in Kattundrukereien nie die Gallaͤpfel zu ersezen vermag.Wir haben, wie man aus Boͤhmer's techn. Geschichte d. Pflanzen II. Th. S. 1. 321 ersehen kann, so viele Farbenmaterialien aus dem Pflanzenreiche, die bei uns in dem mittleren Theile Europens wildwachsend vorkommen, und die von den aͤltesten Botanikern bis auf die neuesten empfohlen wurden, daß die hochachtbare Société industrielle de Mulhausen, welcher die Kuͤnste und Gewerbe und die leidende Menschheit in der kurzen Zeit seit ihrer Entstehung schon so vieles zu verdanken haben, ihren Verdiensten die Krone aufsezen wuͤrde, wenn sie, nach und nach, den guten alten Boͤhmer Revue passiren ließe, und durch Erfahrungen pruͤfte, was an allen diesen Angaben Wahres ist; damit man einmal aus diesem Wuste von Halbwahrem und Halbfalschen herauskaͤme, und das ewige Nachbeten desselben von Halbgelehrten, deren meiner den anderen ausschreibt, und die wir theuer dafuͤr bezahlen muͤssen, ein Ende hatte. Die Chemie hat seit den Zeiten, aus welchen sich diese Farbematerialien her schreiben, so viele Fortschritte gemacht, daß vielleicht manches, was in fruͤheren Zeiten nicht benuͤzt werden konnte, heute zu Tage gute Dienste leisten koͤnnte. Von Akademien laͤßt sich eine solche Revision nicht erwarten, wohl aber von Maͤnnern, wie die achtbaren Mitglieder der Société industrielle, welche tiefe wissenschaftliche Kenntnisse zugleich mit der hier so nothwendigen praktischen Geschiklichkeit und mit der Erfahrung gluͤklicher Techniker verbinden. Vielleicht, daß der Zeitverlust, den diese Revision kosten wuͤrde, durch Entdekungen aufgewogen wuͤrde, die man nicht erwartet hat.A. d. Ue.