Titel: Ueber Natron-Bicarbonat.
Fundstelle: Band 39, Jahrgang 1831, Nr. XLVIII., S. 135
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XLVIII. Ueber Natron-Bicarbonat. Auszug aus einer Thesis von Franklin R. Smith im Journal of the Philadelphia college of Pharmacie. Mit Anmerkungen von Hrn. Polydore Boullay im Journal de Pharmacie. Mars. 1830. S. 118. Ueber Natron-Bicarbonat. Die amerikanischen und englischen Pharmakopoͤen fuͤhren das, was allgemein als Natron-Bicarbonat betrachtet wird, unter dem Namen kohlensaure Soda auf. Die amerikanische Pharmakopoͤe empfahl, nach dem Beispiele der Edinburger, dieses Praͤparat zur Zersezung des Ammonium-Sesquicarbonates zu bereiten. Hr. Philips zeigte, daß die in dem Ammonium-Sesquicarbonate enthaltene Menge Kohlensaͤure nicht hinreicht um das Natron gehoͤrig zu saͤttigen. Das Edinburger Collegium gab also seine fruͤhere Weise, dieses Mittel zu bereiten, gaͤnzlich auf, und nahm jene des Londoner Collegiums an. Beide Collegien sagen jezt, man soll, wenn man Natron-Bicarbonat bereiten will, kohlensaures Gas durch eine Aufloͤsung von kohlensaurem Natron streichen lassen; sie weichen jedoch in Angabe der Temperatur ab, unter welcher die Aufloͤsung in der Folge geschehen soll. Das Londoner Collegium hat insofern mehr Recht, als es eine Temperatur von 49° hundertgr. Th. bestimmt, die um 33° hundertgr. Th. niedriger ist als jene, die das Edinburger Collegium angibt.Die beweinenswerthe Pharmacopoea bavarica, die, insofern sie jussu regio auf dem Tittelblatte traͤgt, ein crimen laesae majestatis (denn ein Koͤnig Max I. befahl keine Sottisen) als ihrem Inhalte nach ein wahres crimen laesae humanitatis ist; die, um einer hoͤchst traurigen Angelegenheit auch eine laͤcherliche Seite abzugewinnen, jezt, wie einst das Concordat, Niemand gemacht haben will; nimmt keinen Antheil an diesem Streite des Londoner und Edinburger Collegiums um 33°; warm oder kalt, Leben oder Tod, ist ihr einerlei. Sie sagt bloß in aquae destillatae partibus II solutis,“ ohne den armen Teufel von Apotheker, der nach ihr sich zu Schanden arbeiten muß, zu unterrichten, daß, je kaͤlter das Wasser, desto leichter ihm die Arbeit, und desto besser sein Product wird. Man glaubte nun auf diese Weise ein Bicarbonat zu erhalten; Hr. Philips zeigte aber, daß man dadurch nur ein Sesquicarbonat erhaͤlt, und kein Bicarbonat. Und so glaubte man nun auch in Amerika, daß die Apotheken an diesem Praͤparate nur ein Sesquisalz besizen. Da ich nun wußte, daß das Verfahren, nach welchem man dasselbe bereitet, von jenem der genannten beiden Collegien und von jenem aller chemischen Schriftsteller abweicht; so untersuchte ich dieses Product, welches auf folgende Weise bereitet wird. Das kohlensaure Natron kommt in seinem gewoͤhnlichen Zustande in eine eigens dazu verfertigte Kiste, und wird, unter Druk, mit einer Atmosphaͤre von kohlensaurem Gas umgeben. Das Salz verschlingt dieses Gas, und da das dadurch entstehende neue Praͤparat sich mit weniger Wasser verbindet, als in dem vorigen damit verbunden war, so sikert eine bedeutende Menge Feuchtigkeit aus demselben aus. Wenn kein Gas mehr verschlungen wird, nimmt man das Salz heraus, und troknet es. Wenn man nun den Apparat nach der Arbeit untersucht, so sieht man, daß das Salz, welches der Einwirkung des Gases ausgesezt war, seine urspruͤngliche Form behielt; daß es aber in seinem Gefuͤge, statt dichter und fester zu werden, poroͤs und zerreiblich wurde. Der glasartige Glanz, der Glanz des Bruches, hat sich verloren; mit einem Worte, das ganze Gefuͤge der Masse beweist deutlich, daß die Salztheilchen eine neue Stellung unter sich angenommen haben. Eine Menge krystallinischer Koͤrner sind jezt zusammengehaͤuft; sie sind schneeweiß geworden, und ihr Geschmak ist kaum mehr alkalisch. Die Vortheile bei dieser Verfahrungsweise sind folgende: 1) die vorlaͤufige Aufloͤsung, die die Medicinal-Collegien befahlen, wird ganz uͤberfluͤssig. 2) man kann in demselben Gefaͤße eine weit groͤßere Masse Salzes behandeln. 3) das in der Folge noͤthige Abdampfen und Krystallisiren, welches die Collegien vorschreiben, wird großen Theils uͤberfluͤssig und man vermeidet den großen Zeitverlust und die Muͤhe, die das Abdampfen einer so großen Menge Wassers verursacht, vorzuͤglich nach der Art, wie das Londoner Collegium es vorschreibt. Diese Vortheile gewaͤhren nun diesem Verfahren mit Recht den Vorzug. Man muß dafuͤr sorgen, daß die Gasentwikelung eine hinlaͤnglich lange Zeit uͤber fortgesezt wird; ohne diese Vorsicht, und wenn die Temperatur nicht zugleich gehoͤrig bei dem Abtroknen geleitet wird, wuͤrde dieses Salz nicht in allen seinen Theilen gleich viel Kohlensaͤure enthalten, wie aus folgenden Versuchen erhellt. 1) 100 Theile im Handel vorkommendes Natron-Bicarbonat wurden mit einem bekannten Gewichte verduͤnnter Schwefelsaͤure behandelt. Es gingen dadurch 49 Theile verloren, und diese waren die Kohlensaͤure. 2) Eine zweite gleich große Menge dieses Salzes wurde eine Stunde lang gegluͤht. Es gingen dadurch 36 Theile verloren, und die noch uͤbrigen 64 Theile verloren, mit schwacher Schwefelsaͤure behandelt, 23 Theile; also in Allem 59 Theile. Das Salz enthielt demnach 10% Wasser. Das gewoͤhnliche Natron-Bicarbonat besteht folglich nach diesen Analysen, welche wiederholt angestellt wurden, und immer dieselben Resultate gewaͤhrten, aus   49 Theilen Kohlensaͤure,   41    – Natron,   10    – Wasser. –––––– 100. Der Durchschnitt zweier Analysen mit einem solchen Salze aus einer anderen Fabrik gab   44 Theile Kohlensaͤure,   41   – Natron,   15   – Wasser. –––––– 100. Eine dritte Untersuchung desselben Salzes aus einer Fabrik, die wegen der Reinheit ihrer Producte beruͤhmt ist, gab Resultate, die jenen der ersteren Analysen gleichkamen, und da diese mit denjenigen stimmen, welche der Ausschuß am Franklin-Institute anstellte, so bin ich geneigt, sie als den genauen Ausdruk der Bestandtheile des Natron-Bicarbonates zu betrachten, das in dieser Stadt gebraucht wird. Es ist zur Sitte geworden, die Resultate der Analysen durch die atomistische Theorie zu verbessern, so daß die Ausspruͤche der einen die Richtigkeit der anderen bestaͤtigen helfen. Ein Blik auf die obigen Resultate zeigt, daß sie nicht mit dem Systeme der Vielfachen stimmen, und da dieses System auf Wahrheit beruht, so scheint es nothwendig, diesen Umstand genauer zu untersuchen. Um ein Bicarbonat zu bilden, haͤtten die 41 Theile Natron 56 Theile kohlensaures Gas aufnehmen sollen, oder 42 um ein Sesquicarbonat zu erzeugen; und doch wurden nur 49 aufgenommen, was gerade die mittlere Zahl zwischen beiden ist. Um zu bestimmen, ob dieses Resultat einer Beimengung von kohlensaurem Natron mit dem Bicarbonate desselben zuzuschreiben ist, wurde ein Theil der frischbereiteten koͤrnigen Masse in einer geringen Menge Wassers abgewaschen und bei einer Temperatur von 38° hundertgr. Th. getroknet, hierauf gepuͤlvert, in ungeleimtes Papier gewikelt, und auf 12 Stunden in die Presse gethan um alles hygrometrische Wasser zu entfernen. Man machte mit derselben folgende Versuche. 1) 50 Gr. mit verduͤnnter Schwefelsaure behandelt erlitten 26 Gr. Verlust, wornach auf 100 Theile 52 Theile Kohlensaͤure kaͤmen. 2) 75 Gr. von aller hygometrischen Feuchtigkeit befreite Weinsteinsaͤure wurden aufgeloͤst, und in eine Aufloͤsung von 85 Gr. gereinigten Salzes gegossen. Nachdem alles Aufbrausen aufhoͤrte, wurde die Aufloͤsung gekocht. Mit Reagenzpapieren gepruͤft zeigte sie kaum eine leichte Spur von uͤberschuͤssigem Alkali, und das weinsteinsaure Natron mußte in der That neutral seyn, wenn die Menge Natron in solchem Verhaͤltnisse vorhanden war, daß ein Bicarbonat gebildet werden konnte. Aus diesen Thatsachen kann man nun schließen, daß dieses Salz ein vollkommenes Bicarbonat war, bestehend aus   52     Theilen Kohlensaͤure,   37,818   – Natron,   10,182   – Wasser. ––––––– 100,000. Dieses Resultat beweiset die Richtigkeit unserer Vermuthung, daß die fruͤheren Resultate durch einen Theil kohlensauren Natrons, welcher mechanisch dem Bicarbonate beigemengt war, getruͤbt wurden. Wenn man die koͤrnige Masse des Apparates herausnimmt um sie abzutroknen, so haͤlt sie noch immer, ihres poroͤsen Gefuͤges wegen, eine hinlaͤnglich große Menge Wassers, welches kohlensaures Natron aufgeloͤst enthaͤlt. Dieses Salz troknet mit der Masse, und, da es gleichfoͤrmig vertheilt ist, vermindert es das relative Verhaͤltniß des kohlensauren Gases. Die Analyse beweist, daß die Mischung auf diese Weise geschieht: sie liefert immer dieselben Resultate, man mag solches Salz nehmen, wie es aus dem Apparate kommt, oder erst nachdem die Masse gepuͤlvert wurde. Ob man nun das Verfahren mit dem Ausdrillen des Salzes unmittelbar nach seiner Bereitung, waͤhrend es noch feucht ist, oder jenes mit Waschen in einer geringen Menge Wassers vorziehen oder beide zugleich anwenden soll; dieß uͤberlasse ich der Entscheidung der Chemiker. Hr. Philips meint, daß Natron-Bicarbonat im trokenen Zustande nicht vorkommen kann, indem es durch das Abtroknen Sesquicarbonat wird. Diese Meinung wird durch Drs. Thomson Versuche widerlegt, welcher reines Bicarbonat dadurch bereitet, daß er eine concentrirte Aufloͤsung von basisch kohlensaurem Natron der Atmosphaͤre einer Braukufe aussezt. Obige Versuche streiten gleichfalls gegen diese Meinung. Ich habe Grund zu glauben, daß das Bicarbonat des Natrons sich mit dem Wasser in zwei verschiedenen Verhaͤltnissen verbindet: Atom fuͤr Atom, und dann Ein Atom auf zwei. Hieruͤber koͤnnen aber nur ausgedehntere Versuche entscheiden. Zur Bereitung des Bicarbonates muß man franzoͤsisches kohlensaures Natron nehmen. Zusaz von Hrn. P. F. G. Boullay. Da uns das von Hrn. Smith angegebene Verfahren seiner Einfachheit wegen sehr merkwuͤrdig schien, so haben wir es im Großen in unserer Mineralwasser-Fabrik am Gros-Caillou wiederholt. Wir haben auch die Producte dieses Verfahrens analysirt. Die Versuche sind vollkommen gelungen und die Resultate stimmten durchaus mit jenen des Hrn. Smith. Die blaͤttrige und feuchte Masse, welche durch die Einwirkung der Kohlensaͤure entsteht, wurde in Papier zusammengedruͤkt, dann mit einer geringen Menge Wassers gewaschen und neuerdings ausgedruͤkt. In diesem Zustande wurde sie der Analyse unterzogen. Man bestimmte einmal die Menge kohlensauren Gases, welche die Schwefelsaͤure daraus entwikelte, und dann die Menge Chloruͤres, welche aus der Behandlung desselben Salzes mit Hydrochlorsaͤure hervorging. 100 Theile dieses Salzes, als troken angenommen, gaben folgendes Verhaͤltniß zwischen Kohlensaͤure und Natron. Kohlensaͤure   58,0, Natron   42,0. –––– 100. Die Theorie gibt fuͤr Natron-Bicarbonat NaO + C⁴O⁴. Kohlensaͤure   58,48, Natron   41,52. –––––– 100,00. Man sieht also, daß man durch dieses Verfahren vollkommen reines Natron-Bicarbonat erhalten kann. Dieselbe Verfahrungsweise laͤßt sich ohne Zweifel mit Vortheil auch zur Bereitung anderer Producte verwenden, z.B. des Natron-Bisulfites etc. etc. Wir wollten das Natron-Bicarbonat, das wir auf diese Weise erhielten, mit dem schoͤnsten englischen Bicarbonate vergleichen, das im Handel vorkommt, und so wohlfeil ist, daß wir die Fabrikation desselben aufgaben. Wir koͤnnen versichern, daß wir kein englisches Fabrikat fanden, das vollkommen gesaͤttigt gewesen waͤre, und daß alles englische Natron-Bicarbonat den Pastillen d'Arcet's einen urinartigen Geruch ertheilt. Außer der Concurrenz, welche fuͤr unsere Fabrik durch den niedrigen Preis des englischen Bicarbonates entstand, war auch noch ein anderer Grund, der unserem Fabrikate Eintrag that: die Krystalle waren nicht so nett und rein gesondert, sondern bildeten weiße krystallinische Massen. Dieser unfoͤrmliche Zustand war eine Folge der Mittel, die man anwendete um das Salz rein zu erhalten; er entstand durch den Druk, den wir auf die krystallinische Masse in dem Apparate wirken ließen, wovon wir im XII. Bd. dieses Journales Beschreibung und Abbildung geliefert haben, und wodurch es von dem Carbonate und Sesquicarbonate, das beigemengt seyn koͤnnte, befreit wird. Wir handelten also hier, ohne uns hieruͤber einen genauen Aufschluß zu geben, auf eine aͤhnliche Weise, wie Hr. Smith zu thun empfiehlt. Dieser unfoͤrmliche Zustand ist also kein Grund, warum ein solches Bicarbonat verworfen werden soll, wenn man die Bereitungsweise desselben kennt, sondern vielmehr ein Grund es vorzuziehen. Aus diesem Grunde, und bei der Leichtigkeit und Wohlfeilheit des neuen Verfahrens des Hrn. Smith, werden wir nun neuerdings im Großen die Fabrikation eines Salzes unternehmen, dessen die Arzneikunde in den neueren Zeiten sich mit so vielem Vortheile bedient.