Titel: Einiges über den gegenwärtigen Zustand der Handelsschiffe in England.
Fundstelle: Band 50, Jahrgang 1833, Nr. XXXV., S. 134
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XXXV. Einiges uͤber den gegenwaͤrtigen Zustand der Handelsschiffe in England. Einiges uͤber den gegenwaͤrtigen Zustand. Unter dem Titel: Sea Burking, to the alarming extent of upwards of two thousand lives annually; with an exposure of further atrocities, exposing an organised system of robbery and murder. By Samuel Seaworthy,“ erschien kuͤrzlich in England eine Broschuͤre, welche, so grelle Farben darin auch bei allen Schilderungen gebraucht seyn, und so viele Uebertreibungen darin vorkommen moͤgen, doch deutlich beweist, wie sehr der Bau der Kauffartheischiffe gegenwaͤrtig in England in Verfall kommt, und welchen schaͤndlichen Unfug das schmuzige Interesse mit Tausenden von Menschenleben treibt. Wir glauben daher unseren Lesern allerdings folgenden interessanten Auszug aus obiger Schrift, der im Mechanics' Magazine No. 514 enthalten ist, vorlegen zu duͤrfen; um so mehr, da sowohl dieser Aufsaz, als ein Artikel, welcher uͤber denselben Gegenstand in Tait's Magazine unter der Aufschrift: das See-Burkisiren Das Wort Burkisiren (burking) ist gegenwaͤrtig in England allgemein gebraͤuchlich, um graͤßliche Mißhandlungen des Menschengeschlechtes zu bezeichnen, Es ist von dem Namen des beruͤchtigten Moͤrders Burke abgeleitet.A. d. Ueb. oder die Geheimnisse von Lloyd's erschien, außerordentliche Sensation erregte. – Der Verfasser gibt naͤmlich unter Anderem folgendes Zweigespraͤch. Welchen Plan wollen Sie also einschlagen, um Schiffbruͤchen und dem Zugrundegehen von Schiffen zur See vorzubeugen? Lediglich den Plan, der seit dem Beginne der Welt noch in keinem Falle seine Wirkung verfehlte, und dieser Plan ist: man mache es zum Interesse der Parteien, sich gute starke Schiffe statt der schlechten zu verschaffen, und zum Interesse der Schiffbaumeister, gute und keine schlechten Schiffe zu erbauen. Wie kann denn der Schiffbaumeister bei dem Baus schlechter schiffe besser fahren, als bei dem Baue guter? Weil er gut gebaute Schiffe nicht mit Vortheil verkaufen kann. Ich habe ein Mal gehoͤrt, daß die sogenannte Classification der Schiffe ganz fehlerhaft sey. Koͤnnen Sie mir etwas hieruͤber sagen? Allerdings. Die besten und staͤrksten Schiffe, welche erbaut werden koͤnnen, werden, wenn sie 12 Jahre gedient, aus der ersten Classe in die zweite zuruͤkgesezt, und andere noch weit fruͤher. Dieses Verfahren wirkt wie ein Bannfluch auf diese Schiffe; denn kein Kaufmann wird, wenn er ein Schiff erster Classe haben kann, seine Maren auf einem Schiffe zweiter Classe verschiffen, indem auf lezterem die Assecuranz viel hoͤher ist. Dieses Verfahren muß natuͤrlich bewirken, daß die Schiffseigenthuͤmer lieber schwache Schiffe erbauen lassen, welche hoͤchstens nur jene Zeit uͤber dauern koͤnnen, waͤhrend welcher sie in die erste Classe gehoͤren. Welches ist nun aber die kuͤrzeste Zeit, waͤhrend welcher Schiffe als Schiffe erster Classe anerkannt werden? Vier Jahre. Und werden wirklich Schiffe gebaut, die nur 4 Jahre dauern sonnen, ohne daß sie verstoßen werden muͤssen? Allerdings. Was kann nun aber der Schiffseigenthuͤmer mit seinem Schiffe thun, wann dasselbe deßwegen, weil es mit keinem Schiffe erster Classe mehr Concurrenz halten konnte, ausgestoßen worden? Denn er kann es weder verkaufen, noch anders als mit Kosten und weiterer Verschlechterung unterhalten. Er laͤßt es fuͤr den ganzen Preis, den es als neu kostete, assecuriren, sendet es auf eine sehr gefaͤhrliche Expedition aus, damit es so schnell als moͤglich zu Grunde gehe, und laͤßt sich dann durch Vermittelung der Assecuranten von dem Publikum dafuͤr bezahlen. Hieraus schiene es also, daß Schiffe ohne alle Ruͤksicht auf Staͤrke und Sicherheit erbaut werden? Dem ist auch wirklich so! Wozu werden denn also Schiffe erbaut? Doch zum Transporte von Menschen und Waaren? Durchaus nicht! Wozu denn sonst? Wie die Rasirmesser von Peter Pindar's Toͤlpel –, zum Verkaufe! Koͤnnen Sie mir ein oder das andere Beispiel anfuͤhren, wie bei den See-Assecuranzen gespielt wird? Diese Sache ist so alltaͤglich, daß ich hieruͤber nicht in Verlegenheit komme. Das Schiff N. N, welches 4000 Pfd. Sterl. kostete, wurde, um auch alle Ausruͤstungen zu deken, fuͤr 6000 Pfd. assecurirt, und dann im Jahre 1813 auf eine Expedition gesendet, welche theils wegen des Krieges, in welchen wir damals mit Frankreich und Amerika verwikelt waren, theils wegen der gefaͤhrlichen Rheden und Haͤfen, welche es zu besuchen hatte, eine sehr gewagte war. Die Fracht wurde fuͤr 6000 Pfd. assecurirt, so daß Schiff und Fracht also fuͤr 12,000 Pfd. in der Assecuranz standen. Gut; forderten die Assecuranten aber bei diesem Risico keine hohe Praͤmie? Allerdings; allein unter der Bedingung, daß sie deren Haͤlfte dem Versicherer wieder zuruͤkerstatten mußten, wenn das Schiff seine Fahrt gluͤklich vollendete. Und was soll nun alles dieß beweisen? Nichts weiter, als das, daß die Schiffseigenthuͤmer gewonnen haben wuͤrden, das Schiff haͤtte moͤgen genommen, in Grund gebohrt oder verbrannt werden, oder gescheitert seyn. Die Eigentuͤmer wuͤrden naͤmlich in allen diesen Fallen 6000 Pfd. rein eingestekt haben, indem sie in diesem Falle die Auslagen der Reise erspart haͤtten; denn die fuͤr die Assecuranz bezahlte Summe war in den fuͤr Ausruͤstung etc. angegebenen 2000 Pfd. enthalten und gedekt. Der uͤbelste Fall fuͤr die Eigenthuͤmer, und der Fall, der auch wirklich eintrat, war der, daß das Schiff gluͤklich zuruͤkkehrte! In diesem Falle machten die Eigenthuͤmer also eigentlich bloß in dem Ueberschusse der Fracht uͤber die Auslagen einen Gewinn, der, wie Sie sagen, ein ehrlicher Gewinn ist? Ja; allein sie ließen sich fuͤr das große Risico sehr große Frachten zahlen, und waren dabei sehr ungluͤklich, daß das Schiff nicht untersank! Und was wurde weiter aus diesem Schiffe? Es hatte auf dem Ruͤkwege einen Lek bekommen, war alt und verfault, keiner Reparatur und uͤberhaupt keinen Kauri werth. Man sendete es daher fuͤr eine Ladung Bauholz aus, und assecurirte es gut. Die Folge war aber, daß es auf dem Ruͤkwege mit Mann und Maus zu Grunde ging! Und wußten denn die Eigenthuͤmer, daß ihr Schiff in so schlechtem Zustande war? Freilich, denn sie wollten dasselbe nicht untersuchen lassen, und ich bin uͤberzeugt, daß sie es absichtlich deßhalb aussandten, damit es zu Grunde gehe. Sie stekten bei dieser Gelegenheit 8000 Pfd. ein, welche aus den Taschen des Publikums gestohlen waren, abgesehen von dem Werthe der Ladung. Hatte denn das Publikum eben so gut fuͤr die Ladung, als fuͤr das Schiff zu bezahlen? Freilich; denn dadurch, daß eine Ladung Holz weniger auf dem Markte ankam, stieg der Preis desselben. Wuͤrde das Publikum diesen Betrag nicht auch verloren haben, wenn das Schiff und die Ladung nicht assecurirt gewesen waͤren? Nein! Denn ohne Assecuranz wuͤrden die Eigenthuͤmer dieses Schiff nicht ausgesendet, sondern dafuͤr ein staͤrkeres genommen haben, bei welchem Schiff, Ladung und, wenn dieß heut zu Tage ja etwas gilt, auch die Bemannung unversehrt geblieben waͤre. Die Assecuranzen befoͤrdern also hiernach offenbar die Schiffbruͤche. Gut. Geben Sie mir nun auch ein anderes, im Frieden vorgefallenes, und mehr offenherziges Beispiel. Ein neues Schiff, welches einer Compagnie angehoͤrte, kostete 3000 Pfd., und wurde auch fuͤr diese Summe versichert. Spaͤter wurde es zu 2000 Pfd., und hierauf zu 1700 Pfd. versichert, um welche Zeit es landete und ausgebessert wurde. Da die Compagnie dasselbe nun nicht weiter brauchte, so verkaufte sie es um den Marktpreis, der unter 1300 Pfd. betrug. Alles dieß erfolgte innerhalb drei Jahren, und das Schiff war nach dieser Zeit, außer daß es um drei Jahre aͤlter geworden, und nur die gewoͤhnliche Abnuͤzung erfahren hatte, beinahe eben so gut, als es war, als es vom Stapel gelassen wurde. Hieraus erhellt nun aber, daß, wenn 1300 Pfd. den eigentlichen Marktpreis des Schiffes vorstellten, die Eigentuͤmer bei der Assecuranz zu 3000 Pfd. bei dem Verluste des Schiffes 1700, bei der Assecuranz zu 2000 Pfd. noch 700 Pfd., und bei der Assecuranz zu 1700 Pfd. noch 400 Pfd. gewonnen haben wuͤrden. Alles dieß beweist aber nur, daß diese Schiffe hoͤher als zu ihrem wirklichen Werthe assecurirt wurden, und daß deren Werth rasch abnahm? Allerdings; es zeigt es aber auch, wie leicht es ist sein Eigenthum hoͤher anzuschlagen, als es dem Marktpreise nach werth ist, und wie sehr es im Interesse dieser Eigenthuͤmer ist, wenn ihr Schiff zu Grunde geht. Man hebe die Assecuranz auf, und dieses Interesse wird gerade ein entgegengeseztes werden, wie dieß bei der koͤniglichen Marine und jenen Handelsschiffen der Fall ist, welche nicht versichert sind. Der Eigenthuͤmer wird dann fuͤr die gluͤkliche Ankunft seines Schiffes eben so besorgt seyn, als er gegenwaͤrtig darum unbekuͤmmert ist. Mehr als die Haͤlfte der Schiffbruͤche und der dadurch entstehenden Verluste an Guͤtern sind lediglich die Folge unseres Assecuranzsystemes, welches eine der ungerechtesten von jenen Taren ist, die zum Vortheile der Parteien aus dem Saͤkel des Publikums gestohlen werden, und welches eine ergiebige Quelle von Meineid, Betrug, Raub, Mord und Todschlag im Großen abgibt!