Titel: Ueber die Fabrikation der weißen schäumenden Weine von Aï. Von Hrn. Boyer, ehemaligem Controleur der indirecten Steuern.
Fundstelle: Band 53, Jahrgang 1834, Nr. XLIX., S. 296
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XLIX. Ueber die Fabrikation der weißen schaͤumenden Weine von Aï. Von Hrn. Boyer, ehemaligem Controleur der indirecten Steuern.Wir ersuchen unsere Leser uͤber diesen Artikel nachzulesen, was im Polyt. Journale Bd. XXXVI. S. 289 und in den Noten daselbst geschrieben steht. Auch machen wir sie hiebei wiederholt auf den Aufsaz des Hrn. J. C. Keßler, dieses Virtuosen in der deutschen Champagnerfabrikation, im Polytechn. Journale Bd. XXXVII. S. 144 aufmerksam. A. d. R. Aus dem Bulletin de la Société d'encouragement. Februar 1834, S. 76. Fabrikation der weißen schaͤumenden Weine von Aï. Man waͤhlt zur Bereitung des weißen schaͤumenden Weines von Aï mit Sorgfalt die reifsten und vollkommensten schwarzen Trauben; die weißen Trauben werden nur zu gewoͤhnlichem Weine verwendet. Nachdem alle vertrokneten, gefaulten oder zerquetschten Beeren weggeschafft, legt man die Trauben in große Koͤrbe, die man, nachdem sie durch gehoͤrige Bedekung gegen die Sonnenhize geschuͤzt worden, und um sie so wenig Erschuͤtterungen als moͤglich auszusezen, auf dem Ruͤken von Pferden in den in der Naͤhe der Presse befindlichen Hofraum oder Garten schafft, und daselbst in den Schatten stellt. Wenn die Luft durch die Sonne zu sehr erhizt, und die Trauben zu troken seyn sollten, so besprizt man die Koͤrbe leicht mit Wasser, damit keine Gaͤhrung eintrete, und damit der Wein bei der Fabrikation keinen Stich in's Gelbliche erhalte. Man waͤscht und reinigt nun die Buͤtte sehr sorgfaͤltig, untersucht die Schraubenmuttern und die Schrauben der Presse, und schmiert dieselben ein, wozu man entweder ein Gemenge aus Oehl und Bleierz (mine de plomb) oder bloß Seife nimmt. Nach diesen vorlaͤufigen Operationen schafft man die Koͤrbe mit den Trauben, die nicht abgebeert werden, in das Local der Presse. Die Trauben werden am Abend des Tages, an welchem sie gepfluͤkt wurden, oder den naͤchsten Morgen in die Buͤtte gebracht; die Ladung der Presse ist je nach ihrer Kraft und nach ihrer Groͤße verschieden: d.h. sie wechselt von 20 bis zu 40 Koͤrben. 40 Koͤrbe Trauben geben 9 bis 10 Stuͤk weißen Wein, jedes Stuͤk zu 200 Flaschen gerechnet. Man nennt diese Operation die Bildung eines Einsazes fuͤr einen Siker (formen un marc de raisin pour faire un sac). Ist der Einsaz gebildet, so gibt man hinter einander drei Ducke oder Pressen (serres), von denen jede beilaͤufig 25 bis 30 Minuten dauert; zusammengenommen gibt dieß eine Dauer von hoͤchstens 1 1/2 Stunde, denn bei laͤngerer Dauer wuͤrde die Farbe des Weines Schaden leiden. Der Saft, der von selbst aus den Trauben ablaͤuft, wird der Vorlauf (mère-goutte) genannt. Als zweite Operation kommt das Nachlassen der Presse. Man nimmt hiebei von der Oberflaͤche der Fluͤssigkeit oder des Mostes alle Unreinigkeiten, so wie auch die Baͤlge der Trauben, welche ausgepreßt wurden und die Oberflaͤche derselben bedeken, ab: ein Geschaͤft, welches bei jedem Druke neuerdings wieder zu geschehen hat. Zugleich stuzt man die Raͤnder des Einsazes, der durch den Druk breiter geworden und seine Form veraͤndert hat, ein, und wirft die abgestuzten Theile auf die Masse des Einsazes. Nach dem ersten Druke schreitet man auf gleiche Weise zu einem zweiten und dritten. Den Wein vom ersten und zweiten Druke nennt man in der Winzersprache Vin de pressoir en pur noir. Da nach diesem Pressen noch viel Most in den Trestern zuruͤkbleibt, so gibt man diesen einen neuen Anschnitt und einen Druk, den man den ersten Schnitt (première taille) nennt, und dessen Resultat oft noch unter den ausgewaͤhlten Wein gemengt wird. Nach dem Abtropfen gibt man dann einen zweiten Druk, den man den zweiten Schnitt (seconde taille) nennt, und der den sogenannten Vin de tisane gibt. Wird auch noch ein dritter Druk gegeben, so erhaͤlt man dadurch einen schwachen und harten oder reschen Wein. Der bei jedem Druke ausgepreßte Traubensaft fließt in eine kleine Kufe, welche zu diesem Behufe unter die Presse gestellt wird, und welche die Winzer mit dem Namen barlon bezeichnen. Der durch die drei ersten Druke gewonnene Wein wird Vin d'élite, Vin de choix (ausgesuchter Wein), und mit Unrecht auch Vin de cuvée (Buͤttenwein) genannt. Diesen Wein gibt man in eine Kufe, in der man ihn uͤber Nacht stehen laͤßt, damit er die ersten Hefen, welche man als die erste nach dem Pressen eintretende Gaͤhrung betrachtet, abseze. Um diese Zeit wird der Wein weiß. Das Bestehen dieser ersten Gaͤhrung wird durch die Gegenwart eines Schleimes oder schwebender Hefen (im Franzoͤsischen Cotte genannt), die sich auf der Oberflaͤche des Mostes bilden, angedeutet. Wenn der Wein klar geworden, kann man den Boden der Kufe erbliken. Nach dem Pressen und nach den angedeuteten Operationen tragen die Winzer den Wein zum Fuͤllen; dieß geschieht in Poinçons, welche, nachdem sie gehoͤrig ausgewaschen, auch geschwefelt worden. Zugleich gießen die Fabrikanten gewoͤhnlich auch eine Flasche Cognac in jedes Faß, um dem Weine mehr Kraft zu geben und einer zu starken Gaͤhrung vorzubeugen; uͤberdieß wird dem Weine hiedurch auch seine Suͤße (liqueur) erhalten. Der Wein vom ersten Druke wird zuerst gefuͤllt und bei Seite gelegt, dann kommt der Wein vom zweiten und dritten Druke, und endlich der zulezt ausgepreßte, den man Vin de rébéchage nennt, weil die Winzer die Trestern vor diesem lezten Auspressen umarbeiten (rébécher, détasser). Zu bemerken ist, daß man in einigen Gegenden nur drei, rasch auf einander folgende Pressen, und in anderen deren gar nur zwei gibt; nie duͤrfen jedoch alle drei Operationen zusammengenommen uͤber 1 1/2, Stunden dauern. Der weiße, in die Poinçons gebrachte Wein tritt zuerst in tumultuarische Gaͤhrung, welche jedoch nach und nach in eine unmerkliche Gaͤhrung uͤbergeht. Gegen das Ende Decembers hat sich der Wein gehoͤrig abgearbeitet; er wird klar, und kann dann bei trokener Witterung und einem leichten Froste abgezogen werden. Der Wein soll bis zum Fuͤllen der Flaschen immer in einer gleichmaͤßigen Temperatur erhalten werden; denn dann erhaͤlt man einen gleich reinen Wein. Zum Schoͤnen oder Klaͤren des weißen sowohl als des rosenrothen schaͤumenden Weines, von welchem weiter unten gleich die Sprache seyn wird, bedient man sich russischer oder Marseiller Hausenblase, die man mit etwas Weinsteinrahm, oder bei rothen, schwer zu klaͤrenden Weinen auch mit etwas Alaun in Wasser aufloͤst. Das Gemenge wird naͤmlich in Wasser eingeweicht, und darin mit den Fingern und den Haͤnden abgeknetet. Ein Quentchen Hausenblase reicht per Stuͤk Wein hin. Im Monat Maͤrz wird der Wein zum zweiten Male abgezogen, und wenn man es noͤthig finden sollte, noch ein Mal geschoͤnt, wozu man jedoch weniger Schoͤne nimmt, als das erste Mal. Das zweite Abziehen geschieht gewoͤhnlich vierzehn Tage bevor man den Wein in Flaschen fuͤllt. Um den Wein, wie man zu sagen pflegt, reicher zu machen, sezt man ihm eine Fluͤssigkeit zu, die man sich aus Candiszuker und geklaͤrtem weißen Weine bereitet. Will man, wie oben erwaͤhnt worden, rosenfarbenen Wein erzeugen, so zerquetscht und entbeert man die Trauben zum Theil, ruͤhrt sie um, und laͤßt sie gaͤhren, um ihnen hierauf dieselben Druke oder Pressen zu geben; endlich laͤßt man diesen Wein auf Trauben stehen, die ihm die Farbe mittheilen. Das Fuͤllen des Weines in Flaschen geschieht gegen Ende Maͤrz; die Koͤrke werden mit gewoͤhnlichem Spagate und mit einem Eisendrahte gebunden, worauf man die Flaschen in Haufen legt. Man legt naͤmlich zwei Latten in horizontaler und paralleler Richtung auf den Boden, und zwar in solcher Entfernung von einander, daß die beiden Enden der Flaschen dadurch fixirt werden; auf diese Flaschenreihe legt man in umgekehrter Richtung eine zweite Reihe von Flaschen, worauf man dann abermals zwei Latten und Flaschen legt etc., bis der Haufen die verlangte Hoͤhe erreicht hat. Die Hoͤhe dieser Haufen, welche eine senkrechte ist, betraͤgt gewoͤhnlich 3 bis 4 Fuß, d.h. man legt 10 bis 14 Flaschenboden uͤber einander; die Laͤnge und Breite ist beliebig; doch laͤßt man nach einer Breite von zwei Flaschen gewoͤhnlich einen Zwischenraum von einem Finger, damit die Luft freier circuliren kann. Das Zerspringen der Flaschen beginnt gewoͤhnlich im Monat April; es waͤhrt im Mai und manchmal bis zur Ernte fort. Dieses Zerspringen, welches noch nicht genug studirt ist und von der Gaͤhrung herruͤhrt, wird dem Fabrikanten nur dann nachtheilig, wenn es uͤber 20 Procent betraͤgt.Hr. Herpin hat beobachtet, daß dieses Zerspringen um Vieles vermindert werden kann, wenn man die Flaschen waͤhrend der ganzen, zur Reinigung der Fluͤssigkeit noͤthigen Zeit nur auf 2/3 oder 3/4 gefuͤllt erhaͤlt.A. d. O. Erst ein Jahr lang nach dem Fuͤllen der Flaschen kann man an die Entfernung des in der Flasche gebildeten Bodensazes denken. Man bringt die Flaschen zu diesem Behufe auf Rechen oder auf Bretter mit ovalen laͤnglichen Loͤchern, und gibt ihnen eine Neigung gegen den Hals, welche beilaͤufig 30 Grade betraͤgt. Will man den Bodensaz, der sich angesammelt hat, fixiren, so dreht man die Flasche, ohne daß man sie von der Stelle bewegt, so sachte als moͤglich um den dritten Theil ihres groͤßten Durchmessers, und wiederholt dieses Verfahren den naͤchstfolgenden, so wie auch den dritten Tag darauf. Diese drei Umdrehungen zwingen, wenn sie mit Gewandtheit vollbracht werden, den Bodensaz, sich in der Mitte zu sammeln; und gibt man dann der Flasche eine gehoͤrige Neigung, so sezt er sich an dem Korke fest.Noch vor 13 Jahren nahm man die Flaschen in die Hand und schuͤttelte sie; dieses Schuͤtteln ließ, wenn es auch noch so vorsichtig geschah, den Wein nie ganz klar werden. Das neuere hier angegebene Verfahren verdankt die Champagne vier Deutschen, die es der Madame Cliquot in Rheims, welche mehrere Jahre hindurch großen Vortheil daraus zog, mittheilten.A. d. O. Ist der Bodensaz am Korke fixirt, so nimmt man eine Flasche um die andere, und untersucht, ob sie vollkommen klar ist, d.h. ob sie keine Spur eines sogenannten Volland, worunter man in der Kunstsprache Fleken des schwarzen Bodensazes versteht, hat. Ist dieß der Fall, so schreitet man zum Entfernen des Bodensazes. Der Arbeiter, der dieses Geschaͤft vollbringt, nimmt naͤmlich eine Flasche um die andere, legt sie an den linken Arm und haͤlt sie, nachdem er sie umgekehrt, in senkrechter Stellung. Dann durchbricht er mit einem Haken, den er in der rechten Hand haͤlt, schnell den Spagat und den Draht, womit der Kork befestigt ist; durch die hiebei erfolgende Erschuͤtterung dehnt sich das Gas aus, so daß der Kork aus der Flasche getrieben wird, wo dann der Bodensaz in demselben Augenblike in einen zu diesem Zweke bereit gehaltenen Behaͤlter faͤllt. Wenn der Arbeiter glaubt, es habe sich aller Bodensaz entleert, so kehrt er die Flasche mit einem schnellen Handgriff um, und untersucht, ob der Wein vollkommen klar ist; und ist dieß der Fall, so uͤbergibt er sie dem Arbeiter, der mit dem Wiederanfuͤllen des durch Entfernung des Bodensazes entstandenen leeren Raumes beauftragt ist. Dieses Auffuͤllen geschieht entweder mit vollkommenem Weine, wie er im Handel vorkommt, oder mit Branntwein, wovon man 1 bis 1 1/2 2 und selbst 4 Procent nimmt. Nach dem Auffuͤllen wird die Flasche mit einem neuen, ausgesuchten Stoͤpsel, den man mit Huͤlfe eines eigenen Mechanismus, welcher mit dem Fuße in Bewegung gesezt wird, duͤnner macht, und den der Arbeiter mit der rechten Hand in diesen Apparat dreht, zugepfropft. Bedient man sich schon gebrauchter Stoͤpsel zum Zupfropfen, so muͤssen die Stoͤpsel vorher in Branntwein eingeweicht werden. Das Verbinden der Flaschen geschieht ganz auf dieselbe Weise, wie das erste Mal. Nach dieser Behandlung legt man die Flaschen abermals in Haufen, damit der Wein sich neuerdings reinige; und wird er hiedurch noch nicht klar und hell, so gibt man ihn unter den Ausschuß. Erst 15 bis 18 Monate nach dem Fuͤllen der Flaschen kann der Wein in den Handel gebracht werden. Ein guter und gehoͤrig zubereiteter Champagner haͤlt sich 18 bis 20 Jahre lang. Der Wem von Aï ist von Natur aus und ohne Zusaz ein schaͤumender Wein, wenn er nicht zu zukerhaltig (liquoreux) ist. Da er jedoch ohne Zusaz zu theuer ist, und da man uͤberdieß die Nachfrage nach demselben nicht befriedigen koͤnnte, so mußte man mehrere Zusaͤze probiren, bis man endlich auf die gegenwaͤrtig gebraͤuchliche Zusammensezung kam. Eine sogenannte Buͤtte (cuvée) der Champagnerfabrikanten wird naͤmlich aus Wein von Aï, Pierry, Verzenay, Craman und Avize zusammengesezt, und dazu nimmt man 6/12 Wein von Aï. Das Verhaͤltniß der uͤbrigen 6/12 ist nicht bestimmt, indem es, wie es scheint, von der Natur und Beschaffenheit des Weines von Aï abhaͤngt. Der Wein von Aï ist sehr geistig und sehr suͤß (liquoreux); jener von Vergenay ist ein Capitalwein (capiteux) und troken, er verhindert den Schmer oder das Schwerwerden des Weines; jener von Craman ist von Natur aus sehr suͤß, fuͤr sich allein wuͤrde er leicht schmierig werden, und man wendet ihn daher hauptsaͤchlich nur wegen seines dem Muscat aͤhnlichen Geschmakes an. Die uͤbrigen Weine, welche das Product von weißen, saͤuerlichen Trauben sind, haben die Eigenschaft, den Wein von Aï zu entfetten, und zu dessen Mousse beizutragen.