Titel: Ueber die Zusammensezung der bleichenden Verbindungen des Chlors; von Hrn. Balard in Montpellier.
Fundstelle: Band 55, Jahrgang 1835, Nr. LXVII., S. 358
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LXVII. Ueber die Zusammensezung der bleichenden Verbindungen des Chlors; von Hrn. Balard in Montpellier. Aus dem Journal de Pharmacie. Decbr. 1834, S. 661. Balard, uͤber die Zusammensezung der bleichenden Verbindungen des Chlors. Hr. Balard hat kuͤrzlich eine Schrift von ziemlichem Umfange uͤber die bleichenden Verbindungen des Chlors herausgegeben. Bei der Wichtigkeit des Gegenstandes und der ausgezeichneten Behandlungsweise desselben bedauern wir sehr, unseren Lesern nur einen Auszug aus derselben mittheilen zu koͤnnen, werden jedoch keine der bemerkenswertheren Thatsachen, die sie enthaͤlt, mit Stillschweigen uͤbergehen. Im Eingange fuͤhrt Hr. Balard kurz die zahlreichen Anwendungen des Chlors und seiner entfaͤrbenden Verbindungen in der Technik und Medicin an. Im ersten Paragraph werden die verschiedenen Ansichten, welche bis jezt uͤber die noch Ungewisse Zusammensezung dieser Verbindungen aufgestellt wurden, gewissenhaft eroͤrtert. Wir werden aus diesem Theile der Schrift, der nur Bekanntes enthaͤlt, nichts mittheilen, sondern sogleich zur Beschreibung der Verfahrungsarten uͤbergehen, wodurch sich nach Hrn. Balard die chlorige Saͤure erhalten laͤßt. Erst nach vielen fruchtlosen Versuchen gelang es ihm, diese Saͤure zu erhalten, welche man vor ihm, ohne Erfolg aufgesucht hatte. Wenn man annimmt, sagt er, daß die sogenannten Oxydchloruͤre nur Gemenge von Chloriden mit chlorigsauren Salzen sind, so faͤllt es in die Augen, daß ihre Zusammensezung leicht auszumitteln waͤre, wenn es gelaͤnge, diese beiden Salze von einander zu trennen, und daß diese Trennung nur dann moͤglich ist, wenn man ein Metall ausfindig macht, welches mit dem Chlor ein unaufloͤsliches, mit der chlorigen Saͤure hingegen ein aufloͤsliches Salz bildet. Da nur das Blei, Queksilber und Silber unaufloͤsliche Chloride bilden, so stellte Hr. Balard mit diesen Versuche an. Als die Blei- und Queksilbersalze mit Chlorkalk oder Chlornatron behandelt wurden, entstanden Niederschlaͤge von Chlormetallen, und die uͤberstehenden Fluͤssigkeiten zeigten sich stark entfaͤrbend; die in ihnen enthaltenen Verbindungen zersezten sich aber so schnell, daß Hr. Balard ihre Untersuchung aufgeben und sich zu den Silbersalzen wenden mußte, womit er jedoch nicht viel genuͤgendere Resultate erhielt. Versezt man naͤmlich salpetersaures Silber mit alkalischem Chlorkalk, so faͤllt Chlorsilber und Silberoxyd nieder, und in der Fluͤssigkeit bleibt chlorigsaures Silber aufgeloͤst; da dieses chlorigsaure Salz aber in Beruͤhrung mit Silberoxyd nicht bestehen kann, so bildet sich sogleich wieder eine Quantitaͤt Chlorsilber, und es entwikelt sich Sauerstoffgas. Ist der Chlorkalk hingegen mit Salpetersaͤure uͤbersaͤttigt, wenn er mit dem Silbersalze in Beruͤhrung kommt, so entwikelt sich Chlor und das chlorigsaure Salz verschwindet. Bei Anwendung von neutralem Chlorkalk endlich erhaͤlt man zwar einen Niederschlag von Chlorsilber, und die uͤberstehende Fluͤssigkeit ist in hohem Grade entfaͤrbend; aber das in dieser Fluͤssigkeit enthaltene chlorigsaure Salz ist auch noch so zersezbar und unbestaͤndig, und verwandelt sich so schnell in chlorsaures Salz und Chlorid, daß Hr. Balard es zu schwierig fand, die chlorige Saͤure daraus auszuziehen. Gluͤklicher Weise erhielt er durch die directe Einwirkung von Chlor auf in Wasser zertheiltes Silberoxyd eine stark entfaͤrbende Aufloͤsung von chlorigsaurem Silber, die weniger zersezbar war, als die vorhergehenden: er schlug die Basis aus diesem chlorigsauren Salze durch einen schwachen Ueberschuß von Chlor nieder und erhielt so wieder Chlorsilber und eine Aufloͤsung von chloriger Saͤure. Die so bereitete Aufloͤsung ist jedoch noch keine reine chlorige Saͤure; sie enthaͤlt im Gegentheile eine sehr große Menge Chlorsaͤure, die durch die unvermeidliche Veraͤnderung eines Theiles der chlorigen Saͤure selbst entsteht. Allein leztere Saͤure besizt eine so große Fluͤchtigkeit, daß man sie von den verschiedenen Verbindungen, womit sie vermischt ist, leicht trennen kann. Um sie zu reinigen, destillirt man sie bei einer niedrigen Temperatur im luftleeren Raume; die ersten Daͤmpfe bestehen aus chloriger Saͤure, welche mit vielem Wasser verduͤnnt ist; um sie mehr zu concentriren, unterzieht man sie einer zweiten Destillation, wobei man nur die ersten Producte aufsammelt. Auf diese Art erhielt Hr. Balard zuerst die chlorige Saͤure; spaͤter wandte er mit besserem Erfolge das rothe Queksilberoxyd statt des Silberoxyds an. Er blieb am Ende bei folgendem Verfahren stehen: Rothes Queksilberoxyd wird fein gepulvert und mit seinem zwoͤlffachen Gewicht Wasser angeruͤhrt, in Glasflaschen, die mit Chlorgas gefuͤllt sind, gegossen; die Absorption erfolgt so schnell und so vollstaͤndig, daß die Flaschen bisweilen in Folge des entstandenen luftleeren Raumes zerbrechen. Nachdem sie beendigt ist, filtrirt man die Fluͤssigkeit; das Queksilberoxyd-Chloruͤr bleibt auf dem Filter, und man erhaͤlt eine Aufloͤsung von chloriger Saͤure, die man dann durch Destillation reinigt und concentrirt. Eigenschaften der in Wasser aufgeloͤsten chlorigen Saͤure. Die Aufloͤsung der chlorigen Saͤure bildet eine durchsichtige Fluͤssigkeit; im concentrirten Zustande ist sie schwach gelb gefaͤrbt. Ihr starker und durchdringender Geruch naͤhert sich dem von Davy's Chlordeutoxyd. Sie greift die Oberhaut staͤrker als die Salpetersaͤure an und ertheilt ihr eine roͤthlichbraune Farbe. In concentrirtem Zustande zersezt sie sich selbst bei der gewoͤhnlichen Temperatur zum Theil, und zwar in Chlor, das sich entbindet, und in Chlorsaͤure; wenn sie aber verduͤnnt und gegen das Licht verwahrt ist, kann man sie einige Zeit lang aufbewahren. Die chlorige Saͤure zersezt sich um so schneller von selbst, je hoͤher die Temperatur ist; indessen erfolgt die Zersezung auch bei 100° nur zum Theil, und man kann sie bei dem gewoͤhnlichen Druke destilliren. Durch die Einwirkung der Sonnenstrahlen zersezt sie sich in Chlor und in chlorige Saͤure. Bringt man sie in den Kreis der Volta'schen Saͤule, so entbindet sich bloß Sauerstoff am positiven Pole, und, was merkwuͤrdig ist, die unzersezte Saͤure geht nicht in Chlorsaͤure uͤber; nach Verlauf einer gewissen Zeit findet man mit Sauerstoff vermischtes Chlor. Wahrscheinlich, sagt Hr. Balard, werden unter diesen Umstaͤnden die chlorige Saͤure und das Wasser gleichzeitlich zersezt, so daß sich Chlorwasserstoffsaͤure bildet, die dann auf die chlorige Saͤure wirkt und Chlor liefert. Das Brom und Iod saͤuern sich auf Kosten der chlorigen Saͤure, so daß entweder bloß Brom- und Iodsaͤure oder ein Gemenge derselben mit Chlorbrom und Chlorjod entsteht, je nach den angewandten Verhaͤltnissen. Stikgas und Wasserstoffgas haben keine Wirkung auf die chlorige Saͤure; der Schwefel, das Selen, der Phosphor und Arsenik verwandeln sich aber in Beruͤhrung mit derselben in Schwefelsaͤure, Phosphorsaͤure, Selensaͤure und Arseniksaͤure, wobei sich eine reichliche Menge Chlor entbindet. Der Kohlenstoff hat keine Wirkung auf die chlorige Saͤure: wirft man Kalium in diese Saͤure, so verbrennt es augenbliklich und die Fluͤssigkeit enthaͤlt Chlorkalium und chlorsaures Kali. Eisenfeile zersezt die chlorige Saͤure augenbliklich unter starker Erhizung und lebhafter Chlorentbindung; es entsteht dabei Eisenoxyd und Chlorid; das Eisen ist merkwuͤrdiger Weise beinahe das einzige Metall, welches die chlorige Saͤure zersezt; die uͤbrigen thun es nur mit Huͤlfe einer anderen Saͤure, welche noch dazu von der Art seyn muß, daß sie mit dem Metalloxyd ein aufloͤsliches Salz bilden kann. Gold und Platin scheinen durch die chlorige Saͤure gar nicht angegriffen zu werden, dieselbe mag rein oder mit einer anderen Saͤure vermischt seyn; das Kupfer, Queksilber und Silber hingegen zersezen sie, jedes auf eigenthuͤmliche Art. Das Kupfer entbindet Chlor, mit Sauerstoff vermengt, wobei Chlorkupfer und Kupferoxydchloruͤr entstehen. Bei dem Queksilber zeigt sich keine Gasentbindung und es entsteht Queksilberoxydchloruͤr. In Beruͤhrung mit fein zertheiltem Silber entwikelt die chlorige Saͤure schnell ihren Sauerstoff und es bildet sich Chlorsilber. Die chlorige Saͤure scheint also eines der kraͤftigsten Oxydationsmittel zu seyn; das Selen verwandelt sie, wie wir gesehen haben, geradezu in Selensaͤure, was weder Salpetersaͤure noch Koͤnigswasser thun. Es verdient noch bemerkt zu werden, daß die chlorige Saͤure durch ihren Sauerstoff und nicht durch das Chlor auf die einfachen und zusammengesezten brennbaren Koͤrper wirkt. Bringt man in eine mit Cyan gefuͤllte Glasflasche einige Tropfen chlorige Saͤure, so entsteht ein lebhaftes Aufbrausen, und die Flasche fuͤllt sich mit Chlor. Die Producte bestehen aus einem Gemenge von Chlorcyan und Chlorstikstoff, welches eine oͤhlartige Fluͤssigkeit bildet, ferner aus Salzsaͤure, Cyansaͤure, und einem Gemenge von Chlor mit Stikstoff und Kohlensaͤure, worin Chlorcyan in Dampfform aufgeloͤst ist. Hr. Balard untersuchte das Verhalten der chlorigen Saͤure zu den verschiedenen Bromiden, Sulfuriden und Hydraten der einfachen nichtmetallischen Koͤrper, so wie zur Blausaͤure, und uͤberzeugte sich dadurch immer mehr, daß diese Saͤure eines der kraͤftigsten Oxydationsmittel ist und im Gegentheile nicht leicht durch das in ihr enthaltene Chlor wirkt. Die chlorige Saͤure bringt fast immer die Sauerstoffverbindungen auf ihre hoͤchste Oxydationsstufe; das Kohlenoxydgas wird durch sie gar nicht veraͤndert; wirft man aber ein Stuͤk Kleesaͤure in maͤßig concentrirte chlorige Saͤure, so entsteht eine starke Erhizung und ein lebhaftes Aufbrausen von Kohlensaͤure und Chlor. Die chlorige Saͤure verwandelt die meisten nicht mit Sauerstoff gesaͤttigten Metalloxyde in Peroxyde und hat keine Wirkung auf diejenigen, welche nicht hoͤher oxydirbar sind. Das Bariumdeutoxyd fuͤhrt sie aber auf das Protoxyd zuruͤk und bildet mit ihm ein chlorigsaures Salz. Laͤßt man chlorige Saͤure auf ein bromsaures oder ein essigsaures Salz wirken, so werden diese Saͤuren zum Theil ausgetrieben; es entwikelt sich Chlor, mit ein wenig Sauerstoff vermengt, und es entsteht chlorsaures Kali. Zu den Salzen verhaͤlt sich die chlorige Saͤure im Allgemeinen so, als wenn ihre Saͤuren und ihre Basen frei waͤren. Hr. Balard brachte eine große Menge vegetabilischer und animalischer Verbindungen in Beruͤhrung mit chloriger Saͤure und fand, daß fast in allen Faͤllen eine sehr lebhafte Einwirkung mit Entbindung von Chlor und Kohlensaͤure Statt fand. Wenn die Substanz Stikstoff enthaͤlt, wird derselbe frei, wobei sich zugleich ein Geruch nach Chlorstikstoff verbreitet. Vermischt man Alkohol mit chloriger Saͤure, so verwandelt er sich in Essigsaͤure und man erhaͤlt zugleich eine gewisse Menge von der oͤhligen Fluͤssigkeit, welche durch Einwirkung von Chlor auf Alkohol entsteht. Koͤnnte man nicht, sagt Hr. Balard, mit einem so kraͤftigen Oxydationsmittel, wie es die chlorige Saͤure ist, welche sogar die Salpetersaͤure weit uͤbertrifft, durch seine Einwirkung auf die unorganischen Verbindungen einige neue Produkte erhalten? Dieses behalte ich mir vor spaͤter zu untersuchen. Ueber das chlorigsaure Gas. Nachdem Hr. Balard die Beobachtung gemacht hatte, daß eine Aufloͤsung von chloriger Saͤure in Wasser, an der Luft bald ihre Farbe und ihren Geruch verliert, ohne Sauerstoff oder Feuchtigkeit daraus aufzunehmen, glaubte er, diese Saͤure auch im gasfoͤrmigen Zustande erhalten zu koͤnnen. Er erhizte also eine solche Aufloͤsung gelinde und sammelte das sich entbindende Gas uͤber Queksilber auf; er erhielt aber auf diese Art nur einige Blasen und die Fluͤssigkeit hatte, nachdem sie einige Zeit beinahe bis zum Sieden erhizt worden war, von ihren Eigenschaften nicht merklich verloren. Nach diesem mißlungenen Versuche suchte er der chlorigen Saͤure ihr Wasser durch Schwefelsaͤure zu entziehen, erhielt aber auf diese Art nur ein Gemenge von Chlordeutoxyd mit Chlor und Sauerstoff, welche durch die Wirkung der Schwefelsaͤure auf die chlorige Saͤure selbst entstehen. Mit trokenem, salpetersaurem Kalke erreichte er seinen Zwek besser; er vermischte eine concentrirte Aufloͤsung von chloriger Saͤure mit einem gleichen Gewichte dieses Salzes, wobei sich mit Aufbrausen ein Gas entwikelte, welches in Wasser aufgeloͤst wieder alle Eigenschaften der fluͤssigen chlorigen Saͤure darbot. Versucht man dieses Gas uͤber Queksilber aufzufangen, so wird das Metall angegriffen, und man erhaͤlt dann nur noch Sauerstoffgas bisweilen ist die Absorption sogar vollstaͤndig. Um das Gas unveraͤndert sammeln zu koͤnnen, muß man folgender Maßen verfahren: Man bringt in den oberen Theil einer mit Queksilber gefuͤllten Gloke ungefaͤhr 1/50 ihres Volumens concentrirte chlorige Saͤure und fuͤhrt dann allmaͤhlich Stuͤke von trokenem salpetersaurem Kalk hinein; das Gas entwikelt sich mit Aufbrausen und die Aufloͤsung des salpetersauren Kalkes verhindert es, das Queksilber zu beruͤhren. Man kann es uͤbrigens, wenn man rasch verfaͤhrt, von einer Gloke in eine andere uͤberfuͤhren, ohne daß es durch das Queksilber merklich veraͤndert wird. Das chlorigsaure Gas hat eine etwas dunklere gelbe Farbe als das Chlor; das Queksilber verschlukt es vollstaͤndig und verwandelt sich in Oxydchloruͤr. Wasser loͤst davon schnell wenigstens sein hundertfaches Volumen auf. Bei einer erhoͤhten Temperatur zersezt es sich mit Explosion und sehr lebhaftem Lichte. Es scheint durch die Waͤrme schwieriger zersezbar zu seyn, als die Chloroxyde; doch detonirt es bisweilen, wenn man es in ein anderes Gefaͤß uͤberfuͤhrt. Daher muß man auch bei seiner Bereitung den salpetersauren Kalk nur in kleinen Quantitaͤten zusezen, damit sich die Temperatur durch seine Aufloͤsung nicht zu sehr erhoͤht. Das Sonnenlicht zersezt es in einigen Minuten ohne Detonation; wenn es aber mit Wasserstoffgas gemengt ist, zersezt es sich bei Annaͤherung einer Kerzenstamme mit einer starken Detonation, wobei reichliche salzsaure Daͤmpfe entstehen. Durch Kohle detonirt es augenbliklich, und man erhaͤlt ein Gemenge von Chlor mit Sauerstoff, welches nur sehr wenig Kohlensaͤure enthaͤlt, wodurch es wahrscheinlich wird, daß diese Zersezung nur durch die Waͤrme entsteht, welche bei dem Eindringen des Gases in die Poren der Kohle frei wird. Bringt man es in einem engen Standglase mit Stuͤken von verschiedenen Metallen in Beruͤhrung, so wird es langsam verschlukt und es entsteht ein Oxyd und ein Chloruͤr; wenn die Menge der angewandten Saͤure aber einige Kubikzolle betraͤgt, so folgt auf die anfangs langsame Absorption bald eine Verpuffung, in Folge der durch die chemische Einwirkung entbundenen Waͤrme. Das Verhalten der chlorigen Saͤure zu den zusammengesezten brennbaren Koͤrpern laͤßt sich aus ihren im Vorhergehenden angegebenen Eigenschaften leicht voraussehen, und wir bemerken hier bloß noch, daß wenn man sie mit ungeleimtem (weißem) Papiere einschließt, sie detonirt und sich in Chlor und Sauerstoff zersezt, welche mit etwas Kohlensaͤure gemengt sind. Zusammensezung der chlorigen Saͤure. Um die Zusammensezung der chlorigen Saͤure direct zu bestimmen, fuͤllte Hr. Balard eine luftdicht verschließbare Flasche mit ganz trokenem salzsaurem Gase und brachte dann eine mit chloriger Saͤure gefuͤllte kleine Glaskugel in dieselbe, die er durch Schuͤtteln zerbrach. Sobald die beiden Saͤuren zusammentreffen, findet die Zersezung unter Freiwerden von Waͤrme Statt und das Innere der Flasche erhaͤlt eine gelbe Farbe. Wenn man sie nun erkalten laͤßt und uͤber Queksilber oͤffnet, so wird man finden, daß in die Flasche kein Tropfen Queksilber eintritt und auch keine Gasblase aus derselben austritt, daß sie folglich ein der angewandten Salzsaͤure gleiches Volumen Chlor enthaͤlt. Da nun das salzsaure Gas ein halbes Volumen Chlor und ein halbes Volumen Wasserstoffgas enthaͤlt, so sieht man leicht ein, daß bei der gegenseitigen Einwirkung der beiden Saͤuren aller Sauerstoff der chlorigen Saͤure durch das halbe Volumen Wasserstoff der Salzsaͤure in Wasser verwandelt wird, waͤhrend das Chlor von beiden zu gleichen Volumen in Freiheit gesezt wird. Die chlorige Saͤure enthaͤlt also zwei Maaßtheile Chlor auf einen Maaßtheil Sauerstoff. Spaͤter, nachdem es Hrn. Balard gelungen war, die chlorige Saͤure in reinem Zustande zu erhalten, analysirte er sie geradezu durch Detonation. Mit 46 Theilen Gas erhielt er so 69 Theile eines Gemisches, welches sich durch Schuͤtteln mit einer Salzaufloͤsung auf 23 Sauerstoff reducirte. Man ersieht hieraus, daß das chlorigsaure Gas genau aus zwei Volumen Chlor und einem Volumen Sauerstoff besteht, und daß die Verdichtung ein Drittel des Gesammtvolumens betraͤgt, oder dem Volumen des in ihm enthaltenen Sauerstoffes gleich ist. Die chlorige Saͤure hat also dieselbe Zusammensezung, welche man dem vermeintlichen Chlorprotoxyde bisher zugeschrieben hat, welches nach den Versuchen des Hrn. Soubeiran nur ein Gemenge von Chlor mit Chlordeutoxyd zu seyn scheint. Nachdem Hr. Balard die Zusammensezung der chlorigen Saͤure auf diese Art direct ausgemittelt hat, verbreitet er sich uͤber die verschiedenen Verfahrungsarten, durch welche Hr. Liebig und nach ihm Hr. Soubeiran auf indirectem Wege die Zusammensezung derselben zu entdeken versuchten und zeigt, daß ihre Beobachtungen sich mit seinem Resultate sehr leicht in Uebereinstimmung bringen lassen, obgleich sie dieser Saͤure eine andere Zusammensezung zuschrieben als er. Er bemerkt dann, daß sich die chlorige Saͤure nicht wohl mit der salpetrigen und phosphorigen vergleichen laͤßt, wie es die Chemiker bisher thaten, sondern viel natuͤrlicher mit der unterschwefligen. Die Umstaͤnde, unter denen sich die chlorige Saͤure bildet, stehen naͤmlich in keiner Beziehung zu denjenigen, unter welchen die salpetrige und phosphorige Saͤure entstehen, waͤhrend sie identisch mit denen sind, welche die unterschweflige Saͤure erzeugen. Bekanntlich geben naͤmlich die alkalischen Oxyde, mit Schwefel und Wasser behandelt, Gemenge von Einem Atome unterschwefligsauren Salzes mit Einem Atome Polysulfurid. Sezt man bei dieser Reaction das Chlor an die Stelle des Schwefels, so erhaͤlt man ein Atom chlorigsauren Salzes und ein Atom Chlorid, und die Formel der chlorigen Saͤure wird seyn, wie die der schwefligen Saͤure . Die Verbindung, welcher wir bisher die Benennung chlorige Saͤure beilegten, muß also in der Folge unterchlorige Saͤure heißen; der Name chlorige Saͤure fuͤr die noch unbekannte Verbindung von zwei Vol. Chlor mit drei Vol. Sauerstoff belassen und die Verbindung, welche wir jezt Chlordeutoxyd nennen, Unterchlorsaͤure genannt werden. Von den chlorigsauren oder besser unterchlorigsauren Salzen. Hr. Balard beschaͤftigt sich nun mit den unterchlorigsauren Salzen, um bei ihnen die Eigenschaften der entfaͤrbenden Chlorverbindungen nachzuweisen und so ihre Analyse durch die Synthese zu bestaͤtigen. Die Bereitung dieser Salze erfordert besondere Vorsichtsmaßregeln, denn wenn sich die Temperatur auch nur wenig erhoͤht, so verwandelt sich das unterchlorigsaure Salz in ein chlorsaures; man muß daher die Saͤure uͤber die alkalische Substanz in kleinen Portionen und nur in solcher Menge, daß leztere nicht ganz gesaͤttigt wird, gießen, dabei bestaͤndig umruͤhren und uͤberdieß das Glas in kaltes Wasser tauchen. So erhaͤlt man leicht die Verbindungen der unterchlorigen Saͤure mit Baryt, Kalk, Kali, Natron, Lithion, Strontian und Bittererde. Hr. Balard versuchte vergebens unterchlorigsaures Eisen darzustellen; als er aber die Versuche Grouvelle's wiederholte, nach welchen das Kupfer-, Zink- und Eisenoxyd das Chlor sehr rasch absorbiren und damit entfaͤrbende Verbindungen bilden, uͤberzeugte er sich, daß, wenn unter diesen Umstaͤnden auch unterchlorigsaures Kupfer und Zink entstehen, sie jedenfalls nur kurze Zeit bestehen, daß sich aber in keinem Falle unterchlorigsaures Eisen bildet, sondern nur Eisenchloruͤr und chlorige Saͤure, so daß beim Erhizen Chlor und unterchlorige Saͤure frei werden und Eisenoxyd sich absezt. Die unterchlorigsauren Salze der starken Basen haben denselben Geruch und dieselbe Farbe wie die ihnen entsprechenden bleichenden Chlorverbindungen. Durch eine etwas hoͤhere Temperatur und den Einfluß des Sonnenlichtes, oft auch schon durch das zerstreute Licht, werden sie in chlorsaure Salze und in Chloride verwandelt. Diese Umaͤnderung erfolgt meistens mit Entbindung von Sauerstoff, doch findet beim Zusammentreffen gewisser Umstaͤnde, welche Hr. Balard noch nicht ganz ausgemittelt hat, die Sauerstoffentbindung nicht Statt. Er hat sich vorgenommen, diese Beobachtung, welche fuͤr die Fabrikation von chlorsaurem Kali sehr wichtig ist, noch weiter zu verfolgen. Durch einen Ueberschuß von Alkali kann man die Zersezung der unterchlorigsauren Salze verhindern und dadurch sogar die Verbindungen dieser Saͤure mit Natron, Kalk, Baryt und Strontian in trokenem Zustande darstellen, indem man sie im luftleeren Raume bei einer wenig erhoͤhten Temperatur abdampft. Obgleich die Kohlensaͤure die unterchlorige Saͤure aus ihren Verbindungen austreibt, so wird sie doch ihrerseits aus ihren eigenen Verbindungen durch einen Strom dieses Gases frei. Die Metalle verhalten sich zu den unterchlorigsauren Salzen wie zu den bleichenden Verbindungen selbst. Die Schwefelmetalle werden in frisch gefaͤlltem Zustande durch die unterchlorigsauren Salze augenbliklich in schwefelsaure Salze verwandelt und man wird daher die unterchlorigsauren Salze ohne Zweifel eben so gut wie das oxydirte Wasser zur Wiederherstellung der Gemaͤlde benuzen koͤnnen. Sie verwandeln das Stikstoffdeutoxyd in Salpetersaͤure und die Protoxyde in Peroxyde. Auf die organischen Substanzen wirken sie eben so wie die sogenannten Oxydchloruͤre und wie diese lezteren verwandeln sie auch den Alkohol in ein eigenthuͤmliches Kohlenstoffchlorid. Nach dem Vorhergehenden kann man sich leicht die bleichende und desinficirende Eigenschaft der unterchlorigsauren Salze erklaͤren. Behandelt man sie mit einer Saͤure, so entbinden sie Chlor, und es ist das Chlor, welches entfaͤrbt und desinficirt, durch eine eigenthuͤmliche Wirkung, die hoͤchst wahrscheinlich als eine indirecte, auf Kosten der Bestandtheile des Wassers hervorgebrachte Oxydation zu betrachten ist. Wirken sie hingegen ohne Beihuͤlfe der Saͤuren, so veraͤndern sie die Substanz einzig und allein durch den Sauerstoff ihrer Saͤure und ihrer Basis, indem sie in Chloride uͤbergehen. Hr. Balard bemerkt am Schlusse seiner Abhandlung, daß er nach aͤhnlichen Verfahrungsarten, wie diejenigen, wodurch er die unterchlorige Saͤure erhielt, auch die unterbromige Saͤure darstellte, und daß er sich gegenwaͤrtig mit der Untersuchung dieser lezteren beschaͤftigt.