Titel: | Einiges über die Tunnels bei den neueren englischen Eisenbahnen. Von Hrn. John Herapath Esq. |
Fundstelle: | Band 58, Jahrgang 1835, Nr. XXVII., S. 203 |
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XXVII.
Einiges uͤber die Tunnels bei den neueren
englischen Eisenbahnen. Von Hrn. John Herapath Esq.
Aus dem Mechanics' Magazine, No.
622.
Einiges uͤber die Tunnels bei den neueren englischen
Eisenbahnen.
Die vielen abgeschmakten und widersinnigen Vorspiegelungen, die man dem Publicum in
Hinsicht auf das Fuͤhren der Eisenbahnen durch Tunnels machte, veranlassen
mich einige Worte hieruͤber an dasselbe zu richten. Ich beginne zuerst mit
der Beleuchtung der Tunnels, welche man allen Ernstes auf kuͤnstliche Weise
so erhellen zu koͤnnen behauptete, daß gar kein Tageslicht nothwendig
waͤre. Wie und auf welche Weise dieß bewerkstelligt werden koͤnnte,
ist und bleibt noch bis zur Stunde ein Geheimniß; nur wissen alle theoretisch und
praktisch gebildeten Maͤnner, daß es ganz unmoͤglich ist, dem
Sonnenlichte gegenuͤber ein diesem nahe kommendes kuͤnstliches Licht
herzustellen. Sir John Leslie berechnete nach Versuchen,
daß ein Stuͤk Sonnensubstanz von weniger dann einem halben Zoll im
Durchmesser mehr Licht gibt, als 12,000 brennende Wachslichter; jedes uns bekannte
Licht, selbst jenes des Wasserstoff-Sauerstoffgases, welches doch so intensiv
ist, muß vor die Sonnenscheibe gehalten als ein dunkler Fleken erscheinen. Bouguer berechnete, daß das Licht, welches uns von der
Sonne zukommt, 300,000 Mal jenes des Vollmondes uͤbertrifft; und so wenig
genau unsere Sehnerven die Grade des Lichtes zu unterscheiden und zu bestimmen
vermoͤgen, so waͤre es doch nicht moͤglich vom Sonnenlichte in
das Mondlicht uͤberzutreten, ohne daß man dabei eine große Dunkelheit
bemerkte; nur der allmaͤhliche Uebergang beim Sonnen-Auf- und
Untergang macht es uns moͤglich diesen großen Unterschied zu ertragen.
Dagegen betraͤgt aber die Zeit zum Uebergange vom vollen Tageslichte in der
Dunkelheit eines Tunnels bei einer Geschwindigkeit von 30 engl. Meilen in der Stunde
nicht ein Mal eine Secunde; und welche Wirkung auf unsere Augen ein so greller
Uebergang vom Tageslichte zum Mondeslichte, – wenn sich ja ein solches in dem
Tunnel erzeugen laͤßt, – nothwendig hervorbringen wuͤrde, mag
Jeder selbst ermessen.
Bekanntlich haͤngt die Sichtbarkeit eines Gegenstandes, welcher nicht direct
von der Sonne beleuchtet wird, von dem indirecten Lichte ab, welches von allen
sichtbaren Punkten, und namentlich von jenen Theilen des Sonnenlichtes, die
uͤberall durch die Lufttheilchen zerstreut sind, auf denselben faͤllt.
Je mehr dieß indirecte Licht vermindert wird, um so dunkler erscheinen die
Gegenstaͤnde; und daher kommt es denn auch, daß, wenn man in einen unbedekten
Brunnen hinabsteigt, das
indirecte Licht allmaͤhlich so verkuͤmmert wird, daß das Auge dem
schwachen Lichte der Sterne nicht mehr widerstehen kann, und daß daher die Sterne
sichtbar werden, obschon dieses indirecte Licht durch eine 30 Meilen hohe von der
Sonne beleuchtete Luftsaͤule gelangt. Aus demselben Grunde werden auch die
Sterne am hellen Tage sichtbar, wenn man das Auge durch eine lange Roͤhre
gegen das indirecte Licht schuͤzt. Wenn daher die Sichtbarkeit der
Gegenstaͤnde, welche von dem staͤrksten durch die ganze
Atmosphaͤre verbreiteten Lichte abhaͤngt, so leicht vernichtet werden
kann, wie ist es da moͤglich, daß in einem enge begraͤnzten Tunnel
irgend ein kuͤnstliches Licht, dessen Leuchtkraft so weit unter jener der
Sonne steht, eine solche Lichtverbreitung bewirken kann, wie sie erforderlich ist,
um alle Gegenstaͤnde im Allgemeinen darin sichtbar zu machen? Nach meiner
Ansicht ist diese Idee zu absurd, als daß sie von jemand anderem verbreitet werden
koͤnnte, als von einem solchen, der bei der Verbreitung eines solchen
Irrwahnes interessirt ist. Daß ein Tunnel so beleuchtet werden kann, daß man darin
bequem gehen kann, ist natuͤrlich und bekannt; allein in Wagen wird nur da
Licht seyn, wo Licht hinfaͤllt, waͤhrend uͤberall, wo dieß
nicht der Fall ist, tiefer Schatten herrschen wird. Ich bin selbst in dem kurzen
Tunnel von Liverpool, der, wenn ich mich recht erinnere, nur 340 Yards lang ist, hin
und her gegangen, ohne daß mich die Dunkelheit belaͤstigt haͤtte;
allein so oft ich mit dem Wagenzuge in den Tunnel einfuhr, erfolgte ein
undurchdringliches Dunkel, welches nur hie und da von den Gaslampen erleuchtet
wurde, deren gelbliche Farbe jedoch nur dazu beizutragen schien, das Schrekliche
dieses Aufenthaltes zu erhoͤhen.
Man hat mir zwar gesagt, daß Hr. Stephenson seine Tunnels so beleuchten wolle, daß man den Mangel des
Tageslichtes in denselben nicht laͤnger mehr fuͤhlen werde; allein ich
kann nicht glauben, daß diese Angabe von Hrn. Stephenson selbst, den man in England den Papst
der Ingenieurs zu nennen pflegt, ausgehe. Es heißt auf diesen Mann den Vorwurf der
Arroganz und Unwissenheit laden, wenn man ihm zumuthet, er wolle etwas
ausfuͤhren, was die mit der fraglichen Sache vertrautesten Maͤnner
fuͤr unmoͤglich erklaͤrten. Ich meines Theiles kann diesen
Angaben eben so wenig Glauben schenken, als wenn man mir sagte, Hr. Stephenson besize das Geheimniß
jenes Philosophen, der im Sommer die Sonnenstrahlen in Flaschen einsperrte, und im
Winter Gurken damit zog. Die fragliche Behauptung wuͤrde voraussezen, daß die
Luft in den Tunnels vollkommen klar und durchsichtig ist; waͤhrend diese doch
bekanntlich, sobald als ein Dampfwagen in dieselben eintritt, mit einer dichten Dampf- und
Rauchsaͤule erfuͤllt werden. Da nun jede der nachfolgenden Maschinen
diesen von ihrem Vorgaͤnger zuruͤkgelassenen Dunst noch vermehrt, so
waͤre ich sehr begierig zu erfahren, auf welche Weise ein Tunnel von irgend
bedeutender Laͤnge, und worin ein auch nur etwas lebhafter Verkehr
unterhalten wird, erhellt werden kann, und welchen Kunstgriff Hr. Stephenson anwenden will, um das
beabsichtete Licht durch eine derlei Atmosphaͤre fortzupflanzen.
Duͤrfte es nicht besser seyn, am Ende eines jeden Tunnels fuͤr Mittel
zu sorgen, womit die armen Reisenden den Schmuz, der sich auf ihnen darin
anhaͤufte, wegschwemmen, und die nachtheiligen Wirkungen des verschlungenen
Rauches und Dampfes wieder neutralisiren koͤnnten?
Ich gehe nunmehr zur Permanenz der Temperatur in den Tunnels uͤber, und
bemerke hier von Vorne herein, daß angestellten Versuchen gemaͤß die
Temperatur in einer Tiefe von 80 Fuß unter der Erde das ganze Jahr hindurch selten
um mehr dann einen Grad wechselt. Hieraus folgt demnach ein neuer, nicht
unbedeutender Einwurf gegen die Tunnels. Denn da man selten Tunnels graͤbt,
ausgenommen die daruͤber liegende Erdschichte mißt mehr als 80 Fuß, so folgt
hieraus, daß die Temperatur in den Tunnels von der mittleren Temperatur der Erde,
welche zu jeder Jahreszeit gegen 51° F. (+ 10° R.) betraͤgt,
nicht weit abweichen kann. Man vertauscht daher, wenn man im Sommer faͤhrt,
eine trokene, warme Luft ploͤzlich mit einer feuchten um 30, 40 bis
50° F. kuͤhleren Luft, was fuͤr den Koͤrper gewiß nicht
gleichguͤltig ist: besonders wenn der Aufenthalt in dem Tunnel aus irgend
einem Grunde oder Zufalle laͤnger dauert. Ich habe gehoͤrt, daß man in
dem Themse-Tunnel, den Canning sehr bezeichnend
ein großes Loch (a great bore) nannte, aus demselben
Grunde von einem sehr unangenehmen Froͤsteln ergriffen wird. Da jedoch die
Luft in Hinsicht auf die Quantitaͤt ein schlechter Waͤrmeleiter ist,
obschon sie die Waͤrme rasch, d.h. mit einer Geschwindigkeit von 1100 Fuß per Secunde fortpflanzt, so ist es moͤglich, daß
man bei der schnellen Fahrt der Wagen diesen Temperaturwechsel nicht so sehr
fuͤhlen duͤrfte. Dagegen gibt es noch einen anderen Punkt, worauf das
Gleichbleiben der Temperatur in den Tunnels einen sehr großen, und wie ich
fuͤrchte, sehr nachtheiligen Einfluß uͤben wird; naͤmlich das
Ventiliren der Tunnels.
Die Tunnels fuͤr die Eisenbahnen muͤssen offenbar horizontal oder
wenigstens beinahe waagerecht laufen, und daraus folgt, daß sie sich nie ventiliren
koͤnnen. Wenn man auch den Dunst, der sich bestaͤndig aus den
Seitenwaͤnden und aus dem Boden der Tunnels entwikelt, gar nicht in Anschlag
bringt, obschon er allein hinreicht die eingeschlossene Luft durch und durch mit Feuchtigkeit
zu erfuͤllen, – so wird doch das bestaͤndig entweichende Gas
und noch mehr die Zersezung der atmosphaͤrischen Luft und der Verbrauch der
darin enthaltenen Lebensluft durch die Gaslichter hinreichen, um die Luft zum
Athemholen untauglich zu machen; und diese Wirkung wird um so auffallender und
verderblicher seyn, je groͤßer die Laͤnge des Tunnels ist. Man hat
daher auch bereits mehrere Methoden die Tunnels mit der noͤthigen frischen
Luft zu versehen, in Vorschlag gebracht. Den meisten Eingang fand unter diesen
Vorschlaͤgen die Anwendung von senkrechten Schachten, welche von den Tunnels
bis zur Oberflaͤche der Erde emporfuͤhren muͤßten, und welche
im Winter auch allerdings eine Circulation bewirken duͤrften. Die
aͤußere atmosphaͤrische Luft wuͤrde naͤmlich als die
kaͤltere und folglich auch als die schwerere bestaͤndig von Oben
eindringen, und die waͤrmere, leichtere und unreine Luft der Tunnels an
beiden Enden derselben austreiben. Oder die aͤußere Luft kann in der Mitte
eines Schachtes herabsinken, waͤhrend die innere Luft rings um die
Waͤnde desselben emporsteigt, so daß auf diese Weise eine bestaͤndige
Circulation, wenn auch keine reine Luft erzielt wird. Im Sommer hingegen, wo die
Temperatur im Tunnel bedeutend unter jene der aͤußeren Luft herabsinkt,
verhaͤlt sich die Sache ganz anders. Ehe hier naͤmlich eine Neigung
zur Veraͤnderung der Luft eintritt, muß die innere Luft specifisch leichter
werden, als die aͤußere, was nur dann erfolgt, wann die innere Luft mit einer
hinreichenden Menge der schaͤdlichen Daͤmpfe des Tunnels oder des zur
Beleuchtung dienenden Gases erfuͤllt ist; d.h. bevor eine
Luftveraͤnderung eintreten kann, muß die Luft mit hoͤchst
nachtheiligen Ausduͤnstungen und Gasen gesaͤttigt seyn; und dieß zu
einer Jahreszeit, wo frische reine Luft gerade am allernothwendigsten ist.
Hr. Stephenson sagte vor der
von dem Hause der Lords niedergesezten Commission aus, daß er keinen Grund einsehe,
warum man nicht einen 20 Meilen langen Tunnel fuͤr Eisenbahnen bauen
koͤnnte; und da er dieß eidlich versicherte, so muß man annehmen, daß er auch
wirklich diese Ueberzeugung habe. Allein hat Hr. Stephenson medicinische Kenntnisse genug, um zu
wissen, wie weit man gehen darf, ohne das Gleichgewicht der Gesundheit, welches oft
so zart abgewogen ist, zu stoͤren; oder glaubt er, daß man sich allgemein
nach ihm richten werde, wenn er etwas fuͤr nachtheilig und vorwurfsfrei
erklaͤrt oder nicht; und worauf stuͤzt er am Ende seine Behauptung? Er
wird mir diese Fragen verzeihen; denn seine unuͤberdachten Versicherungen
fuͤhren wahrhaft zu der Vermuthung, daß er in Kenntniß der Natur der Dinge
seinem Namenscollegen, dem Papste Callixtus gleichkomme, der einen Cometen
wegen der Aehnlichkeit seines Schweifes mit einem Tuͤrkensaͤbel
feierlich excommunicirte.
Es war mir bis auf die neueste Zeit nicht bekannt, daß es wirklich einen Tunnel
gaͤbe, durch welchen eine Locomotivmaschine mit einem Wagenzuge mit
Passagieren fuͤhrt. Ich hoͤre nun, daß zwischen Leeds und Selby
wirklich ein solcher Tunnel bestehe. Einer meiner Freunde beschrieb mir die Fahrt
durch denselben mit folgenden Worten: „Wir befanden uns augenbliklich in
vollkommene Dunkelheit versezt; zugleich erfuͤllte sich der Wagen auf
eine hoͤchst laͤstige Weise mit Rauch und Dampf, und obwohl wir
kaum ein Paar Minuten in dem Tunnel zubrachten, so war die Unbequemlichkeit doch
so groß, daß uns diese kurze Zeit wie eine Stunde vorkam. Ein Mal stießen wir
hiebei gegen ein Gestell, dessen man sich bedient hatte, um die Waͤnde
des Tunnels zu uͤbertuͤnchen; das dadurch verursachte Krachen war
fuͤrchterlich, und das Absperren des Dampfes, welches in freier Luft
innerhalb des Wagens kaum hoͤrbar gewesen waͤre, droͤhnte
wie ferner Kanonendonner, so daß Alles in Angst und Schreken
gerieth.“ Wer wird nach diesen Annehmlichkeiten einer Fahrt durch
einen Tunnel, der nur eine halbe engl. Meile lang ist, mit Hrn. Stephenson in Betreff der
Thunlichkeit eines 20 Meilen langen Tunnels uͤbereinstimmen? Wenn auch manche
Mechaniker mehr ihre goldenen Procente in Anschlag bringen, und ihre Argumente
lediglich aus ihrem Gewinne zu ziehen scheinen, so darf man doch hoffen, daß die
gesezgebende Behoͤrde diese Sache in ihrem wahren Lichte betrachten, die
Einwuͤrfe gegen die Tunnels und deren Nachtheile, schaͤdliche
Einfluͤsse und große Kosten reiflich erwaͤgen, und nicht
uͤbersehen wird, daß die Eisenbahnen mit Tunnels gewiß jedes Mal durch andere
ohne Tunnels verdraͤngt werden duͤrften. Sie wird sich dadurch, daß
sie Bills fuͤr Eisenbahnen, an denen Tunnels vorkommen sollen, verweigert,
als den Schuͤzer der Subscribenten sowohl, als des Publicums
bewaͤhren, und sowohl der gegenwaͤrtigen als kuͤnftigen
Generation eine große Wohlthat erweisen, ohne dabei befuͤrchten zu
duͤrfen, daß sie ein groͤßeres Unheil stiftet, als das, daß sie einige
Ingenieurs hindert, auf allgemeine Kosten ein großes Vermoͤgen
anzuhaͤufen. Ich bin um so mehr dieser Ansicht, als sich nach meiner
Ueberzeugung die meisten unserer groͤßeren Staͤdte durch Eisenbahnen,
an denen keine Tunnels vorkommen, verbinden lassen; und als ich die großen
Vortheile, welche die Eisenbahnen bringen werden, nicht durch unsinnige
Unternehmungen in Mißcredit gerathen sehen moͤchte. Ich schließe hiemit,
obschon sich noch mehrere Einwuͤrfe gegen die Tunnels machen ließen, wie z.B. die
nachtheiligen Einfluͤsse, die sie zum Nachtheile vieler Gegenden auf manche
Quellen haben koͤnnen.