Titel: Anwendung des gekörnten Bleies zur Eudiometrie; von Hrn. Theod. de Saussure.
Fundstelle: Band 62, Jahrgang 1836, Nr. XIX., S. 113
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XIX. Anwendung des gekoͤrnten Bleies zur Eudiometrie; von Hrn. Theod. de Saussure. Im Auszuge aus der Biblioth. universelle, 1836. Bd. II. S. 170 Anwendung des gekoͤrnten Bleies zur Eudiometrie. Bekanntlich absorbirt gekoͤrntes Blei beim Schuͤtteln mit Luft in gewoͤhnlicher Temperatur Sauerstoff aus derselben. Diese bisher nicht benuzte Eigenschaft liefert, mit Huͤlfe eines hoͤchstens dreistuͤndigen Schuͤttelns, ein Verfahren, welches den Sauerstoff der Luft bis auf 1/1000° finden laͤßt, und in mehrfacher Hinsicht Vorzuͤge vor den gebraͤuchlichen Eudiometern besizt. Als Gefaͤß zu dieser Operation nehme ich gewoͤhnlich einen Kolben oder eine Retorte, auf deren Hals eine metallene Zwinge festgekittet ist, welche außerhalb mit Ausschnitten zur Aufnahme eines Schluͤssels versehen ist. Diese Zwinge enthaͤlt das 4–5 Millimeter hohe Gewinde einer Schraubenmutter, zur Aufnahme eines metallenen Schraubenstoͤpsels mit vierkantigem Knopf, zu welchem ebenfalls ein Schluͤssel paßt. Auf die Zwinge des Kolbens legt sich ein sechs Millimeter breiter Rand, der unterhalb mit einem angefetteten Lederring versehen ist. Diese Schluͤssel dienen dazu, den Schraubenstoͤpsel stark anzuziehen, und zugleich bei Verschließung des Gefaͤßes die unmittelbare Beruͤhrung desselben mit den Haͤnden zu verhuͤten. Zu den meisten meiner eudiometrischen Versuche mit der gemeinen Luft habe ich Retorten von 150 bis 250 Kubikcentimeter Raumgehalt angewandt. Ihr Hals ist ungefaͤhr 15 Centimeter lang, und faßt etwa ein Drittel oder Viertel so viel als die Kugel, damit die Absorption des atmosphaͤrischen Sauerstoffs in diesem Halse gemessen werden koͤnne. Diese Gefaͤße muͤssen eine Glasdike von wenigstens einem Millimeter besizen, damit sie beim Schuͤtteln mit den Hagelkoͤrnern nicht springen. Die Hagelkoͤrner muͤssen von den kleinsten seyn, die im Handel vorkommen, so daß ungefaͤhr 88 einen Gramm wiegen. Zu jeder Analyse nimmt man davon ein bestimmtes Gewicht, etwa ein Fuͤnftel von dem zur Fuͤllung des Gefaͤßes erforderlichen Wasser. Dem trokenen Hagel muß man ungefaͤhr ein Siebenzehntel seines Gewichts Wasser hinzusezen; wenn man mehr oder weniger nimmt, so verzoͤgert sich die Oxydation des Bleies. Ueberschuͤssige Fluͤssigkeit hat außerdem den Nachtheil, daß sie einen fuͤr die Volumbestimmung des Gasruͤkstandes schaͤdlichen Schaum veranlaßt. Das Wasser, welches den Hagel benaͤßt, betraͤgt demnach nicht 1,5 Volumprocente von der analysirten Luft. Die mit dem angefeuchteten Hagel beladene Retorte stellt man 2 bis 3 Stunden lang an freie Luft, oder erneut, zur Abkuͤrzung der Operation, die Luft darin mittelst eines Blasebalgs, dessen Spize sich In einem gekruͤmmten Rohre endigt. Nachdem man die Temperatur und den Druk beobachtet hat, verschließt man die Retorte mit den vorhin erwaͤhnten Schluͤsseln. Analysirt man eine andere Luft als die atmosphaͤrische, so nimmt man statt des eudiometrischen Kolbens eine kleine umgekehrte Retorte, deren Hals in einem Hahne endigt und deren Bauch den benaͤßten Hagel enthaͤlt. Diese evacuirt man und laͤßt dann das zu untersuchende Gas einstroͤmen. In mehreren Faͤllen ist man auch des Gebrauchs der Luftpumpe und des Hahnes uͤberhoben, und braucht nur die mit Hagel beladene Retorte mit Wasser zu fuͤllen; man laͤßt alsdann das Wasser uͤber der pneumatischen Wanne durch das Gasgemenge verdraͤngen, durch Neigen der Retorte die Hagelkoͤrner, welche in ihren Zwischenraͤumen das zur Oxydation erforderliche Wasser zuruͤkhalten, abtropfen, schließt die Retorte durch den Schraubenstoͤpsel, schuͤttelt sie mit dem Hagel, und mißt endlich den Gasruͤkstand, indem man ihn in eine graduirte Roͤhre treten laͤßt. Unmittelbar vor dieser Operation muß man die verschlossene Retorte in Wasser tauchen, dessen Temperatur niedriger ist als die, bei der man das Gas eingefuͤhrt hat. Es erfolgt dann eine momentane Condensation, welche den Zwek hat, ein zufaͤlliges Entweichen des Gases zu verhuͤten, welches eintreten wuͤrde, wenn es keine Volumverringerung erlitten haͤtte. Ich kehre zur atmosphaͤrischen Luft zuruͤk, deren Analyse mehr Genauigkeit gestattet. Die benaͤßten Bleikoͤrner, welche bis dahin nicht auf die Luft einwirkten, weil man sie nicht bewegte, muͤssen nun stark geschuͤttelt werden (was mittelst einer Maschine bewerkstelligt werden kann), und zwar bloß in dem Bauche des Kolbens, damit der Hals desselben nicht beschmuzt werde. Sie bekleiden sich mit einem gelben Ueberzug, der nach dreistuͤndiger Bewegung eine graue Farbe annimmt. Diese graue Farbe, die von der Vermengung des gelben Oxyds mit sehr zertheiltem Blei herruͤhrt, ist eine sichere Anzeige der gaͤnzlichen Absorption des Sauerstoffs. Dieß Verfahren liefert sehr reines Stikgas, welches niemals irgend eine Verringerung durch Salpetergas erleidet. Der Verschluß mit dem bloßen Schraubenstoͤpsel ist so sicher, daß man das Schuͤtteln des Hagels auf unbestimmte Zeit unterbrechen koͤnnte. Nachdem man auf einer Waage, die noch einen Centigramm angibt, das Gewicht der Retorte bestimmt hat, oͤffnet man dieselbe umgekehrt unter Wasser, versieht sie statt des Stoͤpsels mit einem offenen Hahne, befestigt sie auf einem Gestell, welches ihren Bauch mit einer ringfoͤrmigen Zange umfaßt, bestimmt den Druk und die Temperatur der Atmosphaͤre, und schließt den Hahn, der so leicht drehbar seyn muß, daß dieser Verschluß ohne Beruͤhrung des Kolbens zu bewerkstelligen ist. Der Unterschied zwischen dem Gewicht der Retorte, wenn sie bloß mit dem eingedrungenen Wasser, und wenn sie ganz mit Wasser gefuͤllt ist, gibt das Volum des nicht absorbirten Gases. Auf aͤhnliche Weise mißt man das Luftvolum vor der Absorption, wobei man, wie im vorigen Fall, auf das approximative Gewicht der verdraͤngten Luft oder Gasart Ruͤksicht nimmt. Waͤre der Hals des Kolbens graduirt, so koͤnnte man die Absorption sogleich ablesen; allein diese Bestimmung wuͤrde zu ungenau und die Theilung auf einem weiten und unregelmaͤßigen Halse zu mangelhaft seyn, als daß nicht die Waͤgung vorzuziehen waͤre. Die eudiometrischen Anzeigen des Bleies erlangen einen hohen Grad von Genauigkeit, wenn man, statt das absorbirte Sauerstoffgas zu messen, dasselbe durch die Gewichtszunahme des Metalls bestimmt. Man troknet dann den Ruͤkstand, dessen Zusammensezung noch nicht genau bestimmt ist, im Vacuo und in dem Gefaͤße selbst, wo die Oxydation erfolgt ist. In Beruͤhrung mit Wasser absorbirt das Blei die Kohlensaͤure aus der Luft. Die freie Luft, welche ich analysirt habe, enthaͤlt zu wenig von dieser Saͤure, als daß nicht ihre Absorption bei einem einzigen Versuche mit den Beobachtungsfehlern vermengt seyn koͤnnte. Anders ist es bei einem Mittelwerth aus mehreren Analysen; der, welchen ich aus bei Tage angestellten Analysen abgeleitet habe, zeigt, daß 100 Volumtheile Luft 21,05 Sauerstoff und Kohlensaͤure enthalten; zieht man hievon die mittlere Menge der lezteren ab, die sich nicht sehr von 4 auf 10,000 Luft entfernt, so findet man, daß 100 Volumtheile Luft 21,01 Volumtheile Sauerstoff enthalten.