Titel: Ueber die Zersezung des kohlensauren Kalks mittelst der Hize; von Hrn. Gay-Lussac.
Fundstelle: Band 64, Jahrgang 1837, Nr. XXX., S. 145
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XXX. Ueber die Zersezung des kohlensauren Kalks mittelst der Hize; von Hrn. Gay-Lussac. Aus den Annales de Chimie et de Physique. Oktober 1836, S. 219. Gay-Lussac, uͤber die Zersezung des kohlensauren Kalks. Man behauptet schon seit langer Zeit, daß der Kalkstein bei Gegenwart von Wasser sich leichter aͤzend brennen laͤßt und es scheint, daß die Kalkbrenner groͤßten Theils dieser Ansicht sind. Dumas sucht diesen Einfluß des Wassers auf zweierlei Art zu erklaͤren. Entweder, sagt er, nimmt dasselbe dabei die Stelle der Kohlensaͤure im kohlensauren Salze ein, jedoch nur auf sehr kurze Zeit, indem das Kalkhydrat schon bei der Rothgluͤhhize zersezt wird; oder das Wasser kann auch durch die als Brennmaterial angewandte Kohle zersezt werden und sich in verschiedene Gasarten, worunter auch Kohlenwasserstoffgas, verwandeln. Lezteres wuͤrde dann die Kohlensaͤure des Kalksalzes zu Kohlenoxyd reduciren und dadurch ihre Trennung vom Kalk erleichtern. Der frisch aus der Grube kommende und folglich noch feuchte Kalkstein muß also leichter zu brennen seyn, als der beinahe trokene Stein. Die meisten Kalkbrenner kennen auch diese Thatsache und begießen deßwegen die sehr ausgetrokneten Steine mit Wasser, ehe sie die Oefen damit beschiken. Die erste von diesen beiden Erklaͤrungen ist jedoch nicht annehmbar, weil das Kalkhydrat sich in der Hize schon bei einer Temperatur zersezt, welche bedeutend niedriger ist, als diejenige, wobei sich der kohlensaure Kalk unter dem Einfluß des Wasserdampfs zersezt. Die zweite Erklaͤrung scheint mir nicht auf die Umstaͤnde anwendbar zu seyn, unter welchen die Verbrennung in den Kalkoͤfen Statt findet. Ich will mich also nicht dabei aufhalten, sondern sogleich die Beobachtungen mittheilen, woraus sich meiner Meinung nach die wahre Erklaͤrung des Einflusses des Wassers beim Kalkbrennen ergibt. Ich brachte eine mit Marmorstuͤken gefuͤllte Porzellanroͤhre uͤber einem Ofen an, dessen Temperatur mit Leichtigkeit regulirt werden konnte. An einem Ende dieser Roͤhre wurde eine glaͤserne Retorte befestigt, welche Wasser enthielt um Dampf zu liefern, und an dem anderen Ende eine Glasroͤhre um die Kohlensaͤure zu sammeln. Die Hize wurde zuerst bis auf den Grad getrieben, wo der Marmor zersezt wird, dann aber die Thuͤre des Aschenfalls genau verschlossen, so daß die Hize auf die Dunkelrothgluth herabsank und sich keine Kohlensaͤure mehr entband. Ist diesem Augenblik brachte man das Wasser in der Retorte zum Sieden und die Kohlensaͤure erschien sogleich in reichlicher Menge. Als die Dampfentwiklung unterbrochen wurde, hoͤrte die Kohlensaͤure-Entbindung augenbliklich auf und begann erst wieder mit der Herstellung des Wasserdampfs. So wurden die Umstaͤnde mehrmals modificirt und die Resultate blieben sich gleich. Es scheint also erwiesen, daß der Wasserdampf wirklich die Zersezung des kohlensauren Kalks durch die Hize beguͤnstigt und daß mit seiner Beihuͤlfe diese Zersezung bei einer niedrigeren Temperatur als gewoͤhnlich erforderlich ist, Statt finden kann. Die Wirkung des Wassers scheint mir in diesem Falle eine rein mechanische zu seyn. Wenn die Temperatur so weit gestiegen ist, daß der kohlensaure Kalk anfaͤngt sich zu zersezen, bildet sich um ihn eine Atmosphaͤre von Kohlensaͤure, welche auf die mit dem Kalk verbunden bleibende Saͤure druͤkt, so daß leztere, um sich zu entbinden, den Druk dieser Atmosphaͤre uͤberwinden muß. Dieß kann aber nur geschehen, wenn man entweder die Temperatur noch mehr erhoͤht, oder wenn man die Kohlensaͤure-Atmosphaͤre beseitigt und einen luftleeren Raum herstellt, oder endlich, indem man diese Atmosphaͤre durch Wasserdampf oder irgend eine andere elastische Fluͤssigkeit, z.B. gewoͤhnliche Luft, ersezt. Diese Erklaͤrung wird durch folgenden Versuch gerechtfertigt. Ich sezte kohlensauren Kalk in einer Porzellanroͤhre einer etwas niedrigeren Temperatur aus als diejenige war, wobei er anfing sich zu zersezen, und leitete dann in die Roͤhre einen Strom atmosphaͤrischer Luft. Die Kohlensaͤure-Entbindung fing sogleich wieder an, fuhr fort so lange der Luftstrom anhielt, hoͤrte mit demselben auf und begann auch wieder mit der nochmaligen Herstellung desselben. Es scheint mir also erwiesen, daß der Einfluß des Wasserdampfs beim Brennen der Kalksteine sich darauf beschraͤnkt, einen luftleeren Raum fuͤr die Kohlensaͤure hervorzubringen und zu verhindern, daß die frei gewordene Saͤure auf die mit dem Kalk verbunden gebliebene druͤkt. Bei Gegenwart von Wasserdampf ist allerdings eine weniger hohe Temperatur zum Austreiben der Kohlensaͤure erforderlich; man muß aber auch die Wichtigkeit seines Einflusses nicht uͤberschaͤzen. Das Wasser befindet sich in den Kalksteinen mechanisch zwischen ihren kleinsten Theilchen; und mit Ausnahme von etwas Wasser, welches in der Mitte von Stuͤken zuruͤkbleibt, die zu groß sind, als daß die Hize schnell einzudringen und dasselbe zu verfluͤchtigen vermag, muß der bei weitem groͤßere Theil des Wassers ohne nuͤzliches Resultat und sogar mit Verlust an Brennmaterial verdampft seyn, noch ehe der Kalkstein die zu seiner Zersezung geeignete Temperatur erlangt hat. Ich bin also uͤberzeugt, daß der Wasserdampf das Brennen des Kalksteins beguͤnstigt; ich bleibe aber im Zweifel, ob er wirklich Vortheile darbieten kann, weil zwischen der Temperatur, wobei sich der kohlensaure Kalk fuͤr sich schon zersezt, und derjenigen, wobei er sich mit Huͤlfe des Wasserdampfes zersezt, kein großer Unterschied Statt findet. Wenn uͤbrigens der Wasserdampf bei der Zersezung des Kalksteins bloß eine mechanische Wirkung gerade so wie die atmosphaͤrische Luft ausuͤbt, so begreift man nicht, welchen großen Vortheil er vor dem gasfoͤrmigen Strome der Verbrennungsproducte, welcher die Kalkmasse im Ofen unaufhoͤrlich durchstreicht, voraus haben kann. Die Thatsache, daß der kohlensaure Kalk bei Zutritt von Wasserdampf, oder richtiger gesprochen, im luftverduͤnnten Raume sich leichter zersezt, ist keineswegs eine specielle; man kann vielmehr als Regel aufstellen, daß wenn bei einer Zersezung durch die Hize oder ein chemisches Agens, eines oder mehrere gasfoͤrmige Elemente abgeschieden werden, die Zersezung sich dadurch beschleunigen laͤßt, daß man den Koͤrper im luftleeren Raume erhaͤlt oder die sich entbindenden elastischen Fluͤssigkeiten verhindert auf ihn zu druͤken. Und umgekehrt laͤßt sich die Zersezung verzoͤgern oder sogar ganz verhindern, indem man um den Koͤrper einen hinreichenden Druk mit einer elastischen Fluͤssigkeit von derselben Art wie die auszutreibende unterhaͤlt. So wird bei dem merkwuͤrdigen Versuche Hall's der kohlensaure Kalk bei einer sehr hohen Temperatur mit Huͤlfe des Druks von kohlensaurem Gas in Fluß gebracht.