Titel: Bemerkungen zur Essigfabrication, von Liebig.
Autor: Justus Liebig [GND]
Fundstelle: Band 65, Jahrgang 1837, Nr. XVI., S. 51
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XVI. Bemerkungen zur Essigfabrication, von Liebig. Liebig's Bemerkungen zur Essigfabrication. Daß der Essig aus dem Alkohol dadurch entsteht, daß er einen Theil seines Wasserstoffs durch die Einwirkung des Sauerstoffs der atmosphaͤrischen Luft verliert, selbst aber noch mehr Sauerstoff aufnimmt, ist bekannt. Es ist jezt nachgewiesen, daß durch den ersten Theil dieses Processes, naͤmlich durch die Entziehung eines Theils des Wasserstoffs, aus dem Alkohol ein eigenthuͤmlicher, sehr fluͤchtiger Koͤrper, Aldehyd genannt, entsteht; dieser Aldehyd hat sehr starke Verwandtschaft zum Sauerstoff, und oxydirt sich, wenn er hinreichenden Sauerstoff vorfindet, augenbliklich zu Essigsaͤure. Es wird also nicht moͤglich seyn, die Gegenwart des Aldehyds bei vollkommener Essigbildung nachzuweisen. Reicht aber der Sauerstoff nicht zu, so wird einestheils weniger Essigsaͤure, also schwaͤcherer Essig gebildet, anderntheils aber auch durch die Verfluͤchtigung des Aldehyds, bevor es oxydirt werden konnte, auch die allmaͤhliche Umwandlung saͤmmtlichen Alkohols vereitelt werden. Daher in schlechten Essigbildern wohl aller Alkohol verschwindet, aber ohne daß sich eine entsprechende Menge Essigsaͤure bildet. Es kommt also bei der Essigbildung hauptsaͤchlich darauf an, den Alkohol stets mit der hinreichenden Menge sauerstoffhaltiger Luft in Beruͤhrung zu bringen. 100 Pfd. Alkohol nehmen bei der Essigbildung aus der Luft 69 Pfd. Sauerstoff auf, und geben 169 Pfd. Essigsaͤure, von welcher eine Unze 424 Gran kohlensaures Kali saͤttigt. Es ist klar, daß 100 Pfd. Alkohol (= 63 Litres = 31,5 Darmstaͤdter Maaß = 63 D. Maaß Branntwein von 50 Proc. Tralles), verduͤnnt mit 2230 Pfd. Wasser, 2400 Pfd. Essigsaͤure geben, von welcher die Unze 30 Gran kohlensaures Kali saͤttigt. Bei einer zwekmaͤßigen Einrichtung der Essigbilder und bei Vereinigung aller der Essigbildung guͤnstigen Bedingungen erhaͤlt man aus 63 Maaß Branntwein 7 Ohm = 560 Maaß Essig von der angegebenen Staͤrke, und man verliert mithin 1/15. Wenn der zur Essigbildung verwandte Sauerstoff der atmosphaͤrischen Luft entnommen wird, so bedarf man fuͤr jedes Pfund Alkohol 241 Darmst. Maaß Sauerstoff, welche in 1,15 Kubikmeter enthalten sind. Fuͤr jede Ohm (160 Liter) Essig von obiger Staͤrke wird mithin der Sauerstoff von 15 Kubikmeter (= 960 K'. Darmst. Maaß) Luft verzehrt, wobei natuͤrlich vorausgesezt wird, daß die Luft ihres Sauerstoffs aufs vollkommenste beraubt wird. In einem Raume von 12 Meter Laͤnge (1 Meter = 4 Fuß Darmst. Maaß), 8 Meter Breite und 4 Meter Hoͤhe koͤnnen ganz bequem 30 Essigbilder an drei Waͤnden untergebracht werden, welche in 17 Stunden 13 Ohm fertigen Essig (immer von obiger Staͤrke) liefern, zu dessen Bildung der Sauerstoff von 195 Kubikmeter Luft verwendet, verzehrt wird. Der Luftraum in diesem Locale betraͤgt, das Volum der Faͤsser nicht abgerechnet, 384 Kubikmeter. Jeder Essigbilder nimmt einen Raum von 800 Kubikdecimeter (1600 Pfd. Wasser) ein; zwei Drittel von diesem Raume sind Holz und 1/3 Luft, welche das Innere der Faͤsser erfuͤllt; es bleiben mithin fuͤr die Luft des Essiglocals 376 Kubikmeter. Wenn mithin das Zimmer hermetisch verschlossen waͤre, so wuͤrde man, auf Kosten des Sauerstoffs der darin enthaltenen Luft, 25 Ohm Essig produciren koͤnnen; in 32 1/2 Stunden wuͤrde die Luft vollkommen ihres Sauerstoffs beraubt seyn, und die Essigbildung wuͤrde aufhoͤren. Es geht ferner aus dieser Betrachtung hervor, daß, wenn die Essigbildung fortwaͤhrend in gutem Gange erhalten werden soll, in je 32 1/2 Arbeitsstunden die Luft des Locals vollstaͤndig erneuert, d.h. die entsauerstoffte Luft entfernt und ein entsprechendes Volumen frischer Luft zugefuͤhrt werden muß. Fuͤr jede Ohm Essig muͤssen, wie schon erwaͤhnt wurde, 960 K'. Luft zugefuͤhrt, und fuͤr 17 Arbeitsstunden berechnet, muͤssen jede Stunde in ein Local der angegebenen Groͤße, wo 30 Essigbilder stehen, 1248 K'. Luft zugefuͤhrt werden. In den meisten Essigfabriken sind Fenster und Thuͤren verschlossen, und zwar so gut als moͤglich, um an Brennmaterial zu ersparen, welches noͤthig ist, um die constante Temperatur zu erhalten; man laͤßt die Luft sich erneuern durch die Rizen und zufaͤlligen Oeffnungen; auf das Maaß der Erneuerung wird gewoͤhnlich nicht die geringste Ruͤksicht genommen. Daher denn die Klage vieler Fabriken: Wir erhalten in der ersten Zeit, wo die Essigbilder in Gang gesezt wurden, Essig von der gewuͤnschten Staͤrke, aber sein Gehalt nimmt nach einiger Zeit bis zu einer bestaͤndigen Groͤße ab, uͤber welche hinaus er nicht mehr verstaͤrkt werden kann. Wie unerlaͤßlich es sey, ein gewisses Verhaͤltniß in der Anzahl der Essigbilder zu einem bestimmten Raume zu beachten, wenn die Luft dieses Raumes sich nur durch zufaͤllige Oeffnungen erneuern kann, wird folgende Erfahrung zur Genuͤge beweisen. In einer Essigfabrik, in welcher fuͤr die Erneuerung der Luft keine besondere Sorgfalt getragen war, erhielt man in sechs Essigbildern einen vortrefflichen Essig; der gute Erfolg veranlaßte den Fabrikanten, die Anzahl derselben um zwei zu vermehren, und von diesem Augenblike an nahm der Gehalt an Saͤure nicht nur in den beiden neuen, sondern in allen Essigbildern ab. In der vollkommensten Essigfabrik darf die Luft, welche die Faͤsser passirt hat, sich nicht mehr mit der Luft des Essiglocals mischen, sie muß aus dem Essiglocale entfernt werden, oder was das Naͤmliche ist, es darf die Luft des Locals nicht zur Essigbildung verwandt werden, dazu muß Luft von Außen dienen. Man glaube nicht, daß das Hinausfuͤhren der entsauerstofften Luft mit einem groͤßeren Verluste von Essig verknuͤpft ist, als bei dem gewoͤhnlichen Betriebe; denn da nur in dem Verhaͤltnisse Essigsaͤure gebildet werden kann, als Luft hinzutritt, und die hinzutretende Luft ein ihr gleiches Volumen von mit Essigdaͤmpfen gesaͤttigter Luft verdraͤngt, und diese, gleichguͤltig auf welche Weise, das Local verlassen muß, so geht unter allen Umstaͤnden eine gleiche Quantitaͤt Essig fuͤr den Fabrikanten verloren. Ueber jedem Essigbilder muͤssen entweder an der Deke oder an der Seitenwand Oeffnungen angebracht werden, deren Oberflaͤche gleich ist der Oberflaͤche der Luftloͤcher in dem oberen Boden der Essigbilder. Fuͤr die hinzutretende Luft muͤssen an dem unteren Theile der Waͤnde, also unterhalb des Bodens der Faͤsser, Oeffnungen angebracht seyn, welche im Winter etwas kleiner seyn koͤnnen als die oberen Oeffnungen, und durch welche Luft in die Essigbilder eintritt. Das Hineinfuͤhren der Luft im Winter koͤnnte durch eine Roͤhre von Eisen oder Blech geschehen, deren Oeffnung nach Außen in der Naͤhe des Ofens angebracht werden kann. Eine weitere Bedingung ist, daß die Oeffnungen in dem oberen Boden der Essigbilder, aus welchen die Luft, die zur Oxydation gedient hat, austritt, genau im Verhaͤltnisse zu der atmosphaͤrischen Luft stehen, welche stuͤndlich das Faß passiren muß. In einer Stunde verzehrt jeder Essigbilder, indem er etwas uͤber 2 Maaß Essig liefert, den Sauerstoff von 25 K'. Luft. Die Geschwindigkeit, mit welcher die Luft durch einen Cylinder von 6' Hoͤhe stroͤmt, dessen innere Temperatur 36°, waͤhrend die der aͤußeren Luft 18° ist, betraͤgt in einer Secunde, nach Schmidt's Versuchen, 5,616''; hienach muß der Querdurchschnitt der Oeffnung in dem oberen Boden der Essigbilder, vorausgesezt, daß stuͤndlich 25 K'. Luft hindurchstroͤmen sollen, 2,137 Quadratzoll oder der Durchmesser 1,649'' betragen. Allein bei dem Durchgange der Luft durch die auf einander geschichteten Holzspaͤne wird diese Geschwindigkeit ausnehmend verlangsamt, sie betraͤgt noch nicht 1 1/4'' in der Secunde; und bei den angenommenen 25 K'. in der Stunde ist vorausgesezt worden, daß die ausstroͤmende Luft ihres Sauerstoffs aufs vollkommenste beraubt sey, was nie der Fall ist; man findet im Gegentheil in derselben noch 12–15 Proc. Sauerstoff; es geht daraus hervor, daß die obere Oeffnung wenigstens 6–8 Quadratzoll Durchschnitt besizen muß. Es ist eben so schwer, theoretisch ein genaues Maaß fuͤr die Oeffnungen der Essigkammer anzugeben, durch welche die Quantitaͤt der ein- und austretenden Luft regulirt wird. Dem angegebenen Falle, wo die Oeffnungen in der Deke oder der oberen Wand, durch welche der entsauerstofften Luft Ausgang verschafft wird, gleich seyn sollen den Oeffnungen in dem oberen Boden der Essigbilder, liegt die Voraussezung zum Grunde, daß die Temperatur des Fabriklocals die naͤmliche sey, wie die der aͤußeren Luft; dieß findet aber nur in den heißen Sommermonaten Statt, und da die Gesammtheit der ausstroͤmenden Luft zunimmt mit der Differenz der aͤußeren und inneren Temperatur, so folgt daraus, daß diese Oeffnungen in dem naͤmlichen Verhaͤltnisse veraͤndert werden muͤssen, als die aͤußere Temperatur niedriger ist. Der Luftwechsel oder Luftzug ließe sich aber durch Klappen oder Schieber sehr leicht auf einer constanten Groͤße erhalten. Eine dritte Bedingung ist, daß die Oeffnungen an dem unteren Theile des Fasses, wo die atmosphaͤrische Luft eintritt, zusammengenommen nicht kleiner sind, als die oberen, durch welche sie austritt. Diese Bedingung ist meistens erfuͤllt, aber in verkehrtem Sinne; gewoͤhnlich betraͤgt die Oberflaͤche dieser Loͤcher mehr als die der oberen Oeffnungen, waͤhrend sie der niedrigeren Temperatur am Boden des Fasses wegen um etwas kleiner seyn duͤrfen. Oben wurde erwaͤhnt, daß sich in den nicht fertigen Essigen unvollkommener Apparate Aldehyd finden werde; in der That zeigte der Essig jener Fabrik, welche die Zahl ihrer Essigbilder vermehrt hatte, deutlich den Aldehydgeruch, so wie folgende, das Daseyn des Aldehyds beweisende Eigenschaften: bei der Destillation des Essigs schielt man eine Fluͤssigkeit, welche mit etwas Kali erhizt sich dunkelbraun faͤrbte, und bei Zusaz einer Saͤure Aldehydharz fallen ließ; mit neutralem salpetersaurem Silberoxyd, bei Zusaz von etwas Ammoniak erwaͤrmt, wurden die Waͤnde des Gefaͤßes mit einem spiegelblanken Ueberzuge von reinem metallischen Silber uͤberzogen; und namentlich das erstere Mittel haͤlt Liebig fuͤr ein sehr einfaches, sicheres und nie truͤgendes Mittel fuͤr den Fabrikanten, den Zustand seiner Essigbilder zu pruͤfen. 2 Maaß (4 Pfd.) Essig werden in einer Retorte bei guter Abkuͤhlung der Destillation unterworfen, man laͤßt etwa 1/16 Maaß uͤbergehen und erhizt eine kleine Quantitaͤt des Destillats in einer Glasroͤhre mit etwas kaustischer Kalilauge; faͤrbt sich die Fluͤssigkeit weingelb, gelb, gelbbraun, braun, dunkelbraun, so steht der Aldehydgehalt und damit der Essigverlust in demselben Verhaͤltnisse, wie diese Faͤrbungen, und man hat bei dieser Gewißheit des Vorhandenseyns des Aldehyds seine Aufmerksamkeit auf Vermehrung des Luftzuges in den Faͤssern durch Vergroͤßerung der oberen Oeffnung oder durch Vermehrung des Luftzutrittes zu dem Essiglocale zu richten. Man haͤlt es fuͤr schwierig oder mit zu großem Verluste verbunden, die Staͤrke des Essigs uͤber einen gewissen Punkt hinaus zu steigern, allein Liebig ist uͤberzeugt, daß man ihn zu jeder beliebigen Staͤrke erhalten kann, wenn man bei jedem neuen Aufgusse eine kleine Quantitaͤt Branntwein zusezt; aber hiebei ist es noͤthig, daß die von Außen den Faͤssern zugefuͤhrte Luft bis zur Temperatur der Essigbilder erwaͤrmt werde. (Ann. der Pharmacie. XXI. S. 113.)