Titel: Aerztliche Gutachten über die Salubrität der Eisenbahntunnels.
Fundstelle: Band 65, Jahrgang 1837, Nr. XXVI., S. 111
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XXVI. Aerztliche Gutachten uͤber die Salubritaͤt der Eisenbahntunnels. Aus dem Mechanics' Magazine, No. 714, S. 27. Ueber die Salubritaͤt der Eisenbahntunnels. Bei dem Vielen, was vom sanitaͤtspolizeilichen Standpunkte aus von einigen Seiten gegen die Tunnels, durch welche Eisenbahnen gefuͤhrt werden sollen, gesagt worden ist, duͤrfte es nicht ungeeignet seyn, auch die Ansichten von Aerzten uͤber diesen Gegenstand zu vernehmen, und zwar von Aerzten, welche Chemiker genug sind, um die Sache allseitig pruͤfen zu koͤnnen. Wir theilen daher hier zwei solche Gutachten uͤber den Tunnel an der Eisenbahn zwischen Leeds und Selby mit. 1. Gutachten des Hrn. John Davy, M. D., Viceinspectors der Armeespitaͤler, und des Hrn. R. W. Rothman, M. A. und L. M. Fell. Trin. Coll. Cambr. Wir sind nach sorgfaͤltiger Untersuchung und Pruͤfung des besagten Tunnels der Meinung, daß derselbe durchaus keinen schaͤdlichen Einfluß auf die Passagiere habe. Wir kamen zu diesem Schluͤsse, indem wir fanden: 1) Daß die Luft in dem Tunnel zur Zeit der Durchfahrt nicht merklich verunreinigt ist, da dieselbe selbst nach wiederholten Durchfahrten auf chemischem Wege gepruͤft sich eben so verhalt wie die reine atmosphaͤrische Luft. 2) Daß die Temperatur der Luft im Tunnel, obschon sie allerdings mehr gleichfoͤrmig bleibt, als jene der aͤußeren atmosphaͤrischen Luft, von dieser nicht so sehr abweicht, als man hatte erwarten sollen. Bei dem waͤrmsten Wetter war die Luft in der Mitte des Tunnels nur um 8° kaͤlter, als die aͤußere Luft, welche 70° F. hatte, und im Februar, wo die aͤußere Luft 56° F. hatte, war die Differenz in der Mitte des Tunnels auch nur 8°. Wir sind uͤberzeugt, daß bei dem lezten strengen Winter die Temperatur im Tunnel nie auf den Gefrierpunkt sank. 3) Daß nach den von uns angestellten Versuchen die Feuchtigkeit der Luft im Tunnel noch gleichfoͤrmiger ist, als die Temperatur; und daß sie, wenn auch im Allgemeinen etwas staͤrker als jene der aͤußeren atmosphaͤrischen Luft, doch nie so bedeutend ist, daß sich die waͤsserigen Duͤnste auf die Wagen oder auf die Passagiere ablagern. 4) Daß wir an keiner Stelle des Tunnels saure oder andere schaͤdliche Ausduͤnstungen oder Effluvien bemerken konnten. Der Tunnel wird gegenwaͤrtig in seiner Dunkelheit durchfahren, und obschon dieß nicht im Geringsten gefaͤhrlich ist, so ist es doch fuͤr viele Leute sehr unangenehm, weßhalb man denn auch den Entschluß gefaßt haben soll, Lampen an den Wagen anzustellen. Das Geraͤusch, welches die Maschine und der Wagenzug erzeugen, scheint im Tunnel nicht groͤßer zu seyn, als in freier Luft, und nicht den geringsten haltbaren Grund zu Klagen abzugeben. Wir legen unserem Gutachten auch noch jenes des Hrn. Dr. Williamson, eines der ersten Aerzte in Leeds, bei. Es stimmt vollkommen mit unserer Ansicht uͤberein, ja wir zweifeln auch nicht ein Mal an der darin ausgesprochenen Meinung, daß das Fahren auf den Eisenbahnen der Gesundheit mancher kraͤnklicher Personen, namentlich bei leichten Brustbeschwerden, zutraͤglich ist. Der fragliche Tunnel befindet sich in der Naͤhe der Stadt Leeds, wo die Eisenbahn auslaͤuft. Er hat 700 Yards in der Laͤnge, 17 Fuß Hoͤhe und 22 Fuß Weite. Seine Richtung ist beinahe von Osten gen Westen. Die Neigung seines Bodens betraͤgt 1 in 300. Zu seiner Ventilirung dienen gegenwaͤrtig drei in ungleicher Entfernung von einander angebrachte Schachte, von denen der westlichste als der tiefste bis zum Boden des Tunnels 23 Yards mißt. Der Tunnel ist innen durchaus mit Baksteinen ausgemauert. Taͤglich ziehen 20 Maschinen und gegen 350 Passagiere durch ihn, wobei zu jeder Durchfahrt im Durchschnitte 1 1/4 Minute erforderlich sind. Der Dampf wird unter einem Druke von 56 Pfd. mit Kohks von bester Qualitaͤt erzeugt. Wir, die wir mit offenen Kutschenfenstern durch den Tunnel fuhren, wurden weder durch Rauch, noch durch Dampf, noch durch Luftzuͤge belaͤstigt; die Temperatur im Wagen war angenehm und Alles fuͤhlte sich troken an. Schließlich muͤssen wir bemerken, daß die hier ausgesprochene Ansicht auch auf alle uͤbrigen aͤhnlichen Tunnels angewendet werden kann, und selbst auf Tunnels von groͤßerer Laͤnge, wenn diese dafuͤr hoͤher und mit einer groͤßeren Anzahl von Ventilirschachten ausgestattet sind. 2. Gutachten des Hrn. James Williamson, aͤltesten Arztes am Krankenhaus in Leeds. Ich habe in Hinsicht auf die Wirkungen der Durchfahrt durch den Tunnel der Eisenbahn zwischen Leeds und Selby zu bemerken, daß mir weder in meiner Stellung als Spitalarzt, noch in meiner Privatpraxis auch nur ein einziger Fall vorgekommen ist, in welchem einer solchen Durchfahrt irgend ein nachtheiliger Einfluß auf die Gesundheit zugeschrieben werden konnte. Ich habe vielmehr vielen schwaͤchlichen Individuen zur Befestigung ihrer Gesundheit Eisenbahnfahrten empfohlen, und mich von den guͤnstigen Folgen, die hieraus selbst fuͤr Leute, die an leichteren Brustbeschwerden litten, erwuchsen, mehrfach uͤberzeugt. Ich habe die Gewißheit, daß sich in dem Tunnel nie Dampf, Rauch und die gasfoͤrmigen Resultate der Verbrennung in einer solchen Menge ansammeln, daß eine wesentliche Verunreinigung der Luft daraus entstuͤnde; und ich weiß auch, daß weder ein schaͤdlicher Grad von Feuchtigkeit, noch auch irgend eine andere, ihm eigenthuͤmliche Ausduͤnstung in demselben herrscht. Ich glaube, daß Leute mit sehr reizbarer Schleimhaut der Luftroͤhre die Luft des Tunnels eine betraͤchtliche Zeit lang einathmen koͤnnen, ohne im Geringsten dadurch belaͤstigt zu werden.