Titel: | Ueber die Gewinnung eines rothen Farbstoffes aus den Samen der Pflanze Peganum harmala. |
Fundstelle: | Band 69, Jahrgang 1838, Nr. LXXIX., S. 373 |
Download: | XML |
LXXIX.
Ueber die Gewinnung eines rothen Farbstoffes aus
den Samen der Pflanze Peganum harmala.
Aus dem zu St. Petersburg in russischer Sprache
erscheinenden Journal des
kaiserlichen Ministeriums des Innern, Nov. 1837, S. 339 und Maͤrz
1838, S. 65.
Ueber ein rothes Pigment aus der Harmala. Ueber die Gewinnung eines
rothen Farbstoffes aus den Samen der Harmelraute.
In der Krimm, den kaukasischen Provinzen und in den Niederungen der Wolga
waͤchst in großer Menge eine unter dem Namen Peganum
harmala
Die gemeine Harmala, auch Harmelraute oder wilde Raute genannt, Peganum Harmala nach Linné, gehoͤrt in die XI. Classe des Linné'schen Systemes oder in die
natuͤrliche Familie der Rutaceen. Sie waͤchst von Pesth in
Ungarn angefangen beinahe durch den ganzen Orient bis Aegypten, Persien und
Sibirien; auch in Spanien trifft man sie, uͤberall einen sandigen,
ziemlich unwirthbaren Boden einnehmend, bald nur einzeln vorkommend, bald
auch groͤßere Streken bedekend. Sie wird vom Viehe selbst bei großem
Hunger desselben nicht angegangen. Ihre kleinen, ekigen, schwarzrothen, in
dreiekigen Kapseln enthaltenen Samenkoͤrner fanden bisher mit
Ausnahme der in gegenwaͤrtigem Aufsaze erwaͤhnten keine
technische Anwendung. In einigen Gegenden der Tuͤrkei soll man sie
jedoch als ein berauschendes Gewuͤrz benuzen. A. d. R. bekannte Pflanze, deren Samen in Anatolien zum Rothfaͤrben
verschiedener Stoffe, namentlich der Feß (einer Art Muͤzen) verwendet werden
und die man auch in Rußland in der ehemals in der Krimm bestandenen Feßfabrik des
Generallieutenants Borosdin zum Faͤrben anzuwenden
versuchte. Der Farbstoff wurde daselbst auf folgende Art aus den Samen gewonnen: man
brachte 3 Pfd. reinen und trokenen Samens in ein Faͤßchen mit zwei
Boͤden und begoß ihn mit Branntwein, worin per
Wedro 1/4 Pfd. Salpeter und eben so viel Salmiak aufgeloͤst war, in solcher
Menge, daß Alles gehoͤrig angefeuchtet war; nachdem man das Faͤßchen
dann eine Woche lang auf dem einen Boden hatte stehen lassen, stuͤrzte man es
um und sezte diese Manipulation sechs Monate lang fort, wobei man darauf achtete,
daß uͤber den Samen immer Fluͤssigkeit stand. Diese Methode blieb
jedoch ziemlich unbekannt und wurde nicht vervollkommnet. Endlich erregte die
Harmalapflanze, welche sich ohne allen Nuzen vermehrte, waͤhrend sie den
Manufacturen große Vortheile haͤtte verschaffen koͤnnen, wenn man eine
geeignete Methode, den Farbstoff daraus zu gewinnen, gekannt haͤtte, die
Aufmerksamkeit des Oberinspectors der Seidenzucht, Staatsraths Steven, welcher mehreren Chemikern und insbesondere dem Professor der
Chemie in Dorpat,
Hofrath Goͤbel, Proben davon uͤberschikte
und sie aufforderte, ein zwekmaͤßiges Verfahren, das Pigment daraus zu
bereiten, auszumitteln. Dieß gelang auch Hrn. Prof. Goͤbel sehr bald, welcher von dem Minister des Innern noch
besonders aufgemuntert, seine Versuche weiter fortsezte und am 31. Maͤrz d.
J. dem Vorstand der Universitaͤt zu Dorpat nebst 50 Mustern seidener,
wollener und baumwollener Garne, die mit dem Harmala-Pigment in verschiedenen
Nuͤancen gefaͤrbt waren, folgende Bemerkungen uͤber die
Gewinnung des Pigments, das Verfahren, es auf den Gespinnsten oder Geweben zu
befestigen und die Haltbarkeit der Farbe uͤbergab:
„Nachdem ich die chemische Natur des Pigments kennen gelernt hatte
(welches die Rolle einer schwachen Saͤure spielt und mit basischen
Substanzen salzartige Verbindungen bildet), gelang es mir bald, eine wohlfeile
und im Großen anwendbare Darstellungsweise desselben auszumitteln und auch die
wollenen und anderen Stoffe solid damit zu faͤrben. Ich bin
uͤberzeugt, daß der aus der Harmala bereitete Farbstoff mehrere
kostspielige Pigmente, welche man aus dem Auslande bezieht, ersezen kann, und
nicht nur in Rußland wegen seiner Wohlfeilheit und bequemen Anwendungsweise ein
populaͤres Farbmaterial werden, sondern dereinst auch einen wichtigen
Handelsartikel zur Ausfuhr bilden wird.“
„Den Farbstoff kann man nach meinen Versuchen aus den Samen der Harmala in
kurzer Zeit und in beliebiger Quantitaͤt gewinnen; in einer dazu
eingerichteten Fabrik ließen sich in zwei Wochen 100–1000 Pud davon
darstellen. Der Farbstoff ist aber nicht urspruͤnglich als solcher in den
Samen enthalten, sondern bildet sich erst durch eine
chemische Wirkung.“
„Die Harmala waͤchst in den suͤdlichen Gegenden Rußlands in
sehr großer Menge, und der Oberinspector der Seidenzucht, Staatsrath Steven, schrieb mir aus Simpheropol unterm 3. Jan.,
daß er mir kuͤnftigen Herbst hunderte und tausende von Pud Samen schiken
koͤnne, wenn ich deren beduͤrfe; ein besonderer Anbau dieser
Pflanze sey in Rußland nicht noͤthig, denn in der Krimm und
uͤberhaupt in den suͤdlichen Steppen, so wie an der
Muͤndung des Belbek, in der Naͤhe von Sebastopel, koͤnne
man Striche von mehreren Quadratwersten damit bedekt sehen. Ich ersuchte ihn,
mir im kuͤnftigen Herbst eine bedeutende Menge Samen zukommen zu lassen,
um den Farbstoff im Großen darstellen und weiteren Untersuchungen unterziehen zu
koͤnnen; ohne Zweifel werden sich damit auch schoͤne Lake
fuͤr die Maler erzielen lassen.“
„Um mit dem Harmala-Pigment zu faͤrben, erhizt man dasselbe
in einem
Gefaͤß aus Kupfer, Zinn oder Steingut einige Zeit mit Wasser,
erhaͤlt die Fluͤssigkeit einige Minuten im Sieden und filtrirt sie
dann durch Leinwand. 1 Gewichtstheil Pigment liefert mit 6–10 Theilen
Wasser eine stark gefaͤrbte Aufloͤsung. Die zu faͤrbenden
Stoffe werden gut gereinigt und mit Wasser angefeuchtet in den filtrirten Absud
des Pigments gebracht, welchen man dann allmaͤhlich wieder bis zum Sieden
erhizt, indem man die Stoffe gehoͤrig wendet, damit die Farbe
uͤberall gleichmaͤßig eindringen kann. Nachdem die Stoffe aus dem
Absud herausgenommen wurden, spuͤlt man sie zur Beseitigung eines gelben
Pigments zuerst in kaltem und dann in warmem Wasser, und troknet sie, wenn die
daraus ablaufende Fluͤssigkeit farblos erscheint. Diese Operation ist
offenbar so einfach, daß sie jede Hausfrau vornehmen kann. Durch dieselbe wird
jedoch die Aufloͤsung des Pigments keineswegs erschoͤpft, sondern
man kann dann noch eine neue Quantitaͤt Stoff darin in hellerer
Nuͤance faͤrben. Die von mir eingesandten und nach diesem
Verfahren gefaͤrbten Muster waren urspruͤnglich weiß und mit keiner Beize vorbereitet und wurden auch nach dem
Faͤrben bloß ausgewaschen.“
„Nach meinen bisherigen Erfahrungen lassen sich mit einem Pfund
Harmala-Pigment, welches auf hoͤchstens zwei Rubel Assignate zu
stehen kommen duͤrfte, wenigstens sechs Pfund Wolle oder Baumwolle dunkel
faͤrben und mindestens zehn bis fuͤnfzehn Pfund dieser Stoffe in
hellen Nuͤancen. Von Seidenzeugen kann man damit 30–50
Quadratarschinen in dunklen Toͤnen faͤrben. Auf Seidenzeugen
haftet das Pigment am besten und liefert darauf auch sehr helle Schattirungen,
die sich gut ausnehmen; nach der Seide folgt die Wolle und dann erst Leinen und
Baumwolle. Ich zweifle jedoch nicht, daß sich auch Leinen und Baumwolle solid
und in satten Toͤnen damit werden faͤrben lassen, wenn man sie
durch geeignete Beizen zur Aufnahme des Pigments vorbereitet.“
„Wie viel Pigment sich aus einer bestimmten Quantitaͤt
Harmala-Samen darstellen laͤßt, kann ich erst bestimmen, wenn ich
einmal Versuche in groͤßerem Maaßstabe anzustellen im Stande
bin.“
„Die mit Harmala-Pigment gefaͤrbten Stoffe verschießen nicht; einige von den eingesandten
MusternHr. Hofrath Goͤbel, welcher auf einer
wissenschaftlichen Reise kuͤrzlich nach Augsburg kam, hatte die
Gefaͤlligkeit, uns die von ihm mit Harmala-Pigment
gefaͤrbten Proben von Gespinnsten zu zeigen; nach diesen
verspricht das neue Pigment in der Folge, wenn es einmal Handelsartikel
ist, fuͤr die Faͤrbereien und Drukereien allerdings sehr
wichtig zu werden. A. d. R. wurden gewaschen, mit russischer Seife eingerieben, blieben so acht
Stunden lang liegen und wurden dann erst in siedendes Wasser gebracht, worin man
sie bis zum Erkalten
ließ; hierauf rieb man sie wieder stark, spuͤlte sie und unterwarf sie
nochmals derselben Operation, worauf die Farben, mit Ausnahme der seidenen
Stoffe, endlich etwas heller erschienen, Hieraus kann man schließen, daß sich
die mit dem neuen Pigment gefaͤrbten Gewebe auf gewoͤhnliche Weise
wohl zwanzig Mal waschen lassen werden, ehe sie merklich heller
werden.“
„Bis zu welchem Grade die mit dem Harmala-Pigment gefaͤrbten
Stoffe dem Licht widerstehen, konnte ich in der kurzen Zeit, und weil die
Versuche im Winter angestellt wurden, nicht ermitteln; es scheint jedoch, daß
das Licht auf sie keinen großen Einfluß hat. Durch verduͤnnte
Schwefelsaͤure und Lauge leidet die Farbe fast gar nicht; jene macht sie
nur etwas lebhafter und diese etwas dunkler.“