Titel: Beiträge zur Kenntniß des auswählenden Absorptionsvermögens der Kohle; von Dr. Luedersdorf.
Fundstelle: Band 71, Jahrgang 1839, Nr. XLVII., S. 230
Download: XML
XLVII. Beitraͤge zur Kenntniß des auswaͤhlenden Absorptionsvermoͤgens der Kohle; von Dr. Luedersdorf. Aus dem Journal fuͤr praktische Chemie, 1838, Nr. 23. Luedersdorf, uͤber das Absorptionsvermoͤgens der Kohle. Daß die Kohle, wenn ihr zur Absorption verschiedene Gasarten dargeboten werden, mit einer gewissen Auswahl ihr Anziehungsvermoͤgen geltend macht, ist laͤngst bekannt. So auch ihre Wirkung bei der Absorption verschiedener Farbematerien. Weniger festgestellt ist indeß diese Eigenschaft fuͤr andere Substanzen, wenn diese in ein und demselben Loͤsungsmittel der Einwirkung der Kohle ausgesezt sind. Ich habe Gelegenheit gehabt, einige hieher gehoͤrige Beobachtungen zu machen, und hafte dieselben der Mittheilung nicht unwerth. Es war die Fabrication des Runkelruͤbenzukers, die bei einer ihrer Operationen Erscheinungen dieser Art auffallend darbot, naͤmlich bei der sogenannten Kohlenfiltration. Hier, wo der gelaͤuterte und bis auf einen gewissen Concentrationsgrad eingedikte Runkelrubensaft, hauptsaͤchlich zur Abscheidung des Farbstoffes und des sogenannten Schleimes, der Einwirkung der Kohle uͤberlassen wird, zeigt es sich sehr deutlich, wie die Kohle bei der Absorption der verschiedenen Bestandtheile des Saftes auswaͤhlend zu Werke geht. Jener Saft enthaͤlt naͤmlich: Zuker, Schleim (ein Gemenge von Extractivstoff, Gummi, Pflanzenschleim etc.), schwefelsauren Kalk, salpetersauren Kalk, salpetersaures Kali etc. und Aezkalk, in Wasser aufgeloͤst. Wird nun ein solcher Saft durch eine Schicht angefeuchteter und fest eingestampfter Knochenkohle filtrirt, so erscheint als erstes Filtrationsproduct reines Wasser, jedoch sichtbar in groͤßerer Menge als das zum Anfeuchten der Kohle verwendet gewesene. Auf dieses folgt alsdann ein Wasser von zunehmendem salzigem Geschmak, Nachdem auch dieses in betraͤchtlicher Menge abgelaufen ist, faͤngt dasselbe an suͤßlich zu werden, und der vorher so auffallende Salzgeschmak tritt mehr und mehr, in Hintergrund, so daß bald eine scheinbar rein suͤße Fluͤssigkeit seine Stelle einnimt. Diese leztere fließt jezt ohne in geraumer Zeit eine Veraͤnderung bemerken zu lassen, in bedeutender Quantitaͤt ab; nach laͤngerer Zeit jedoch faͤngt sie an alkalisch zu reagiren, und diese Reaction nimmt mit den naͤchstfolgenden Quantitaͤten ziemlich schnell zu. Nach Verlauf einiger Zeit erscheint darauf die ferner ablaufende Fluͤssigkeit schwach gefaͤrbt und erhaͤlt sich in dieser geringen Faͤrbung sehr lange, bis nach und nach die Farbe immer staͤrker wird und der Syrup das Filter endlich eben so braun verlaͤßt als er auf dasselbe gelangt war, womit dann die Wirkung der Kohle zu Ende ist. Bei Untersuchung der einzeln aufgefangenen Filtrationsproducte zeigt sich nun, daß das erste aus reinem Wasser besteht, indem, wie schon gesagt, dasselbe in groͤßerer Menge erscheint, als es derjenigen Quantitaͤt nach, welche zum Befeuchten der Kohle verwendet worden ist, erscheinen koͤnnte. Das zweite Product enthaͤlt die vorbenannten Salze, ohne eine Spur von Zuker (es versteht sich von selbst, daß die einzelnen Filtrate immer fruͤher weggenommen wurden, als sich die Uebergangsproducte zeigten). In dem dritten Product erscheint dagegen außer den Salzen auch Zuker, und zwar in uͤberwiegender Menge, jedoch ohne eine Spur von freiem Kalk. Erst in dem vierten gesellt sich dieser hinzu, so daß diese Portion also die Salze, Zuker und Kalk mit sich fuͤhrt. In dem fuͤnften Producte kommen darauf Salze, Zuker, Kalk und Schleim, dem bald eine geringe Menge Farbstoff folgt, zum Vorschein, wonach das Product also die Durchgangsperiode dieses Schleimes bezeichnet. In dem sechsten Product endlich, nachdem sich die Kohle vollstaͤndig mit Farbstoff gesaͤttigt hat, reihet sich auch dieser den vorbenannten Materien an. Ohne zu uͤbersehen, daß die Kohle schon allein als poroͤser Koͤrper eine aͤhnliche Wirkung zeigen muß, ist die obige Wirkungsweise doch viel zu geregelt, als daß sie nicht der Kohle als solcher zugeschrieben werden muͤßte. So sehen wir also, daß das Anziehungsvermoͤgen der Kohle sehr viele Koͤrper gleichzeitig umfaßt, denn sie beschraͤnkt sich in dieser Anziehung nicht allein auf die indifferenten Substanzen der Organreihe, sondern sie uͤbt dieselbe auch auf Salze, ja sogar auf. Alkalien aus. Und so sehen wir ferner, daß das Anziehungsvermoͤgen nicht ein fuͤr alle Substanzen gleichwerthiges, sondern ein nach der Natur der Substanzen, also in Hinsicht seiner objectiven Groͤße, bedingtes ist. Denn wenn schon die Kohle zunaͤchst saͤmmtliche, in der Aufloͤsung enthaltene Materien aufnimmt, so ist sie durch diese, ihrer Summe nach, keineswegs absolut gesaͤttigt, sondern sie entlaͤßt einige derselben wiederum, sobald ihr in neuen Portionen der gemeinschaftlichen Aufloͤsung die Wahl unter den aufzunehmenden Materien gelassen ist, um dafuͤr andere, ihrer Anziehung naͤher entsprechende, festzuhalten. Dieses Aufnehmen und Entlassen wechselt aber so lange, bis die Menge derjenigen Substanz, fuͤr welche die Kohle das relativ groͤßte Anziehungsvermoͤgen besizt, groß genug ist, dieses Anziehungsvermoͤgen allein und ausschließlich zu saͤttigen. Der vorstehende Versuch zeigt dieß sehr deutlich. Zuerst entlaͤßt die Kohle reines Wasser, ihre Anziehungsgroͤße reicht also hin, saͤmmtliche in Wasser aufgeloͤst gewesenen Materien festzuhalten. Bald indessen gibt sie die Salze ab, so wie ihr neue Antheile der Aufloͤsung zugefuͤhrt werden, und haͤlt dagegen nur Zuker, Kalk, Schleim und Farbstoff fest, woraus hervorgeht, daß sie zu den leztgenannten Substanzen ein groͤßeres Anziehungsstreben besizt als zu den Salzen. Aber auch diese Substanzen bleiben nicht gebunden, denn alsbald gibt die Kohle auch den Zuker frei, um statt seiner groͤßere Mengen der noch uͤbrigen Bestandtheile des Saftes aufzunehmen; und so scheidet eines nach dem anderen aus, bis der Farbstoff durch seine absolute Menge das Anziehungsvermoͤgen der Kohle allein zu saͤttigen vermag, so daß die Kohle also fuͤr diese Substanz das relativ groͤßte Anziehungs- oder Bindungsvermoͤgen besizt. So weit diese Erscheinungen davon entfernt sind, der Kohle als Reagens eine wissenschaftliche Geltung zu geben, so sind sie doch in praktischer Beziehung von großer Wichtigkeit. Schon in dem vorliegenden Falle erklaͤrt sich aus der großen Saͤttigungsfaͤhigkeit des Farbstoffes fuͤr die Kohle die Notwendigkeit des ungeheuren Verbrauches der lezteren bei der Runkelruͤbenzuker-Fabrication. Denn da die Kohle hier nicht allein den Farbstoff, sondern auch den Schleim absorbiren soll, und da, wie wir gesehen haben, der Schleim durchaus dem Farbstoffe weicht, so lange die Kohle nur noch irgend etwas von dem lezteren habhaft werden kann, so ist schon bei der bedeutenden Saͤttigungscapacitaͤt des Farbstoffs der große Kohlenaufwand nicht mehr befremdlich, und er wird es noch weniger, wenn, wie bereits gesagt ist, auch der Schleim aus dem Saft entfernt werden soll. Ist nun in dem Runkelruͤbensafte der Farbstoff offenbar das geringere, der Schleim aber das viel groͤßere Hinderniß, so ist es klar, daß man auch dem lezteren die groͤßere Aufmerksamkeit zuwenden muß. Soll aber der Schleim durch Kohle beseitigt werden, so darf man, wie aus Obigem hervorgeht, die Filtration nicht so lange fortsezen, bis das Filtrat anfaͤngt sich tiefer zu faͤrben, denn mit dem Erscheinen der ersten Spur von Farbe gibt sich die volle Saͤttigung der Kohle mit Schleim zu erkennen, die Kohle vermag also von da ab nicht nur keinen Schleim mehr aufzunehmen, sondern sie entlaͤßt laͤßt sogar, je nachdem sich dieselbe mehr und mehr mit Farbstoff saͤttigt, den bereits fruͤher absorbirten. Somit waren obige Beobachtungen und die nothwendige Schluß, folge, daß bei dem obwaltenden Saͤttigungsverhaͤltnisse des Farbstoffs und des Schleimes an eine Ersparnis der Kohle durch veraͤnderte Anwendung derselben nicht zu denken sey, die Ursache einer Reihe von Versuchen zur gaͤnzlichen Entbehrung der Kohle durch Vorbeugung der Entstehung des Schleimes und Farbstoffs. Ich unterzog mich diesen Versuchen um so lieber, da mit dem enormen Verbrauche der Kohle natuͤrlich auch der Preis derselben außerordentlich stieg und in demselben Verhaͤltnisse die Aussicht auf Erfolg fuͤr die neuerstandene Runkelruͤbenzuker-Fabrication fiel. Das Naͤhere uͤber die gluͤkliche Loͤsung dieser Aufgabe behalte ich mir vor, da die vorstehende Mittheilung nur die Erweiterungen der bisherigen Erfahrungen uͤber die eigenthuͤmliche Wahlanziehung der Kohle zum Zwek haͤtte.