Titel: Eine zweite Beleuchtung der Kurbel in Folge der ersten von Herrn Neukranz in London, enthalten im Bd. LXXIV. Heft 1, S. 29 dieses Journals; von L. G. Treviranus, Mechaniker in Blansko in Mähren.
Fundstelle: Band 75, Jahrgang 1840, Nr. XVIII., S. 84
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XVIII. Eine zweite Beleuchtung der Kurbel in Folge der ersten von Herrn Neukranz in London, enthalten im Bd. LXXIV. Heft 1, S. 29 dieses Journals; von L. G. Treviranus, Mechaniker in Blansko in Maͤhren. Treviranus, uͤber die Kurbel. Der obige Gegenstand, worüber Hr. Russel in der Society of arts von Schottland sprach, welchen seitdem Hr. Neukranz in jenem Aufsaze gründlicher beleuchtet und in welchem er Hrn. Russel's Meinung, als auf Irrthümern und Trugschlüssen beruhend, dargethan zu haben vermeint; dieser Gegenstand ist auch nach meinem Bedünken fürs Maschinenwesen, besonders in Bezug auf Dampfmaschinen, von zu großer Wichtigkeit, als daß er nicht noch eine abermalige Beleuchtung um deßwillen verdienen sollte, als mindestens ich das Endresultat von Hrn. Neukranz's Untersuchungen nicht als geltend annehmen kann, auch nicht zweifle, daß vielleicht eben so viele gewichtige Männer, als er für die Wahrheit seiner Säze anführen könnte, sich zu den Ansichten des Hrn. Russel bekennen werden, wenn sie sonst nicht etwa schon vorher, ehe dieser seine Ansichten veröffentlichte, dieselben hatten. So viel ich nun aus Hrn. Neukranz's Abhandlung entnehme, sind es hauptsächlich zwei Säze, welche Hr. Russel aufstellte und deren Wahrheit Hr. Neukranz zu widerlegen sich bemühte. 1) Die einzelnen Momente in der Kurbelbahn seyen unter sich gleich. 2) Auch das ganze Moment in der Kurbelbahn gleich dem Momente der Triebkraft. Diese beiden Säze, bin ich der Meinung, lassen sich unter zwei Voraussezungen wohl beweisen. Die eine ist, daß die Kurbel mit einem Schwungrad in Verbindung stehend angenommen, und die andere, daß die Sache bloß theoretisch genommen werde. Unter welchen etwaigen Voraussezungen Hr. Russel den Beweis und wie er ihn führte, ist mir nicht mehr bekannt, indem ich in diesem Journal wohl, was er über die Kurbel vorgetragen hat, las, weil es aber größtentheils, oder in der Hauptsache, mir schon Bekanntes betraf, keine besondere Notiz davon nahm, und das betreffende Heft mir gerade gegenwärtig nicht zur Hand ist. Dieser Umstand wird indessen nichts zur Sache beitragen, indem es sich hier nur um den Beweis der beiden Säze handeln soll. Bemerken muß ich noch vorher, daß mir's in der Abhandlung des Hrn. Neukranz sehr auffallend war, daß er auch nicht mit einem Worte des der Kurbel doch so nöthigen Schwungrades Erwähnung that, wenn durch eine auf ihre Warze wirkende Triebkraft eine regelmäßige Circularbewegung erzeugt werden soll, ja sogar auch bei seinen Versuchen über die Kurbel, wie es scheint, kein Schwungrad mit in Anwendung brachte, was freilich aber auch bei der langsamen Bewegung einer Wasserpresse von wenig oder gar keinem Nuzen gewesen seyn möchte. Die Kurbel und das Schwungrad betrachte ich in dem Falle, welchen ich hier annehme, wo nämlich durch ihre Hülfe eine geradlinige hin und her gehende Bewegung in eine Circularbewegung verwandelt werden soll, als zwei unzertrennliche Stüke, mit Ausnahme der Fälle, wo die in Bewegung zu sezenden Maschinerien von der Art sind, um des Schwungrades entbehren zu können. Wohl ist bekannt, daß ein Schwungrad an und für sich genommen keine Kraft geben kann, sondern der Reibung wegen, welche sein Gewicht verursacht, und wegen des Widerstandes der Luft einen Theil der Triebkraft raubt; aber hier nehmen wir, wie gesagt, die Sache bloß theoretisch. Denken wir uns nämlich die Kurbel in Verbindung mit einem Schwungrade von hinreichendem Gewicht und hinreichender Umfangsgeschwindigkeit, um den Ueberfluß an Kraft, welchen es unter günstigen Positionen der Kurbel von der Triebkraft empfing, unter ungünstigen Positionen derselben wieder abgeben zu können, dann kommen wir zu dem ganz einfachen Schlusse: die einzelnen Momente im Umfange der Kurbelbahn werden alle sehr nahe unter sich gleich seyn, obgleich die dazu correspondirenden einzelnen Momente der Triebkraft mit der Stellung der Kurbel jeden Augenblik wechseln, und zweimal in der ganzen Bahn von 0 bis zu einem gewissen Betrag wachsend, und zweimal von diesem Betrag an bis auf Nichts wieder abnehmend seyn werden. Dieses glaube ich, ist so klar, daß es keiner besonderen Erläuterung mehr bedürfen wird, und somit wäre denn der erste Saz des Hrn. Russel hinsichtlich der Gleichheit der einzelnen Momente in der Kurbelbahn schon bewiesen. Jedenfalls können allen Erfahrungen zufolge durch gehörige Verhältnisse von Masse und Geschwindigkeit des Schwungrades zur Triebkraft die einzelnen Momente in der Kurbelbahn einander so nahe gleich gemacht werden, als es irgend ein praktischer Fall nur verlangen mag, obschon eine ganz vollkommene Gleichheit zu erlangen praktisch unmöglich und auch nicht einmal denkbar ist. Es wäre also jezt die Wahrheit des zweiten Sazes noch zu beweisen, daß nämlich: das ganze Moment der Kurbelbahn gleich sey dem Momente der Triebkraft, oder mit anderen Worten: das Moment der Last gleich sey dem Moment der Kraft. Zur leichteren Beweisführung und als Triebkraft sey es mir erlaubt, eine doppeltwirkende Dampfmaschine ohne Expansion anzunehmen, ob Hoch- oder Niederdruk ist gleichgültig, nur schließen wir alle Hindernisse der Bewegung von den Berechnungen aus, und sezen also das ganze mechanische Moment oder die gesammten einzelnen Momente, welche während eines Doppelhubes auf die Warze der Kurbel wirken, gleich dem Momente des Dampfkolbens im Cylinder. – Die Hubhöhe des Kolbens betrage 48 Zoll, also der Radius der Kurbel 24 Zoll. Nehmen wir zulezt zum Behuf der Beweisführung an, der Maschinenwelle könne auf zwei verschiedenen Wegen, von der Verbindungs- oder Bläuelstange aus die Circularbewegung ertheilt werben, einmal durch die Kurbel, das anderemal auf eine andere Art, welche ich näher angeben werde. Diese leztere Art bestehe darin, daß das untere Ende der Verbindungsstange gabelartig, zwei inwendig gezahnte Rechen erhielte, welche ein halbgezahntes Getriebe der Maschinenwelle zwischen sich einschlössen, so daß die Zähne der Rechen wechselweise mit denen des Getriebes in Eingriff kämen, und es während eines ganzen Hubes der Maschine einen completen Umlauf machte. In diesem Falle, wird zugegeben werden müssen, wäre die Verwandlung der geradlinigen in die Circularbewegung ohne Kraftverlust bewerkstelligt worden, indem der Radius des Getriebes als unveränderlich angenommen wird und die Rechen stets in der Richtung der Tangente auf das Getriebe wirken würden; anderweitige Nachtheile, welche eine solche Einrichtung mit sich führen möchte, kommen hier nicht in Anschlag, weil, wie gesagt, wir die Sache bloß theoretisch nehmen. Die Länge des Kolbenhubes wurde zu 48 Zoll angenommen, ein Doppelhub wäre = 96 Zoll, und es folgt, daß der Durchmesser des Getriebes 96/3,14 = 30,576, also der Radius 15,₂₈₈ Zoll seyn müßte. Zur weiteren Vergleichung der beiden angenommenen Fälle ist jezt noch nothwendig, auch die Länge des mittleren Radius der Kurbel von 24 Zoll wirklichen Radius zu wissen. Wenn die halbe Kurbelbahn in 10 gleiche Theile getheilt und der Radius = 100 angenommen wird, so ist zufolge der Tabelle S. 32 von Hrn. Neukranz's Abhandlung der mittlere Radius nach Hrn. Russel's Berechnung = 63,₁₃₈. Als ich aber selbst, zur Prüfung dieser Angabe, den Umfang des Halbkreises in 12 gleiche Theile theilte, also die Sinus der Winkel von 15 zu 15° statt von 18 zu 18° nahm, fand ich den mittleren Sinus oder mittleren Radius etwas größer, nämlich = 63,₂₉₈. Läßt man diese Zahl gelten, weil sie wegen der größeren Zahl der Theilungspunkte der Wahrheit näher liegen muß als jene, berechnet danach und im Verhältniß = 100 : 63,₂₉₈ den mittleren Radius für die Kurbel, so finden sich 15,₁₉₂ Zoll, und diese Zahl müßte dann als die Länge des mittleren effectiven Hebelarmes der Kurbel betrachtet werden, auf welchen die Dampfmaschine constant wirkte und welcher in Verbindung mit dem Schwungrade die Kurbelwelle mit derselben Kraft und in derselben Zeit umtreiben würde, als mit Hülfe der gezahnten Rechen und des Getriebes geschah, wenn nämlich dieser mittlere Hebelarm dem Radius des Getriebes gleich wäre. Aber wie viel fehlt hier an der Gleichheit? Der Radius des Getriebes fand sich = 15,₂₈₈ Zoll, der mittlere der Kurbel ist = 15,₁₉₂ Zoll, also zu Gunsten des Getriebes nur eine Differenz von 0,₀₉₆ oder beinahe 1/10 Zoll. Fand nun aber beim Gebrauch des Getriebes gar kein Kraftverlust Statt, so könnte den Schlüssen und der Rechnung zufolge beim Gebrauche der Kurbel nur beiläufig der zehnte Theil von 15,3, das ist 1/153 von der Triebkraft verloren gehen, nämlich unter der Voraussezung stets paralleler Lagen der Verbindungsstange. Dieser Kraftverlust würde aber in der Berechnung fast als nichts erschienen seyn, wenn der mittlere Radius der Kurbel aus einer sehr großen Anzahl Punkte abgeleitet worden wäre. So folgt denn zulezt von selbst aus mechanischen Grundsäzen, daß, wenn bei der Kurbel kein Kraftverlust Statt findet, das ganze Moment im Umfange der Kurbelbahn gleich seyn muß dem ganzen Momente des Dampfkolbens für einen completen Hub. – Dieses war es, was ich noch beweisen wollte, und dieses hoffe ich, ist jezt unumstößlich geschehen. Alle gemachten Schlüsse sind, wie gleich Anfangs bemerkt wurde, nur als theoretisch richtig zu nehmen, aber auch in der Wirklichkeit bestätigt sich ihre Wahrheit mehr oder minder an den Dampfmaschinen. Denn wäre Hrn. Neukranz's Behauptung hinsichtlich des Kraftverlustes etwa richtig, so müßte, abgesehen von aller Reibung und allen sonstigen Hindernissen der Bewegung, das theoretische Moment der Last am Kurbel- und Schwungradswellbaume nur 100 – 36,₆ = 63,₂ Proc. vom theoretischen Momente des Kolbens im Cylinder betragen können. Es wird sich aber nicht in Abrede stellen lassen, daß eine gut gebaute Niederdrukdampfmaschine mit Kurbel und Schwungrad (bei vollem Dampf und voller Belastung) am Kurbelwellbaume einen wirklichen Nuzeffect ausübt, welcher dem eben angegebenen theoretischen Nuzeffect gleichgesezt werden kann, wenn man nämlich den mittlern Druk des Dampfes im Cylinder für das Moment der Kraft in Rechnung bringt, und nicht den des Dampfkessels, welcher immer etwas höher ist. Wie ließe sich diese Thatsache aber erklären, wenn man annehmen wollte, der Maschine gingen schon allein durch die Anwendung der Kurbel 36,8 Proc. an Kraft verloren, und woher nähme sie dann in diesem Falle das Vermögen, nebenbei noch alle die vielen übrigen Bewegungshindernisse zu überwinden? Hr. Neukranz wird schwerlich diese Frage anders genügend beantworten können, als wenn er zugibt, daß er sich hinsichtlich des Kraftverlustes der Kurbel im Irrthume befand. Sein Saz stimmt weder mit der Theorie noch mit der Erfahrung überein; dieses ist der definitive Schluß des Ganzen.