Titel: Ueber die Verwendung der Kinder in den Fabriken und Werkstätten und über die für die Gesundheit und Stärke der Individuen daraus erwachsenden Folgen.
Fundstelle: Band 77, Jahrgang 1840, Nr. XXXVI., S. 150
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XXXVI. Ueber die Verwendung der Kinder in den Fabriken und Werkstaͤtten und uͤber die fuͤr die Gesundheit und Staͤrke der Individuen daraus erwachsenden Folgen. Ueber die Verwendung der Kinder in den Fabriken. Ein in Frankreich den Kammern vorgelegter, zum Schuze der in den Fabriken verwendeten Kinder bestimmter Gesezesentwurf veranlaßte den bekannten Statistiker, Baron Charles Dupin, über diesen Gegenstand Nachforschungen anzustellen, und das Resultat derselben in einem vor der Akademie in Paris gehaltenen Vortrage niederzulegen. Die Comptes rendus de l'Acadèmie enthalten einen Auszug aus diesem Vortrage, aus welchem wir für unsere Leser das Wesentliche und Interessantere entnehmen zu müssen glauben. Der Fabrikbetrieb mit leblosen Kräften, nämlich mit Wasser und Dampf, die nie ermüden, erzeugte für die Arbeit des erwachsenen Menschen und noch mehr für jene der Jugend eine sehr gefährliche Concurrenz. In England, wo man diese leblosen Kräfte zuerst in größerer Ausdehnung in Anwendung zog, fühlte man auch zuerst die für die Gesundheit der jüngeren Arbeiter daraus erwachsenden üblen Folgen; in England war man daher auch zuerst zu schüzenden Maßregeln, die bis zum Jahre 1802 zurükreichen, gezwungen. Diese Maßregeln erhielten von dieser Zeit an eine weitere Entwikelung; während man früher für die Erwachsenen sowohl als für die Jugend die Dauer der Arbeit in gleichem Maaßstabe beschränkte, blieb man zulezt als Hauptverbesserung dabei stehen, daß man für die Jugend von 13 bis zu 18 Jahren die tägliche Arbeitszeit auf 12 Stunden, und für Kinder unter 13 Jahren auf 8 Stunden beschränkte. Ich habe Untersuchungen darüber angestellt, ob aus diesen beschränkenden, zum Schuze der Jugend gegen die Habgier der Unternehmer bestimmten Verordnungen für die Entwikelung der Industrie Nachtheile erwachsen sind, und dabei namentlich die Baumwoll- und Wollenwaaren-Fabriken, welche diese Verordnungen besonders trafen, zum Grunde gelegt. Nachstehende, aus amtlichen Documenten gezogene Tabelle enthält das Resultat dieser Untersuchungen. Textabbildung Bd. 77, S. 150 Benennung der Producte; Wirklicher oder declarirter Werth der aus England ausgeführten Fabricate; Im Jahre 1800, vor dem zum Schuze der Kinder erlassenen Geseze; Im Jahre 1838, 36 Jahre nach dem zum Schuze der Kinder erlassenen Geseze; Im Großbritannien fabricirte Baumwoll- und Wollenwaaren; Andere Fabricate aller Art Hieraus folgt, daß vom Jahre 1800 bis 1838 die Ausfuhr der englischen Fabricate, was die Baumwollen- und Wollenwaaren anbelangt, in Folge des Schuzgesezes oder ungeachtet desselben um 155 Proc., für alle übrigen Fabricate aber nur um 11 2/3 Proc. gestiegen ist. Die 36jährige Erfahrung in einem Hunderte von Millionen verkehrenden Industriezweige spricht demnach ganz zu Gunsten der Schuzmaßregeln; sie schlägt all das alarmirende Geschrei nieder, welches die Habgier zu erzeugen wußte. – Allein nicht bloß vom finanziellen Standpunkte aus ist diese Frage zu betrachten, sondern noch mehr vom sanitätspolizeilichen; denn die Erhaltung gesunder und kräftiger Körper ist für den Staat von höchster Wichtigkeit. Die in Frankreich eingeführte Militärconscription schien mir in dieser Beziehung die besten Anhaltspunkte zu liefern, und ich verglich daher 10 bloß Landwirtschaft treibende Departements mit 10 anderen vorzugsweise industriellen Departements. Ich will einige der hiebei sich herausstellenden Unterschiede anführen. In den 10 ersteren Departements müssen, um 10,000 zum Militärdienste geeignete Individuen von 20 Jahren zu erhalten, 4029 Kränkliche, Krüppelhafte oder Schwächliche ausgestoßen werden, in den 10 lezteren Departements dagegen 9930. Ja das Verhältniß ist in einigen Orten ein noch weit größeres; denn in Rouen müssen auf 10,000 diensttaugliche Soldaten 17,000, in Elbeuf 20,000 und in Bolbec gar 50,000 Untaugliche ausgestoßen werden, was ans Unglaubliche gränzt. Aus allen diesen Daten geht hervor, daß die Behandlung und Anstrengung, welche die Jugend unter 20 Jahren in den Fabriken erleidet, die physische Entwikelung in bedeutendem Grade beeinträchtigt. Eine der mächtigsten Ursachen dieser unbestreitbaren Schwächung der Körper liegt aber in der übermäßig langen Arbeitszeit, welche man der Jugend und namentlich den Kindern auferlegt. Ein Vergleich zwischen den zwei Departementen des Elsasses mit zweien der Normandie sezt dieß außer allen Zweifel. Im Elsaß nämlich, wo die Arbeitszeit der Jugend und der Kinder höchstens 13 bis 14 Stunden beträgt, müssen auf 10,000 Soldaten nur 6828 Untaugliche ausgestoßen werden, während im Departement der Seine Inférieure und im Dept. de l'Eure, wo die Arbeitszeit in vielen Fällen 14, 15, ja sogar 16 Stunden des Tages beträgt, auf 10,000 Soldaten 15,628 Untaugliche kommen. Man hat gegen die Bestimmung der Gränzen der Arbeitszeit in Frankreich die Einwendung gemacht, daß bei der großen Verschiedenheit der Racen, aus denen die Bevölkerung besteht, und bei der Verschiedenheit des Klima's die Entwikelung der Kräfte eine so verschiedene sey, daß man für sämmtliche Departements nicht wohl von einer und derselben Basis ausgehen könne. Dieß ist allerdings in einiger Beziehung richtig; allein der Unterschied ist denn doch nicht so gar bedeutend, da Frankreich nur 10 Breitengrade und eben so viele Längengrade einnimmt, und beinahe überall ein mildes Klima besizt, in welchem, wenn auch bezüglich der Entwikelung der Mannbarkeit merkliche Unterschiede bestehen, diese Unterschiede bezüglich der Entwikelung der Muskelkräfte vom 8ten bis zum 16ten Jahre nicht so merklich sind. Da es sich übrigens hier um eine Maßregel der Klugheit und der Menschlichkeit handelt, so wird es immer besser seyn, wenn man bei der Feststellung der Gränzen jene Gegenden, in denen die Körperentwikelung eine langsamere ist, als Grundlage annimmt. Ich würde daher für die Jugend von 12 bis 16 Jahren die Arbeitszeit auf täglich 12 und für die Kinder von 8 bis 12 Jahren aus täglich 8 Stunden beschränken. Ueberall, wo die Nachtarbeit nicht ganz unvermeidlich ist, würde ich sie der Jugend untersagen, und ist sie ja unvermeidlich, so würde ich sie auf 8 Stunden von 24 beschränken. Kinder unter 12 Jahren dürften nie und unter keinerlei Umständen zu nächtlicher Arbeit verwendet werden. Endlich muß wöchentlich ein Ruhetag gestattet werden. Mehrere Maßregeln ließen sich noch zur Unterstüzung der eben aufgezählten ergreifen; und mit tiefem Bedauern muß ich bei dieser Gelegenheit bemerken, daß es die vollziehende Gewalt nicht thunlich fand, daß von den in den Fabriken verwendeten Kindern der vorläufige Besuch der Elementarschulen gefordert werde; denn es wäre dieß eine der heilsamsten Maßregeln, der man in Deutschland und neuerlich in England so viel zu danken hat.