Titel: | Ueber die verschiedenen Eigenschaften, welche die Cementsteine und hydraulischen Kalksteine durch ein unvollkommenes Brennen erhalten können, mit vorausgehenden Bemerkungen über die anomalen Kalksteine, welche den Uebergang von den höchst hydraulischen Kalksteinen zum Cement machen; von L. J. Vicat, dirigirendem Oberingenieur des königlichen Brüken- und Straßenbau-Corps. |
Fundstelle: | Band 82, Jahrgang 1841, Nr. LXVII., S. 277 |
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LXVII.
Ueber die verschiedenen Eigenschaften, welche die
Cementsteine und hydraulischen Kalksteine durch ein unvollkommenes Brennen erhalten
koͤnnen, mit vorausgehenden Bemerkungen uͤber die anomalen Kalksteine,
welche den Uebergang von den hoͤchst hydraulischen Kalksteinen zum Cement machen;
von L. J. Vicat,
dirigirendem Oberingenieur des koͤniglichen Bruͤken- und
Straßenbau-Corps.
Aus den Annales de Chimie et de Physique. August 1841, S.
426.
Vicat, über hydraulische Kalksteine.
Classification der hydraulischen Kalkarten und der Cemente;
der Gränzkalke und -Cemente.
Wir vermögen den Schwierigkeiten, welche den Gegenstand dieser Untersuchung
ausmachen, kaum entgegen zu treten, ohne einige Punkte der Kette näher zu
betrachten, welche die hydraulischen Kalkarten mit den Cementen und diese wieder mit
der Puzzolanerde verbindet. Nachfolgende Tabelle gibt eine Uebersicht der neuen
Untersuchung, welche wir uns zu machen gezwungen sahen, um diese Uebergangspunkte,
deren Kenntniß so wichtig ist, sehr approximativ bestimmen zu können.
Tabelle I.Hr. Pétot gab
eine ähnliche Tabelle in seinen interessanten Recherches sur la chaufournerie (Untersuchungen über die
Kalkbrennerei); allein die Gränzkalke findet man daselbst nicht erwähnt und
die Puzzolanerde fängt dort mit einem Kalkgehalt von 100 auf 233 Thon an,
was nicht richtig ist.
Textabbildung Bd. 82, S. 278
Bezeichnung der Bestandtheile;
Typus d. mittelmäßig hydraulische Kalks; Typus des gewöhnlich hydraulische
Kalks; Typus des höchst hydraulische Kalks; Typus des Gränzkalks; Typus des
schlechtern Gränzecements; Typus des gewöhnlich Cements; Typus des besten
Gränzcements; Typus des anfangend Puzzolanerde; Im natürlichen Zustande;
Kohlensaurer Kalk; Thon; Nach dem Brennen; Aezkalk; Verbundener Thon
Die Verhältnisse, welche immer einen Typus begründen, sind Mittelzahlen, um welche
herum sich in sehr engen Gränzen alle Verbindungen derselben Classe gruppiren; diese
Eintheilung würde für die thon-talkerdigen und jene Kalksteine wahrscheinlich
nicht passen, deren Thon entweder wegen zu großen Eisengehalts oder aus einem andern
Grunde zu sehr von den gewöhnlichen Thonen abweicht.
Folgendes sind übrigens die Analysen der zu den Versuchen benüzten Gränzkalke; sie
werden genügen, um eine Vorstellung von der Beschaffenheit der in die (Kalk-)
Carbonate zerstreuten Thone zu geben.
Tabelle II.
Benennung der
Verbindungen.
Kalk.
Kieselerde.
Thonerde
mit wenig Eisen.
Eisenoxyd.
Talkerde.
M. Typus eines Gränzkalkes
65,40
20,10
9,05
–
6,15
N.
deßgl.
67,29
18,67
9,03
–
5,01
O. Typus eines
schlechtern
Gränzcements
60,40
21,06
11,83
–
6,71
R.
deßgl.
50,00
19,50
11,00 ohne Eis.
7,00
3,50
Q. Thon von
bessern Cementen
kohlens.
und von
Puzzolanerden
8,43
57,60
30,32
–
kohlens.
Die Thone in den Typen der ersten Tabelle sind mithin, wie man sieht, beinahe ganz
aus Kiesel- und Thonerde in dem Verhältnisse des Thonerde-Bisilicats
zusammengesezt; sie geben alle ihre Thonerde gänzlich an kochende Schwefelsäure ab;
alle endlich werden, wenn sie von Natur aus oder künstlich in einem Verhältniß von
22 bis 273 Theilen mit 100 Theilen Aezkalks gemengt sind, auf trokenem Wege gänzlich
angegriffen. Doch muß bemerkt werden, daß die so erhaltenen Verbindungen sich nur
bis 100 Thon auf 100 Kalk, oder nur wenig darüber, in Salzsäure auflösen. Die
Flüssigkeit bildet in diesem Fall, wenn man sie durch Kochen etwas concentrirt, beim
Erkalten eine durchsichtige Gallerte; wird das Verhältniß des Thons bis auf 273
Theile auf 100 Theile Kalks gesteigert, so bleibt in der erstarrten Flüssigkeit
Kieselerde in Gestalt halb gallertartiger, nicht durchsichtiger Floken
suspendirt.
Bei einem Gehalte von 900 Theilen calcinirten Thons auf 100 Theile Kalks hinterläßt
in Ueberschuß angewandte Salzsäure einen schlammigen, dem Thone selbst ähnlichen
Rükstand und die überstehende Flüssigkeit enthält Kieselerde in Auflösung. Wirklich
erhält man, wenn man sie Dritt, zur Trokne abdampft und den Rükstand in angesäuertem Wasser wieder
auflöst, eine Gallerte, welche, durch das Filter getrennt und heftig rothgeglüht,
48,26 Theile Kieselerde auf 100 Thle. Kalk gibt, die in den 1000 Theilen der
Verbindung enthalten sind. Diese Verhältnisse sind, wie man sieht, beinahe ganz die
des neutralen kieselsauren Kalks.
Dieß ist der chemische Zustand der Stoffe, welche die in der Tabelle I aufgezählten
Typen constituiren. Es sind nun noch die (wenn der Ausdruk erlaubt ist) praktischen Erscheinungen zu beschreiben, welche man bei
der Anwendung dieser Verbindungen zu ihrer Bestimmung zu beobachten Gelegenheit
hat.
Wir haben dem, was man jezt über das Löschen, Aufbewahren und Anwenden des
hydraulischen Kalks der bekannten Kategorien allgemein weiß, nichts beizufügen; wenn
aber diese Kalke in Folge des größern Thongehalts sich der Gränze nähern, wo die
Cemente anfangen, so bietet ihre Anwendung bedeutende Uebelstände dar, über welche
unseres Wissens noch Niemand etwas schrieb.
Selbst wenn er erst aus dem Ofen kommt, löscht sich solcher Kalk sehr schwer durch
die gewöhnlichen Mittel; kaum läßt sich dieß dadurch bezweken, daß man die ihm
eigene Wärme entweder durch Anwendung heißen Wassers oder auf sonst eine Weise
künstlich vermehrt; und es wird immer schwieriger, je länger der Gränzkalk der
Einwirkung der Atmosphäre ausgesezt war. Da man ihn also nicht gehörig löschen kann,
so scheint das einzige Mittel, um ihn zu Nuze zu machen, darin zu bestehen, ihn wie
die Cemente zu behandeln. Wenn man ihn daher pulvert und wie den Gyps anmacht, so
zieht er sogleich an und erhizt sich etwas dabei. Dieser feste Zustand hält an der
Luft oder im Wasser mehrere Stunden, ja sogar einen ganzen Tag an; bald aber sind
Zerklüftungen, das Zerfallen zu Pulver und Aufquellen zu einem weichen Brei, je nach
den Umständen, die Folgen des während der Ruhezeit gleichsam verborgenen innern
Arbeitens.
Man muß sodann, um die Substanz benüzen zu können, sie durch eine neue Manipulation
in den Zustand eines Teiges oder gleichförmigen Breies zurükführen; nun geht aber,
und hierin besteht die Anomalie, der frisch angemachte Teig oder Brei in seiner
Kraft bezüglich der Zeit, deren er zum Anziehen bedarf und überhaupt in Allem, was
den Anfang seiner Erhärtung betrifft, zurük auf eine der lezten Stufen des
hydraulischen Kalks.
Aus diesem Grunde denn und wegen der Gefahr, welche aus einem unvollkommenen Löschen
und der hinterdrein im Mörtel eintretenden Arbeit hervorgeht, können die vollkommen gebrannten Gränzkalke nie gute Dienste thun.
Wir werden weiter unten sehen, daß ein unvollkommenes Brennen sie in Cement
verwandelt.Diesem Umstande ist der Irrthum zuzuschreiben, in welchen mehrere Baumeister
verfielen, indem sie behaupten, daß ein vollkommenes
Brennen die Kraft der Cemente tödtet. (Recherches sur la chaufournerie, par M.
Pétot, S. 123 bis 126.) Die ächten
Cemente besizen, wenn sie genau gebrannt sind, im Gegentheil eine große
Kraft. Der Irrthum kommt offenbar von der Verwechselung der Gränzkalksteine
mit den Cementkalksteinen.
Die als hydraulische Kalksteine ausgebeuteten Thonkalksteinlager können manchmal
heterogene Theile einschließen, welche mehr Thongehalt haben, als die Masse im
Allgemeinen. Wenn diese Theile gemäß ihrer Zusammensezung in die Gränzclasse gehören, so nehmen sie an der Löschung keinen
Antheil und die Stüke derselben bleiben als feste Theile in dem erhaltenen Teig.
Diese Stüke können mit den gewöhnlichen Ungebrannten, pigeons genannt, leicht verwechselt werden. Diese Verwechselung hat gar
keine Folgen, wenn man Sorge trägt, die Ungebrannten zu verwerfen, gibt aber zu
großen Unannehmlichkeiten Anlaß, wenn man diese mit zu verwenden sucht, indem man
sie pulvert, um sie dem Mörtel einzuverleiben; denn man bringt auf diese Art zwei
Substanzen hinein, deren eine immer, die andere sehr häufig, durch eine langsame
Löschung aufzuquellen strebt, was Verschlechterungen im Mauerwerk herbeiführen muß,
namentlich wenn Regen oder sonst Feuchtigkeit die Neigung hiezu noch begünstigen;
unmöglich kann der Anwurf oder Verstrich mit solchem Mörtel den
Witterungs-Einflüssen Widerstand leisten. Der Einfluß der Gränzkalke kann
sich auch bei der Anwendung der Cemente fühlbar machen, und zwar auf eine um so
trügerische Weise, als hier ihr Vorhandenseyn von nichts angezeigt wird. Die
Kalksteine, von welchen diese Gränzkalke kommen, stoßen gewöhnlich an die
Cementkalksteine in den schichtenweisen Formationen, wo diese lezteren gewonnen
werden; ihre Vermengung kann daher sehr leicht geschehen, und höchst wahrscheinlich
sind derselben die stattgehabten Unfälle und der schlechte Erfolg bei Anwendung der
Cemente in vielen Fällen zuzuschreiben.
Nach den Gränzkalken finden wir, wenn wir die Stufenleiter wieder hinaufsteigen, die
Gränzcemente, deren Zusammensezungs-Typus 100 Aezkalk auf 65 Theile chemisch
verbundenen Thons ist. Alle Cemente dieser Classe gruppiren sich innerhalb enger
Gränzen um diesen Typus. Wie gewöhnlich, sogleich nach dem Brennen angewandt, oder
doch ehe noch die atmosphärische Luft einen schädlichen Einfluß ausüben konnte,
erhärten diese Cemente augenbliklich wie die gewöhnlichen Cemente und erhizen sich
dabei sehr merklich; ihre Farbe wird in Folge einer sehr schwachen Löschung Heller, kurz,
sie verhalten sich bei diesem Anfange wie die Gränzkalke, weichen aber wesentlich ab
durch eine unwandelbare Beständigkeit sowohl beim unmittelbaren Untertauchen, als
wenn man sie der Luft ausgesezt läßt; man kann sie sogar ohne Hülle, in den dünnsten
Stüken, untertauchen, ohne daß sie auf irgend eine Weise nachgeben. Der Mehrgehalt
an Kalk, welcher sie von den auf der Stufenleiter höher stehenden Cementen
unterscheidet, gestattet, daß sie eine gewisse Menge Sand aufnehmen, womit sie sich,
eben in Folge dieses Mehrgehalts, viel besser verbinden, als die magereren Cemente;
wir glauben daraus schließen zu dürfen, daß die Gränzcemente die vollkommensten
Cemente sind.
Je mehr man die Stufenleiter der Thonkalksubstanzen hinaufsteigt, desto mehr entfernt
man sich von dieser Vollkommenheit, jedoch nur in unmerklichen Graden, und es muß
das Verhältniß von 100 Kalk auf 100 gebundenen Thons überschritten werden, wenn der
Unterschied recht auffallend seyn soll; auch bezieht sich derselbe nur auf die
später erworbene Härte, denn die Schnelligkeit des ersten Anziehens nimmt im
Gegentheil in diesen höhern Graden so sehr zu, daß man mit der Masse nicht mehr
manipuliren kann, indem sie unter der Kelle oder der Spatel in weniger als einer
halben Minute fest wird. Das Verhältniß von 100 Aezkalk auf 273 Thon entspricht
jenem der Mergelkalksteine von 39 kohlensaurem Kalk auf 61 Rükstand in den Säuren.
Diese Mergelarten würden ganz sicherlich Cement geben, wenn der unlösliche Rükstand
immer ein ächter Thon wäre; allein die Kieselerbe im Zustand eines unfühlbaren
Quarzes, das Eisenoxyd u.s.w. herrschen manchmal so sehr darin vor, daß das
Verhältniß, worauf sich die Classification der Tabelle I gründet, dadurch gestört
ist.
Die Schnelligkeit, womit die magern Cemente fest werden, wenn man sie unmittelbar
nach dem Brennen verarbeitet, würde ein unbesiegbares Hinderniß für ihre Anwendung
seyn, wenn nicht einerseits die zum Pulvern und Sieben im Großen erforderliche Zeit
und andererseits der Zutritt, welchen unvollkommene Hüllen der atmosphärischen
Einwirkung gestatten, diese Kraft etwas milderten. Die Folge davon ist, daß das
Anziehen um einige Minuten oder mehr verzögert wird, ohne daß die spätere Härte
darunter leidet.
Bekanntlich geht ein zerstoßener und zum zweitenmal angemachter Cement auf die Stufe
des mittelmäßig hydraulischen Kalks zurük, wenn auch nicht was seine künftige Härte,
doch was sein langsames Fortschreiten zur neuen Erhärtung betrifft, und dieser
Verlust an Kraft rührt hier, wie beim Gränzkalk, offenbar davon her, daß sich das
feste Thonerde-
und Kalk-Hydrosilicat fast augenbliklich bildete und daher seine zerstoßenen
und einander wieder genäherten Theile nur mehr schwach aufeinander zu wirken haben.
Wir legen besondern Werth auf diese Betrachtung, weil sie uns sehr bald zur
Erklärung des Unvermögens gewisser Gemenge, den höchst hydraulischen Kalk genau
nachzuahmen, dienen wird.
Ueber die durch Gemenge von Cementen und fettem Kalk versuchte
Nachahmung des natürlichen oder künstlichen hydraulischen Kalks.
Es wird Niemand, welcher weiß, wie man die Thonerde und Kieselerde in gallertartigem
Zustande in den Laboratorien erhält, ernstlich einfallen, diese Stoffe mit fettem
Kalk zusammenzubringen, um diesen in hydraulischen Kalk umzuwandeln. Aber ein
anderes Verfahren verdient, weil es ausführbar ist, näher untersucht zu werden,
nämlich diese Umwandlung mittelst natürlicher oder künstlicher Cemente zu
bewerkstelligen, worin, wie wir zeigten, die Kiesel- und die Thonerde in
demselben chemischen Zustande wie in dem gewöhnlichen hydraulischen Kalk enthalten
sind.
Versuchen wir daher diese Art von Synthese und vermengen den Cement, dessen Analyse
unter O (Tabelle II) gegeben wurde, mit solchen
Quantitäten fetten Kalks, daß die Verbindungen die vier ersten Kalkarten der
Typentabelle repräsentiren. Um diesen Zwei zu erreichen, machen wir zuvörderst den
Kalk zu einem Brei, indem wir ihn gleich auf einmal mit einer hinreichenden Menge
Wassers löschen, mischen ihn hierauf mit dem Cement, und zwar einmal 1) sehr rasch,
um die Zeit nicht verstreichen zu lassen, in welcher der Cement selbst anzuziehen
anfängt, dann 2) langsamer, um diese Zeit zu versäumen, ohne jedoch bei weitem so
viele Zeit dazu zu verwenden, als man zu einer Arbeit im Großen bedürfte.
Wir gelangen hiedurch zu den in folgender Tabelle angegebenen Resultaten:
Tabelle III.
Bezeichnung
dernachgeahmten Typen.
Kalk.
Thon.
Zeit
bis zum Erhärten.
bei schneller Arbeit.
b. gewöhnl. Arbeit.
Mittelmäßig hydraulischer Kalk
100
22
3
Tage
10 Tage
Hydraulischer Kalk
100
36
30 Minut.
11 Tage
Höchst hydraulischer Kalk
100
44
6
Minut.
14 Tage
Gränzkalk
100
53
3
Minut.
14 Tage
Der große, von dem schnellern oder langsamem Anmachen herbeigeführte Unterschied in
der Zeit bis zum Festwerden ist durch die im vorausgehenden Capitel ausgesprochene
Beobachtung in Betreff des nach dem Festwerden von Neuem verarbeiteten Cements
erklärlich. Diesem Grunde ist noch das Schwächerwerden durch die Dazwischenkunft des
fetten Kalks hinzuzurechnen.
Da es nun aber in der Praxis stets unmöglich seyn wird, solche Gemenge genau zuwege
zu bringen und sie innerhalb einiger Minuten zu verarbeiten, so wird man auch die
Cemente nicht zu Hülfe nehmen und folglich auch keinen künstlichen hydraulischen
Kalk (nach diesem Verfahren) zusammensezen können, welcher in weniger als 14 bis 20
Tagen fest würde. Man darf wirtlich auch nicht vergessen, daß die in der lezten
Spalte obiger Tabelle angegebenen Zeiträume die Resultate eines nur um ein paar
Minuten verlängerten Anmachens sind über die für den angewandten Cement
erforderliche Zeit. Wie wäre es erst, wenn die Mischung im Großen angemacht, beim
Hinzusezen des Sandes wieder in Arbeit genommen und endlich mit der Kelle noch
einmal gerührt werden müßte, wie es die Maurer im Augenblik der Verarbeitung immer
machen?
Wir haben uns hier nicht mit der Härte abzugeben, zu welcher die in Rede stehenden
Proben nach mehreren Monaten gelangen könnten, denn die Hauptaufgabe dieser Versuche
war immer nur das Festwerden und die ersten Fortschritte der Erhärtung zu
beschleunigen. Ist einmal dieser Zwek verfehlt, dann ist keine Ursache mehr
vorhanden, die gewöhnlichen Mittel und Wege zu verlassen, welche viel einfacher und
directer zu bessern Resultaten führen, ohne in den bisher üblichen Gang der
Bauarbeit eine Aenderung zu bringen.
Im Allgemeinen ist zu ersehen, daß man mit den besprochenen Gemengen entweder über
den beabsichtigten Zwek hinausrükt oder denselben unerreicht läßt; und das Verhalten
zum zweitenmal verarbeiteter Cemente gibt eine genügende Erklärung davon.
Ueber die UngebranntenUngebrannt (incuit)
bedeutet nicht gebrannt, was aber nicht damit
gesagt seyn soll; sondern dieses Wort soll als gleichbedeutend mit unvollkommen gebrannt verstanden werden.Anm. d. Verf.oder die Thonkalksteine, aus welchen durch das Brennen nicht
alle Kohlensäure ausgetrieben wurde.
Vor mehr als 16 Jahren schon machten wir (Ann. de Chimie et de
Physique, T. XXV. p. 60) auf die Eigenschaft
der unvollkommen calcinirten Kreide aufmerksam, durch eine Art Erhärten, welches unter Wasser in einigen
Stunden eintritt, dem Cement ähnlich zu werden, was aber von keiner Dauer ist. Zur
selben Zeit ungefähr beobachtete der damalige Brüken- und
Straßenbau-Oberingenieur, Hr. Minard, dieselben Erscheinungen und glaubte Schlüsse daraus ziehen
zu können, welche Hr. Berthier
bestritt und die unsere eigenen Erfahrungen entkräfteten.
Der Ingenieur Lacordaire,
welcher mit Thonkalksteinen von Auxois die mit reinen Kalksteinen angestellten
Versuche wiederholte, fand, daß bei einem gewissen, von ihm nicht näher bezeichneten
Grad des Brennens jene sich wie Cement verhalten. Seitdem hat unseres Wissens sich
niemand damit beschäftigt, die Ursache dieser Modification und den
Calcinationspunkt, bei welchem sie eintritt, zu erforschen.
Der Mangel an Verknüpfung der Thatsachen und das Stillschweigen der Chemiker über
diese neuen hydraulischen Verbindungen lassen offenbar eine Luke in der Kenntniß des
Mörtels und Cements. Wir wollen diese keineswegs vollkommen ausfüllen, sondern nur
einige Schritte auf dieser kaum noch gebahnten Straße weiter gehen.
Gleich anfangs, wenn wir uns recht erinnern, hat man ohne weitere Prüfung die
Ungebrannten als Salze mit Ueberschuß von Basis betrachtet, d.h. als Verbindungen
von Kohlensäure mit Kalk, welche durch das Verhältniß der Säure unter dem
natürlichen kohlensauren Salz stehen. John in Berlin sagt
in seiner Abhandlung über den Kalk aus den Austerschalen: „daß der
Unterschied zwischen schlecht calcinirtem Kalk und einem innigen Gemenge von
kohlensaurem Kalk und Aezkalk darin bestehe, daß ersterer als kohlensaurer Kalk
mit Ueberschuß von Basis zu betrachten sey, worin jedes Atom einen gleichen
Antheil Kohlensäure enthält, welcher vermöge seiner Verwandtschaft zu dem Kalk,
die durch die chemische Masse noch vergrößert wird, nur bei einer Temperatur
entweichen kann, welche höher als jene ist, die den ersten Antheil der Säure
austrieb.“
John hat diese Behauptung durch keinerlei besondern
Versuch bekräftigt und es dürfte auch sehr schwierig seyn, dieß zu thun.
Gewiß ist es, daß die Ungebrannten alle mehr oder weniger Kalk im Wasser verlieren;
eins von beiden muß daher der Fall seyn, entweder war dieser Kalk frei im
wasserfreien Ungebrannten, oder er wird es durch die Beihülfe des Wassers. Im
erstern Fall ist John's
Hypothese nicht mehr zulässig; im leztern müssen die vermeintlichen
basischkohlensauren Salze so wenig feste Verbindungen seyn, daß das Wasser sie in
gewöhnliche kohlensaure Salze, vermengt mit freiem Kalk, verwandelt.
Die Hypothese, an welche wir uns vorläufig halten, wurde von Berthier aufgestellt; dieser Chemiker betrachtet die thonhaltigen
Ungebrannten als Gemenge von kieselsaurem Kalk mit kohlensaurem Kalk in dem
gewöhnlichen Verhältnisse, nämlich 43,60 Säure auf 56,40 Kalk oder 1 Atom Säure auf
1 Atom Basis.
In diesen Ungebrannten hätten wir denn nach dieser Hypothese einerseits das
gewöhnliche kohlensaure Salz, andererseits ein Silicat von Kalk und Thonerde in
wandelbaren Proportionen zu betrachten; und wenn diese Hypothese zur Erklärung der
vorhandenen Thatsachen genügt, so kann man sie, bis ihre Unrichtigkeit bewiesen
wird, als wahr annehmen.
Nach diesen Prämissen wollen wir uns vorstellen, man entziehe einem thonhaltigen
basisch kohlensauren Kalk auf trokenem Wege eine gewisse Menge Kohlensäure, so wird
unter den drei Bestandtheilen, dem Aezkalk, dem Thon und
dem kohlensauren Kalk, sich ein solches Verhältniß
gestalten, daß, wenn man z.B. den Aezkalk als constantes Glied annimmt, dasselbe
durch mehrere Abstufungen des Brennens mit sehr verschiedenen Quantitäten Thons und
kohlensauren Kalks vergesellschaftet werden kann, welche zwischen ziemlich weiten
Gränzen und nach einem leicht zu ermittelnden Geseze variiren. Folgende Tabelle wird
dieß sehr anschaulich machen.
Tabelle IV.
Textabbildung Bd. 82, S. 287
Zusammensezung der als Beispiele
genommenen Kalksteine; Ordnungszahl; Menge der in dem Umgebrannten auf 100 Th.
gebliebenen Kohlensäure; Freigemachter Aezkalk, als Anhaltspunkt genommen;
Relative Menge des Thons in runden Zahlen; Kohlensaurer Kalk, der in dem
Ungebrannten blieb, in runden Zahlen; Verhältniß der Mengen des freien Kalks
sammt dem Thone zum kohlensaur. Kalk; Typus eines mittelmäßigen hydraulischen
Kalks; Kohlensaurer Kalk; Thon; oder Kohlensäure; Kalk; Typus eines gewöhnlichen
hydraulischen Kalks
Textabbildung Bd. 82, S. 288-289
Zusammensezung der als Beispiele
genommenen Kalksteine; Ordnungszahl; Menge der in dem Ungebrannten auf 100 Th.
gebliebenen Kohlensäure; Freigemachter Aezkalk, als Anhaltspunkt genommen;
Relative Menge des Thons in runden Zahlen; Kohlensaurer Kalk, der in dem
Ungebrannten blieb, in runden Zahlen; Verhältniß der Mengen des freien Kalks
sammt dem Thone zum kohlensaur. Kalk; Typus eines höchst hydraulischen Kalks;
Kohlensaurer Kalk; Thon oder Kohlensäure; Kalk; Thon; Typus eines Gränzkalks;
Typus eines Gränzcements; Kohlensaurer Kalk; Thon oder Kohlensäure; Kalk; Thon;
Typus eines gewöhnlichen Cements
Wenn wir einen Blik auf diese Tabelle werfen und uns an das Gesagte erinnern, daß
nämlich 100 Theile Aezkalk hinreichen, um wenigstens 273 Theile Thon auf trokenem
Wege in Cement zu verwandeln, so finden wir, wenn wir einen Augenblik von den
Ziffern der vorlezten Columne abstrahiren, daß mit Ausnahme der mit Sternchen
bezeichneten Nummern 22, 29 und 36, alle anderen Ungebrannten Cement oder hydraulischen Kalk geben müssen, welche
an Güte die vollkommen gebrannten Kalksteine, von welchen wir ausgingen,
übertreffen.
Um uns nun von dem negativen Einfluß Rechenschaft zu geben, welchen die in einem
Ungebrannten enthaltene Menge kohlensauren Kalks ausüben kann, mußten wir zu einigen
annähernden Versuchen schreiten: „600 Theile reiner Kalkstein wurden bis
zum anfangenden Rothglühen erhizt, dann gepulvert, gesiebt und auf dem
Präparirstein mit 100 Theilen des unter O
bezeichneten Cements fein gerieben, hierauf schnell miteinander angerührt und
unter Wasser gebracht; sie erhärteten erst nach 6 Tagen; die Gegenwart von 600 Theilen Kalk
verzögerte die Erhärtung um 6 Tage.“
300 Theile Kalkpulvers verzögerten sie bei gleichem Versuche nur um zwei bis drei
Minuten; 100 Th. bewirkten gar keine bemerkbare Verzögerung.
Ist diesen Versuchen einiger Werth beizulegen, um den wahrscheinlichen Einfluß der
dazwischengelagerten kohlensäurehaltigen Theile zu beurtheilen, so müssen wir uns an
die obenerwähnte Ausnahme halten. Läßt man also die mit Sternchen bezeichneten
Mischungen bei Seite, so bezeichnet die vorläufig angenommene Theorie als an Kraft jeden hydraulischen Kalk übertreffend alle
Ungebrannten, welche von dem kohlensauren Kalk herrühren, der denselben Kalk
liefern kann.
Dieß sind die rationellen Folgerungen, welche man aus den vorausgehenden
Betrachtungen zu ziehen berechtigt ist, wenn keine Thatsache das Gegentheil
derselben darthut, und das ist's, was jezt in Untersuchung gezogen werden soll.
Ein Ungebrannter A, welcher auf Gerathewohl von den
hydraulischen Kalksteinen genommen wurde, als sie eben aus dem Ofen kamen, war
zusammengesezt wie folgt:
*Kohlensäure Aezkalk Gebund.
Kieselerde Sand und Thon Thonerde
und Eisen Talkerde
30,00 54,00 8,00 1,00 4,50 2,50––––––100,00
Der Hypothese zufolge,
nach welcher die Tabelle
IVangelegt ist, ist diese
Analyse* wie hier gegenüber**
zu übersezen.
**Kohlensaurer
Kalk Aezkalk Gebund.
Kieselerde Sand und
Thon Thonerde u.
Eisen Talkerde
68,50 15,50 8,00 1,00 4,50 2,50––––––100,00
Diese Analyse führt zu folgenden Verhältnissen:
Vom Ungebrannten in 100 Th.zurükgehaltene
Kohlensäure.
Aezkalk.
Gebund. Thon.
Kohlensaurer Kalkund
unwirksame Substanzen.
30
100
97
448
Nun erhärtete der gepulverte und wie Cement behandelte Ungebrannte A unter dem Wasser in 15 Minuten; er rechtfertigt daher
die Hypothese und nimmt bei den Nummern 9, 16, 17, 24, 32 und 41 der Tabelle IV
seine Stelle ein.
Ein zweiter Ungebrannter, B, ward wie folgt
zusammengesezt befunden:
*Kohlensäure Aezkalk Gebund.
Kieselerde Sand und Thon Thonerde
und Eisen Talkerde
19,00 62,00 9,00 5,00 4,00 1,00––––––100,00
Nach der angenommenenHypothese ist die
Analyse*in die
gegenüberstehende** zu
übersezen.
**Kohlensaurer
Kalk Aezkalk Gebund.
Kieselerde Sand und
Thon Thonerde u.
Eisen Talkerde
43,20 37,80 9,00 5,00 4,00 1,00––––––100,00
Diese Analyse führt zu folgenden Verhältnissen:
Kohlensäure auf 100
Theile des
Ungebrannten.
Aezkalk.
Gebund. Thon.
Kohlensaurer Kalkund
unwirksame Substanzen.
19
100
37
127
Nun war aber der Ungebrannte B, wie Cement behandelt, nach drei Monaten noch nicht erhärtet und bestätigt daher
die angenommene Hypothese nicht.
Da diese Untersuchung in der Folge sehr wichtige Schlüsse für die Technik zu geben
hat, glaubten wir uns nicht auf unsere Analysen allein beschränken zu dürfen. Hr.
Berthier war auf unsere
Bitte hin so gütig, jene der Ungebrannten A und B zu wiederholen und seine Resultate wichen nur wenig
von den unsrigen ab. Wir haben uns, versteht sich, an die Ziffern dieses geschikten
Chemikers gehalten.
Ein dritter Ungebrannter, E, zeigte folgende
Zusammensezung:
*Kohlensäure Aezkalk Gebund.
Kieselerde Thonerde und
Eisen Talkerde
28,06663,333 4,666 3,000 0,933––––––99,998
Nach der angenommenenHypothese ist die
Analyse* wie hier
gegenüber** auszudrüken.
**Kohlensaurer
Kalk Aezkalk Gebund.
Kieselerde Thonerde u.
Eisen Talkerde
64,27027,169 4,666 3,000 0,933––––––99,998
Dieser dritte Ungebrannte verhielt sich genau so wie die vorhergehenden. Die
Verhältnisse, welche er gibt, sind:
Kohlensäure auf 100
Theile des
Ungebrannten
Aezkalk.
Gebund. Thon.
Kohlensaurer Kalk.
28,066
100
32
240
Er macht daher eine Ausnahme von der Theorie.
Es muß hier bemerkt werden, daß die Ungebrannten B und
E, wie Cemente behandelt, anfangs eine Art Erhärtung
zu zeigen schienen, sich dann nach dem Untertauchen unter langsamem Aufquellen
merklich erhizten, was die Bearbeitung des Teigs aufs Neue mehrmals nothwendig
machte.
Die aufbewahrten Portionen der vorigen Ungebrannten führten, nachdem man sie durch
ergänzendes Brennen in ächten Kalk umgewandelt, dann gelöscht und untergetaucht
hatte, zu folgenden Vergleichungen:
Textabbildung Bd. 82, S. 292
Aezkalk; Geb. Thon; Zeit des
Erhärtens; Kalk des Ungebrannten A. v. 5ten bis zum
6ten Tag
Am Punkte des vollkommenen Brennens kam also Alles auf die gewöhnliche Ordnung
zurük.
Der Ungebrannte A, welcher, 30 Proc. Kohlensäure
enthaltend, sich wie Cement verhielt, konnte durch ein zweites Brennen in fünf neue,
durch folgende Verhältnisse charakterisirte Zustände gebracht werden.
Tabelle V.
Ordnungszahl.
Zurükgehaltene Kohlensäure.
Aezkalk.
Gebund Thon.
Unwirksamerkohlensaurer
Kalk.
Zeit bis zum Erhärten.
1
27 Proc.
100
75
306
12 Minut.
2
26
–
100
67
258
7
–
3
23
–
100
56
183
9 Tage
4
20
–
100
48
133
30 –
5
10
–
100
34
44
9
–
Auch hier erhizten sich Nro. 3, 4 und 5 und quellten einige Zeit nach der ersten
Behandlung auf, so daß sie wieder frisch in Arbeit genommen werden mußten. Dieß sind
demnach wieder drei zu den andern zu stellende Ausnahmsfälle.
Um diese Nachforschungen noch weiter zu treiben, verschafften wir uns einen
vollkommen gebrannten hydraulischen Kalk, welcher wie folgt zusammengesezt war:
AezkalkKieselerdeThonerde und
EisenTalkerde
72,67 16,00 9,33 2,00––––––100,00
C
Es sey ein für allemal bemerkt, daß so oft in einer Analyse das
Eisenoxyd gemeinschaftlich mit der Thonerde bestimmt ist, es nur in
sehr kleiner Quantität vorhanden ist.
Dieser Kalk, C, wurde, nachdem er vorher durch
Untertauchen gelöscht war, in gleiche Portionen getheilt, deren jede mittelst einer
gesättigten Lösung von
basischkohlensaurem Ammoniak mit einer andern Quantität Kohlensäure verbunden wurde;
die Breie wurden hierauf getroknet und bis zum anfangenden Rothglühen erhizt, um das
Wasser und das Ammoniak auszutreiben. Auf diese Weise gelang es, die hier unten
verzeichneten Fälle von Ungebrannten nachzuahmen:
Tabelle VI.
Ordnungszahl.
Zurükgehaltene Kohlensäure.
Aezkalk.
Gebund Thon.
Unwirksamerkohlensaurer
Kalk.
Zeit bis zum Erhärten.
Kalk
00,00
100
37
00,00
8 Tage
1 Ungebr.
12
1/2
100
52
68,00
22 –
2 –
14
100
53
72,00
11 –
3 –
17
100
59
101,00
1 Tag
4 –
19
100
64
126,00
19 Minut.
Die Ungebrannten 1 und 2 quellten unter Erhizung nach der ersten Behandlung auf, wie
die ihnen entsprechenden in den vorigen Versuchen, und mußten frisch bearbeitet
werden. Das Constantbleiben der Erscheinungen ist daher wahrhaft merkwürdig und man
kann dieselben durchaus nicht zufälligen Ursachen zuschreiben.
Es wird uns daher der Schluß schon erlaubt seyn, daß es für jeden hydraulischen
Kalkstein Fälle der unvollkommenen Brennung gibt, die von weit geringerm Erfolge
sind als die vollkommene Brennung, so wie es wieder andere gibt, für welche sich die
Ungebrannten wie ächte Cemente verhalten. Jedem dieser lezteren Fälle entspricht ein
mit der chemischen Zusammensezung des kohlensauren Kalks variirender Grad des
Brennens. Ein einziger Punkt scheint in den verschiedenen angeführten Beispielen
constant zu bleiben; das ist ein gewisses Verhältniß des Thons zu dem als frei
angenommenen Kalk, welches Verhältniß erreicht werden muß, um den
Cement-Ungebrannten zu erzeugen.
So fängt in der Tabelle VI der Cement bei 64 Thon auf 100 Kalk an; in der Tabelle V
ist dasselbe Verhältniß bei 67 auf 100; und ist zu bemerken, daß eines wie das
andere in der den Verhältnissen der Gränzcemente angewiesenen Abtheilung (Tabelle I)
begriffen ist.
Die so eben erwähnten Anomalien oder Ausnahmen würden offenbar die ganze Theorie des
hydraulischen Kalks umstoßen, wenn sie aus gewissen eigenthümlichen Verhältnissen
zwischen den Substanzen Kalk, Kieselerde und Thonerde hervorgehen könnten. Es war daher nöthig, das
Gegentheil nachzuweisen, was wir uns angelegen seyn ließen, indem wir die Ausnahmen
machenden Ungebrannten durch directe Synthese nachahmten und zwar wie folgt: wir
stellten gallertartige Kieselerde dar, welche, bei gelinder Wärme getroknet, in
Pulverzustand überging, indem sie 19,50 Proc. Wasser zurükhielt. Die aus einer
Alaunlösung mittelst Ammoniak gefällte Thonerde enthielt, ebenfalls in den
Pulverzustand gebracht, 30 Proc. Wasser. Die durch Ausglühen der kohlensauren
Talkerde erhaltene Talkerde endlich war wasserfrei. Wir erhizten kleine Stangen
reiner (kiesel- und thonerdefreier) Kreide bis zum anfangenden Rothglühen und
nahmen die Theile, welche sich hätten zersezen können, hinweg, indem wir die
Oberfläche, vorzüglich aber die Kanten, abschabten. Diese vier Substanzen,
Kieselerde, Talkerde, Thonerde und kohlensaurer Kalk, wurden gehörig abgewogen und
auf dem Präparirstein gemeinschaftlich mit Wasser gerieben, bis sie einen weichen
Teig bildeten, dann in diesem Zustand mit reinem Kalk gemengt, welcher vorher auf
gewöhnliche Weise gelöscht worden war. Nichts, wie man sieht, wurde versäumt, um ein
recht inniges Gemenge darzustellen. Das Eisenoxyd wurde, da es nur zu einigen
Tausendtheilen in die Mischung der nachzuahmenden Ungebrannten eingeht,
hinweggelassen.
Die gemachten Gemenge gaben folgendes Resultat:
Die Nachahmung des Ungebrannten B, welche 100 Aezkalk, 37
gebundenen Thon, 127 kohlensauren Kalk und unwirksame Substanzen enthielt, gab eine
Verbindung, welche von der eilften bis zur zwölften Stunde nach dem Untertauchen zu
erhärten anfing. Die Nachahmung des Ungebrannten A,
welche durch ein Brennen in den Fall Nro. 4 der Tabelle V versezt wurde und 100
Aezkalk, 48 gebundenen Thon und 133 kohlensauren Kalk und unwirksame Substanz
enthielt, erhärtete von der zehnten bis zur eilften Stunde nach dem Untertauchen.
Aus diesen beiden Versuchen erhellt deutlich, daß die bei den wirklichen
Ungebrannten beobachteten Ausnahmen, wie die angenommene Hypothese sie versteht,
einer Wirkung eigenthümlicher Proportionen unter den Substanzen unmöglich
zugeschrieben werden kann, da die Synthesen, welche sie, was diese Proportionen
betrifft, genau nachahmen, sich nach den bekannten Gesezen verhalten. Würde man
daher die Fiction der Tabelle I durch ähnliche Synthesen realisiren, so würden sich
alle so zusammengesezten Glieder ohne Ausnahme nach der theoretischen Voraussage
verhalten. Da dem aber nun nicht also ist, so scheint man berechtigt zu seyn, die genaue Aehnlichkeit der wirklichen Ungebrannten mit den
hypothetisch
nach der erwähnten Tabelle zusammengesezten zu verneinen,
wenn man nicht etwa weitere Modificationen der Verbindungen annehmen will, welche
durch die Gegenwart des Wassers beim Einrühren der Substanzen hervorgerufen
werden.
Nach dem System, welches wir erörtern, müssen die Ungebrannten nachgeahmt werden
können, indem man einem Cement bestimmte Quantitäten reinen Kalks und wie zu den
obenerwähnten Synthesen präparirten, kohlensauren Kalks zusezt. Vom mit O bezeichneten Cement ausgehend (welchen man aus 55
Kalk, 40,80 Thon und 4,20 Kohlensäure bestehend fand) und die Quantitäten Aezkalks
und kohlensauren Kalks berechnend, welche zur sehr approximativer Nachahmung der
Ungebrannten Nro. 9, 10, 11, 12 und 13 der Tabelle IV nöthig sind, erhielten wir die
hier unten verzeichneten Resultate.
Tabelle VII.
Textabbildung Bd. 82, S. 295
Ordnungszahl; Zurükgehaltene
Kohlensäure in 100 Th.; Aezkalk; Gebund. Thon; Unwirksamer kohlensaurer Kalk;
Zeit bis zum Erhärten; nach schnel. Behandl.; nach langs. Behandl.
Der Cement und der kohlensaure Kalk wurden troken gemengt und auf dem Präparirstein
miteinander gerieben. Der fette Kalk wurde vorher durch gewöhnliches Löschen in
einen Brei verwandelt und dann mit den pulverigen Ingredienzien gemischt. Diese
Synthese war folglich, was wohl zu merken, von keinem
Aufbrausen, keiner Reaction der Löschung begleitet.
Hier, sieht man, verschwinden die Anomalien; alles geht ungefähr auf die (Tabelle
III) schon bemerkte Weise, bezüglich der versuchten Umbildung der Cemente in
hydraulische Kalke vor, nämlich schnelles Erstarren, wenn man die Substanzen nicht
über die zum Erhärten des Cementes selbst erforderliche Zeit hinaus anrührt; auf den
Charakter der mittelmäßig hydraulischen Kalke hinausgeschobenes Erhärten, wenn man
diese Zeit überschreitet. Zu bemerken ist noch, daß bei dem Verhältniß von 100 Kalk
auf 64 Thon die Zeit des Erstarrens einen Cement anzuzeigen anfängt.
Um diese Untersuchung so vollständig als möglich zu machen, blieb uns noch die
Wirkung eines unvollkommenen Brennens auf die Cementsteine zu ermitteln übrig, deren
Ungebrannte hypothetischerweise in den Nummern 29 bis 41 inclus. Tab. IV aufgeführt
sind. Zu diesem lezten Versuch wurde der mit O
bezeichnete Cementstein ausgewählt; er wurde zu nußgroßen Stüken zerschlagen und in
mehreren irdenen Kapseln an verschiedenen Stellen eines Steingutbrennofens
vertheilt; nach 24stündiger Feuerung wurden die Kapseln nach den Portionen der in
der unvollkommen gebrannten Substanz zurükgebliebenen Kohlensäure classificirt,
wobei die in den Versuch gezogenen Ungebrannten folgende Beobachtungen
lieferten:
Tabelle VIII.
Ordnungszahl.
Menge der im100
eingetretenen Kohlens.
Aezkalk.
Gebund. Thon.
Unwirksamerkohlensaurer
Kalk.
Zeit bis zum
Erstarren.
1
00,00
100
62
00,00
2 Minut.
2
12
1/2
100
96
99,00
10 –
3
20,00
100
130
196,00
14 –
4
24,00
100
184
346,00
20 –
5
30,00
100
601*
1535,00
11 Stunden
Der Ungebrannte Nro. 5 hinterließ, von Salzsäure angegriffen, einen schlammigen,
schwärzlichen Rükstand, der von jenem, welchen der Cementstein im natürlichen
Zustand gibt, nicht verschieden zu seyn scheint. Die 601 Theile Thon in obiger
Tabelle können nun also nicht mehr als gebunden betrachtet werden, und es muß
sonderbar erscheinen, daß dieser Ungebrannte, wie Cement behandelt, in 11 Stunden
erstarrte. Wir glauben aber, daß auf dieses Erstarren kein großer Werth zu legen
ist, und machen ferner darauf aufmerksam, daß es nur eines sehr schwachen Brennens
(Kirschrothgluth) bedarf, um dem Thon die Eigenschaften einer Puzzolanerde zu
ertheilen, wodurch diese Thatsache hinreichende Erklärung findet. Doch haben wir, um
Alles außer Zweifel zu sezen, aus einer gewissen Quantität Ungebrannten Nro. 5 den
Thon getrennt, und aus diesem Thon, fettem Kalk und wie zu den schon beschriebenen
Synthesen präparirtem kohlensaurem Kalk sezten wir einen künstlichen Ungebrannten in
den Verhältnissen von Nro. 5 zusammen, welcher Ungebrannte beim Versuch in weniger
als 12 Stunden erhärtete.
Ein ähnlicher Versuch mit Thon, welcher vom Cementstein im natürlichen Zustand
abgetrennt worden war, gab kein gutes Resultat Es ist demnach alles, was den Ungebrannten Nro. 5
betrifft, erklärt.
Die Nummern 1, 2, 3 u. 4 stimmen übrigens vollkommen mit allen oben §. 1
angeführten Beobachtungen überein.
Ein ungebrannter Cement, welcher uns von der Fabrik zu
Vassy-les-Avalons zugeschikt wurde, erstarrte, als man den Versuch
damit anstellte, in drei Minuten. Die Analyse zeigte ihn zusammengesezt aus 100
Kalk, 69 gebundenem Thon, 53 unwirksamem kohlensaurem Kalk (nach der angenommenen
Hypothese).
Die Hypothese, auf welcher die Fiction der Tabelle IV beruht, stimmt also sehr wohl
überein mit den Fällen der bei Cementsteinen beobachteten Ungebrannten; wir bemerken
noch, daß bei den Ungebrannten dieser Art, welche am wenigsten Kohlensäure
enthalten, das Verhältniß der Menge des Thons zur Menge
des als frei angenommenen Kalks, jenes von 65 zu 100,
welches die Zusammensezung der Gränzcemente
charakterisirt, weit übersteigt.
Wir wollen nun die auffallendsten Charaktere der Ungebrannten in Vergleich mit den
entsprechenden vollkommen gebrannten Kalksteinen zusammenfassen, indem wir uns dabei
stets an die angenommene Hypothese halten.
Erklärungen.
Kalk.
Thon.
UnwirksameSubstanzen.
Zeit bis zum
Erhärten.
Kalkstein A, vollkommen
gebranntDerselbe, 20 Proc. Kohlensäure enthaltendDerselbe, 30
Proc. Kohlensäure enthaltend
100100100
30 48 97
00,00 133,00 448,00
6
Tage 1
Monat 15 Minuten
Kalkstein C, vollkommen
gebranntDerselbe, 12 1/2 Proc. Kohlensäure enthaltendDerselbe, 19
Proc. Kohlensäure enthaltend
100100100
37 52 64
00,00 68,00 126,00
8
Tage 22
Tage 10 Minuten
Kalkstein E, vollkommen
gebranntDerselbe, 28 Proc. Kohlensäure enthaltend
100100
13 32
00,00 240,00
12 TageWar nach 3
Monaten nicht erhärtet.
Kalkstein B, vollkommen
gebranntDerselbe, 19 Proc. Kohlensäure enthaltend
100100
22,6037,00
00,00 127,00
6
TageWar nach 3 Monaten nicht erhärtet.
Man muß gestehen, daß wenn man absichtlich die Resultate und Ziffern, welche die
Zusammensezung der Kalke und der entsprechenden Ungebrannten repräsentiren, so
gestellt hätte, nichts Unzusammenhängenderes und nichts mit irgend einem rationellen
System weniger in Einklang zu Bringendes hätte erdacht werden können.
Eine einzige Thatsache könnte vielleicht zu einer denkbar richtigen Erklärung führen,
nämlich die Löschung, welcher chemischen Erscheinung ein
gewisser Einfluß auf die Verbindungen der Stoffe, die mit dem Kalk zusammen kommen,
nicht abgesprochen werden kann. Wirklich sahen wir bei künstlichen Ungebrannten,
welche durch Synthese erzeugt worden waren und bei denen diese Erscheinung nicht
stattfinden konnte, die Anomalien verschwinden. Andererseits haben wir gesehen, daß
eine Löschung, welche ihre WirkungWirkuug in sehr kurzer Zeit vollbringt, die Kraft der vollkommen gebrannten
hydraulischen Kalke nicht neutralisirt, indem diese hydratischen Kalke, wenn sie
nach 24 oder 48 Stunden aus der Grube genommen werden, wenige Tage nach ihrer
Untertauchung nichtsdestoweniger erhärten.
Bei den anomalen Ungebrannten hingegen geht Alles auf eine andere Weise vor sich. Die
gepulverte und mit Wasser angerührte Substanz geht keine so gute, schnelle und
vollständige Löschung ein wie die gut gebrannten Kalke; es findet, wenn der Ausdruk
erlaubt ist, ein bloßes Streben nach Löschung statt, welche sich zum Theil durch
eine langwierige Arbeit befriedigt und zwar mit einem unbedeutenden Aufquellen, das
aber zum Rissigwerden und Aufschwellen des Teiges hinreicht, der folglich frisch
gerührt werden muß, um die nöthige Gleichartigkeit wieder zu erhalten, wenn er
verarbeitet werden soll. In Folge dieser innern Arbeit, welche mehrere Tage dauern
kannIch bekam durch Zufall einen Ungebrannten unter die Hände, dessen Löschung 8
Tage dauerte., verliert der Ungebrannte großentheils manchmal sogar gänzlich die
hydraulischen Eigenschaften, welche er doch vermöge der relativen Menge seiner
Bestandtheile hätte haben sollen.
Es findet demnach eine gewisse Analogie zwischen dem Verhalten der anomalen
Ungebrannten und der Gränzkalke statt; vielleicht hätte man beide Verbindungen in
gleiche Classe bringen und ihre Eigenthümlichkeiten denselben Ursachen zuschreiben
können, wenn alle anomalen Ungebrannten sich im Betreff der relativen Menge des
Thons und des Kalks, dem dem Gränzkalk eigenen Verhältniß von 53 zu 100 nähern
würden, was aber nicht der Fall ist, weil die schlechtesten Ungebrannten 32 Thon auf
100 Kalk enthalten.
Die gegebenen Thatsachen, in ihrer Gesammtheit und unabhängig von jeder chemischen Erklärung
oder Theorie betrachtet, bieten uns nüzliche Belehrungen dar, welche wir, um den
positiven Theil unserer Arbeit damit zu schließen, so klar als möglich auszudrüken
versuchen wollen. Weitere Reflexionen und muthmaßliche Folgerungen verweisen wir auf
das Schlußcapitel.
(Der Beschluß nebst einem Zusaz folgt im
nächsten Hefte.)