Titel: Betrachtungen über die Besteuerung des Rohr- und Runkelrübenzukers in Frankreich; von Hrn. Payen.
Fundstelle: Band 84, Jahrgang 1842, Nr. XXV., S. 148
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XXV. Betrachtungen uͤber die Besteuerung des Rohr- und Runkelruͤbenzukers in Frankreich; von Hrn. Payen. Aus dem Moniteur industriel 1842, No. 594. Payen, über die Besteuerung des Rohr- und Runkelrübenzukers in Frankreich. Die zur Zeit des Kaiserreichs noch rein wissenschaftliche und industrielle Frage der Runkelruͤbenzuker-Erzeugung in Concurrenz mit dem Rohrzuker wurde gegen das Ende der Restauration hin zum staatswirthschaftlichen Problem und erhob sich seit zehn Jahren zu einem durchaus politischen und ministeriellen Gegenstand. Lange Zeit fuͤrchteten die Pflanzer von Martinique, Guadeloupe, Bourbon und Guiana auf dem franzoͤsischen Markt nichts als den Zuker von Indien, Cuba, Brasilien u. s. f., und arbeiteten nur dahin, daß von Jahr zu Jahr der Eingangszoll auf fremde Zuker erhoͤht wurde und unter diesem im Vergleiche mit dem von ihnen entrichteten Zoll hinreichenden Schuz erzeugten sie, so gut es eben ging, den kleinen Zukerbedarf Frankreichs. Um dieses Verhaͤltniß recht zu erfassen, muß man den Zustand betrachten, in welchem seit dem Jahre 1814 unsere, dem sogenannten Colonialgesez unterworfenen, Zukerinseln leben. Sie sind, kurz gesagt, gehalten, alle ihre Beduͤrfnisse aus Frankreich zu beziehen, wohingegen Frankreich verbunden ist, nur von ihnen seinen Zukerbedarf, heißt das, wohlverstanden, den Rohzuker, zu kaufen. Folgendes sind nun die Ereignisse: Im Jahre 1813 consumirten in Frankreich 45 Millionen Einwohner in Folge der Continentalsperre nur 7 Millionen Kilogr. Zuker, wovon die in der Kindheit befindliche Ruͤbenzuker-Fabrication einen Theil lieferte. Als die Restauration die Meere wieder oͤffnete und der Friede sich befestigte, begann aber das Colonialsystem, eine Wunde unserer Zeit, seine Wirkung ohne Hinderniß. Im J. 1816 consumirte Frankreich schon 24 Millionen Kilogr. Zuker; zwei Jahre spaͤter 36 Mill., im J. 1820 endlich stieg die Consumtion auf 48 Mill. Kilogr. Die Colonien allein lieferten diesen Bedarf, weil die fremden Zuker beim Eingang 40–45 Fr. uͤber die Taxe zu entrichten hatten. Zur selben Zeit erstattete man beim Ausgang den Raffinerien, welche den weißen Zuker ausfuͤhrten, den ganzen Zoll zuruͤk, den sie bei der Einfuhr des Rohzukers entrichtet hatten. Bis dahin wurden die Runkelruͤbenzuker-Fabriken nur als unmaͤchtige Aeußerungen der Bonapartistischen Opposition betrachtet. Die Colonien, welche unaufhoͤrlich die Besteuerung der fremden Zuker begehrten, ließen sich immer sagen: nehmt euch in Acht; es waͤre wohl besser, ihr ginget mit euren Producten herunter, denn ein Feind zieht euch entgegen, der euch zu schaffen machen wird. Die Pflanzer, taub fuͤr die Protestationen der Freunde der Menschheit und die Betrachtungen der Oekonomen, verblieben in der entschiedensten Unkenntniß der neuen Verfahrungsweisen beim Anbau der Ruͤben und der Gewinnung des Zukers daraus. Im J. 1828 zaͤhlte man bereits 58 Runkelruͤbenzuker-Fabriken, welche 4 Millionen Kilogr. Zuker erzeugten; im J. 1835 aber hatten die Pflanzer schon mit 349 Fabriken zu kaͤmpfen. Ein Jahr darauf zaͤhlte die Verwaltung deren 466, worunter 105 noch im Bau begriffen waren, und im J. 1837 gab es 542 Fabriken, wovon 39 noch im Bau. Es war ein außerordentlicher Aufschwung; die Eigenliebe der Pflanzer verhuͤllte ihnen zwar die Gefahr nicht mehr, allein es war zu spaͤt, um den Verheerungen der Concurrenz Einhalt zu thun. Die Ruͤbenzuker-Fabriken hatten Deputirte, Minister, die ganze Landwirthschaft und eine gewisse Neigung im Publicum fuͤr sich, welches leztere immer mit Vorliebe fuͤr das Neue eingenommen ist, das seinen Weg kek vorwaͤrts schreitet. Nun hatten die Runkelruͤbenzuker-Fabriken zur Consumtion gebracht: 4,380,0007,296,00013,230,00032,974,00044,903,000 Kilogr. im J.in den J. 18281833183418351836 34353637 Officielle Ziffern. Diese 44 Millionen Kilogr. machen das Drittheil der jaͤhrlichen Zukerconsumtion in Frankreich aus, wie sie der gegenwaͤrtige zu 120 Millionen Kilogr. angeschlagene Bedarf mit sich bringt. Der große Einfluß der dem Zuker der Colonien gebotenen Concurrenz ist leicht einzusehen, so wie die Schwierigkeit seines Verkaufs troz des bestaͤndigen Niederergehens der bis zum Niveau der Productionskosten, wenn nicht darunter gefallenen Marktpreise. Auch begreift man, wie guͤnstig die Verhaͤltnisse der Ruͤbenzuker-Fabrikanten sich stellten, welche unter dem Schuze eines so hohen Tarifs, wie jener durch das Gesez vom 26. April 1833, producirten. Niemand war auch zufriedener als die Raffinerien und besonders die exportirenden, welchen man bei der Ausfuhr als Praͤmie die Zoͤlle zuruͤkzahlte, die sie bei der Einfuhr des Rohzukers entrichtet hatten. Folgendes sind uͤbrigens der Tarif und die Summen der Praͤmien, welche am beredtesten sprechen werden. Einfuhrzoll auf rohe, nicht weiße, Colonialzuker. Bourbon 38,50 Fr. die 100 Kilogr. Antillen und Guyana 45 Einfuhrzoll auf weißen, rohen Colonialzuker. Bourbon 53,50 Fr. Die 100 Kilogr. Antillen und Guyana 60 Einfuhrzoll auf vollkommen gedekten (terrirten) Zuker. Bourbon 61 Fr. die 100 Kilogr. Antillen und Guyana 70 Dieß betraf den Zuker der Colonien; die fremden Zuker betrifft Folgendes: Einfuhrzoll auf fremden, nicht weißen Zuker. Indien 80 Fr. die 100 Kilogr. und 100 bei Sonstige Laͤnder außer Europa 85 Stapelplaͤze 95 Einfuhrzoll auf weißen und gedekten fremden Zuker. Indien 90 Fr. die 100 Kilogr. und 100 bei auslaͤnd. Schiffen. Europa Andere Laͤnder außer 95 Stapelplaͤze 105 Der raffinirte Zuker, sowohl in Huͤten als Farinzuker, ist durch ein immer mehr gehandhabtes Gesez vom J. 1816 verboten. Die auf den Grund eines provisorischen Schuzes von der Deputirtenkammer verlangte Praͤmie, welche im J. 1820 nur 270,000 Fr. betrug, erreichte im J. 1832 schon 18 Mill. und 774,000 Fr. Seitdem hat sie durch Modificationen des Gesezes jaͤhrlich zwischen 3 und 5 Mill. geschwankt. Im J. 1840 betrug sie 3,669,243 Fr. Gehen wir nun auf den uns beschaͤftigenden Gegenstand zuruͤk, auf die dem Rohrzuker entgegentretende Concurrenz des Runkelruͤbenzukers. Auf die angefuͤhrten Thatsachen hin geriethen die Pflanzer in Bewegung; sie beriethen sich mit den bei diesem Handel mehr als bei dem mit inlaͤndischem Zuker betheiligten Seehaͤfen; sie machten die Vortheile geltend, welche die Handelsschifffahrt, diese Quelle des Nationalwohls und Schule des militaͤrischen Seewesens, aus ihm ziehen koͤnne, und reizten vorzuͤglich den Fiscus und die ganze Finanzverwaltung an, welche im J. 1840 uͤber 30 Millionen Fr. vom Colonialzuker bezog. So weit war der Zukerstreit gediehen, als die Regierung, von den Colonien aufgefordert, durch folgendes Mittel die Sache beizulegen sich gezwungen sah. Vom 1. Jul. 1838 an wurde der Runkelruͤbenzuker am Productionsorte einer Abgabe von 11 Fr. per Centner unterworfen. Im J. darauf wurde diese auf 15 Fr. erhoͤht. Aber dessen ungeachtet wurden, da der Impuls einmal gegeben war, im J. 1839 doch noch 40 Mill. Kilogr. Runkelruͤbenzuker fabricirt und neue Fortschritte kuͤndigen an, daß die franzoͤsische Fabrication nicht dabei stehen bleibt. Die Ruͤbenzuker-Fabrikanten hatten ihre Etablissements vorzuͤglich im Departement des Nordens, auf gutem Boden, wo Brennmaterial und Transportwege genug vorhanden sind, errichtet. Im J. 1840 kam der Gegenstand im Ministerrathe und in den beiden Kammern von Neuem zur Sprache, wo dann die Abgabe fuͤr inlaͤndischen Zuker auf 27,50 Fr. erhoͤht, der Zoll des Zukers von den franzoͤsischen Antillen auf 49,50 Fr., der von Bourbon auf 42,35 Fr. und der auf franzoͤsischen Schiffen von Indien kommende auf 66 Fr. festgesezt wurde. Man glaubte, auf diese Weise alle Interessen ausgeglichen zu haben; da die Consumtion in Frankreich zu 120 Millionen angeschlagen wird, so sollten 80 Millionen aus den Colonien bezogen, 40 Millionen von der Runkelruͤbe gefordert und der etwaige Mehrbedarf durch fremden Zuker ergaͤnzt werden. Aus diesem Grunde und um die Einfuhr des fremden Zukers, die Bewegung auf den Stapelplaͤzen und die Interessen unseres Seewesens zu befoͤrdern, wurde beschlossen, den Zoll des fremden Rohzukers bei der Wiederausfuͤhrung (als raffinirter) zuruͤk zu verguͤten; man sezte diese Ruͤkverguͤtung auf 71 fest, d. h. man betrachtete 71 Kilogr. raffinirten Zuker als das Erzeugniß aus 100 Kilogr. Rohzuker. Diese Anordnung befriedigte aber weder die Pflanzer, noch die Runkelruͤbenzuker-Fabrikanten. Mehrere dieser lezteren schlossen ihre Fabriken, andere aber fuhren fort und producirten noch im J. 1841 27 Millionen Kilogr., von welchen der Fiscus 9½ Mill. Fr. Abgaben erhob. Alle aber reclamirten wegen dieser hohen Abgaben und des unvermeidlichen Ruins ihres Industriezweiges, welcher noch vor Kurzem ermuntert und beschuͤzt worden war. Die Pflanzer hingegen beriefen sich ihrerseits von Neuem auf gleiche Beruͤksichtigung, als Kinder eines und desselben Vaterlands, und verlangten die Aufhebung des Colonialsystems, d. h. die Freiheit zu kaufen und zu verkaufen, wo es ihnen gut schiene. Es ist leicht einzusehen, wie bedraͤngt ihre Lage war, wenn man weiß, daß ihre Industrie sich noch in der Kindheit befindet und welche nahe Gefahr sie in der Befreiung der Sklaven bedroht, daß sie die Wirkungen eines gemaͤßigten Loskaufungspreises und der bevorstehenden Emancipation befuͤrchten, durch welche sie ihre Arbeiter verlieren koͤnnen, oder doch sehr leicht eine Aenderung in der gegenwaͤrtigen Organisation herbeigefuͤhrt werden kann. Dazu kommt noch, daß der Zuker in Havre auf 105 Fr. per 100 Kilogr. gefallen ist, von welchen nach Abzug des Einfuhrzolls und der Transportkosten 30 Fr. oder 30 Cent. per Kilogr. bleiben; ferner, daß noch eine neue Fakel der Zwietracht sich erhebt, der ebenfalls nationale und inlaͤndische Staͤrkmehlzuker, dessen Fabrication auf 5 Millionen Kilogr. stieg und der zu gewissen Versuͤßungen, der Weine u. s. f. angewandt wird. Die Frage ist wahrhaft unloͤsbar, und es wundert uns auch gar nicht, daß die juͤngsten Verhandlungen (Jan. 1841) in der außerordentlichen Versammlung des Generalconseils fuͤr Landwirthschaft, Handel und Fabrication keinen klaren und buͤndigen Beschluß lieferten und daß das Publicum und die Publicisten selbst bei diesem Gegenstande, wo so viele Interessen verknuͤpft sind, den festen Boden verlieren. (Daß in Frankreich die foͤrmliche Unterdruͤkung der Ruͤbenzuker-Fabrication — welche sich in diesem Lande zu einem der wichtigsten Industriezweige emporgeschwungen hat und notorisch den vortheilhaftesten Einfluß auf die Landwirthschaft ausuͤbte — in der That in Vorschlag gebracht werden konnte, graͤnzt wirklich an das Unglaubliche; es zeigt sich auch bereits, daß es so gar schwierig nicht ist, die financiellen Interessen des Staats bezuͤglich seiner Colonien mit dem Fortbestehen der Ruͤbenzuker-Fabriken zu vereinbaren. Die Unterdruͤkung der Ruͤbenzuker-Fabrication hätte nicht nur das Verbot der Staͤrkmehlzuker-Bereitung zur unmittelbaren Folge, sondern es muͤßten auf analoge Weise, wenn in Zukunft die Chemie Mittel findet, irgend ein franzoͤsisches Colonialproduct durch eine inlaͤndische Production zu ersezen, sogleich Maßregeln ergriffen werden, um die neue Entdekung fuͤr das Land unfruchtbar zu machen. Die Redaction des polytechn. Journals.)