Titel: Anwendung der Weinsteinsäure statt der Schwefelsäure zur Alkalimetrie. Von Dr. G. C. Wittstein.
Fundstelle: Band 87, Jahrgang 1843, Nr. CXX., S. 469
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CXX. Anwendung der Weinsteinsaͤure statt der Schwefelsaͤure zur Alkalimetrie. Von Dr. G. C. Wittstein. Wittstein's Anwendung der Weinsteinsaͤure statt der Schwefelsaͤure zur Alkalimetrie. Seit einiger Zeit bediene ich mich zur Prüfung von Potasche und Soda auf ihren Gehalt an kohlensaurem Alkali nicht mehr der Schwefelsäure, sondern der Weinsteinsäure, weil ich überzeugt bin, daß diese auf eine bequemere Weise weit genauere Resultate gibt als die Schwefelsäure. Um nun auch anderen mit dergleichen Untersuchungen sich Beschäftigenden die Anwendung der Weinsteinsäure anzuempfehlen, theile ich diese Notiz hier mit. Die Schwefelsäure bietet bei ihrem Gebrauche mehrere Uebelstände dar. Gewöhnlich verdünnt man, von der Ansicht ausgehend, daß die concentrirte englische Schwefelsäure von 66° B. einfaches Schwefelsäurehydrat sey (d.h. 1 Atom chemisch gebundenes Wasser enthalte) und ein specifisches Gewicht von 1,840 habe, die Säure mit 19 Gewichtstheilen Wasser, und sezt 20 Theile einer so verdünnten Säure = 1,41 reinem kohlensaurem Kali oder 1,08 reinem kohlensaurem Natron. Die Schwefelsäure von 66° B. ist aber weder einfaches Schwefelsäurehydrat, noch hat sie ein spec. Gew. von 1,840, sondern lezteres beträgt kaum 1,820, und der Wassergehalt, welcher im einfachen Schwefelsäurehydrat 18,3 Proc. ausmacht, ist in der Säure von 66° B., wie ich gefunden habe, = 23,1 Proc. Ein zweiter Einwurf gegen die Genauigkeit der mit Schwefelsäure erhaltenen alkalimetrischen Resultate liegt in der minderen Sorgfalt, mit welcher oft von den Fabrikanten das spec. Gew. bestimmt wird; die dabei zu beobachtende Temperatur erscheint gemeiniglich als Nebensache, oder man begnügt sich damit, die gesezlich erforderliche Temperatur von + 12° R. zu haben, wenn die Säure sich kalt anfühlt. Es ist ja aber Jedem, der die physikalischen Eigenschaften der Flüssigkeiten kennt, bewußt, daß eine Flüssigkeit um so dichter seyn muß, je niedriger ihre Temperatur ist; wenn sie also z.B. bei + 6° R. 66° B., so hat sie bei + 12° R. weniger als 66° B. u.s.w. Auch, abgesehen von den beiden berührten Einwürfen, darf drittens nicht übersehen werden, daß zur Abwägung einer bestimmten Menge Schwefelsäure und Wasser eine sehr genaue Waage nöthig ist. Hält es schon schwer, eine specifisch schwere Flüssigkeit mit der Genauigkeit, wie einen fein zertheilten trokenen Körper, zu wägen, so wird die Empfindlichkeit der Waage noch durch das zur Aufnahme jener bestimmte Gefäß geschwächt, und nun betrachte man erst die meisten Waagen, deren man sich gewöhnlich zu solchen Versuchen bedient! Noch schlimmer ist es, wenn der Fabrikant, statt zu wägen, den Weg des Messens einschlägt. Die zu diesem Behuf bestimmten Alkalimeter sind oft so sorglos construirt, daß die dadurch erhaltenen Resultate mit denen einer genauen Analyse gar nicht verglichen werden können. Als ein Beispiel der Art will ich nur anführen, daß, als ich einst einem Fabrikanten eine Soda mit dem Bemerken zurüksandte, sie enthalte 27 Proc. Glaubersalz (welches ich durch Baryt bestimmt hatte), er mir zurükschrieb, sein Alkalimeter zeige ihm nur 14 Proc. Glaubersalz an. Es ist zwar richtig, daß die angeführten Uebelstände bei Anwendung der Schwefelsäure gänzlich vermieden werden können, wenn der Experimentator die erforderliche Genauigkeit im Arbeiten und den nöthigen Apparat besizt; allein dem ist leider in sehr vielen Fällen nicht so, und es bleibt daher wünschenswerth, ein Mittel zu haben, dessen sich ein jeder, der mit einer kleinen genauen Waage versehen ist, mit Bequemlichkeit und Sicherheit bedienen kann. Dieß Mittel ist die chemisch reine Weinsteinsäure. Diese Säure besteht im krystallisirten Zustande aus 4 Atomen Kohlenstoff, 4 At. Wasserstoff und 5 Atomen Sauerstoff + 1 Atom Wasser, und hat die Atomzahl 943,187. Man zerreibt sie zu feinem Pulver, troknet dieß in ganz gelinder Wärme, wodurch nur eine geringe Spur etwa anhängender Feuchtigkeit, nicht aber das Atom Hydratwasser fortgeht, und hebt das Pulver in einem verschlossenen Glase auf. Um nun von diesem Pulver Gebrauch zu machen, muß man wissen, daß 1 Atom Weinsteinsäure = 943,187, 1 Atom kohlensaurem Kali = 866,353, und 1 Atom wasserfreiem kohlensaurem Natron = 667,334 oder 1 Atom wasserhaltigem (krystallisirtem) kohlensaurem Natron = 1792,130 entspricht; mithin werden 108,8 Grane Weinsteinsäure 100 Grane trokenes kohlensaures Kali, 141,3 Grane Säure 100 Gran trokenes kohlensaures Natron, und 52,5 Grane Säure 100 Gran krystallisirtes kohlensaures Natron sättigen. Man wägt, je nachdem man das eine oder das andere dieser kohlensauren Salze bestimmen will, die erforderliche Menge Weinsteinsäure ab, und sezt sie der mit einem Tropfen Lakmustinctur gefärbten und in einer Porzellanschale erwärmten Auflösung der Alkalien so lange in kleinen Antheilen hinzu, bis die bläuliche Farbe der Flüssigkeit ins Violette nüancirt. Das Uebrige ergibt sich von selbst. Will man die Genauigkeit noch weiter treiben, so löse man die Säure in so viel Wasser auf, daß ein hunderttheiliger Cylinder davon gefüllt wirdDiese Aufloͤsung bereite man sich aber ja nicht in Vorrath, sondern jedesmal erst bei Anstellung des Versuches, da die in Wasser aufgeloͤste Weinsteinsaͤure, namentlich in einem mit etwas atmosphaͤrischer Luft angefuͤllten Glase nach und nach schimmelt und sich zum Theil in Essig verwandelt. (Anmerk. der Red. des Franks. Gewerbfr.); ein jeder Theil dieser Auflösung entspricht einem Gran des Salzes. Hoffentlich wird Niemand meinem Verfahren den Vorwurf machen, die Weinsteinsäure sey theurer als die Schwefelsäure; die Kosten können wegen der größeren Genauigkeit der Resultate gar nicht in Anschlag gebracht werden. (Aus dem Frankfurter Gewerbfreund 1843, Nr. 3.)