Titel: Ueber die unterchlorige Säure; von J. Pelouze.
Fundstelle: Band 88, Jahrgang 1843, Nr. XXXVII., S. 148
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XXXVII. Ueber die unterchlorige Saͤure; von J. Pelouze. Auszug aus den Comptes rendus, 1843, Bd. XVI. S. 43. Pelouze, über die unterchlorige Säure. Das von Balard angegebene Verfahren zur Bereitung der unterchlorigen Säure ist sehr complicirt und schwer auszuführen. Auf eine sehr glükliche Weise ist dasselbe durch Gay-Lussac vereinfacht worden, welcher vorschlug (polyt. Journal Bd. LXXXVI. S. 105) das unterchlorigsaure Gas zu bereiten, indem man unmittelbar troknes Chlor und Queksilberoxyd bei völligem Ausschlüsse der Feuchtigkeit auf einander wirken läßt. Dieses Verfahren gelingt völlig, wenn das Oxyd vorher calcinirt gewesen ist; aber 1 Vol. Chlor kann bei seiner Einwirkung auf das Queksilberoxyd in einer verschlossenen Flasche nicht mehr als die Hälfte seines Volumens an unterchloriger Säure erzeugen. Diese für die Geschichte der unterchlorigen Säure so wichtige Thatsache ist durch mehrere sehr merkwürdige Versuche von Gay-Lussac selbst außer Zweifel gesezt worden. Es folgt daraus, daß, wenn man das Gefäß, in welchem man die Säure bereitet hat, öffnet, sich diese mit dem gleichen Volumen atmosphärischer Luft mischt. Abgesehen von dieser hauptsächlichen Ursache der Verunreinigung des Gases, ist dieses immer in Berührung mit dem Chlorid und dem Oxyd des Queksilbers, oder mit dessen Oxydchlorür. Alle diese Umstände kann man auf folgende Weise vermeiden. Man läßt das Chlor, Blase für Blase, durch eine Waschflasche mit Wasser, sodann durch eine Rohre mit Chlorcalcium und endlich durch eine Röhre streichen, welche mit niedergeschlagenem Queksilberoxyd gefüllt ist, das nahe bis zu seiner Zersezung erhizt wurde. Diese lezte Röhre ist mit einer etwas engeren zusammengeschmolzen, deren Ende in eine Flasche taucht, in welcher man die unterchlorige Säure auffangen will. Die atmosphärische Luft ist bald durch dieses Gas ausgetrieben. Ich habe versucht, die Säure flüssig zu machen, und bin dazu gelangt, indem ich sie bis auf –20° C. erkältete bei dem gewöhnlichen atmosphärischen Druk. Es reicht hin, die Glasröhre, welche das Gas zuführt, in einen kleinen Glaskolben mit langem Halse zu leiten, welcher mit einem Gemisch von Schnee und Kochsalz umgeben ist. In 1 oder 2 Stunden kann man sich mehrere Gramme der Säure verschaffen. Die Eigenschaften dieses Körpers sind folgende: seine Farbe ist roth, ganz dem arteriellen Blute ähnlich; sein Geruch erinnert an den des Jods und des Chlors, ist jedoch stärker, durchdringender, und afficirt die Augen sehr schmerzhaft. Bei –19° oder –20° C. geräth er ins Kochen. Sein Dampf ist rothgelb, so daß es unmöglich ist ihn mit dem Chlor zu verwechseln, namentlich wenn man beide Gase neben einander betrachtet. Der Dampf erregt starken Husten und Blutspeien und würde ohne Zweifel schon in geringer Menge als heftiges Gift wirken. Die flüssige Säure ist schwerer als das Wasser; sie sinkt in demselben zu Boden, löst sich nach und nach darin auf und ertheilt ihm eine orangegelbe Farbe. Bei einer gelinden Wärme detonirt die flüssige unterchlorige Säure, doch trennen sich zuweilen ihre Elemente langsam und ohne Geräusch. Sehr merkwürdig ist es, daß die Erschütterungen, welche durch einen einzigen Feilstrich an der Röhre hervorgebracht werden, auf deren Boden sich einige Tropfen der Säure befinden, hinreicht, um die Verbindung detoniren zu lassen, selbst wenn sie sich in einem Kältegemisch von – 20° befindet. So ist es auch sehr gefahrvoll, sie aus einem Gefäße in das andere zu gießen. Anfangs glaubte ich, die rothe Flüssigkeit wäre eine Verbindung von 1 Aeq. Chlor mit 2 Aeq. Sauerstoff, aber die Art der Bereitung, welche ich anwandte, die Zersezungsproducte durch die Wärme, welche aus 2 Vol. Chlor und 1 Vol. Sauerstoffgas bestehen, die Vergleichung der Eigenschaften derselben in der wässerigen Lösung mit denen, welche die von Gay-Lussac und Balard dargestellte Substanz besizt, ließen mir keinen Zweifel über die Identität der Flüssigkeit mit der unterchlorigen Säure. Ich habe oben gesagt, die unterchlorige Säure sey wesentlich gefärbt, sowohl im gasförmigen als im flüssigen Zustande, sowohl in der verdünnten als concentrirten wässerigen Lösung. Dieß wird durch folgende Thatsachen bewiesen. Die durch Kälte flüssig gemachte Säure löst sich, wenn man sie bei niedriger Temperatur mit Wasser in Berührung bringt, nach und nach darin auf, indem sie bis zu Ende ihre rothe Farbe beibehält. Die Lösungen, welche man nach und nach davon erhält, besizen stets die orangegelbe Farbe. Das Wasser, in welches man die gasförmige Säure leitet, scheint sich anfangs nicht zu färben, aber diese Färbung nimmt mehr und mehr zu in dem Maaße, als die Absorption fortschreitet. Wird diese Lösung mit Queksilberoxyd geschüttelt, so verliert sie nicht die Farbe, was die Abwesenheit des Chlors zu beweisen scheint, denn dieses würde eine neue Menge unterchloriger Säure erzeugen. Mischt man Queksilberoxyd mit Wasser von 2–3°, welches eine große Menge von Krystallen von Chlorhydrat suspendirt enthält, so verschwinden diese und bringen unterchlorige Säure hervor, und die Flüssigkeit, einige Augenblike sich selbst überlassen, um den Ueberschuß des Oxyds abzuscheiden, besizt nun eine deutlich gelbe Farbe. Einigemale habe ich so eine gefärbte Flüssigkeit erhalten, welche nicht über ihr 8- oder 10faches Volumen an unterchloriger Säure enthielt. Die niedrige Temperatur, bei welcher dieser Versuch angestellt ist, scheint nicht die Erklärung zuzulassen, daß die Färbung von dem freien Chlor herrühre. Chlor, welches man in kaltes Wasser leitet, das Queksilberoxyd suspendirt hält, erhält gleichfalls die Färbung der unterchlorigen Säure. Die gesättigten Auflösungen der unterchlorigen Säure lassen bei gelinder Erwärmung ein röthlich-gelb gefärbtes Gas entweichen. Alle diese Thatsachen lassen sich meiner Meinung nach leicht so erklären: Die unterchlorige Säure ist ein röthlich-gelb gefärbtes Gas; diese Farbe ist ihr eigenthümlich; sie behält sie im gasförmigen und wasserfreien Zustande und steigert sie im tropfbar flüssigen. Mit dem Wasser bildet die Säure ein Hydrat von unvergleichlich schwächerer gelber Farbe, als die des Gases ist, so daß wenig gesättigte Auflösungen fast ungefärbt erscheinen, während sie in der That stets gefärbt sind. So erscheint die Farbe des Wassers, welches einige Volumina des Gases absorbirt hat, in einem gewöhnlichen Glase betrachtet, fast völlig farblos, zeigt jedoch in einer Röhre von 2–3 Decimeter Länge eine deutlich gelbe Farbe. Dieß findet eben sowohl bei der nach Gay-Lussac's und Balard's Methoden dargestellten, als bei der mit der flüssigen Säure bereiteten Lösung statt. Es scheint mir also, daß die unterchlorige Säure, wie die übrigen gasförmigen Verbindungen des Chlors mit dem Sauerstoff, wesentlich gefärbt und daß dieß Gay-Lussac entgangen ist, indem er nicht hinreichend concentrirte Lösungen untersucht hat. Die unterchlorige Säure ist in Wasser viel leichter löslich, als man angenommen hatte. Bei 0° löst dieses wenigstens das 200fache seines Volumens auf. 1 Kubikcentimeter dieser Lösung zerstört 400 Kubikcentim. der normalen arsenigen Probeflüssigkeit. Da Chlor und Sauerstoff ein genau gleiches entfärbendes Vermögen in der unterchlorigen Säure haben, wie dieß Gay-Lussac gezeigt hat, und die Formel ClO (Cl₂O) 2 Volum. dieses Gases darstellt, so folgt daraus, daß das Wasser, wie ich gesagt habe, das 200fache seines Volumens davon aufnimmt. Mit anderen Worten, 1 Volumen der Lösung entfärbt so gut als 400 Volume Chlor; es zeigt also 40000 chlorometrische Grade. Da die Dichtigkeit des Gases 2,977 ist, so wiegt 1 Liter desselben bei 0° und 760 Mm. 3,864 Gr. 100 Theile Wasser müssen also 77,364 Theile der Säure oder mehr als 3/4 seines Gewichtes auflösen. Dieses Verhältniß nähert sich ungefähr 1 Aequival. Säure und 6 Aequival. Wasser. Die Eigenschaften der wässerigen unterchlorigen Säure sind von Balard sorgfältig studirt worden, aber er hatte sie in keinem concentrirten Zustande; ich will von dieser einige Eigenschaften anführen. Die Farbe derselben ist gelb wie die einer concentrirten Goldchloridlösung; ihr Geruch ist durchdringend und unerträglich; es ist derselbe wie der der entfärbenden Chlorüre, abgesehen von seiner Stärke, die weit bedeutender ist; sie besizt eine außerordentlich äzende Kraft gegen die Haut, welche sie schnell zerstört und dabei unter heftigen Schmerzen eine tiefe Wunde hervorbringt, welche nur schwer vernarbt. Antimon zersezt die Losung sehr schnell; Arsenik entzündet sich darin, selbst mitten in der Flüssigkeit, mit schönem blauem Lichte. Die Chlorwasserstoff- und Oralsäure und das Ammoniak bewirken ein lebhaftes Aufbrausen; arsenige Säure wird unter einer Reihe kleiner Detonationen oxydirt. Schnell verwandelt sie Schwefelblei in schwefelsaures Salz, und diese Eigenschaft ist so stark, daß man sie selbst noch in hohem Grade in einer Flüssigkeit findet, welche mit dem 100fachen ihres Volumens Wasser verdünnt ist. Man kann diese Eigenschaft benuzen, um Holzwerk und Gemälde wiederum zu bleichen, auf deren Oberfläche das Bleiweiß durch Schwefelwasserstoffausdünstungen geschwärzt worden ist. Die wässerige Lösung bringt in den Auflösungen der Manganoxydulsalze einen schwarzen, sammetartigen Niederschlag von reinem Mangansuperoxyd hervor, in den Bleioxydsalzen hingegen einen von braunem Superoxyd. Man kann sich der Säure mit Vortheil bedienen, um sich diese beiden Oxyde im Zustande der höchsten Vertheilung zu verschaffen, welcher sie zu eigenthümlichen Reactionen geeignet macht. Unter den verschiedenen Bleioxydsalzen, welche sich besonders hiezu eignen, ist das dreibasische essigsaure Salz, in vielem Wasser gelöst, das passendste. So kann auch, wie es schon Balard beobachtete, die unterchlorige Säure an die Seite des Wasserstoffsuperoxyds gesezt werden, durch die Leichtigkeit, mit welcher ihn Elemente sich unter dem Einflüsse gewisser Stoffe trennen, ohne daß diese etwas aufnehmen oder abgeben. So zersezt z.B. das Chlorsilber sehr schnell die wässerige Lösung der Säure. Die leichte Zersezbarkeit dieser Säure durch die Chlorwasserstoffsäure liefert ein vortreffliches Mittel, sich die Krystalle des Chlorhydrats in großer Menge zu verschaffen. Es reicht hin, eine Lösung der Säure bis auf + 2–3° zu erkälten und tropfenweise Chlorwasserstoffsäure hinzuzufügen. Das entwikelte Chlor verbindet sich sofort mit dem Wasser und man erhält eine solche Menge von Krystallen, daß die Masse fast erstarrt.Aus den interessanten Versuchen von Pelouze geht unzweifelhaft hervor, daß es zur Darstellung der unterchlorigen Säure am geeignetsten ist, das Queksilberoxyd auf die Art zu bereiten, daß man es aus einer Auflösung von schwefelsaurem Queksilberoxyd oder Sublimat mittelst eines Ueberschusses von kaustischem Kali niederschlägt, gut wascht, troknet und bei 300–400° C. calcinirt. Uebrigens findet keineswegs, wie Pelouze nach einigen Versuchen annehmen zu können glaubte, ein wesentlicher Unterschied zwischen dem krystallisirten und amorphen Queksilberoxyd in ihrem Verhalten zum Chlor statt, sondern jenes Oxyd wirkt nur viel träger als dieses, was Gay-Lussac in den Comptes rendus, Febr. 1843, Nr. 6 nachgewiesen hat. A. d. R. Ueber die Löslichkeit des Chlors im Wasser. Das Maaß dieser Löslichkeit dürfte wegen des häufigen Gebrauchs, den man vom Chlorwasser macht, einiges Interesse darbieten. Es scheint, als sey dieselbe mit wenig Sorgfalt bestimmt, wenn man die sehr abweichenden Resultate miteinander vergleicht. Die Löslichkeit kann mit einer hinreichenden Genauigkeit mit der normalen arsenigen Flüssigkeit ausgemittelt werden, welche Gay-Lussac zuerst vorgeschlagen hat, um den Werth der entfärbenden Chlorverbindungen des Handels zu untersuchen. Das Verfahren ist nicht so genau, daß man dabei auf die barometrische Pression Rüksicht nehmen könnte; die Versuche sind daher bei dem gewöhnlichen Druke angestellt; sie ergaben folgendes Resultat: Textabbildung Bd. 88, S. 152 Volumen Wasser; Volumen des gelösten Chlors; Temperatur Das Maximum der Löslichkeit liegt also bei + 9 –10 °C.; dieß ist genau die Temperatur, bei der sich nicht mehr die Krystalle des Chlorhydrats bilden, oder völlig in der Flüssigkeit verschwinden. Je mehr man die Temperatur des Wassers von diesem Punkte sich entfernen läßt, desto weniger Chlor nimmt es auf. Das bei 8–10° gesättigte Wasser ist stark grünlich-gelb gefärbt; läßt man es bis zu 0° erkalten, so läßt es zahlreiche Floken von Chlorhydrat fallen und die darüber stehende Mutterlauge ist nur noch schwach gefärbt. Wenn das Wasser mit Chlor gesättigt ist und man schüttelt es mit Luft, so verliert es augenbliklich fast die ganze Menge des aufgelösten Gases und wird fast farblos. Durch hie Theorie war diese Erscheinung wohl vorauszusehen, indessen war die große Leichtigkeit, mit welcher die so wenig löslichen Gasarten, wie Sauerstoff und Stikstoff, das Chlor austreiben, nicht bestimmt – eine Erscheinung, welche bei der Bereitung des Chlorwassers ihre Anwendung findet. Um eine recht gesättigte Auflösung zu erhalten, muß man sich hüten, das Wasser, welches gesättigt werden soll, zu schütteln; denn eine geringe Menge Luft, welche in der Flasche zurükgeblieben ist, treibt eine große Menge Chlor aus und schwächt die Stärke der Flüssigkeit.