Titel: | Ueber das in Amerika gebräuchliche kalte Schwizverfahren beim Gerben. |
Fundstelle: | Band 89, Jahrgang 1843, Nr. XCV., S. 375 |
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XCV.
Ueber das in Amerika gebraͤuchliche kalte
Schwizverfahren beim Gerben.
Aus der Chemical Gazette 1843. Nr. 16, dem
Journal of the
Franklin Institute entnommen.
Ueber das kalte Schwizverfahren beim Gerben.
Das in England, auf dem Continent und in den Vereinigten Staaten gebräuchlichste
Verfahren die Häute zu enthaaren, besteht im Einlegen derselben in eine Kalklösung
oder vielmehr Kalkmilch, in welcher man sie, je nach dem Wetter und der Textur der
Häute, eine bis drei oder mehr Wochen liegen läßt, bis ihr Aussehen zu erkennen
gibt, daß der Kalk seine Wirkung gethan hat. Dieser löst nämlich die Haare und die
Epidermis von der Haut ab, so daß sie nachher auf dem Schabebaum mittelst eines
Messers leicht davon abgepält werden können. Ein anderes Verfahren zu demselben Zwek
besteht im Aufhängen der Häute in einem geschlossenen Raume, welcher durch ein
bedämpftes Feuer etwas über die gewöhnliche Temperatur erwärmt wird. Dabei wird die
Epidermis durch anfangende Fäulniß abgelöst. Lezteres sogenannte Schwizverfahren ist
in Deutschland gebräuchlich und findet hie und da auch in England Anwendung; dieses
aber sowohl, als das vorhergehende, ist mit vieler Gefahr verbunden, weßhalb es auch
nur eine beschränkte Anwendung findet. Nach einem anderen Verfahren werden die Häute
auf Haufen übereinander gelegt und mit Lohe oder einem andern schlechten Wärmeleiter
bedekt, um die durch die freiwillige Zersezung des Leims oder anderer Substanzen der
Haut und der Haarwurzeln entstehende Wärme einzuschließen.
Der Erforschung dieses sehr wichtigen Theils des Gerbeprocesses scheinen die Chemiker
wenig Aufmerksamkeit zugewendet zu haben; der Gewerbsmann hat keine Einsicht in die
wahre Natur des Vorgangs durch sie erhalten und folglich wurde das Verfahren nicht
wie zu wünschen wäre, verbessert. Zwar ist die Wirkung des Kalks auf die Textur der
Haut, was das Losmachen der Haare betrifft, nicht in Dunkel gehüllt; aber die andern
Einwirkungen auf die Haut, welche bleibend und von bedeutendem Einfluß auf die Güte
des Leders sind, wurden niemals befriedigend erklärt. Noch nie konnten Chemiker eine
genügende Erklärung von der Wirkungsweise der s. g. Beize (bate) gehen, welche aus einer Auflösung des in dem Miste der Tauben und des
Hausgeflügels enthaltenen salzsauren Ammoniaks und Kochsalzes etc. besteht. Das
Wahrscheinlichste ist, daß diese salzsauren Salze von dem Kalk zersezt werden und
ihn auflöslicher machen; was aber die herbeigeführte Gährung für eine Einwirkung auf
das Leder hat, ist nicht klar, wenn man nicht annehmen will, daß ein großer Theil
des Leims und des Eiweißes dadurch entfernt wird.
Gideon Lee sagt in seinen Vorlesungen über die Gerbekunst:
„Ich glaube, daß ein großer Theil des ursprünglichen Leims unserer
Häute sich niemals mit dem Gerbestoff verbindet, sondern bei der Behandlung
verloren geht, nämlich entweder zerstört oder wirkungslos gemacht wird, oder
vielleicht beides; denn ich zweifle nicht, daß, wenn es möglich wäre, jedes
Theilchen der Haut in Berührung mit dem Gerbestoff zu bringen, wie es die
Chemiker mit den Auflösungen beider zu thun im Stande sind, man von 100 Pfd.
vollkommen trokner und von allen fremdartigen Anhängseln gereinigter Haut
beinahe 200 Pfd. (wenigstens 180 Pfd.) Leder erhalten würde.“
„Da dieß aber unmöglich ist — indem wir die ursprüngliche
organische Form der Haut, um Leder daraus zu machen, beibehalten müssen —
so ist es unsere Aufgabe, auf so ökonomische Verfahrungsweisen zu sinnen, daß
nur der kleinste Theil des leimartigen Bestandtheils der Haut verloren geht, der
größte Theil desselben ihr aber erhalten werde.“ Ohne Zweifel könnten
viele Leimtheile erhalten und viel mehr Leder gewonnen werden, durch neue
Verfahrungsweisen bei der Zubereitung der Häute für die Gerbebrühen. Wir wissen, daß
dieses Ersparniß zu machen schon versucht wurde und die erhaltene Menge Leders auch
wirklich der von den Chemikern als größtmögliche Quantität angegebenen sehr nahe
kam. „Sparen, sagt Lee richtig, muß jezt an der
Tagesordnung seyn,“ und eine rationelle Verbesserung der
Lederbereitung würde nicht nur die Güte des Leders verbessern, sondern auch die
Menge des Products vermehren. Beträchtliche Summen gehen in dieser Beziehung
jährlich noch verloren.
Unter die Uebel des alten Verfahrens gehört auch die starke Einwirkung der
gebräuchlichen Agentien, welche mit der möglichsten Vorsicht angewandt werden
müssen. Bei diesem ziemlich verbreiteten Verfahren werden die troknen Häute der
kräftigen Einwirkung der Stampfstöke ausgesezt, welche die Fasern derselben
erweichen und ausdehnen, sie veranlassen, daß sie sich gegeneinander bewegen und
nach längerer Zeit wahrscheinlich ihre Poren öffnen und einen großen Theil der in
der Haut enthaltenen auflöslichen Substanz entfernen, wodurch die Weichheit,
Geschmeidigkeit und Dünne der Häute erzeugt wird, über welche man sich bei einem
Leder manchmal beklagt, welches außerdem richtig behandelt wurde. Ein gewisser Grad
Geschmeidigkeit scheint zwar durchaus nöthig zu seyn, damit der Kalk und die Beize
ihre Wirkung gehörig thun können und der Gerbestoff gehörig in die Haut eindringt.
Gegen das Kalken aber spricht sehr die nachtheilige Einwirkung desselben auf die
leimartigen und eiweißartigen Bestandtheile der Haut. Daß eine Substanz, welche in
ihren Verwandtschaften so stark und die meisten thierischen Substanzen so schnell zu
zersezen im Stande ist, auf die feuchte poröse Substanz der erweichten Haut sehr
nachtheilig einwirken muß, kann durch keinen Sachverständigen wohl geläugnet werden.
Die Einwirkung dieses Agens, indem es die Hautfasern ausdehnt und strekt, sie
dadurch aus ihrer ursprünglichen Lage bringt, folglich ihr Gefüge schwächt, muß wohl
einleuchten, da es die Haut auf ihre doppelte ursprüngliche Dike anschwellt. Jeder
Gerber weiß ja, daß stark gekalktes Leder loker ist, leicht wiegt und keine lange
Dauer hat; ist demnach nicht mit vieler Wahrscheinlichkeit zu vermuthen, daß
dieselbe nachtheilige Wirkung in geringerm Verhältniß auch bei der schwachen Kalkung
stattfinde? Durch die Zerstörung der leim- und eiweißartigen Stoffe bei
diesem Proceß verliert der Gerber nicht nur jene Theile, welche außerdem Leder
gebildet hätten, sondern das gebildete Leder hat auch geringern Werth, weil es nicht
so dauerhaft und fest ist.
Die schädliche Wirkung des Kalkens wird durch das darauf folgende Beizen noch
vermehrt; es hat dasselbe den Zwek, den Kalk auszuziehen und die Haut auf ihre
ursprüngliche Dike zurükzuführen. Die in der Beizflüssigkeit enthaltenen salzsauren
Salze etc., welche den Kalk auflöslicher machen, der dadurch leichter entfernt wird,
ziehen nämlich auch einen Theil des Leims etc. aus und die durch die Zersezung der
thierischen Substanzen in der Beize eingeleitete Gährung trägt auch wesentlich zur
Zerstörung jener leicht zersezbaren Bestandtheile der Haut bei. Daß eine Gährung
stattfindet, beweist die schnelle Einwirkung der Beize, indem sie die Narbenseite
der Felle in warmen Sommertagen zerstört, wenn man nicht sehr vorsichtig verfährt
und den Proceß zu weit vorschreiten läßt. Ein weiterer, nicht zu übersehender
Uebelstand ist der äußerst unangenehme Geruch fauler thierischer Stoffe, welcher den
Kleidern etc. der Arbeiter unzertrennlich anhaftet.
Wir können nun, nach Auseinandersezung der die bisherigen Verfahren begleitenden
Uebelstände, in ein neues eingehen, welches dieselben nach dem Dafürhalten
derjenigen, die es prüften, größtentheils beseitigt. Dasselbe wurde ziemlich
ungeeignet „das kalte Schwizverfahren zum
Enthaaren der Häute“ genannt, im Gegensaz zu dem oben erwähnten in
Europa, zum Theil auch in England gebräuchlichen „warmen
Schwizverfahren“.
Dieses sogenannte kalte Schwizverfahren besteht in folgendem. Man macht ein Gewölbe
oder eine Grube, um die Häute hineinzubringen, von 12 Fuß Länge, 12 Fuß Tiefe und 10
Fuß Breite. Die Wände derselben können von Steinen aufgeführt werden, oder ein mit
Planken bekleidetes Gerüste seyn. Es muß sich dabei ein Vorraum befinden, der
wenigstens 6 Fuß lang ist, und an jedem Ende eine Thüre hat, wovon die äußere eine
Doppelthüre ist, deren Zwischenraum mit Lohe ausgefüllt wird, damit von außen keine
warme trokne Luft eindringen kann. Ein von Brettern gemachter Luftcanal von
10–12 Zoll im Gevierte reicht von der Mitte des Bodens der Grube 3–4
Fuß weit hinauf und beginnt wenigstens 4 Fuß unter der Bodenfläche. Er dient sowohl
als Ablaufrinne für das Wasser der Grube, als um feuchte, kühle Luft zuzuführen,
welche die Stelle der verdünnten einnimmt, indem man einen Luftstrom durch den oben
angebrachten Ventilator unterhält. Die First des Daches fällt in ein Niveau mit der
Erdoberfläche. Auf die First sind der ganzen Länge nach in zwei Zoll Abstand auf die
hohe Kante zwei Bretter oder Bohlen aufgesezt. Der Raum zwischen diesen Bohlen wird
offen gelassen, das übrige Dach aber wenigstens 3 Fuß hoch mit Erde bedekt. Dieß
geschieht, um die Häute auf niedriger Temperatur zu erhalten, so daß sie sich, ohne
zu verderben, enthaaren. Im Innern der Grube muß in den Eken, welche das Dach mit
den Wänden bildet, in Rinnen oder Röhren Quellwasser herumgeleitet, und dasselbe muß
man in kleinen Mengen so in die Grube hinabfallen lassen, daß sich in derselben ein
Nebel erhebt und die Luft in der Grube mit Wasser sättigt. Das Quellwasser hat
gewöhnlich eine Temperatur von 8° R. und da das Wasser bei jeder Temperatur
verdampft, so ist klar, daß wenn beständig frisches nachkömmt, diese Verdampfung,
indem durch sie viel Wärme gebunden wird, die Temperatur der Grube ziemlich
gleichförmig erhält. Um die Häute in der Grube aufhängen zu können, werden nahe an
dem Dache längs der Grube und in gleichen Abständen drei Stangen mit eisernen
2–3 Zoll von einander abstehenden Haken eingesezt. Die vorher wie gewöhnlich
geweichten Häute hängt man einzeln und ganz ausgebreitet an der Kopfseite an diesen
Haken auf. Nach einigen Tagen, wenn die Haare an den obern Theilen lose zu werden
anfangen, nimmt man die Häute herab, und hängt sie an dem zweiten Ende auf, bis sie
sich endlich leicht enthaaren lassen. Die Häute dürfen nicht gebrochen werden, bis
sie aus der Grube kommen und fertig zum Enthaaren sind. In einer guten Grube, wo der
Thermometer
5–10° R., aber nie darüber zeigt, und eine freie Circulation feuchter Luft stattfindet, sind zum Enthaaren der Häute
gewöhnlich 6–12 Tage erforderlich. Fällt die Temperatur unter 5° R.,
so muß der Ventilator theilweise geschlossen werden; steigt sie aber über 10°
R., so muß kalte, feuchte Luft eingetrieben, oder mehr
Quellwasser durch einen Schlauch oder dergl. hineingeleitet werden.
Wird diese Behandlung gehörig ausgeführt, so erhält der Gerber die Häute frei von
allen fremdartigen Stoffen mit beinahe ihrem vollen Leimgehalt, mit dem Eiweiß und
aller Fasersubstanz. Die Wirkung des kalten Schwizverfahrens scheint sich auf die
Oberfläche oder die Narbe
des Felles zu beschränken, durch Expansion der äußern Theile und Aufweichen der
Haarwurzeln, wodurch sie leichter ausgezogen werden können. Es findet bei diesem
Verfahren keineswegs, wie einige unbegründet glauben, ein Fäulnißproceß statt,
sondern nur eine Erweichung. Mehrere Umstände bekräftigen uns in dieser Ansicht;
unter andern folgender: die faule Gährung ist immer von Ammoniakbildung begleitet;
nun ist aber in der Grube, wo der Proceß vorgeht, kein Ammoniak zu entdeken; also
findet diese faule Gährung auch nicht statt. Daß sich die Einwirkung des
Wasserdampfes auf die Oberfläche der Haut beschränkt, beweist die Zunahme ihres
Gewichtes bei dieser Zubereitung gegen die beim Kalken und der daraus folgende
Gewinn an Leder; denn während beim Kalken eine Zunahme des ursprünglichen Gewichts
der troknen Haut um 30–40 Proc. schon als bedeutend angesehen wurde, beträgt
die Zunahme beim kalten Schwizen 50–70, ja oft 80 Procente; es geht daraus
hervor, daß ein großer Theil der zartern Bestandtheile der Haut, welcher früher
verloren ging, auf diese Weise darin erhalten wird. Dieß wäre nicht der Fall, wenn
eine Fäulniß statt fände, da hierdurch viel von der Substanz abginge oder in einen
Zustand versezt würde, in welchem die Auflösungsmittel, welchen sie ausgesezt
werden, darauf einwirken könnten.
Nur dem Gerber, welcher glaubt, daß aller Leim aus der Haut gezogen werden müsse,
wenn man gutes Leder erhalten will, kann dieses Verfahren falsch erscheinen; wer
aber, der einige Kenntniß von der Zusammensezung des Leders hat, glaubt dieß?
Das Beibehalten dieses Verfahrens, wo es einmal eingeführt wurde, spricht am besten
für seine Bewährung und die Erfüllung dessen, was es verspricht. Es ist in den
großen Gerbereien zu New-York, Maine, Hamp-Shire und zum Theil auch in
Nord-Pennsylvanien beinahe allgemein eingeführt.