Titel: | Ueber eine neue freie Hemmung in Pendeluhren, Halbsecundenpendel mit ganzen stehenden Secunden; von Dr. Mohr in Coblenz. |
Fundstelle: | Band 91, Jahrgang 1844, Nr. XCIV., S. 349 |
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XCIV.
Ueber eine neue freie Hemmung in Pendeluhren,
Halbsecundenpendel mit ganzen stehenden Secunden; von Dr. Mohr in Coblenz.
(Patentirt auf 6 Jahre fuͤr das
Koͤnigreich Preußen am 4. Januar
1844.)
Mit Abbildungen auf Tab.
V.
Mohr, über eine neue freie Hemmung in Pendeluhren.
Die vorliegende Verbesserung der Hemmung in Regulatoren ist eine Folge der
Untersuchungen, die ich bei mehrmaliger Ausführung der im polytechnischen Journal
Bd. LXXXI S.
38 beschriebenen Construction zu machen Gelegenheit hatte.
Im Wesentlichen bestand die am angeführten Orte beschriebene Construction darin, daß
ich die bewegende Kraft am untersten Ende des Pendels angreifen ließ, daß das Pendel
ungemein schwer war und sich in sehr kleinen Bögen bewegte.
Die Methode, die erhaltende Kraft am untersten Ende des Pendels angreifen zu lassen,
bewährt sich vollkommen, und ich bin auch jezt nicht davon abgegangen. So wie aber
an dieser Stelle die bewegende Kraft am vortheilhaftesten angreift, eben so macht
sich hier jede schädliche Reibung, von der ein ruhendes nicht freies Echappement nie
frei seyn kann, am nachtheiligsten geltend, und zwar um so mehr, je kleiner das
Moment des Pendels ist, d. h. je kleiner sein Gewicht und seine Schwingungsbögen
sind.
An einer schwarzwälder Uhr wurde das Steigrad herausgeworfen und ein anderes mit
Stiften eingesezt. Das dazu berechnete Pendel hatte 40 1/5 Zoll Länge. Es trug eine
Linse von 8 Pfd.
Bei diesem leichten Pendel konnte man mit bloßem Auge eine unregelmäßige Bewegung
wahrnehmen, nämlich eine sichtbare Beschleunigung, wenn der Stift über die Hebung
ging, und ein plözliches Stillstehen, wenn er auf die Ruhe kam.
Durch vermehrtes Gewicht konnte die Uhr zum Stillstehen gebracht werden. Dieß zeigte
genügend, daß die bewegende Kraft einen viel zu großen Einfluß über das Pendel
hatte, und daß lezteres unmöglich die Zeit richtig messen konnte, wie wenn es sich
frei bewegt hätte.
Es wurde nun an der Stelle der 8pfündigen Kugel eine andere von 33 Pfd. Gewicht
angebracht, und die Uhr wieder in Bewegung gesezt. Hierbei konnten die angeführten
Uebelstände der Bewegung nicht mehr bemerkt werden, oder doch nur sehr schwach, wenn
das Zuggewicht bedeutend vermehrt oder an der Kette mit Gewalt gezogen wurde. Das
Pendel konnte durch vermehrtes Ziehen an der Schnur nicht mehr zum Stillstehen
gebracht werden, dagegen konnte die Uhr auch nicht mehr stehen bleiben, denn wenn
man das Pendel mit der Hand in der Verticalen festhielt, so sing die Uhr von selbst
wieder an zu gehen, wenn man das Pendel losließ.
Aus diesen Resultaten zog ich die Schlüsse, daß wenn ein Pendel sehr kleine Bögen
schwingen soll, es eine solche Masse erhalten müsse, daß dieselbe bei der
praktischen Ausführung höchst unbequem werden dürfte; daß ein Pendel, welches durch
die bloße Kraft der Uhr ohne Anstoß in Bewegung gesezt wird, keine Garantie für eine
zuverlässige Zeitmessung darbiete; daß ein und dasselbe Pendel um so sicherer
regulire, abgesehen vom Widerstande der Luft und den Differenzen größerer und
kleinerer Bögen, je größere Bögen es schwingt, weil es alsdann ein größeres Moment
repräsentirt.
Mein Bestreben ging nun dahin, die erhaltende Kraft am untersten Ende des Pendels,
als dem vortheilhaftesten Punkt, wie vorher, angreifen zu lassen, dagegen das Pendel
in der Art mit der Uhr
in Verbindung zu sezen, daß es nur während eines sehr kurzen Zeitraums von derselben
berührt werde, und einen ganzen Hin- und Hergang außer aller Verbindung mit
dem Werke zurüklege, mit einem Worte eine verbesserte sehr einfache sogenannte freie
Hemmung zu construiren.
Dieselbe ist in Fig.
25 und 26 in zwei verschiedenen Momenten abgebildet, aus denen man die ganze
Bewegung während des Durchganges eines Stiftes erläutern kann.
Das Steigrad a ist ein Stiftenrad von derselben Form und
Anzahl der Stiften wie bei andern Uhren. Der Haken b
oder Anker hat 2 Pallets so geformt, daß sie in einer Linie liegen, und dadurch, wie
aus Fig. 25
zu ersehen, einen geschlossenen Kreisausschnitt darstellen. In dieser Form würden
allerdings die Stifte des Steigrades gar nicht passiren können, wenn ihnen nicht ein
Pallet Luft machte und dem Stifte einen Weg öffnete, den es passiren könnte.
Der Haken bewegt sich um die Achse in c und ist aufwärts
über das Gehäuse der Uhr d verlängert, wenn das Pendel
in freier Luft schwingen soll. An seinem Ende trägt er ein flaches Blättchen e, gegen welches das Pendel mit einem Röllchen
anschlägt. In der Mitte der senkrechten Verlängerung des Hakens ist eine horizontale
Stange f angebracht, welche ein verschiebbares
Gewichtchen trägt. Dieses Gewicht bewirkt, daß der Haken beständig nach der Seite
der Stange f umzufallen strebt, welcher Bewegung jedoch
durch die stellbare Schraube g eine Gränze gesezt
ist.
Der Haken selbst hat ein festes Pallet bei b und ein
bewegliches h, welches durch die kleine Feder i, die unter einen seitlichen Stift greift, aufgehoben
wird, sobald es nicht heruntergedrükt gehalten wird.
Nach dieser Darstellung wird es leicht seyn, den Vorgang bei dem Durchgang eines
Stiftes in allen seinen Momenten zu verfolgen.
Fig. 25 stellt
den Haken im Zustand der Ruhe dar.
Die senkrechte Stange des Hakens liegt an der Schraube g,
und es kann also das Gewicht auf f nicht weiter sinken.
Das Steigrad a drükt mit der ihm inwohnenden Kraft
mittelst eines Stiftes das bewegliche Pallet h auf das
feste b, das Pendel hängt senkrecht über der Uhr, und
berührt diese im Zustande der Ruhe nirgendwo.
Wird nun dem Pendel der erste Anstoß gegeben (Fig. 26), so daß er mit
seiner kleinen Frictionsrolle an die mit dem Haken festverbundene Stange anschlägt,
so schiebt es diese Stange hinweg, und vermöge der Beweglichkeit um den festen Punkt c wird der Haken in der entgegengesezten Richtung
bewegt. Der Stift, der eben noch auf dem beweglichen Pallet h ruhte, wird auf das feste b geschoben, und
da dieser Kreis, auf dem der Stift gleitet, aus dem Drehpunkte c gezogen ist, so bleiben die Zeiger vollkommen ruhig.
Sobald der Stift das bewegliche Pallet h verlassen hat,
hebt sich dieses vermöge der kleinen Feder i in die
Höhe. Daß es sich nicht zu hoch hebe, wird ebenfalls durch einen Stift, oder sonst
wie begränzt.
Wenn nun das Pendel zurükfällt, so folgt ihm der ganze Hakenapparat vermöge der
seitlichen Belastung auf f ebenfalls nach; dadurch
gelangt der Stift auf die schiefe Ebene des festen Pallets, und ertheilt diesem,
indem er sie seitwärts drükt, einen Schlag, der sich durch die senkrechte Stange an
das Pendel fortpflanzt, und diesem den nöthigen Ersaz an Kraft ertheilt. Sobald der
Stift die schiefe Ebene verlassen hat, so drükt das Steigrad vermittelst des
nächsten Stiftes das bereits wieder in den Stiftenkranz hineingefahrene bewegliche
Pallet herunter auf das feste, und es wird dadurch das Werk in Ruhe gehalten. Der
Hakenapparat würde aber unter dem Stifte noch weiter gleiten, wenn er nicht durch
die stellbare Schraube g arretirt würde; diese sezt
seiner Bewegung eine Gränze und das Pendel schwingt allein fort, bis es nach einem
vollkommenen Hin- und Hergang wieder bei e
anschlägt, dort auslöst und von neuem einen Schlag empfängt. Die jedesmal ertheilte
Kraft muß hinreichend seyn, um den Luftwiderstand, die Beugung der Aufhängungsfeder
und die Reibung der nächstfolgenden Auslösung zu bestreiten.
Bei der Ingangsezung ist noch zu bemerken, daß der Stift im Zustand der Ruhe auf der
äußersten Spize des beweglichen Pallets h ruhe, welches
ganz leicht durch die Schraube g regulirt wird, weil
sonst ein größerer Theil der Kraft durch gleitende Reibung verzehrt würde, ehe die
Auslösung und dadurch der sichere Fortgang der Uhr garantirt wäre.
Die Vorzüge dieses Echappements, die sich bei der praktischen Ausführung bestätigt
haben, sind folgende:
1) die Construction ist höchst einfach und leicht auszuführen.
2) Der richtige Gang der Uhr ist ganz unabhängig von der Güte des Werkes, von der
Schönheit der Triebe, der Richtigkeit der Theilung der Räder und ähnlichen Vorzügen
guter und theurer Uhren. Die Auslösung kann nur am Ende zweier Schwingungen
geschehen, und zwar entweder zur richtigen Zeit oder gar nicht. Denn wenn durch
irgend ein hinzugetretenes Hinderniß der Bewegung des Pendels ein Widerstand erwüchse, so
kann es denselben nicht auf Kosten der Zeitmessung durch das ihm inwohnende
Bewegungsmoment überwinden, sondern da die Auslösung jedesmal kurz vor der völligen
Erschöpfung des Bewegungsmomentes geschieht, würde es vor der Auslösung umkehren und
die Uhr zum Stillstehen kommen. Diesen Punkt halte ich für sehr wichtig, daß die
Auslösung im Aufsteigen des Pendels und im lezten Augenblik der Bewegung geschehe
und nicht wie bei allen ruhenden Hemmungen in der Mitte der Schwingung, wo die
Bewegung am größten ist. Außerdem ist die Umkehr des Pendels der günstigste
Augenblik, ihm den neuen Anstoß zu geben, daß es nicht durch eigene Bewegung sich
dem Bewegungsmechanismus entzieht, sondern den ganzen Druk aushalten muß.
Sobald die Uhr geht, so geht sie sicher richtig, und es ist besser daß sie stille
stehe, als daß sie unbewußt einen fehlerhaften Gang angenommen habe. Die vollkommene
Unabhängigkeit von der Güte der Arbeit spricht zu Gunsten der Construction; die
schlechteste schwarzwälder Uhr mit dieser Hemmung versehen, geht so gut wie der
vollkommenste Regulator. Die Erfahrung hat hierüber ausgesprochen.
3) Die Uhr hat einen vollkommen gleichen Abfall; bei allen zweihakigen Uhren wird die
Gleichheit des Abfalls durch das Gehör regulirt; dieß findet hier nicht statt, da je
zwei Pendelschwingungen zusammengenommen zwei andern gleich seyn müssen. Damit ist
denn auch verbunden, daß die Uhr bei schiefer Stellung gleich abfällt, wie ich dieß
bei Steigungen bis zu 10 Graden bewährt gefunden habe. Jede Schwierigkeit der
geraden Aufstellung fällt also von vorn weg.
4) Man kann beliebig große Schwingungen ausführen lassen, indem man das in einer Nuth
verschiebbare Pendel vom Bewegungsmechanismus entfernt, oder es demselben nähert.
Bei größeren Schwingungen würde zulezt ein Punkt eintreten, wo die bewegende Krast
des Gewichts dem Mehraufwand an Kraft für Luftwiderstand und Federbeugung nicht mehr
gewachsen wäre. Man müßte alsdann das Gewicht vermehren oder die Excursion
beschränken. Bei meiner Uhr kann ich jeden Augenblik durch einen Fingerdruk den
Schwingungsbogen von ½–6 Zoll Länge verändern, ohne daß im Gange eine
andere Veränderung einträte, als die mit der größeren Elevation nothwendig
verbundene Retardirung. Gewöhnlich lasse ich 3 Zoll schwingen.
An der freien Schwingung des Stiftes über die Ruhe des festen Pallet sieht man genau,
ob die Uhr einen Ueberschuß an Kraft hat oder nicht, oder ob Gefahr ist, daß sie bei
der kleinsten Reibungszunahme zum Stillstehen komme.
5) Die Vorzüge großer Schwingungen sind beibehalten, ihre Nachtheile, mit Ausnahme
des wechselnden Luftwiderstandes, aliminirt.
Die Ungleichheit der Zeitmessung bei großen Schwingungen und bei möglichen
Veränderungen der Elevation ist ganz vermieden, da eine ungleiche Elevation nicht
eintreten kann. Die Bewegung des Stifts auf dem festen Pallet hat kaum ½
Linie Toleranz. Wenn demnach das Pendel ½ Linie kürzer schwingt, so löst es
gar nicht mehr aus, und die Uhr steht stille. Bei starkem Gewichte kann es aber auch
nicht viel weiter schwingen, weil alsdann die Reibung des Pallets am Stifte die
Bewegung beschränkt. Demnach haben alle Schwingungsbögen gleiche Größe, und es würde
bei vollkommener Wärmecompensation ein absolut richtiger Gang der Uhr eintreten
können. Auf diese Weise ist die große Schwierigkeit, womit Stampfer so ruhmvoll gerungen, und die er dennoch nicht ganz besiegen
konnte, vollkommen beseitigt. Hierdurch werden zugleich die sehr schweren Pendel mit
den kleinen Schwingungen, durch leichtere Pendel in größeren aber gleichbleibenden
Schwingungsbögen ersezt. Bei dieser Gelegenheit ist es passend, daß die Vorzüge der
Aufhängung des Pendels über der Uhr hervorgehoben werden.
Da nämlich jede Uhr mit einem gewissen Uebergewicht gehen muß, und demnach die
Bewegung des Stiftes auf der Ruhe ein gewisses Spiel hat, innerhalb dessen die Uhr
gehen kann, so findet dieses Spiel oder die Toleranz des Ausschlags bei meiner Uhr
ebenfalls statt. Wenn nämlich der Stift des Steigrades ½ Linie auf dem Haken
gleitet, so wird, im Falle der Haken und seine senkrechte Stange gleich lang sind,
die Bewegung des Pendels um ½ Linie weiter oder enger seyn können, ohne daß
die Uhr aufhört zu gehen; wenn hingegen der Haken oben das Pendel mit einer Gabel
angreift, wie bei gewöhnlichen Uhren, so ist die Verschiedenheit der
Pendelschwingungen sovielmal größer als die unsrige, als die Länge des Hakens in der
Länge des Pendels enthalten ist. Gesezt nun der Haken sey 1½ Zoll lang, das
Pendel 38 Zoll, so ist die mögliche Differenz der Bewegung 25mal so groß, als bei
meiner Aufhängungsart. Da nun die Toleranz auf beiden Seiten des Hakens stattfindet,
so wird sie zu ½ Linie angenommen, im ganzen Schwingungsbogen 1 Linie
Differenz betragen, dagegen nach der alten Aufhängungsmethode möglicherweise 2 Zoll
1 Linie; und daß solche Differenzen in der That sich ereignen, zeigt die Lemberger
Uhr,Jahrbuͤcher des polytechnischen Instituts zu Wien. Bd. XX S. 128. an der die Schwingungen
vom 23. Dec. bis zum folgenden 9. Jan. von 8¼ Grad auf 4 Grad herabgekommen
waren. Selbst durch die Anwendung cycloidischer Schwingungsbaken konnte der Fehler
nicht ganz gehoben werden. Eine solche Störung kann bei der vorliegenden
Construction gar nicht vorkommen, und es zeigt sich eben so stark der Nuzen der
freien Hemmung als des Anstoßes des Pendels an seinem untersten Ende. Es steht
übrigens kein mechanisches Hinderniß entgegen, die vorliegende freie Hemmung auch
oben an dem Pendel anzubringen.
6) Diese Hemmung geht mit dem geringsten Gewicht und der kleinsten Reibung im Werke.
Da während zwei Schwingungen des Pendels in der Uhr gar keine Bewegung statt findet,
so wird auch keine Kraft consumirt. Die Auslösung geschieht nach je 2 Schwingungen
in einer unendlich kurzen Zeit, während auch die Zeiger und Räder fortrüken, darauf
aber findet bis zur nächsten Wiederkehr des Pendels keine Bewegung statt. Während
mit dem gewöhnlichen Gange das 8pfündige Pendel kaum ¾zollige
Schwingungsbögen zurüklegte, konnte ich bei der neuen Einrichtung das 33pfündige
Pendel in 3 Zoll große Schwingungen versezen. Man ersieht daraus, daß bei weitem der
größte Theil der erhaltenden Kraft auf die Ueberwindung der Reibung des Steigrades
gegen den Anker verbraucht wird.
7) Endlich ist noch zu bemerken, daß man Regulatoren mit ganzen springenden Secunden
mit dem Halbsecundenpendel, welches bekanntlich etwas über 9 Zoll lang ist, erhält.
Da je zwei Schläge des Pendels einmal auslösen, so erhält man nothwendig bei zwei
Schwingungen des Halbsecundenpendels eine Secunde als Intervall, und zwar die
einzelnen Secunden einander vollkommen gleich, da ein ungleicher Abfall unmöglich
ist.
Ein Regulator mit stehenden ganzen Secunden, an dem man das Zuggewicht an derselben
Stange die das Pendel trägt, aufhängen kann, wird mit einer Glasgloke bedekt kaum
die Höhe von 1½ Fuß erreichen, und alle Vorzüge eines großen Secundenpendels
haben.