Titel: | Das neue Eisenbahnsystem des Marquis A. von Jouffroy. |
Fundstelle: | Band 92, Jahrgang 1844, Nr. XCVI., S. 401 |
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XCVI.
Das neue Eisenbahnsystem des Marquis A. von Jouffroy.
Aus dem Technologiste. April 1844. S.
327.
Mit Abbildungen auf Tab.
VI.
Jouffroy's Eisenbahnsystem.
In einer ausgezeichneten von Hrn. Germain Sarrut
veröffentlichen Abhandlung über Eisenbahnen, welche mit gewandter Feder die
verschiedenen bis auf den heutigen Tag ausgeführten Systeme der Locomotion kritisch
beleuchtet, sezt der Verfasser die Vervollkommnungen auseinander, welche heutzutage
in der Construction der Eisenbahnen wünschenswerth erscheinen, und geht sodann zur
näheren Darstellung des von Hrn. Marquis v. Jouffroy
verbesserten Systems über. Wir entnehmen dieser Abhandlung das, was zunächst auf die
Erfindung des Hrn. von Jouffroy Bezug hat.
Vervollkommnungen an der Eisenbahn. – Unserm
System gemäß erhält die Bahn eine größere Spurweite, nämlich 2 Meter anstatt 1,5
Meter, ohne daß jedoch diese größere Breite ein größeres Terrain bedingte. Durch die
neue Anordnung der Räder, wonach diese in einem Gehäuse im Inneren der Seite des
Wagenkastens rotiren, überschreitet dieser nicht die Breite von 2,2 bis 2,4
Meter.
Die Bahn enthält drei Schienenlinien. Die mittlere Schiene ist cannelirt oder gerieft
und bildet die eigentliche Treibschiene. Die Schienen des gegenwärtig üblichen
Systems können als Seitenschienen benüzt werden. Wir wünschten, daß man auf der
inneren Seite dieser Schienen und längs der ganzen Bahnlinie zwei um einige
Centimeter über die Schienenoberfläche hervorspringende Schuzhölzer (gardes en bois) anordnete, zur Verhütung des Abrollens
der Convois. Wir bringen ein neues System gußeiserner
Schienen in Vorschlag, welches schwerlich kostspieliger und doch weit dauerhafter
und sicherer wäre, als das gewöhnliche System gewalzter Schienen. Die Schienen
sollen, wie gewöhnlich auf Querschwellen, Längenbalken (longrines) u.s.w. ruhen, aber unter günstigeren Bedingungen, welche der
Bahn eine größere Solidität sichern.
Vervollkommnungen an der Locomotive. – Wir ersezen
die beiden Treibräder durch ein einziges von großem Durchmesser (2 bis 2,5 Meter),
das im Innern aus Kreissegmenten von hartem Holz besteht, die so angeordnet sind,
daß die Fasern in der Richtung des Halbmessers des Treibrades laufen. Dieses Rad läuft auf der in der
Richtung ihrer Breite gerieften eisernen oder gußeisernen Mittelschiene. Auch könnte
das Treibrad mit einem eisernen cannelirten Reife versehen seyn und auf einer
Centralschiene rollen, die aus Holzprismen bestünde, welche zwischen zwei
Längenbalken angeordnet wären.
Ein Rahmen, welcher die Cylinder und übrigen Theile des Mechanismus einschließt, wird
von dem Treibrade getragen. Dieser Rahmen ist durch starke Scharniere mit einem
zweiten verbunden, der den Dampfkessel trägt, und dieser wieder mit einem dritten,
welcher den Tender enthält. Die Locomotive ruht demnach auf fünf Rädern, von denen
das größte den Impuls von der Dampfmaschine erhält, und den ganzen Train mit sich
zieht. Die vier andern Räder, welche den Kessel und Tender tragen, rotiren frei um
ihre Achsen. Die Adhäsion der Peripherie des großen Rades auf der gerieften
Centralschiene gestattet demselben, ohne zu gleiten, Rampen hinanzusteigen; sie
dient zugleich dazu, an Abhängen die Geschwindigkeit zu mäßigen.
Die Art, wie die drei Rahmen oder Wagengestelle mit einander verbunden sind, erlaubt
denselben, Curven selbst von 10 Meter Halbmesser sich anzuschmiegen, ohne jene
Gefahren befürchten zu müssen, welche bei dem gewöhnlichen System durch das
Abgleiten und die Centrifugalkraft herbeigeführt werden. Die beiden Cylinder theilen
die Bewegung mittelst Lenkstangen und Krummzapfen einer an der Vorderseite der
Maschine angeordneten horizontalen Welle mit. An dieser Welle befinden sich zum
Behuf der Transmission Räder von verschiedenen Durchmessern, welche die Bewegung
abwechselnd der horizontalen Welle mittheilen. Die Transmission wird durch Vaucanson'sche Bandketten oder durch Laufriemen
vermittelt, die um Räder von verschiedenen Durchmessern laufen, welche an der Achse
dieses Rades befestigt sind. Die oben erwähnte horizontale Welle ist mit einem im
Bereich des Conducteurs befindlichen Muff versehen, um bald das eine, bald das
andere der Transmissionsräder in Eingriff zu bringen, und auf diese Weise, je nach
Bedürfniß, die Geschwindigkeit des Treibrades verändern zu können, ohne deßhalb die
Geschwindigkeit der Dampfkolben ermäßigen zu müssen.
Vervollkommnungen an den Waggons. – Der
Wagenkasten, und mithin auch sein Schwerpunkt, ist der Bahn näher gerükt. Die
Räderachsen, der Schwerpunkt des Waggons und der Angriffspunkt der Zugkraft sind
durch diese Tieferlegung des Wagenkastens und durch den größeren Durchmesser der
Räder in eine und dieselbe horizontale Ebene gebracht. Diese Anordnung, welche die
größten Winkel der
Stabilität erzeugt, beseitigt jede dem Convoi schädliche Zerlegung der Kraft, und
führt eben dadurch zum Maximum der Zugkraft. Die Wagen, welche die Curven zu
durchlaufen haben, bestehen aus zwei Hälften, die durch zwei eine horizontale
Drehung gestattende Scharniere mit einander vereinigt sind. Jeder dieser Halbwagen
ruht auf zwei Rädern, die sich frei um ihre Achse drehen. Dieses Princip der
Gliederung isolirt jedes Räderpaar und läßt ihm freies Spiel, wie bei einem
zweirädrigen Cabriolet, das in den kleinsten Curven wendet.
Vervollkommnungen im Transporte selbst.
1) Da die Räder der Locomotive und der Waggons beinahe zweimal so groß als bei dem
gewöhnlichen System sind, so erhält man mit der gleichen Anzahl von Kolbenhuben eine
ohne Vergleich größere Geschwindigkeit, und mit einem geringeren Aufwande an Dampf
die gleiche Geschwindigkeit.
2) Zur Ersteigung der Rampen oder zum Behuf des Waarentransportes kann man durch
Verminderung des Geschwindigkeits-verhältnisses zwischen dem Kolben und dem
Rade dieselbe Quantität Dampfes bei verminderter Geschwindigkeit consumiren, d.h.
dieselbe Kraft mit einer geringeren Geschwindigkeit erzielen.
3) Mit Hülfe der Adhäsion an der Centralschiene und eines mit großer Hebelkraft auf
das Treibrad wirkenden Bremskranzes kann man beinahe augenbliklich die Locomotive
anhalten und den Tender hemmen. Der Conducteur beherrscht vermittelst eines gegen
die geriefte Centralschiene gedrükten schweren Hemmschuhs den ganzen Convoi und kann
die Wagen nach Willkür hemmen. Außerdem läßt eine sehr einfache an jedem Wagen
angebrachte mechanische Anordnung dem Convoi in seinem Normalzustande alle Freiheit;
sobald aber durch irgend einen Umstand ein Stoß erfolgt, so wird die Erschütterung
durch Federn unschädlich gemacht, welche unmittelbar auf Querstangen wirken, die in
Gestalt von Bremsklözen stark gegen die Radfelgen drüken.
4) Die Locomotive ist mit allen nöthigen Apparaten versehen, um fremde Gegenstände
aus der Bahn zu räumen.
Anlegung der Bahn. – Es sind bis jezt mehrere
Mittel vorgeschlagen worden, die Bahnschienen mit dem Boden in feste Verbindung zu
bringen. Man hat die Schienenstühle befestigt, 1) auf steinernen Unterlagen; 2) auf
hölzernen Querschwellen; 3) auf Längenbalken; 4) auf Mauern, die entweder in der
Richtung der Bahn oder perpendiculär zu derselben gebaut sind und im leztern Falle
die Querschwellen vertreten.
Unter allen diesen Mitteln hat sich durch die Erfahrung als dasjenige, welches den
Erschütterungen am besten widersteht und die sanfteste rollende Bewegung zuläßt, die
Anwendung hölzerner Querschwellen oder flacher auf den nivellirten Boden gelegter
Längenbalten erwiesen. In Frankreich hat man beinahe überall hölzerne Querschwellen
von 18–24 Quadratcentimeter eingeführt. Die Schienenstühle sind aber an den
äußersten Enden der Schwellen befestigt, so daß das Gewicht des Wagenzugs das
Erdreich an diesen beiden Punkten einzudrüken strebt, was häufig Senkungen zur Folge
hat, und die Nothwendigkeit auferlegt, den Theil des Erdreichs, worauf die äußeren
Enden der Querschwellen liegen, öfters von neuem zu erhöhen. Die Stüzfläche jeder
dieser Querschwellen beträgt überdieß durchschnittlich nur 50 Quadratdecimeter; sie
liegen in Abständen von 80 Centimeter bis 1 Meter. Bei diesem System machen die
Temperaturveränderungen, die durch die Spurkränze der Räder veranlaßen Seitenstöße,
die Erzitterungen und Biegungen in Folge des raschen Darüberrollens der schweren
Locomotive und der belasteten Waggons, nothwendiger Weise die Keile loker und
erschüttern die Pflöke – eine Erfahrung, welche auf allen Eisenbahnen und
namentlich auf solchen, die mit großer Geschwindigkeit befahren werden, sich
bestätigt hat.
Wählt man das System gußeiserner Schienen, dem wir den Vorzug geben, so kann man die
Querschwellen in Abständen von 1 Meter 59 Centimeter legen, ausgenommen in Curven,
wo sie etwas näher zusammengerükt werden; die Schwellen sind 0,30 Cent. breit und
0,15 Cent. hoch, und besizen eine Stüzfläche von 75 Quadratdecimeter; sie sind mit
einer Rippe (côte ou nervure) versehen, welche
die Bestimmung hat, dieselben unbiegsamer zu machen und die Centralschiene zu
unterstüzen. Bei dieser Anordnung wirkt das größte Gewicht des Wagenzugs, nämlich
das der Locomotive auf die Mitte der Querschwelle. Der Druk vertheilt sich daher auf
die ganze Oberfläche – ein Umstand, welcher unserem System doppelt so viele
Stüzpunkte gibt, als das gegenwärtige System darbietet.
Fig. 3 stellt
diese Bahnconstruction im senkrechten Durchschnitte dar. T ist die Querschwelle, N die erwähnte Rippe;
R die geriefte Centralschiene; r, r sind die gußeisernen Seitenschienen. Die Verbindung
der lezteren wird mit Hülfe von Doppelkeilen bewerkstelligt, die in Oeffnungen
zwischen den Hervorragungen der Schienenstühle und den an den Schienenenden
reservirten massiven Theilen getrieben werden.
Will man indessen bei den Schienen aus gewalztem Eisen stehen bleiben, so legt man
über die Querschwellen einen Längenbalken, welcher mit seiner unteren Fläche auf dem Boden ruht.
Dieser Längenbalken trägt die Centralschiene. Auf den äußeren Enden der
Querschwellen sind zwei andere Längenbalken mit Schuzhölzern angeordnet. Diese
Längenverbindung besteht 1) aus einem 0,15 Cent. im Geviert haltenden Tannenbalken;
2) aus einer Einfassung von Eichenholz, welche den schüzenden Vorsprung bildet und
auf das Tannenholz genagelt ist. Zur Aufnahme der Längenbalken sind die
Querschwellen bis zur Hälfte eingeschnitten. Die Schuzbalken liegen an den Enden der
Querschwellen in Einschnitten von 2–3 Cent. Tiefe, und werden durch Pflöke
befestigt.
Fig. 4 stellt
diese Construction mit gewalzten Schienen für Wagen mit Rädern ohne Spurkränze im
senkrechten Querschnitte dar. L ist der Längenbalken,
worauf die Centralschiene R ruht; r, r sind gewalzte Schienen, welche nach der gewöhnlichen Methode in
Schienenstühlen liegen; G, G Längenbalken mit
Schuzplatten.
Zwei von unsern drei gußeisernen Schienen besizen hervorstehende Leisten, die dritte
ist flach. Ihr Gesammtgewicht beträgt, mit Einschluß der Schienenstühle, 180,000
Kilogr. per Kilometer; die gußeisernen Schienenstühle
wiegen 1500 Kilogramme. Für die Längenbalken und Querschwellen braucht man 120
Stères Holz. Man sieht, daß die Kosten unserer Construction mit gußeisernen
Schienen ungefähr dieselben sind, wie bei gewöhnlichen Eisenbahnen mit zwei
Schienen, nämlich 45,000–50,000 Frcs. per
Kilometer. Für den zweiten Fall, nämlich bei Anwendung gewalzter Schienen, würden
die Kosten des neuen Systems in dem Verhältniß von 100 zu 125 vermehrt werden,
wiewohl sich dieser Mehrbetrag durch gewisse Ersparnisse im Ankauf des Terrains, in
der Construction, im Betrieb und der Unterhaltung der Bahn reichlich ausgleichen
würde.
Da bei dem gewöhnlichen System das Gewicht der Locomotiven 13,000–15,000 Kil.
beträgt, so haben die Schienen unter dem Druk jedes Treibrades ein Gewicht von
ungefähr 6000 Kil. zu tragen, weßhalb man diesen Schienen eine Dimension geben muß,
die einem Gewichte von 35 Kil. auf den Meter entspricht. Bei unserem System dagegen
haben die Seitenschienen nur die Waggons zu tragen, also durch jedes Rad höchstens
1000–12,000 Kilogr. Diesem gemäß können wir das Gewicht der Schienen
wenigstens um 15 Kil. per Meter reduciren. Wir geben
ihnen indessen 20 Kil. in der Ueberzeugung, daß eine hohe Tragkraft, insbesondere im
vorliegenden Falle, eine Hauptbedingung der Dauerhaftigkeit und Oekonomie der
Eisenbahnanlage sey.
Die Spurweite der Schienen beträgt 2 Meter; der Zwischenraum zwischen beiden Bahnen
1,5 Meter und die Breite der Fußwege 1 Meter. Dieß macht für eine doppelte Bahn im Ganzen 7,5
Meter — eine Breite gleich derjenigen, die bei allen unseren Bahnen
eingeführt ist.
Die Locomotive, welche Fig. 5 in der
Seitenansicht, Fig.
6 im Grundriß und Fig. 7 in der vordern
Ansicht dargestellt ist, besteht, wie oben bereits bemerkt wurde, aus drei ähnlichen
Rahmen oder Gestellen C, C', C'' die bei a und a' durch Scharniere dergestalt mit einander verbunden sind, daß sie ein in
verticalem Sinne biegsames, den Eisenbahncurven sich anschmiegendes System bilden.
Die eigentliche Locomotive ruht auf den beiden vorderen Gestellen C, C' Das erste Gestell enthält die Cylinder, den
Kaltwasserbehälter und den ganzen Bewegungsmechanismus; das zweite Gestell C, welches den Dampfkessel, die Warmwasserbehälter und
den Feuerkasten trägt, ruht auf zwei Rädern, die sich frei um eine mit Federn
versehene Achse drehen; das dritte Gestell 0'' endlich enthält den Kohlentender. Bei
dieser Anordnung kann das Rad R, welches die
Centralschiene mit seiner Rinne umfaßt, weder zur Rechten noch zur Linken sich
neigen, noch die Verticalebene verlassen, ohne vermittelst des Scharniers a das eine oder das andere der Räder C' zu heben; und da diese Räder mit dem bedeutenden
Gewichte des Dampfkessels, des Feuerlastens und der Reservoirs belastet sind, so ist
die Stabilität des Apparates gesichert. Da ferner die untere Fläche des Rahmens der
Locomotive dem Boden der Bahn bis auf 10 oder 12 Centim. genähert ist, so können die
Ränder, welche die Kehle des Treibrades bilden, unmöglich sich über die Oberfläche
der Centralschiene erheben, ohne daß sich die entsprechende Seite der Locomotive
vorher auf den Boden stüzt. Der Apparat könnte also im Falle einer solchen Neigung
nicht aus der Bahn treten, ohne sich ganz zu erheben – ein Umstand, welcher
das Abrollen in gewisser Hinsicht unmöglich macht.
Es bleibt uns nur noch übrig, die außerordentliche Einfachheit dieser
Locomotivgattung und ihre Wirkungsweise zu zeigen. Der Dampf gelangt aus dem
Dampfkessel durch eine in der Verlängerung der Scharnierachse a befindliche bewegliche Büchse in die Cylinder; von da tritt er wieder
durch Abtheilungen derselben Büchse in den Kamin. Die Kolbenstangen wirken auf zwei
an den Enden einer Welle rechtwinkelig zu einander angeordnete Krummzapfen. Diese
Welle theilt die Rotation dem großen Rade vermittelst endloser Ketten oder Zahnräder
mit, so daß man auf jeden Umgang des Rades nach Belieben zwei, drei oder vier
Dampfvolumina verwenden, d.h. zwei, drei oder vier Kolbenhube geben kann. Dieser
Umstand gestattet, wie bereits oben bemerkt wurde, die Dampfconsumtion nach den
ungleichen Bedürfnissen einer Bahn zu reguliren.
Die neue Locomotive ist einerseits viel leichter als die gewöhnliche, andererseits
ist ihr Gewicht auf eine größere Länge vertheilt. Diese Anordnung allein liefert
eine Garantie gegen alle Unfälle in Folge von Stößen bei großen Geschwindigkeiten.
Bei dem gewöhnlichen System wiegt die Locomotive 13, 15–18,000 Kil., und der
größere Theil dieses Gewichts ruht auf zwei Rädern von geringem Durchmesser; die
Treibräder tragen jedes beinahe 8000 Kilogr.; die Länge der Locomotive beträgt
ungefähr 5 Meter. Unsere auf 5 Räder vertheilte Locomotive dagegen nimmt mit dem
Tender eine Länge von 12 Meter ein; das Treibrad trägt nur 4000 Kilogramme, und
jedes der vier andern Räder ist höchstens mit 1500 Kil. belastet; auch ist die Bahn
breiter. Demnach sind bei dem gewöhnlichen System 18,000 Kil. auf ungefähr 7 Meter
Bahnoberfläche vertheilt, während bei unserem System 10,000 Kil. durch eine
Bahnfläche von 24 Meter unterstüzt sind. Da bei der gewöhnlichen Methode die
Locomotive unabhängig von dem Tender arbeitet, während die drei Theile unserer
Locomotive ein in verticalem Sinne untheilbares Ganze bilden, so wird der Vortheil
des neuen Systems hinsichtlich der Abnüzung der Bahn und des Effectes der bewegten
Masse bei großen Geschwindigkeiten das Verhältniß von 18/7 zu 10/24 oder von 6 zu 1
weit übersteigen.
Die Waggons. – Fig. 8 liefert die
Seitenansicht, Fig.
9 die vordere Ansicht und Fig. 10 den horizontalen
Durchschnitt eines unserer Waggons. Der Wagen besteht, wie bereits oben angeführt
wurde, aus zwei Kasten, welche durch zwei Scharniere mit einander verbunden sind. In
horizontalem Sinne gestatten diese Scharniere beiden Theilen des Wagens freies
Spiel, in verticalem Sinne dagegen erscheinen beide Theile starr und fest verbunden,
wie wenn der Wagen nur aus einem Theile bestünde. Die Wagenräder drehen sich frei um
ihre Achsen. Ihr Durchmesser kann doppelt so groß, wie bei gewöhnlichen
Eisenbahnwagen seyn, weil sie außerhalb der Wagen liegen. Bei dieser Anordnung
fällt, wenn jeder Wagen mit 32 Personen beladen ist, der Schwerpunkt in der Höhe der
Radachse in die Achse des Scharniers, so daß der Aufhängepunkt, der Angriffspunkt
des Zugs und der Schwerpunkt in eine und dieselbe Horizontalebene zu liegen kommen.
Die Vortheile dieser Anordnung sind einleuchtend, nämlich:
1) die Tieferlegung des Schwerpunktes ertheilt dem Wagen eine größere Stabilität;
2) er kann nicht umstürzen, selbst wenn eine Achse brechen oder Räder abstiegen
sollten, weil er in diesem Fall sogleich auf dem Boden aufliegen würde, von dem er nur
durch einen Raum von 12–15 Cent. getrennt ist;
3) er schmiegt sich, da die Räder frei rotiren, ohne Reibung allen Curven an;
4) die unangenehme und gefährliche schwankende Bewegung ist endlich beseitigt, indem
die horizontalen Schwingungen nie das Gewicht vom einen Rade auf das andere
überzutragen streben.
Wir haben nun nur noch die Beschreibung des Sicherheitsapparats beizufügen. An jedem
Ende des Waggons geht durch die Mitte des Gestells und in der Höhe der Achse eine
Eisenstange, welche die Fähigkeit besizt, einige Centimeter einwärts sich zu bewegen
und an dieser Stelle eine doppelte Schraubenmutter trägt, die dem Zug als Stüzpunkt
dient. An ihrem anderen Ende enthält diese Stange eine Hälfte des Scharniers,
welches vermittelst eines Bolzens mit der Stange des nächsten Wagens articulirt.
Dieser Bolzen läßt sich mit Hülfe eines im Bereiche des Conducteurs befindlichen
Hebels leicht herausziehen. Die Stangen sind mit einer Doppelfeder und einem Hebel
verbunden, welcher zwei den Bremskränzen der Räder entsprechende Stangen in
Thätigkeit sezt.
Die Wirkung dieses Apparats ist nun folgende. Der Conducteur kann vermittelst
Hebelwerks und Zugstangen die Wagen einzeln oder alle zusammen hemmen, er ist auch
im Stande augenbliklich jeden Wagen oder sämmtliche Wagen von der Locomotive
loszumachen. Wenn bei einem plözlichen Unfall die Hand des
Conducteurs unzureichend wird, so functioniren die Apparate selbstthätig.
Kein Wagen kann sich auf den vorhergehenden stürzen, ohne daß die Doppelfedern sich
biegen, und in diesem Falle drüken die Hebel die Bremskränze gewaltsam gegen die
Räder, so daß der Stoß selbst, welcher bei dem System isolirter oder nur mittelst
Ketten vereinigter Wagen so gefährlich ist, hier als Mittel der Hemmung wirkt. Der
lezte Wagen jedes Convoi's enthält einen gußeisernen mit Holz bekleideten Rahmen,
der nach der gerieften Schiene hinabgeht und sich nöthigenfalls mit dem ganzen
Gewicht des Wagens gegen dieselbe stemmt. Dieser Hemmapparat, der mächtigste von
allen, ist in dem Bereich des auf dem lezten Waggon placirten Conducteurs, und bürgt
insbesondere an bedeutenden Abhängen für die Sicherheit des Convoi's.Nach Zeitungsberichten hat der Marquis v. Jouffroy
in der Rue de l'Ouest nahe dem Luxembourg eine kleine Bahn und Locomotive
nach seinem neuen System, beide in dem Maaßstabe des Fünftheils der
wirklichen Größe erbaut, und seit einer Reihe von Monaten jeden Sonntag
öffentliche Versuche angestellt. Dieses System scheint wirklich den größten
Theil der Vortheile zu gewähren, die sich wünschen lassen in Bezug auf
Sicherheit, Ueberwindung von Steigungen bis zu 40 Millimeter,
von Krümmungen bis zu 10 Meter, Bekämpfung der bei Krümmungen so gefährlich
wirkenden Centrifugalkraft, Verhinderung des gewaltsamen Zusammenstoßes der
Wagen, Möglichkeit augenbliklicher Lostrennung derselben, wie
augenbliklicher Stillstehung der Locomotive, vorzüglich aber in Bezug auf
die Möglichkeit die Geschwindigkeit des Laufes zu vermindern, ohne zugleich
die Kraft der Maschine zu vermindern etc. Dabei gewahrt das neue System noch
den Vortheil, daß jedenfalls die Kosten nicht vermehrt, sondern eher noch
verringert werden, und daß die jezt bestehende Bahneinrichtung sich dem
neuen Systeme gemäß leicht umwandeln läßt. Der Erfinder hat jezt sein System
der Regierung und den Kammern vorgelegt und verlangt ein Stük Boden auf den
äußeren Boulevards oder längs und innerhalb der Ringmauer, um auf eigene
Kosten und Gefahr eine größere Bahn von einigen Kilometern Länge mit der
dazu gehörigen Locomotive und fünf Waggons zu bauen und so die
Ausführbarkeit auch im Großen zu beweisen. A. d. R.