Titel: Ueber einen physisch-mechanischen Apparat, welcher die Dampfmaschinen und in gewissen Fällen auch die Wasserräder von großer Kraft ersezen kann. Schreiben des Hrn. Selligue an Hrn. Arago.
Fundstelle: Band 93, Jahrgang 1844, Nr. XLVI., S. 161
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XLVI. Ueber einen physisch-mechanischen Apparat, welcher die Dampfmaschinen und in gewissen Faͤllen auch die Wasserraͤder von großer Kraft ersezen kann. Schreiben des Hrn. Selligue an Hrn. Arago. Aus den Comptes rendus, 1844, 1er Sem. Nr. 23. Selligue, über einen physisch-mechanischen Apparat, welcher die Dampfmaschinen etc. ersezt. Schon vor mehreren Jahren hatte ich einen sehr einfachen Apparat erdacht, um Segel- und andere Schiffe wie mittelst Dampfmaschinen zu treiben, ohne daß an ihrem außerhalb des Wassers befindlichen Theil etwas sichtbar wäre. Ich hielt meine Erfindung drei Jahre lang geheim, um Frankreich im Falle eines Seekriegs damit nüzlich zu seyn; nur einer einzigen Person, die so gestellt ist, daß ihrem Zeugniß Geltung nicht versagt werden kann, theilte ich damals mein Verfahren mit, damit mein Gedanke nicht verloren gehe und ich mich aus ihr Gedächtniß berufen könne, wenn andere mit einer solchen Maschine aufträten. Man hat schon längst versucht, durch Entzündung von Gas in Recipienten einen leeren Raum zu erzeugen, um auf diese Weise Kolben in Pumpenstiefeln in Gang zu sezen oder Wasser zu heben; allein dieses Verfahren hatte keinen besondern Erfolg, weil nur ein Theil des atmosphärischen Druks dabei nuzbar gemacht und Maschinen und Adjustirungen nothwendig werden, welche mit der erzielbaren Triebkraft nicht in Verhältniß stehen. Ich bediene mich der durch Verpuffung des Gases erzeugten Expansionskraft, welche um so größer ist, je mehr Wasser in Dampfgestalt in der Luft und dem Gas enthalten ist; und da bei jeder Explosion die Dämpfe bis zum Rothglühen gebracht werden, so geben die darin enthaltenen auf diese Temperatur gebrachten 20 bis 30 Gramme Wasser eine sehr beträchtliche Kraft, welche ich unmittelbar auf das freie Wasser einwirken lasse, so daß durchaus kein Brechen der Explosions-Recipienten zu befürchten ist. Bei Versuchen mit Gas in einer meiner Gasanstalten beobachtete ich, daß die Verpuffungen desselben mit den verschiedenen in Dumas' Traité de Chimie angegebenen Verhältnissen von atmosphärischer Luft unter verschiedenen Umständen mehr oder weniger Kraft hatten. Ich fand, daß die Quantität von suspendirtem Wasserdampf und von Kohlenoxydgas, welche sich in dem mittelst Zersezung des Wassers durch rothglühende Kohle erhaltenen LeuchtgaseUeber die Bereitung und Zusammensezung dieses Leuchtgases vergleiche man polyt. Journal Bd. LXXI S. 29 u. Bd. LXXVII S. 137. A. d. R. erzeugen, ebenfalls auf die resultirende Kraft und Geschwindigkeit (wenn ich mich dieses Ausdruks bedienen darf) von Einfluß sind. Dieß war mein Ausgangspunkt bei der Erfindung eines Apparats, durch welchen Schiffe fortbewegt und sehr kräftige Wasserräder ersezt werden sollen. Ich will ihn kurz beschreiben: im Hintertheil eines Schiffes und möglichst tief unter seiner Tauchlinie bringe ich zwei oder vier Explosions-Recipienten aus einem dehnbaren Metall an, welche ich ihrer Form wegen metallene Gloken oder Cylinder (éprouvettes métalliques) nenne und zu 7 Meter Länge und 1 Meter Durchmesser annehmen will. Jede solche Gloke ist in einem Abstand von 2,50 Meter von ihrem geschlossenen obern Ende beinahe im rechten Winkel umgebogen; der übrige Theil der Röhre ist demnach 4,50 Met. lang, welche beinahe horizontal liegen und dieses Ende der Gloke ist offen. Ich befestige die Gloke mittelst des an ihrem offenen Ende angebrachten Beschläges an die Wand und den Boden des Schiffes in der Art, daß das geschlossene senkrechte Ende derselben in gleicher Höhe mit der Wasserlinie des Schiffes ist. Am obern Theil jeder Gloke befinden sich drei Hähne; einer öffnet sich nach der ersten Explosion, damit das Wasser wieder steigen kann, welches sein Niveau wieder einnimmt und den nach der Explosion zurükgebliebenen Stikstoff hinaustreibt; der zweite dient zum Einlassen des Gases und der Luft in die Gloke und schließt sich dann; der dritte bewirkt vermöge seiner Construction die Verpuffung (Detonation). Zu diesem Behufe brennt eine Gasflamme durch eine kleine in der Mitte des Schlüssels des lezten Hahns angebrachte Oeffnung und eine andere Flamme befindet sich über dem Hahn, welche beständig brennt und die erste bei jeder Explosion erlöschende Flamme wieder entzündet. Ferner befindet sich in der untern Röhre der Gloke ein Kolben (piston rame), welcher so gegliedert ist, daß er das Wasser zwischen sich hindurchläßt, welches nach der Explosion wieder auf sein Niveau steigt; die Platten, aus welchen dieser Kolben besteht, liegen horizontal und bieten dem zurükkehrenden Wasser nur ihre Dike als Widerstand dar, nach der Explosion aber ihre ganze Fläche. Mittelst eines geraden hin- und hergehenden Stäbchens, welches durch ein dem Zwek entsprechendes Triebwerk in Bewegung gesezt. wird, lasse ich die Functionen zur gehörigen Zeit verrichten und zwei Pumpenstiefel von passender Größe und Capacität in Gang sezen. Sie saugen in der einen und druken in der andern Richtung die Luft und das Gas (ein Volum Gas auf acht Volume Luft) in die Gloke. Wenn das gerade Stäbchen sich in der einen Richtung bewegt, schließt es den obern Hahn, welcher die Gloke öffnet, um das Stikstoffgas austreten und das Wasser wieder bis zum Niveau der Wasserlinie des Schiffs und der Pumpenstiefel steigen zu lassen; hierauf treibt es atmosphärische Luft und Gas mittelst der beiden Pumpenstiefel in die Gloke. Sobald dieß geschehen ist, vor Beendigung seines Laufes, sezt es den Explosionshahn durch eine Viertelsbewegung in Function, welcher nach geschehener Explosion wieder in seine frühere Stellung zurükkehrt. In der andern Richtung des Stäbchens öffnet sich der obere Hahn, um den Stikstoff entweichen und das Wasser wieder in die Gloke steigen zu lassen; hierauf läßt es die Luft und das Gas durch die Pumpenstiefel einsaugen u.s.f. Es versteht sich, daß dasselbe gerade Stäbchen zwei Gloken oder Explosions-Recipienten in Gang sezt, indem es mit jedem Ende anders functionirt, d.h. während es Luft und Gas in die eine Gloke einpumpt, Luft und Gas in die Pumpenstiefel für die andere Gloke, deren Detonation nachfolgen muß, einsaugt. In gewissen Fällen kann man außer den Explosions-Recipienten im Hintertheil noch zwei andere Recipienten im Vordertheil des Schiffes anbringen, um es schneller zu wenden. Man leitet dann das Gas und die Luft durch Röhren hin und läßt die Detonationen nur in den vordern und hintern Recipienten des dem Radius der zu beschreibenden Curve entgegengesezten Bords geschehen. Alle drei Secunden kann in jedwedem Recipient eine Explosion stattfinden. (Ich nehme an, man habe Explosions-Recipienten, in welche 35 Liter Gas und 280 Liter atmosphärische Luft gefüllt wurden; jede Explosion entspricht dann ungefähr 25000 Kilogr. Kraft). Es kommen sonach 1 1/2 Secunden auf die Explosion, 40 Explosionen auf die Minute, auf die Stunde 2400 Explosionen, jede zu 35 Liter = 84000 Liter. Zwei meiner gewöhnlichen (im polytechn. Journal Bd. LXXI S. 29 beschriebenen) Oefen sind erforderlich, um regelmäßig diese Quantität Gas zu erhalten, und wenn der Gesammtinhalt der Cylinder 3600 Liter beträgt, so bedarf man hiezu 12 Röhren von 2 Meter Länge und 44 Centimeter innerm Durchmesser. An Brennmaterial sind in 24 Stunden für zwei Oefen dieser Größe 20 Hektoliter Steinkohlen erforderlich, und um 3500 Liter Gas zu erzeugen, braucht man 1 Kilogr. Holz- oder andere Kohle zum Zersezen des Wassers; dieß macht in 24 Stunden 576 Kilogr. Kohle. 20 Hektol. Steinkohle zu   3 Fr. 50 Cent, der Hektoliter   70 Fr. – Cent. 576 Kilogr. HolzkohleHolzkiohle zu 10 Fr. die 100 KilogrKlogr.   57  –  60   – ––––––––––––– Summa 127 Fr. 60 Cent. Von dem Maschinisten und Heizer spreche ich nicht; mein Apparat erfordert für dieselben eher weniger Ausgaben als eine Dampfmaschine. Für 127 Fr. 60 Cent, hat man alle 1 1/2 Secunden eine 25000 Kilogr. gleichkommende Kraft, was die Dampfpferdekraft zu 75 Kilogr. per Secunde angenommen, 222 Pferdekräften gleichkömmt. Bei einer Dampfmaschine verbraucht man in der Stunde 5 Kil. Steinkohlen per Pferdekraft; in 24 Stunden braucht eine Maschine von nur 100 Pferdekräften also 150 Hektoliter, welche zu 3 Fr. 50 Cent. 525 Fr. betragen. Ich will aber für 200 Pferdekräfte das Minimum annehmen, 800 Fr. Der Brennmaterial-Verbrauch meines Apparats und einer Dampfmaschine von derselben Kraft verhält sich also wie eins zu sieben. Die Triebkraft, deren ich bedarf, um den Apparat in Gang zu sezen, besteht in 2 Mann. Um große Gasreservoirs zu vermeiden, lasse ich meine Oefen mit dem zu zersezenden Wasser von der Maschine selbst speisen und bei jeder Explosion ergießt sich die erforderliche Menge Wassers in die Speiseheber, um das Gas zu erzeugen, welches bei einer Explosion consumirt wird, so daß ich ein Reservoir von nur 2 bis 3 Meter Rauminhalt habe. Was die Kosten der Anschaffung und Einsezung meines Apparats betrifft, so ist mit einer Dampfmaschine gar kein Vergleich zu ziehen. Das Gewicht meines ganzen Apparats beträgt höchstens 20 Tonnen, und die Kosten, um ein Linienschiff damit auszurüsten, würden sich ungefähr auf 80 bis 100,000 Fr. belaufen; 20 Schiffe kosteten demnach ungefähr 2 Millionen und die zur Ausrüstung eines Schiffes erforderliche Zeit betrüge höchstens 2 bis 3 Monate. Das Geräusch der Explosionen ist kaum hörbar, weil sie im Wasser erfolgen. Ich habe einen solchen Apparat verfertigt, welcher mittelst 100 Kubikcentimeter Gas und 800 Kubikcentimeter Luft bei jeder Explosion 6 Liter Wasser auf ungefähr 10 Meter Höhe hebt.