Titel: | Betrachtungen über die Theorie des Hrn. Péligot und die des Hrn. Baudrimont über die Fabrication der Schwefelsäure; von Dr.Koene. |
Fundstelle: | Band 97, Jahrgang 1845, Nr. LXXI., S. 275 |
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LXXI.
Betrachtungen uͤber die Theorie des Hrn.
Péligot und die
des Hrn. Baudrimont
uͤber die Fabrication der Schwefelsaͤure; von Dr.Koene.
Aus Poggendorf's Annalen der Physik und Chemie, 1845, Nr.
6.
Koene, über die Theorie der
Schwefelsäure-Bildung.
In den Comptes rendus der Pariser Akademie der
Wissenschaften, T. XIX, No. 9 (polytechn. Journal Bd. XCIV S. 214) findet sich eine Abhandlung
des Hrn. E. Péligot,
die zu beweisen bezwekt:
1) Daß bei der Fabrication der Schwefelsäure die schweflige Säure unaufhörlich und ausschließlich auf die Salpetersäure wirke, unter Bildung von
Schwefelsäure und Untersalpetersäure.
2) Daß die Bildung der Schwefelsäure ganz unabhängig sey von dem Daseyn der Krystalle
in den Bleikammern.
Diese Arbeit hat einen Prioritätsstreit veranlaßt zwischen dem oben genannten
Chemiker und Hrn. Baudrimont,
welcher auch annimmt, daß die wasserhaltige Salpetersäure (azotate hydrique) ganz unumgänglich sey zur Bildung der Schwefelsäure.
Diese beiden Chemiker sind also darin einig, daß die schweflige Säure die
Salpetersäure nur auf Untersalpetersäure reducire.
Allein aus meinen Untersuchungen über die Natur der in den Bleikammern sich bildenden
Krystalle geht hervor, daß die schweflige Säure die Untersalpetersäure zu
salpetriger Säure reducirt.Der Verf. stellte nämlich folgenden Versuch an: „In eine Woulff'sche Flasche, umgeben von Eis und
enthaltend einige Tropfen Wasser, ließ man zugleich schweflige Säure und
Untersalpetersäure eintreten. Einige Minuten hernach nahm man die Röhre,
welche die rothen Dämpfe hinführte, fort, und vertrieb den Ueberschuß
der Untersalpetersäure durch einen Strom von schwefliger Säure. Nachdem
auch diese lezte Säure durch trokene Kohlensäure ausgetrieben worden,
löste man die gebildeten Krystalle in reiner und concentrirter
Schwefelsäure. Dann ließ man Chlorwasserstoffgas in eine Flasche treten,
welche diese saure Lösung enthielt und verbunden war mit einem Liebig'schen Condensator, worin sich eine
wässerige Lösung von schwefelsaurem Kali befand. Das
Chlorwasserstoffgas, in der Lösung anlangend, übte darin keine Wirkung
aus, entwikelte kein Chlor, ertheilte der Lösung des schwefelsauren
Kali's keinen
Geruch, aus dem Grunde: weil die Krystalle keine
Untersalpetersäure enthielten, so wenig wie dieß mit denen aus den
Bleikammern der Fall ist.“
A. d. R. Dieß Resultat,
welches uns bewegen hat, die Theorie des Hrn. de la Provostaye als unrichtig zu betrachten,
veranlaßt uns auch zu zeigen, daß die von Hrn. Péligot falsch ist.
Mit den Anhängern der Theorie des Hrn. Gaultier de Claubry nimmt Hr. Baudrimont an, daß die Krystalle, oder
wenigstens eine ihnen analoge Verbindung unumgänglich sey zur Entstehung der
Schwefelsäure. Allein selbst diese Theorie entspricht nicht den Thatsachen; denn,
wie Hr. Péligot
nachgewiesen hat, kann die schweflige Säure, in Gegenwart einer beträchtlichen Menge
Wassers, die Salpetersäure desoxydiren. Dieß beweist, daß die Verbindung
( + ) nicht, wie man bisher angenommen hat, unumgänglich
nöthig ist zur Bildung der Schwefelsäure.
Die schweflige Säure reagirt unter diesen Umständen desoxydirend, ganz wie die
Chlorwasserstoffsäure, mit der sie in Bezug auf die Salpetersäure dasselbe Vermögen
und fast in demselben Grade theilt. So lange die leztere nicht zu verdünnt ist,
verwandeln die beiden ersten sie in salpetrige Säure, die in Stikstoffoxyd und
Salpetersäure zerfällt, wenn das Wasser in hinreichender Menge da ist. Allein bei
der Fabrication der Schwefelsäure ist die Wassermenge selten groß genug, daß diese
Umwandlung vor sich gehen könnte; denn es liegt nicht im Interesse des Fabrikanten
einen der Bildner seines Products außer Wirkung zu sezen oder auch mehr Wasser in
seine Bleikammer einzuführen, als es zur Bildung der Säure bedarf. Eben so wenig ist
nothwendig, daß er zu Anfang der Operation verdünnte Säure in seinen großen Behälter
bringe. Es genügt, daß sich daselbst Wasserdampf in solcher Menge befinde, daß die
Bildung sowohl von Krystallen als von Stikstoffoxyd verhindert sey. Alsdann
geschieht die Reaction regelmäßig, alsdann enthält das Product nur Spuren von
Salpetersäure; allein alsdann erfolgt auch die Reaction zwischen schwefliger Säure,
Salpeter- und Untersalpetersäure; denn die im Contact mit schwefliger Säure
entstehende Untersalpetersäure, statt sich zu oxydiren und in eine wasserhaltige
Säure zu verwandeln, bildet unter diesen Umständen einerseits salpetrige Säure und
andererseits Schwefelsäure, wie es durch meine Versuche nachgewiesen ist.
In einer in Thätigkeit stehenden Bleikammer führt also die schweflige Säure die
Salpetersäure auf salpetrige Säure zurük, ohne daß sich Krystalle bilden; da die
Wassermenge zu groß ist, als daß die Verbindung ( + )
entstehen könnte, und zu klein, als daß die salpetrige Säure in Stikstoffoxyd und
Salpetersäure zu zerfallen vermöchte.
Wenn der leztere Fall eintritt – was unter Umständen, die nur für zufällig zu
halten sind, bisweilen geschieht – so ist das Product verunreinigt mit mehr
oder weniger großen Mengen Salpetersäure, von welcher man es durch Hineinleitung von
schwefliger Säure befreit. Diese Operation kann nicht fehlschlagen, weil eine solche
Säure mehrentheils hinreichend Wasser enthält, daß die salpetrige Säure zerfallen
kann in Stikstoffoxyd, welches entweicht, und in Salpetersäure, die ihrerseits durch
den Einfluß des oxydirenden Mittels wieder zerstört wird.
Im entgegengesezten Fall, da alsdann die Schwefelsäure zu concentrirt ist, erleidet
die salpetrige Säure keine Zersezung mehr von Zeiten der schwefligen Säure; auch
kann man mittelst dieser Säure die käufliche Schwefelsäure bei gewöhnlicher
Temperatur nicht von Salpetersäure befreien, wohl aber von salpetriger Säure. Die
erste dieser Säuren zerfällt bei der Concentration in Sauerstoff und salpetrige
Säure, wie ich gezeigt habe, indem ich Chlorwasserstoffgas auf
Schwefelsäure-Monohydrat wirken ließ, das zur Concentration von käuflicher
Salpetersäure gedient hatte. Es entwikelte sich kein Chlor, und daraus folgt, der
Meinung des Hrn. Péligot zuwider, daß die concentrirte Schwefelsäure weder
Salpetersäure noch Untersalpetersäure enthält. Es kann sich auch kein Stikstoffoxyd
darin befinden, denn dasselbe ist in dieser Säure nicht merklich löslich; allein sie
kann salpetrige Säure enthalten, deren Gegenwart leicht erwiesen werden kann,
einerseits mittelst Chlorwasserstoffsäure und andererseits mittelst schwefelsauren
Eisenoxyduls und metallischen Kupfers.