Titel: | Ueber eine moleculare Veränderung des Terpenthinöhls, durch welche es zum Auflösen des Kautschuks tauglicher wird; von Bouchardat. |
Fundstelle: | Band 97, Jahrgang 1845, Nr. CXV., S. 450 |
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CXV.
Ueber eine moleculare Veraͤnderung des
Terpenthinoͤhls, durch welche es zum Aufloͤsen des Kautschuks tauglicher
wird; von Bouchardat.
Aus dem Journal de Pharmacie, Aug. 1845, S.
87.
Bouchardat, über eine moleculare Veränderung des
Terpenthinöhls.
Schon vor zehn Jahren wurde ich von einem Fabrikant wasserdichter Zeuge zur
Ermittelung des zweekmäßigsten Auflösungsmittels für Kautschuk zu Rath gezogen;
damals bediente man sich hiezu in England entweder des bei der Destillation des
Steinkohlentheers übergehenden ätherischen Oehls oder des bei der trokenen
Destillation des Kautschuks entstehenden Oehls.
Ich unterzog nun zuvörderst dieses brenzliche Oehl einer genauer Untersuchung und
schied mehrere wohl bestimmte und wegen ihres nicht hohen Siedepunkts merkwürdige
Kohlenwasserstoffarten davon ab; überzeugte mich aber bald, daß wenn das brenzliche
Kautschuköhl auch ein vortreffliches Auflösungsmittel für diese Substanz ist, die
Kosten seiner Gewinnung sich seiner Anwendung in Fabriken lange widersezen werden.
Das durch Destillation des Steinkohlentheers gewonnene ätherische Oehl hingegen hat
einen Geruch, von welchem die Zeuge so schwer zu befreien sind, daß ich ein anderes
Auflösungsmittel aufzusuchen beschloß.
Ich verfiel sogleich auf einen natürlichen Kohlenwasserstoff (das Terpenthinöhl),
welcher bekanntlich den Kautschuk auflöst; ich hoffte aber, daß durch dessen
Modification mittelst der Wärme seine auflösende Kraft erhöht werden könne. Die
Erfahrung bestätigte meine Erwartung; wenn man dieses Oehl ein- oder zweimal
über freiem Feuer destillirt, so erhält man ein genügendes Auflösungsmittel. Auch
bemerkte ich, daß wenn diese Destillation über Ziegelstükchen bei höherer Temperatur
vorgenommen wurde, man eine Flüssigkeit erhielt, die als Auflösungsmittel für
Kautschuk dem durch trokene Destillation des Kautschuks gewonnenen Oehl wenig
nachgab.
Der Fabrikant, welcher mich zu Rath gezogen hatte, beeilte sich meine Resultate zu
nuze zu machen und ich theilte, da ich mir das Recht dazu vorbehalten hatte,
dieselben in meiner Abhandlung über die Destillationsproducte des Kautschuks
(polytechnisches Journal Bd. LXVI S. 222)
mit. Seitdem wird das durch eine oder zwei Destillationen über freiem Feuer
modificirte Terpenthinöhl von den Fabrikanten wasserdichter Zeuge in Frankreich und
England als Auflösungsmittel für Kautschuk angewandt. Es mußte mir sehr daran
gelegen seyn, die Modification, welche das Terpenthinöhl durch die Destillation über Ziegelstükchen
bei hoher Temperatur erleidet, näher kennen zu lernen; bilden sich dabei neue sehr
flüchtige Producte, welche, dem Oehl beigemischt, ihm die Eigenschaft ertheilen, den
Kautschuk leicht aufzulösen, oder ist es nur eine moleculare Modification des Oehls?
Diese Frage kann jezt gelöst werden.
Folgendes sind die physischen Eigenschaften dieses über Ziegelstükchen bei hoher
Temperatur destillirten Oehls. Seine Farbe ist schwach gelblich; sein Geruch theilt
sich zwischen dem des Thymians, des Weinöhls und des Terpenthinöhls; es ist leichter
als das Terpenthinöhl; lezteres hat eine Dichtigkeit = 0,8736, nach der Destillation
aber nur = 0,8420. Es fängt bei 85° C. an zu sieden, aber die Temperatur
steigt beinahe sogleich auf 154° C. und bleibt dann constant auf diesem
Grade. Ich versuchte, ob es nicht möglich sey die erstem flüchtigem Portionen davon
abzusondern; allein troz der größten Sorgfalt und der besten erkältenden Gemische
konnte ich nur eine sehr kleine Quantität davon trennen, welche zu einer genauen
Untersuchung nicht hinreichte. Beinahe alles modificirte Terpenthinöhl kocht bei
154°, während vor dessen Destillation der Siedepunkt von
156–158° C. variirt. Bei der Analyse zeigte das destillirte
Terpenthinöhl genau dieselbe Zusammensezung wie das ursprüngliche.
Aus diesen Versuchen hatte ich über die moleculare Veränderung des Terpenthinöhls
nichts gelernt und ich wollte sie aufgeben, nahm sie aber wieder auf, als mir der
Polarisations-Apparat des Hôtel Dieu zur Verfügung gestellt wurde. Ich
stellte Versuche damit im lezten Winter an, wo mir der lange anhaltende Schnee gute
Kältemischungen verschaffte und ich die sehr lästigen Dämpfe des Oehls zum Theil
vermeiden konnte.
Die bei mehreren Polarisationsversuchen mit über Ziegelstükchen destillirtem
Terpenthinöhl erhaltenen Resultate kann ich wie folgt zusammenfassen:
Die Molecular-Veränderungen, welche das Terpenthinöhl in der Hize erleidet und
welche es zur Auflösung des Kautschuks geeignet machen, können mittelst des
Polarisations-Apparats ganz leicht verfolgt und gemessen werden.
Das von mir untersuchte käufliche Terpenthinöhl, welches den Kautschuk unvollkommen
auflöste, besaß ein moleculares Rotationsvermögen von – 28,82°
Drehung links.. Nach der Destillation über freiem Feuer war dieses Vermögen –
33,23° und seine auflösende Kraft war in demselben Verhältniß
gestiegen. Wird dasselbe Terpenthinöhl durch eine höhere Temperatur mittelst
Destillation über Ziegelstükchen modificirt, so nimmt seine auflösende Kraft noch mehr zu,
seine moleculare Veränderung aber wird alsdann durch eine bedeutende Verminderung
des Rotationsvermögens angezeigt, welches nur noch – 8,68°
beträgt. Verändert man derart die Einwirkungen der Wärme, so erfährt ein und
dasselbe Terpenthinöhl Molecular-Modificationen, die jedesmal anders
ausfallen können und zur Annahme einer unendlichen Anzahl isomerischer Zustande
einer Substanz von bestimmter Zusammensezung führen.