Titel: | Neue Berg-Locomotive; von Professor Dr. Shoklizh. |
Autor: | Prof. Shoklizh |
Fundstelle: | Band 98, Jahrgang 1845, Nr. LXIX., S. 249 |
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LXIX.
Neue Berg-Locomotive; von Professor Dr.
Shoklizh.
Shoklizh's Berg-Locomotive.
Da bedeutende und lange Steigungen wegen nicht hinreichender Adhäsion der Treibräder
für Locomotiven jeziger Construction noch immer ein unüberwindliches Hinderniß sind,
so übergebe ich auch meinen Vorschlag zur Beseitigung derselben durch Ihr unter den
technisch gebildeten Männern allgemein verbreitetes und geschäztes Blatt den
Fachmännern zur öffentlichen Prüfung, welche dadurch in Stand gesezt werden ihr
Urtheil darüber abzugeben. Er hat nichts mit den bis jezt zur Sprache gebrachten
Principien gemein, und übertrifft alle durch Einfachheit, geringe Anlags- und
Unterhaltungskosten und leichte praktische Ausführung.
Die Idee beruht auf der Nachahmung der Zugkraft des Pferdes und ich beschränke mich
in diesem Aufsaze bloß auf eine gedraͤngte Beschreibung der
Berg-Locomotive, insofern sie zur Verständigung des Princips und ihrer
Leistungsfähigkeit auf einer Steigung von 1/20 (5 Proc.) benöthiget wird.
I. Fig. 1. Statt der
Bläuelstange (bielle) wird mit der Kolbenstange c eine Stemmstange b in
Verbindung gesezt, welche sich an die Sprossen eines durch die Mitte der Bahn
parallel mit den Rails laufenden Rechens (oder Leiter) stüzt (Fig. 9, 8, 4). Der in e (Fig. 1) einströmende Dampf
drükt auf die Kolbenfläche, welche nicht zurükweichen kann, weil die Stemmstange in
d einen Stüzpunkt findet. Der Dampf drükt aber mit
der nämlichen Kraft auch auf den Cylinderdekel P, und
sobald der Druk auf denselben größer als der vereinigte Widerstand des Trains ist,
so wird er von g nach l
geschoben (und da der Cylinder an der Maschine fest ist, so wird natürlich auch sie
sammt dem ganzen Wagenzuge den Weg machen); der Kolben rührt sich bei diesem
Verschieben nicht, bleibt deßhalb zurük und befindet sich alsdann bei f, wo der Dampf einströmt und ihn nach e zurükschiebt, und da die Maschine 2 Cylinder hat (man
könnte sie auch mit 4 Cylindern construiren), so ist ihr Gang gleichförmig. Hier
bemerke ich zugleich, daß bei der Berg-Locomotive die Steuerung nicht
mittelst Excentrics geschieht und daß der in f
einströmende Dampf mit Expansion wirkt, nicht so der in e einströmende; der Grund hievon ist bekannt.
II. Der Rechen N (Fig. 9),
welcher mitten durch die Bahn parallel zu den Rails lauft, ist so beschaffen, daß
man jeden einzelnen Sprossen auch wechseln könnte, ohne die Communication auf jener
Streke zu stören. Die gegen die Rails gebohrten Vorsprünge o der Rechenschienen (Fig. 8) dienen bei sehr
starken Steigungen, wo die gewöhnliche Bremsart nicht mehr hinreicht, zum Bremsen
des Wagenzuges, indem auf jeder Seite ein Rad r mit der
beliebigen Kraft auf dieselben angedrükt und so die erforderliche Reibung
hervorgebracht werden kann (auch ist bei dieser Einrichtung nicht leicht denkbar,
daß der Wagenzug die Schienen verlassen kann); ferner hat jeder Wagen noch zwei
freihängende Stemmstangen (in einigen Theilen Deutschlands Wagenknechte genannt),
welche beim möglichen Falle des Losreißens derselben von der Maschine die rükgängige
Bewegung derselben hindern. — Man sieht leicht ein, daß man ohne diese
Vorkehrungen bei keinem andern Princip des Lebens sicher ist, wenn man auf einer
langen und starken Steigung hinauf oder hinab fährt.
III. Ein schmaler Rechen kostet weniger und bietet
nebstdem noch viele andere Vortheile dar, weßhalb die gegen die Mitte der Bahn
gekehrten Zapfen am Verbandpunkte a der Kolben-
mit der Stemmstange verlängert und an der Verlängerung die Stemmen angebracht werden
(Fig. 5),
wodurch dieselben sehr nahe an einander rüken (Fig. 9) und deßhalb einen
sehr schmalen Rechen erfordern. — Allerdings wird dann die Reibung an dem
einen Zapfen größer, aber auch aus dem nämlichen Grunde am andern geringer. —
Die Reibung an den Führschienen i ist bei allen
Locomotiven im nämlichen Verhältnisse (das ist: des verticalen Drukes auf die
berührte Fläche, mit Rüksichtsnahme der Geschwindigkeit, Glätte und Einöhlung des
Metalles); hier ist bloß die Reibung an den obern Führschienen (Fig. 4, 5) zu berüksichtigen, und
da bei der Berg-Locomotive auch die Reibung an der Kurbel der Treibwelle
wegfällt, so ist der relative Reibungscoefficient derselben sehr klein.
IV. Man könnte einwenden, daß durch die diagonale
Stellung der Stemmstange (Fig. 1) von dem wirksamen
Dampfdruke D nur D
cos. ϱ wirksam bleibt; dieß wäre aber nur dann
der Fall, wenn die Maschine stationär wäre und die Stemmstange eine Last von d nach s zu schieben hätte,
was hier nicht der Fall ist. Die Stemmstange ist kein propellor, propulsor — sie hindert bloß das Zurükweichen des
Kolbens; — der auf den Dekel des Cylinders in P
drükende Dampf ist der eigentliche Motor, propellor,
propulsor oder wie immer man ihn nennen mag — und da die
Resultirende des Widerstandes in gleicher Höhe mit den Cylindern parallel zu den Rails ist, so kann hier
kein Kraftverlust stattfinden, weil der Druk auch parallel zu denselben auf P statt hat.
V. Die einzige gegründete Einwendung, die man machen
könnte ist, daß die Stemmstange mit einem heftigen Stoß in die Sprossen eingreift.
Denn die Stemme könnte beim Zurükschieben des Kolbens von f nach e, nach in (Fig. 6) zu stehen kommen
und die Sprosse n würde beim Einströmen des Dampfes in
e einen heftigen Stoß erleiden, weil die Stemme den
Raum mn ohne Widerstand durchlaufen und sodann nach den
bekannten Gesezen mit der am Wege gesammelten Kraft und Geschwindigkeit auf n einen Stoß ausüben würde, der den normalen Druk weit
übertreffen würde. — Deßhalb wurde folgende Einrichtung nothwendig: jede
Kolbenstange hat 2 Stemmen b und b′ (Fig. 4), welche, wenn A den Abstand einer
Sprosse von der anderen bezeichnet, auf die Entfernung von 5/2 A (oder auch 7/2 A) zu
stehen kommen und zur Folge haben, daß eine davon nie mehr als ⅔ Zoll von der
eingreifenden Sprosse entfernt seyn kann. — Jeder Cylinder hat eine Hublänge
von 21 Zoll; ist der eine Kolben im 1sten Stadium des 21sten Zolles der Thätigkeit,
so bewirkt die Steuerung, daß der andere nothwendigerweise im 1sten Stadium des
1sten Zolles seiner Thätigkeit seyn muß; der gleich anfangs bei e einströmende Dampf hat erst die Reibung im Cylinder
und den Gegendruk des bei f ausströmenden Dampfes zu
überwinden; die bis ⅔ des ersten Zolles einströmende Dampfquantität hat wohl
die Kraft, um die Stemmstange an den anzugreifenden Sprossen anzudrüken, aber noch
nicht, um einen Stoß auf dieselben auszuüben; erst wenn der eine Kolben im lezten
Stadium seines 21sten Zolles der Thätigkeit bei e′ sich befindet, fängt der andere den normalen Druk auf die
Sprosse auszuüben an, also im lezten Stadium des 1sten Zolles der Thätigkeit.
— Daher macht aber auch die Maschine bei jedem Doppelhube nur einen Weg von
20 und nicht von 21 Zoll; es ist ersichtlich, daß hier nur der bei e einströmende Dampf den Zug vorschiebt; beim Einströmen
des Dampfes bei f würde die Maschine stehen bleiben,
wenn nicht in derselben Zeit beim andern Cylinder der Dampf bei e einströmen würde. — (Fig. 7 zeigt die Form des
Endpunktes der Stemme, wenn sie in zwei Sprossen zugleich eingreifen sollte.)
VI. Es ist kaum nöthig zu erwähnen, daß das Eingreifen
der Stemmstange in die Sprossen nicht mit dem Eingreifen eines verzahnten Rades
(oder Schraube) zu verwechseln sey, wo jeder angreifende Zahn sich mit dem relativen
Druke um den angegriffenen dreht und so eine baldige Zerstörung zur Folge hat. —
Hier liegt bloß eine todte Last (theils verticalen, theils zu den Rails parallelen
Drukes) auf der berührten Sprosse, während der Cylinder einen Weg von g nach l macht. — Die
Rails leiden auch im Verhältnisse zu den Sprossen mehr, weil die Räder auf dieselben
den Druk mit der Rotation ausüben.
VII. Der vereinigte Widerstand, den ein Wagenzug von 90
Tonnen auf einer horizontalen Eisenbahn darbietet, ist höchstens 10 Pfund per Tonne und wegen des Hinzukommens der relativen
Schwere
als Last bei einer Steigung
von——
1/301/251/20
===
690072009900
Pfd.——
für den ganzen Train.
Würde man z. B. die Locomotive „North-Star“ von der
Great-Western Eisenbahn zu einer Berg-Locomotive nach meiner Angabe
umgestalten, so würde sie den obgenannten Train auf einer Steigung von 1/20 (oder 5
Proc. — das ist eine stärkere Steigung, als die der Bergstraße über den
Sömmering in Oesterreich) mit der Geschwindigkeit von 7,06 engl. Meilen
hinaufziehen; denn die North-Star verdampft 10335 engl. Pfund Wasser per Stunde, was dem Volum von 59839,65 Kubikfuß Dampf
von 5 Atmosphären Druk gleich kommt. Hätten ihre Cylinder eine Hublänge von 21 Zoll
(jeder), und eine Kolbenflaͤche von 200 Quadratzoll, so würde, da bei 5
Atmosphären der wirksame Druk wegen des Gegendrukes 56 Pfd. per Quadratzoll ist, der Druk auf den Cylinderdekel 11200 Pfd. betragen,
während der vereinigte Widerstand (Reibung und relative Schwere) nur 9900 Pfd.
ausmacht. Zur Verschiebung des Cylinders von g nach l braucht man einen Cylinder voll Dampf, das ist 4200
Kubikzoll, und zur Verschiebung des Kolbens von f nach
e mit Expansion wären 420 Kubikzoll mehr als
hinlänglich und da die Maschine für 22402 Doppelhube 5 Atmosphären Dampfes
producirt, so würde sie demnach per Stunde den Weg von
37336′ oder 7,06 engl. Meilen machen und pro
Secunde 10,38 Fuß, was die Geschwindigkeit eines lastziehenden Pferdes fast um das
Dreifache übertrifft.
VIII. Die vortheilhafte Anwendung dieses Princips kann
bei allen langen und starken Steigungen stattfinden und ich wage zu behaupten
ausschließlich, indem alle bis jezt gemachten Erfindungen entweder nur für kurze und
unbedeutende Steigungen angewendet werden können oder mit wenigstens sechsmal
größern Anlags- und Unterhaltungskosten verbunden sind, wobei sie aber erst
nicht das leisten, was das von mir vorgeschlagene Princip zu leisten im Stande ist.
Würde man eine 1/20 Steigung von 7 engl. Meilen Länge in eine 1/120 verwandeln
wollen, so müßte sie natürlich 6mal länger seyn, was wenigstens 6fache
Anlags- und Unterhaltungskosten erfordert. Die Locomotiven müßten auf der
Steigung von 1/120 bei 50 engl. Meilen per Stunde
zurüklegen, um zu gleicher Zeit mit meiner vorgeschlagenen Berg-Locomotive
zum gleichen Höhenpunkte zu gelangen, was aber nicht denkbar ist, da man in
Deutschland auf der horizontalen Bahn per Stunde
gewöhnlich nur 22 bis 25 engl. Meilen zurüklegt. — Dieses Princip könnte man
auch bei der Anlegung der Eisenbahn über die Landenge von Suez anwenden. Eine
darnach construirte viercylindrige Maschine könnte aus dem rothen Meere ins
mittelländische mit einem Train drei beladener Indienfahrer, jeden von 800 Tonnen,
zusammen bei 48000 Cntr. Netto-Ladung führen — und eine solche Bahn
würde bei weitem weniger kosten als ein Canal, und würde alle Vortheile desselben
nebst größerer Geschwindigkeit darbieten, natürlicherweise müßte da die Bahn nach
einem von dem jezigen ein wenig verschiedenen Systeme gebaut werden.