Titel: | Ueber die Kartoffelkrankheit; von Payen. |
Fundstelle: | Band 98, Jahrgang 1845, Nr. LXXXVI., S. 307 |
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LXXXVI.
Ueber die Kartoffelkrankheit; von Payen.
Aus den Comptes rendus, Sept. 1845, Nr. 11 und
12.
Payen, über die Kartoffelkrankheit.
Zweiter Artikel.Der erste Artikel wurde S. 150 in diesem Bande des polytechnischen Journals
mitgetheilt.A. d. R.
Bei der Mittheilung der Resultate meiner ersten Beobachtungen über die nachtheiligen
Veränderungen der Kartoffel ließ ich eine wichtige Frage unbeantwortet.
Ich sprach von dem Sichtbarwerden von Keimkörnern in einer körnigen Masse, von dem
besondern, jenem der Brodpilze ähnlichen Geruch, den chemischen Reactionen, welche
ebenfalls zwischen den Geweben der Knollen eine kryptogamische Vegetation anzeigen;
allein die directe Beobachtung der diesen Organismen eigenthümlichen Formen fehlte
und ohne sie konnte nichts geschlossen werden. Dieser Punkt hatte große
Schwierigkeit; sie verursachte einigen der geschiktesten Beobachter Anstände und ich
weiß keinen, der sie besiegt hätte.
Diese Umstände bewogen mich kein Mittel unversucht zu lassen, welches mich zur
Erforschung der Natur und Zusammensezung gewisser, in Mitte der Pflanzengewebe
befindlicher Organismen zu führen vermochte, und ich beschrieb diese Mittel in den
unter dem Titel Développement des végétaux vereinigten
Abhandlungen.
Durch die meisten derselben wurde der Zwek erreicht; ich werde jedoch hier nur
dasjenige Verfahren mittheilen, welches sich am leichtesten ausführen läßt und
dessen Resultate mittelst der Elementaranalyse schon controlirt wurden.
Man unterwirft einen der ergriffenen Knollen dem Kochen in Wasser; die Temperatur von
80° R. wird ungefähr drei Stunden lang unterhalten. Nach Verlauf dieser Zeit
ist eine merkwürdige, Erscheinung zu beobachten; in allen gesunden Theilen nämlich
hebt das Aufschwellen der Stärkmehlkörner, welches den Zellen abgerundete Formen
ertheilt, ihre Adhärenz auf, so daß sie sich durch schwaches Reiben von einander
trennen lassen.
Anders verhält es sich mit den Zellen in jenen Theilen des Gewebes, welche durch die
das Fortschreiten der Krankheit anzeigende rothe Substanz angegriffen sind; hier bleiben die Zellen
ungeachtet einer ähnlichen Anschwellung ihres Sazmehls zusammenhängend, namentlich
an den dunkler gefärbten und minder durchsichtigen Stellen; es lassen sich also
diese widerstehenden Gewebe von dem normalen Gewebe, welches sich ablöst, ohne Mühe
trennen. Hat man so alle aneinanderhangenden Theile erhalten, so zertheilt man sie
mittelst sanften Reibens unter Wasser.
Hierauf sondert man das (vorzüglich in den dunkleren Zellen reichlich vorhandene)
Stärkmehl dadurch ab, daß man auf die Masse vier Stunden lang ihr fünf- bis
sechsfaches Volum mit einem Procent Schwefelsäure versezten Wassers einwirken läßt.
Man überzeugt sich leicht, daß kein durch Jod färbbares Stärkmehl mehr vorhanden
ist, indem man einen Tropfen Jodauflösung einigen Tropfen der vorher erkalteten
Mischung zusezt.
Man schafft nun alle Säure und die auflöslichen Salze durch Auswaschen auf dem Filter
mit vielem Wasser hinweg, und die breiige Substanz ist nun zu allen mikroskopischen
Beobachtungen und zur Elementaranalyse zu gebrauchen.
Wirklich findet man, wenn das Stärkmehl entfernt und die körnige Substanz zertheilt
ist, eine große Anzahl reiner, durchsichtiger Zellen, in welchen man bei einer 500
bis 800maligen Vergrößerung der Durchmesser die Art des Eindringens und die
Anordnung der am weitesten von der Peripherie gegen die Mitte der Knollen
vorgerükten Theile des parasytischen Pilzes deutlich wahrnimmt.
Das die Zelle concentrisch umgebende Nez (lacis) rührt
von einigen Fäden (Filamenten) her, welche durch dessen Wände drangen und sich mit
andern Filamenten verschlingen oder kreuzen, die bei den danebenliegenden Zellen
dieselbe Rolle spielen.
Einige Tropfen wässerige Jodlösung lassen die Zelle so wie ihre innere Wand
ungefärbt, und beweisen, daß die Zellensubstanz (cellulose) geblieben ist, während die stikstoffhaltige organische Materie
und die Fettsubstanz, wahrscheinlich von dem Pilze absorbirt, verschwanden.
Der Pilz nimmt, unter dem Einfluß dieses Reagens, eine ins Gelbe ziehende, dunklere
Farbe an, wodurch seine Züge schärfer hervortreten.
Zusaz eines Tropfens Schwefelsäure von 60° Baumé vollendet diese Erscheinungen
und gewährt einen schönen mikroskopischen Anblik; die von dem angesäuerten Wasser
nicht aufgelösten Stärkmehltheile, welche aber zu stark zusammenhangen, als daß das
Jod darauf reagiren könnte, fahren in Berührung mit der concentrirteren Säure
auseinander; man sieht, wie sie sich sogleich schön indigoblau färben inmitten des fadigen Nezes von
orangegelber Farbe, welches alle Stärkmehlkörner umhüllte.
Um zu erfahren, ob zwischen diesem Pilz und den schon früher untersuchten,
Beziehungen hinsichtlich der Elementarzusammensezung stattfänden, bestimmte ich
seinen Stikstoffgehalt. Die Analyse gab folgende Zahlen. Angewandte Substanz 93
Milligr.; Volum des Stikstoffs 6,62 Kubikcentimeter; Druk der Atmosphäre 75,95;
Temperatur + 20,5° C.; woraus sich 7,56 Proc. Stikstoff berechnen. Zieht man
die Asche, oder 0,03 von der Substanz ab, so erhält man 7,8 Proc. Stikftoff; rechnet
man endlich die Zellen und die Spuren Stärkmehls ab, welche nach einer unmittelbaren
Analyse 0,20 betragen, so findet man, daß die organische Materie des Pilzes 9,75
Proc. Stikstoff enthält. Nun enthält der Mistbeetschwamm (champignon de couche) davon 9,78; auch kömmt diese Zusammensezung
derjenigen mehrerer mikroskopischen Kryptogamen sehr nahe.
Wir sahen so eben, daß die von dem vorgedrungenen Pilze überfallenen Zellen mit
gesunden Stärkmehlkörnern erfüllt sind, welche von den Maschen des im Innern
entwikelten Nezes eingeschlossen werden; zwischen diesen tiefer eindringenden
Theilen aber und der Epidermis, welche, gerade so wie das krautartige Gewebe,
niemals Stärkmehl enthält, befindet sich eine mehr oder minder dike Schicht eines
Gewebes, mit Zellen welche ihrer Stärkmehlkörner mehr oder weniger entleert sind; es
ist daher leicht zu begreifen, daß bei Betrachtung der Schichten unter dem Mikroskop
mehrere Beobachter das reichliche Vorhandenseyn von Stärkmehlkörnern in normalem
Zustand wirklich behaupten konnten, während andere, nicht minder aufmerksame, in den
veränderten Schichten eine große Anzahl Zellen wahrnahmen, worin die Menge des
Stärkmehls sich vermindert hatte.
Nachdem dieser Unterschied einmal hergestellt war, suchte ich die Ursachen der
verschiedenen Zustände der befallenen Gewebe und die Natur der von dem Stärkmehl
erlittenen Veränderung zu erforschen. Auch hinsichtlich dieser beiden Punkte glaube
ich die Aufgabe gelöst zu haben.
Man braucht die Antheile des Gewebes, in welchen das Stärkmehl abnimmt, nur in dünne
Schnitten zu zertheilen, um das Fortschreiten einer merkwürdigen Veränderung
verfolgen zu können, welche folgende Phasen durchläuft.
Zuvörderst macht die stikstoffhaltige organische Substanz, welche der innern Wand
jeder Zelle anlag, sich los und bildet einen Stärkmehlkörner einschließenden Sak;
die Körner sind noch im normalen Zustand. Bald werden sie weniger, und dann stellen
sich mehrere
Veränderungen ein; nachdem sie auf einem Punkt ihrer Oberfläche angegriffen sind,
verliert ihre innere Substanz den Zusammenhang und löst sich auf; die Wände der
Höhlung sind von unregelmäßigen Spalten gefurcht, welche immer tiefer gehen. Die in
diesen ausgehöhlten Räumen enthaltene Substanz macht sich los und dislocirt jedes
der Körner, in dem Maaße als ihre aufgelösten Theile absorbirt werden. Das
Gesammtvolum der Stärkmehlüberreste nimmt ab, die abgelöste Hülle schrumpft
allmählich zusammen und nimmt selbst an der Auflösung Theil. Beinahe die ganze
Höhlung der Zelle ist nun ausgeleert; der zu einem sehr kleinen Volum
zusammengeschrumpfte Sak enthält nur noch einige unregelmäßige, abgerundete
Bruchstüke sazmehliger Substanz. Endlich verschwindet beinahe Alles und es bleibt
nichts zurük als der durchsichtige, leere Zellenraum. Zuweilen lösen sich einige, zu
gleicher Zeit an vielen Punkten ihrer Peripherie angegriffene Stärkmehlkörner,
Schichte für Schichte, concentrisch auf; in diesem Fall wird der Stärkmehlkern,
welcher sich zulezt um die Achse des Korns herum gebildet hatte, in Freiheit gesezt.
Dieser Erfolg tritt jedoch viel seltener ein, als der erste.
Es sind dieß allerdings subtile Beobachtungen, sie haben aber keine ernstliche
Schwierigkeit; es kann sie Jedermann wiederholen, wenn man Jodauflösung zu Hülfe
nimmt, um die sich bläuenden Stärkmehlkörner und die Verminderung der sich
orangegelb färbenden stikstoffhaltigen Materie besser unterscheiden zu können.
Etwas minder leicht sind die zwischen den Zellen befindlichen Filamente zu
beobachten, welche Reihen öhliger Tröpfchen enthalten, ähnlich den Verlängerungen
der Brodpilze; Zusaz eines Tropfens Schwefelsäure von 66° Baumé, welcher die
Zellensubstanz auflöst, macht diese in Aether auflöslichen Oehltröpfchen frei und
vollkommen sichtbar.
Endlich wird man auch die in die Zellen eingetretenen Filamente auffinden; dieß ist
aber sehr schwierig, weil die doppelten und dreifachen Hüllen, welche von den
Zellenwänden gebildet werden, und ihr innerer Sak zusammenhelfen um sie zu
verbergen; doch können sie aufgefunden werden; man muß jedoch das Licht mäßigen,
weil sie außerordentlich durchsichtig und zart sind.
Diese neuen Beobachtungen scheinen uns die Hauptursache und die Verschiedenen
Wirkungen des Verderbens der Kartoffeln klar vor Augen zu legen, welche wir nun in
einigen Worten zusammenfassen wollen.
Eine ganz besondere kryptogamische Vegetation, die sich unstreitig von den in freier Luft
stehenden Stengeln auf die Knollen hinab fortseztHr. Francoeur gibt (in einer Notiz in derselben
Nummer der Comptes rendus) diese Fortpflanzung
der Krankheit vom Stengel hinunter zu den Knollen nicht unbedingt zu. Er
haͤlt es bei einem Fall, welchen Hr. Payen
zu Gunsten seiner Ansicht auffuͤhrt, wo die Blaͤtter verwelkt
waren, die Knollen aber gesund blieben, weil die Krankheit nicht mehr Zeit
hatte die Knollen zu erreichen, fuͤr moͤglich, daß diese
Blaͤtter verbrannt, d. h. von heftigem Winde ausgetroknet worden
seyen., ist der Ursprung desselben.
Der mikroskopische Pilz, dessen Keimkörner der vorzüglich um die Rindentheile herum
sich einziehenden Flüssigkeit folgten, dringt bis zur Marksubstanz vor und entwikelt
sich in den Zellen in verschlungenen Filamenten, welche sich der quaternären und
öhlartigen organischen Substanz bemächtigen, sich dabei auf das Stärkmehl stüzend,
welches sie in ihren Maschen einschließen. Indem sie übrigens durch die
Intercellulargänge von einer Zelle zur andern sich fortsezen, kreuzen sie sich und
machen die von ihnen befallenen Gewebe zusammenhängend; sie erhalten ihnen troz des
Kochens im Wasser bei 80° R. die Consistenz. Die gegen die Peripherie zu
gerichteten byssusartigen Verlängerungen gehen durch die Wände der Zellen hindurch
und greifen alle darin enthaltenen assimilirbaren, die stikstoffhaltigen, öhligen
und stärkmehlartigen Substanzen an.
Im Ganzen ist in diesen Erscheinungen also die Wirkung einer unmäßigen parasytischen
Vegetation zu erkennen, welche sich eines Theils der lebenden Gewebe der Kartoffel
bemächtigt, in den einen sich festsezend und aus den andern alle darin
eingeschlossenen assimilirbaren Substanzen schöpfend.
Dieß ist die Form der Krankheit, welche ohne Zweifel durch die Keimkörner jenes
speciellen Pilzes veranlaßt wird, dessen Entwikelung durch Feuchtigkeit und Wärme
beschleunigt werden mußte.
Unter den verschiedenen Symptomen sind mehrere offenbar secundärer Art; natürlich muß
die Lebenszeit der zuerst entwikelten Pilze bald vorüber seyn, und dann wirken alle
Ursachen der Zerstörung auf sie ein; sie verlieren ihre Consistenz und die Gewebe
ihren Zusammenhang; die Ueberreste werden von kleinen Thierchen angefallen, welche
die Zellen zerstören; später veranlaßt die faule Gährung die Zerstörung dieser
Thierchen und vermehrt so noch das Verderben des Pflanzenorganismus. Und dennoch
leistet noch eine große Anzahl von Stärkmehlkörnern, welche nicht unmittelbar vom
Pilze angegriffen werden, Widerstand. Zu allen diesen auf einander folgenden
Ursachen, welche einander bedingen, kommen oft noch die schon erwähnten
verschiedenen zufälligen Angriffe. Die praktischen Folgerungen betreffend, habe ich
an den Schlüssen der ersten Mittheilung nichts zu ändern und empfehle wiederholt
die dort angegebenen Vorsichtsmaaßregeln. Eine Beobachtung des Hrn. Caffin d'Orsigny hat eine derselben bereits bestätigt.
Vom Pilz befallene Kartoffeln lieferten nämlich 14 Procent ihres Gewichts grauliches
Stärkmehl, während die gesunden Knollen desselben Standorts 18 Proc. weißes
Stärkmehl lieferten. Der gewaschene Brei der erstern enthielt ebenfalls sehr viel
Stärkmehl und lieferte bei einem Versuch Sprupe, welche leicht in geistige Gährung
übergingen.
Ich bemerke noch als ein Ergebniß neuer Versuche, daß die Consistenz der von dem Pilz
befallenen Gewebe nach dem Kochen der Kartoffeln mithilft, um mit freiem Auge das
Vorhandenseyn, aber auch die Gränzen des speciellen Verderbnisses beurtheilen zu
können.
Bis jezt besteht die sicherste Verwendung der befallenen Kartoffeln in der Gewinnung
des Stärkmehls; dahin gehört auch noch die Behandlung des Breies mit Diastas oder
Schwefelsäure; endlich wäre die organische Substanz der bei lezteren Operationen
nicht aufgelösten Gewebe zur Fabrication von Pappe und Pakpapier zu verwenden. Diese
Rükstände ließen sich ausgepreßt und an der der Luft getroknet, für Fabriken, welche
sie später erst verbrauchen, leicht aufbewahren.
In dieser Hinsicht ist Frankreich besser daran als die benachbarten Länder, weil die
Krankheit der Kartoffeln weniger entwikelt ist (?) und die Kartoffelstärkefabriken
bei uns zahlreicher und besser eingerichtet sind als irgendwo.
Dritter Artikel.
Die Frage, wie sich die Zukunft unserer Kartoffel-Ernten gestalten wird, ist
vielleicht nur deßwegen von Wichtigkeit, weil man nicht weiß, ob die Ursache schon
seit langer Zeit bei uns vorhanden ist, indem sie, wie einige vermuthen, jedes Jahr
local wirkt, während sie, um zum allgemeinen Uebel zu werden, der Mitwirkung
außergewöhnlicher Witterungs-Einflüsse bedürfte. Statt dieser mehr oder
weniger wahrscheinlichen Hypothese besäße man positive Thatsachen, wenn durch
frühere Beobachtungen die Merkmale des speciellen Verderbnisses, welches sich jezt
über eine große Fläche ausbreitet, genau festgestellt worden wären. Eben damit man
nicht später diesen Mangel genauer Angaben zu bedauern habe, halte ich es für
nüzlich jezt, wo die Ursache noch im Wirken ist, alle die Wissenschaft und Praxis
betreffenden Fragen in Anregung zu bringen. Ich habe in Betracht dieser Fragen
eine neue, in dieser doppelten Beziehung der Aufmerksamkeit würdige Beobachtung
mitzutheilen.
Kann die eigenthümliche Krankheit ohne Vermittlung der in der Luft befindlichen
Stengel und der Wurzeln in die Knollen dringen? Kann sie sich von den afficirten auf
die gesunden Knollen werfen? Einige Beobachter antworten verneinend, andere
bejahend; sollten aber leztere nicht etwa die Fortpflanzung der Fäulniß damit
verwechselt haben, welche nur eine Folge der Krankheit oder des ganz eigenthümlichen
Einflusses ist, den die Temperatur-Erniedrigung im Monat August auf die
Stengel und Knollen übte?
In diesem Zweifel und aller genauen und ins Detail gehenden Beobachtung entbehrend,
stellte ich folgenden Versuch an: zehn von der Krankheit befallene Knollen (patraque jaune) wurden auf einer Platte um zwei gesunde
Knollen einer andern Varietät (vitelotte jaune)
herumgelegt, wovon einer in einer durch die Achse gehenden Ebene durchschnitten
war.
Die Platte wurde unter einer Gloke in einer mit Feuchtigkeit fast gesättigten Luft
auf einer Temperatur von 16 bis 23° R. erhalten. Nach acht Tagen war noch
kein Zeichen von Fortpflanzung wahrzunehmen; vier Tage später war auf der Oberfläche
des durchschnittenen Knollens eine Veränderung sichtbar; diese Oberfläche erschien
troken und weiß wie gepulvertes Stärkmehl. Ich beobachtete dieß in Gegenwart der
HHrn. Decaisne und Melsens,
welche bei mir waren, um sich von den von mir früher angegebenen Thatsachen zu
überzeugen. Wir wiederholten und verglichen die Beobachtungen mittelst dreier
vortrefflicher Mikroskope von Brunner, Chevalier und Oberhäuser. Ich muß hier beifügen, daß Hr. Melsens auf den Gedanken kam, den durch mein Verfahren
ausgezogenen fahl-orangegelben Organismus mit kochender concentrirter
Salzsäure zu behandeln und daß dadurch die Details seines Gefüges bei 1000facher
Vergrößerung der Durchmesser hübscher und deutlicher beobachtet werden konnten.
Auf die Untersuchung des durchschnittenen und 12 Tage lang den vermutheten Einflüssen
der Keimkörner ausgesezten Knollens zurükkommend, bemerke ich, daß die pulverig
aussehenden Stellen wirklich aus Stärkmehl bestanden, welches seiner zelligen Hüllen
entledigt war. Unter dieser weißen trägen Masse fanden sich die Ueberreste der
Zellen wieder. Ueber der weißen Masse und an ihrer Gränze fanden sich wieder
fahl-orangegelbe Organismen, jenen ähnlich, welche mir den Kopf der Pilze zu
bilden scheinen.
Bei diesem Versuche fand der Einfall der Schmarozerpflanze ohne directe Berührung und
nur durch die Bewegung der Luft statt, welche ich durch täglich öfters wiederholtes
Aufheben und Niedersezen der Gloke verursacht hatte. Das Eindringen war das
umgekehrte von dem bei noch in der Erde befindlichen Knollen beobachteten, denn es
fand von der Mitte aus gegen die Peripherie statt.
Die Erscheinung verdient Aufmerksamkeit, daß eine kryptogamische Vegetation, ähnlich
derjenigen, welche die Kartoffeln in den Feldern überfällt, sich an einer
durchschnittenen Kartoffel reproduciren, ihre Säfte örtlich erschöpfen, ihre Zellen
aus ihrem Zusammenhang bringen, das Stärkmehl, ohne es noch zu ergreifen, bloßlegen,
und die Masse in dem Grade pulverig machen kann daß, wenn ähnliche
Vegetations-Erscheinungen nach Belieben hervorgerufen und zur rechten Zeit
wieder ausgehalten werden könnten, sie die Elemente einer vortheilhaften Industrie
bilden würden.
Ein einziges Beispiel der Fortpflanzung unter Kartoffelknollen ist allerdings
unzulänglich; doch trägt es zur Rechtfertigung einer von den in meiner ersten
Mittheilung empfohlenen Vorsichtsmaaßregeln bei und erklärt auch den directen
Einfall der Krankheit ohne Vermittelung der Stengel, welcher von Anderen unter
gewissen Umständen beobachtet wurde.
Um mich zu überzeugen, ob die Fortpflanzung auch ohne den Einfluß großer Feuchtigkeit
stattfinde, umgab ich drei Knollen derselben Varietät, wovon einer in zwei Theile
zerschnitten wurde, mit zwölf stark befallenen Knollen, welche ich den erstern
beinahe bis zur, Berührung nahe brachte; das Ganze wurde mit trokenen Blättern
bedekt und an einen Plaz gestellt, dessen Temperatur zwischen 16 und 24° R.
variirte, aber ohne Wasser zuzusezen; im Gegentheil verschaffte ich dem Dunste durch
einen schwachen Luftzug einen leichten Ausweg; nach 12, selbst nach 15 Tagen war
keine Spur kryptogamischer Vegetation, noch sonst eine Veränderung an den gesunden
Knollen wahrzunehmen.
Diese Beobachtung ist wichtig hinsichtlich der Vorkehrungen, welche man zur
Vermeidung oder Verminderung der Krankheit zu treffen hat.
Anwendung der Kartoffeln und des
Breies.
Eine Menge Thatsachen bestätigen die Ansicht, welche den befallenen Kartoffeln keine
nachtheilige Wirkung auf die Gesundheit zuschreibt, wenn sie keine weitere
Veränderung erlitten haben, so dass ihre Gewebe fest blieben und frei von der
fauligen Gährung. Doch
besizen sie dann einen scharfen Nachgeschmak, welcher nicht schwer zu erklären
ist.
Das krautartige Gewebe unter der Epidermis der Kartoffeln enthält mehrere Substanzen
von widerlichem Geruch und einer gewissen Schärfe; diese Eigenschaften, welche bei
gewissen Varietäten mit rothem Gewebe unter der Epidermis, noch deutlicher
hervortreten, nehmen zu, wenn man die Knollen dem Lichte aussezt; oft erkennt man
sie nicht, so lange die Gewebe unversehrt bleiben; sobald leztere aber
durchdringlicher werden, z. B. nach dem Aufthauen und wie es auch beim Eindringen
und bei der Entwikelung von Flüssigkeiten, Keimkörnern und tryptogamischen
Filamenten nothwendig der Fall seyn muß, dann ergießen sich die Säfte aus dem
krautartigen Gewebe in die darunter liegenden und verursachen den erwähnten
unangenehmen Geschmak.
Hievon abgesehen, schien die Anwendung der Kartoffeln als Nahrungsmittel bisher noch
keine merklichen üblen Folgen nach sich zu ziehen. Ich kann unter jenen, welche
hierüber sehr sorgfältige Versuche angestellt haben und mir ihre Beobachtungen
mittheilten, Hrn. Dr. Merat
und Hrn. Decaisne anführen.
Ueber die Fütterung der Thiere mit denselben wurden viele und entscheidende Versuche
angestellt, nicht nur hinsichtlich der Knollen, sondern auch des Breies; lezterer
enthält in größerem Maaße die kryptogamische Vegetation, welche zwischen den
zusammengehäuften Zellen eingeschlossen bleibt, während das Staͤrkmehl
großentheils aus den Geweben ausgezogen ist. Milchkühe, Hämmel, Schweine wurden ohne
bestimmbaren Nachtheil damit gefüttert.
Aufbewahrung der Ernte.
Alle bisherigen Beobachtungen beweisen, daß die rasche Ausziehung des Stärkmehls das
beste Mittel ist, um Verlust zu vermeiden; leider aber können an vielen Orten nicht
alle befallenen oder zweifelhaften Kartoffeln sogleich zerrieben werden; auch wäre
zu wünschen, daß wenigstens ein Theil derselben zum Futter für das Vieh aufbewahrt
werden könnte.
Es versteht sich, daß bei der Landwirthschaft nur sehr einfache und wohlfeile
Verfahrungsweisen in Anwendung kommen können.
Das gewöhnliche Aufbewahren in Silos wäre eines der schlechtesten Verfahren, denn die
faulige Gährung pflanzt sich, wenn die Knollen mit einander in Berührung stehen,
sogar bis zu den gesundesten sehr schnell fort; sie würde sich also über die ganze
im Silo eingeschlossene Masse verbreiten.
Sieht man sich auch gezwungen die Kartoffeln aufzuhäufeln, so müssen die Haufen
möglichst klein und von einander abgesondert stehen.
Besser wäre es, sie in einer einzigen Schichte auszubreiten, wenn es hiezu nicht an
Raum fehlt.
Wenn die Oberfläche der Kartoffeln einmal troken ist, so sind die ihnen nahe
kommenden Pilze viel weniger Veränderungen unterworfen; zwei- oder
dreitägiges Auslegen an trokener Luft und der Sonne wäre daher von sehr
vortheilhaftem Einfluß auf die weitere Aufbewahrung; ich habe bemerkt, daß ein
vorgängiges Waschen und hierauf Eintauchen in Kalkmilch (welche 5 Proc. Kalk
enthält) dieses Troknen befördert.
Wenn es vorhandene Arbeitskräfte ohne zu große Kosten gestatten, könnte man die
Vortheile der Absonderung und einer constanten Temperatur vereinigen, ohne übermäßig
viel Raum zu brauchen, indem man abwechselnde Schichten von abgesonderten Kartoffeln
und sandiger Erde herstellt, welche leztere die Zwischenräume ausfüllt und oben
darüber eine 9 Linien dike Schicht bildet. Bei diesem Verfahren ließen sich die
vorhandenen Silos benüzen.
Es wurden noch mehrere andere Verfahrungsarten vorgeschlagen und werden von Seite
einer Commission der Akademie geprüft werden.
Hr. Dumas versuchte, von Ansichten ausgehend, welche mit
den Resultaten meiner Untersuchungen übereinstimmen, die Anwendung von Agentien,
welche die stikstoffhaltigen oder eiweißartigen organischen Stoffe und Fermente
fäulnißunfähig machen. Unter den wohlfeilem derselben scheint die ausgebeizte
Gerberlohe sich am besten dazu zu eignen; mit den Kartoffeln abwechselnd in
Schichten gelegt, würde sie den Sauerstoff der Luft absorbiren, so daß er die
Gährung nicht mehr begünstigen kann.
Schweflige Säure (durch Verbrennen von Schwefel bereitet), welche jede Art Gährung
verhindert oder aufhebt, bleichte die einen Augenblik ihrer Einwirkung ausgesezten
kranken Kartoffeln und erhielt sie in gutem Zustande.
Ein unerwartetes Resultat aber, welches bei diesen Versuchen beobachtet wurde,
verdient sogleich mitgetheilt zu werden, um den Landwirthen Täuschungen zu ersparen.
Unter den antiseptischen (fäulnißwidrigen) Mitteln nämlich wurde von mehreren, die
aber wahrscheinlich keine Versuche damit angestellt hatten, das sonst der Ernährung
so zuträgliche Kochsalz angerathen. Hr. Dumas, welcher
die Wirkung
desselben auf die angegriffenen Kartoffeln sogleich ermittelte, fand aber, daß diese
Substanz in schwachem Verhältniß angewandt, die Fäulniß der befallenen Kartoffeln
außerordentlich beschleunigt.
Unter die Nebenursachen des Verderbens der Kartoffeln gehören auch die Angriffe
mehrerer Insecten; doch spielen hiebei nicht alle dieselbe Rolle. Hr. Rayer machte der
Central-Akerbau-Gesellschaft eine Mittheilung über die Insecten,
welche er am öftesten um die schon ergriffenen Kartoffeln herum thätig fand. Aus
seinen und Guérin-Méneville's Beobachtungen geht
hervor, daß das gewöhnlichste Insect der Julus
guttulatus, ein Tausendfuß, Vielfuß, ist, welcher auch sonst alle Früchte
und Pflanzenproducte angreift; ein anderes gehört einer bedeutenden Gruppe an, deren
zahlreiche Species bemüht sind die Pilze und Kryptogamen überhaupt zu zerstören; ein
drittes endlich schien die Larve eines der Coleoptera
brachelytra zu seyn, welche alle Fleischfresser sind. Nun findet man in den
Pilzen und an dunkeln Orten, wo Kryptogamen wachsen, sehr viele Species der brachelytra die sich daselbst von den sich hier
entwikelnden und unter den Pilzen lebenden Insecten nähren.
In demselben Hefte der Comptes rendus theilt Hr. Payen mit, daß einem von dem Hrn. Frémy, Vater, der königl. Akerbau-Gesellschaft des
Seine-Oise-Departements erstatteten Bericht zufolge drei
Commissions-Mitglieder 8 Tage lang verdorbene Kartoffeln genossen, von
welchen nur der kranke Theil ausgeschnitten worden war, ohne irgend eine üble Folge
zu verspüren. Dasselbe thaten die Arbeiter mehrerer Pachthöfe. — Auf dem
Pachthof Millerat wurden ferner 10 Tage lang vier Hämmel mit verdorbenen, rohen
Kartoffeln ohne alle Vorsichtsmaaßregeln gefüttert; sie befanden sich wohl, drei
nahmen an Gewicht zu, der vierte blieb sich gleich. Auf einem andern Hofe fraßen
vier Hämmel seit 10 Tagen verdorbene Kartoffeln in gedämpftem Zustande und befanden
sich wohl. Zwei Kaninchen fraßen 20 Tage lang verdorbene Kartoffeln, deren
krankhafter Theil nicht entfernt worden war. Sie wurden nicht nur nicht krank,
sondern nahmen noch an Fett zu.