Titel: Ueber die quantitative Bestimmung der reinen Essigsäure im käuflichen Essig und in den Weinen; von J. L. Lassaigne.
Fundstelle: Band 99, Jahrgang 1846, Nr. XXXI., S. 133
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XXXI. Ueber die quantitative Bestimmung der reinen Essigsäure im käuflichen Essig und in den Weinen; von J. L. Lassaigne. Aus dem Journal de Chimie médicale, Nov. 1845, S. 571. Lassaigne, über die quantitative Besimmung der Essigsäure in Essig und Wein. Das gewöhnliche Verfahren bei der Analyse des Essigs besteht darin, die Quantität des wasserfreien kohlensauren Natrons, welche der Essig zu seiner vollkommenen Sättigung erfordert, genau zu bestimmen. Dieses Verfahren hat indessen nicht jenen Grad von Genauigkeit, welchen es zu gewähren scheint, indem die Wein- und andern Essige immer saure Salze oder fixe Säuren enthalten, welche ebenfalls einen Antheil des alkalischen Salzes sättigen. Zieht man daher von der zur Sättigung gebrauchten Menge kohlensauren Natrons die Quantität ab, welche die im Essig enthaltene Essigsäure wirklich sättigt, so findet man, daß die für diese reine Säure gefundene Zahl etwas zu hoch ist. Die Versuche, welche ich anstellte, um zu einem genauern Resultate zu gelangen, führen, wie ich glaube, der Wahrheit näher. Das sehr einfache Verfahren, welches ich vorschlage, besteht darin, mit derselben alkalischen Flüssigkeit von bekanntem Gehalt zwei Sättigungen nach einander vorzunehmen, eine nämlich mit einem bekannten Volum Essigs, die andere mit dem Rückstand vom Abdampfen desselben Volums Essig. Begreiflicherweise entspricht dann, wenn die Menge des zum Sättigen dieses Rückstandes verbrauchten Alkali's von der Alkali-Quantität abgezogen wird, welche der nicht abgedampfte Essig sättigte, die Differenz genau dem von der reinen Essigsäure gesättigten Alkali. Hier ein Beispiel. Ich sättigte eine mir zugestellte Essigprobe mit einer Flüssigkeit, welche in 100 Kubikcentimetern destillirten Wassers 5 Gramme reinen wasserfreien kohlensauren Natrons enthielt. 1 Deciliter dieses Essigs erforderte 6,50 Gramme trockenen Alkali's zur Neutralisation. Der Rückstand vom Abdampfen 1 Deciliters desselben Essigs (bei gelinder Wärme) wurde mit derselben Flüssigkeit neutralisirt und erforderte nur 0,55 Gramme trockenes Alkalisalz. Obige 6,50 Gramme Alkali repräsentiren 7,22 reine Essigsäure mit 1 Atom Wasser. Zieht man von 6,50 Grammen aber 0,55 Gramme ab, so bleiben 5,95 Gr. Alkali übrig, die zur Sättigung der reinen Essigsäure erforderlich waren, welche folglich 6,53 Gramme reiner Säure in 1 Deciliter Essig repräsentiren. Letztere Zahl differirt von der erstern um 0,69 Gramme. Dasselbe Verfahren läßt sich auch bei der Analyse der Weine anwenden. Es handelt sich öfters darum, den Gehalt der in alten Weinen enthaltenen freien oder nur zum Theil gebundenen Säuren zu bestimmen. Unter den freien Säuren im Weine präexistiren einige schon während der geistigen Gährung gebildet, die andern aber sind ein Product der darauf folgenden sauren Gährung. Sehr oft muß man sich nothwendig überzeugen, ob der Säuregehalt eines Weins im Vergleich mit andern Weinen schon zur Zeit seiner Bereitung vorhanden war, oder das Product einer Veränderung des Weins an der Luft ist, welche ihn zum Theil in Essig umwandelte. Obiges Verfahren der zweimaligen Sättigung eignet sich hiezu vollkommen. Alle gewöhnlichen Weine, wenige ausgenommen, enthalten eine geringe Menge Essigsäure; ich überzeugte mich davon durch Prüfung eines guten Bordeaux-Weins. Dieser Wein erforderte per Deciliter 11,5 Kubikcentimeter obiger alkalischen Flüssigkeit; der Rückstand vom Abdampfen der gleichen Menge Weins sättigte nur 10 Kubikcentimeter derselben Flüssigkeit. Die Differenz = 1,5 Kubikcentimeter entspricht der alkalischen Flüssigkeit, welche von der kleinen Menge Essigsäure gesättigt wurde, die mit den andern flüchtigen Bestandtheilen des Weins verdampft war. Da nun die alkalische Flüssigkeit in 100 Kubikcentim. 5 Gramme wasserfreien kohlensauren Natrons enthält, so sind in 1,5 Kubikcentimeter, welche zur Sättigung des sauren Weinextracts erforderlich waren, 0,075 Gr. enthalten. Nach obigen Berechnungen mußten aber 0,075 Gr. kohlensaures Natron 0,083 Gr. reine concentrirte Essigsäure sättigen, welche Menge in dem geprüften Deciliter Weins enthalten war. Dieses Resultat entspricht 8/10000 Essigsäure in diesem Wein, d. i. ungefähr dem fünften Theil derjenigen, welche in vollkommen sauer gewordenen oder in guten Essig übergegangenen Weinen enthalten ist. Ich bediente mich dieses Verfahrens, um bei demselben Wein den Säuerungsgrad zu ermitteln, welchen er nach mehr oder Weniger langer Zeit unter dem Einfluß der Luft und einer Temperatur von 12–14½° R erlangen kann. Nach 8 Tagen war in einer Flasche, welche dem Maaße nach dreimal so viel atmosphärische Luft als Wein enthielt, die Essigsäure um das Dreifache, also auf 24/10000 gestiegen; nach 16 Tagen um das Fünffache oder auf 40/10000; nach 24 Tagen um das Sechsfache oder auf 48/10000. Von welchem Nutzen solche Versuche zur Lösung täglich vorkommender Fragen sowohl, als insbesondere zum Studium des Sauerwerdens der Weine und der Essigbildung werden können, ist einleuchtend.