Titel: | Verfahren zur Bereitung der explodirenden Baumwolle; von Professor Otto. |
Autor: | Friedrich Julius Otto , Otto |
Fundstelle: | Band 102, Jahrgang 1846, Nr. XXIX., S. 153 |
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XXIX.
Verfahren zur Bereitung der explodirenden
Baumwolle; von Professor Otto.
Otto's Verfahren zur Bereitung der explodirenden
Baumwolle.
Die Hannover'sche
Zeitung vom 6. und 9. Oct. d. J. enthält über diesen
wichtigen Gegenstand folgende Artikel:
„Braunschweig, den 5. Oct. – Vollkommen unabhängig von Schönbein und Böttger, auf
eine Beobachtung von Pelouze fußend, ist es mir
gelungen, eine explodirende Baumwolle darzustellen, welche, nach den damit
vorgenommenen Versuchen, in der That ganz geeignet erscheint, das Schießpulver
zu ersetzen.Ueber die Eigenschaften der von Schönbein
entdeckten explodirenden Baumwolle vergleiche man die Miscelle im
vorhergehenden Heft des polytechn. Journals S. 86, wo wir auch auf die
wahrscheinliche Analogie dieser Substanz mit dem durch Einwirkung von
Salpetersäure auf Baumwolle entstehenden Xyloidin hinwiesen. A. d.
R. Um die Resultate wichtiger Entdeckungen so schnell, als es zu wünschen,
auf die höchste Stufe der Vollkommenheit zu bringen, scheint es mir nothwendig,
dieselben sofort der Oeffentlichkeit zu übergeben, damit viele andere sich mit
denselben beschäftigen können. Ich verschmähe es deßhalb, die von mir gemachte
höchst interessante Entdeckung, deren Folgen im Augenblicke gar nicht abzusehen
sind, zu verkaufen oder patentiren zu lassen, und bringe sie hiemit zur
allgemeinen Benutzung des Publicums.
Zur Darstellung der explosiven Baumwolle wird gewöhnliche, gut gereinigte Baumwolle
ungefähr eine halbe Minute lang in höchst concentrirte Salpetersäure getaucht (die
Säure welche ich benutze, ist durch Destillation von 10 Theilen getrockneten
Salpeters und 6 Th. Vitriolöl bereitet), dann sofort in oft zu erneuerndes Wasser
gebracht, um sie darin von der anhängenden Säure völlig zu befreien, wobei Sorge zu
tragen, daß die fester zusammenhängenden Theilchen gehörig entwirrt werden, und
hierauf stark getrocknet. Das explosive Präparat ist dann fertig.
Die Wirkungen desselben erregen Staunen bei Jedem, der sie sieht. Die kleinste Menge
desselben explodirt, wenn sie auf einem Amboß mit dem Hammer geschlagen wird, wie
Knallquecksilber; mit einem glimmenden Körper entzündet, brennt es wie Schießpulver
ab; und im Gewehr leistet es, in weit kleinerer Gewichtsmenge, vollkommen das, was
Schießpulver leistet.
Man wendet die explosive Baumwolle genau so an, wie Schießpulver. Man macht aus
derselben einen Pfropf, stößt diesen in den Lauf, setzt einen Papierpfropf und dann
die Kugel auf. Die Explosion des Zündhütchens bringt die Baumwolle zum
Explodiren.
Ohne Ausnahme sind alle, welche den von mir angestellten Versuchen beigewohnt haben,
auf das vollständigste befriedigt worden, kein Aber hat sich hören lassen. Das unten
gegebene Zeugniß ausgezeichneter, mit dem Gewehr vertrauter Männer mag meine
Aussagen unterstützen.
Indem ich nun diese wichtige Entdeckung gleichzeitig Deutschland, Frankreich,
England, Rußland, Amerika, überhaupt der allgemeinsten Benutzung übergebe, wünsche
ich, daß dieselbe recht bald auf die höchste Stufe der Vollkommenheit gebracht
werden möge, und hoffe ich vertrauensvoll, daß die höchsten und hohen Souveräne und
Regierungen geruhen werden, mir das zu geben, was ich als Chemiker ein Aequivalent
nennen will.
Die geehrten Redactionen inländischer und ausländischer Zeitschriften werden mich
durch Verbreitung dieses Aufsatzes sehr verpflichten. Braunschweig, den 5. Oct. 1846. Dr. Otto,
Medicinal-Assessor und Professor der Chemie.
Zeugniß: „Gestern, am 4. Oct., haben wir den
ersten Versuchen mit explodirender Baumwolle im hiesigen Laboratorio beigewohnt,
heute von den vollkommen befriedigenden Resultaten mit Schießgewehr und scharfer
Ladung uns überzeugt. Braunschweig, den 5. Oct. 1846. Hartig, Dr., Forstrath. A. v. Schwarzkoppen, Ober-Förster.“
Braunschweig, den 9. Oct. – Die Fortschritte in der Bereitung der explosiven
Baumwolle, welche innerhalb dreier Tage in meinem Laboratorium gemacht worden sind,
berechtigen zu den schönsten Hoffnungen. Ich will sie in Folgendem mittheilen. Es
scheint, als ob nur die concentrirte rauchende Salpetersäure, wie man sie durch
Destillation von zehn Theilen Salpeter und sechs Theilen Vitriolöl erhält, die
Baumwolle explosiv machen könne; Salpetersäurehydrat macht die Baumwolle zu einem
Brei zergehen, und gibt kein gutes Resultat, nach den bisherigen Versuchen. Auch
rauchende Salpetersäure, welche die Baumwolle in eine breiige Masse verwandelt,
scheint unbrauchbar. In wirksamer Säure wird die Baumwolle durchscheinend, behält
aber vollkommen ihren Zusammenhang. Am wirksamsten ist der bei der Destillation
zuerst übergehende Antheil – ein wichtiger Fingerzeig für das
Darstellungsverfahren! Taucht man, wie in der früheren Mittheilung angegeben, in
diesen die Baumwolle eine halbe Minute lang, preßt man sie dann rasch zwischen
Glasplatten oder Holzplatten aus, und wäscht man sie hierauf bis zur vollständigen
Entsäurung, so erhält man nach dem Trocknen ein äußerst kräftiges explosives
Product. Versucht man nun in der schon benutzten Säure andere Partien Baumwolle
explosiv zu machen, so würde dieß Product schwächer. Behandelt man aber dieses
schwächere Product nach dem Auswaschen und Trocknen von neuem mit der Säure, so
resultiren ausgezeichnete Producte. Man kann also das Präparat durch wiederholtes
Eintauchen in die Säure verstärken. Die Zeitdauer der Behandlung mit Säure scheint
nicht in so enge Gränzen eingeschlossen werden zu müssen, als ich anfangs glaubte;
denn Baumwolle, welche 12 Stunden in der Säure gelegen, war sehr explosiv geworden.
Von sehr großer Bedeutung ist das sorgfältige Auswaschen; die letzten Antheile der
Säure lassen sich nur höchst schwierig entfernen. Bleibt in dem Präparat Säure
zurück, so riecht es nach dem Trocknen salpeterig, und gibt beim Abbrennen auf einem
Porzellanteller einen sauren Anflug. Das lebhafte Abbrennen eines Kügelchens der
explosiven Baumwolle auf einem Porzellanteller ist übrigens das Kriterium der Güte.
Berührt man das Kügelchen mit einem glimmenden Spane, so muß es wie Schießpulver aufblitzen, ohne einen
Rückstand zu hinterlassen; erglimmt es langsam, läßt es Kohlen, so ist das Präparat
untauglich, um im Gewehr benutzt zu werden. Von nicht minder großer Bedeutung
scheint es zu seyn, daß die Baumwolle, nachdem sie in die Säure getaucht und durch
Pressen von dem Ueberschuß an Säure befreit ist, sofort in einer großen Menge
Wassers auf das schnellste zertheilt werde. Die Operation gelingt deßhalb am besten
mit kleinen Portionen. Bringt man die mit Säure getränkte Baumwolle, um sie zu
waschen, in wenig Wasser, so erhitzt sie sich; es bilden sich, besonders bei
größeren Mengen, feste Klumpen, gewöhnlich von grünlicher oder bläulicher Farbe, die
sich äußerst schwer zertheilen lassen, und weit weniger wirksam erscheinen. Man kann
sagen, daß das Product um so besser sey, je weniger es sich im Aeußern von
gewöhnlicher Baumwolle unterscheidet.
Ein gut bereitetes Präparat besitzt, ich wiederhole es nochmals, höchst merkwürdige
Eigenschaften, und ist im höchsten Grad explosiv. Mit 5/4 bis 6/4 Gran (dem
vierzigsten Theil eines Quentchens) sind Kugeln von gut 1/3 Zoll Durchmesser aus
einem Taschenpistol durch zollstarke Bretter getrieben worden; mit 6 Gran (dem
zehnten Theil eines Quentchens) wurde eine Büchsenkugel auf 45 Schritt Entfernung
einen Zoll tief in eine eichene Bohle getrieben, und mit 4–5 Gran sind die
vortrefflichsten Schrotschüsse aus einem Jagdgewehr gethan worden. Ich gebe diese
Gewichtsmengen als ungefähre Anhaltspunkte bei der Benutzung. Je lebhafter das
Präparat beim Versuche abblitzt, je weniger Rückstand es hinterläßt, desto besser
ist es, desto vorsichtiger sey man bei der Anwendung. Mir ist durch eine Ladung von
anderthalb Gran eines äußerst kräftigen Präparats der messingene Lauf eines kleinen
Terzerols zerschmettert worden, glücklicher Weise ohne daß Unglück daraus
entstand.
Wie ich schon in der ersten Mittheilung angab, bin ich durch eine ältere Beobachtung
von Pelouze auf die fragliche Entdeckung gekommen,
nachdem die Zeitungen veröffentlicht hatten, daß es Schönbein und später Böttger gelungen,
explosive Baumwolle darzustellen. Dieselbe ist in meinem Lehrbuch der Chemie (2.
Aufl. II, 1. S. 136) mit folgenden Worten, nach Graham mitgetheilt: „Die
concentrirteste Salpetersäure übt auf gewisse organische Substanzen, z.B. auf
Holzfaser und Stärkmehl, eine kurze Zeit hindurch keine heftige Wirkung aus,
sondern vereinigt sich mit denselben, und bildet eigenthümliche Verbindungen.
Taucht man Papier eine Minute lang in die höchst concentrirte Säure, und wäscht
man es dann in Wasser, so findet man, daß es etwas aufgequollen, und fast so zäh
wie Pergament geworden ist; nach dem Trocknen zeigt es sich sehr entzündlich,
es fängt schon bei 180° C. Feuer, und verbrennt ohne Geruch nach
salpetriger Säure (Pelouze).“ Ich theile
diese Worte mit, damit man erkenne, daß von Pelouze keine
weitere Anwendung dieser Beobachtung gemacht worden ist. Wenn Schönbein's Präparat mit dem meinigen identisch
ist, so gebührt diesem Chemiker die Ehre, zuerst die Beobachtung von Pelouze technisch wichtig gemacht zu haben, denn sowohl
Böttger als ich sind erst durch Schönbein's Resultat veranlaßt worden, uns mit
dem Gegenstand zu beschäftigen. Ich nehme das Verdienst in Anspruch, das Verfahren
zur Bereitung eines explosiven Präparats, von dem ich durchaus nicht weiß, ob es
dasselbe ist, was Schönbein und Böttger dargestellt haben, wenn auch nur in den ersten Anfängen, behufs
möglichst schneller Vervollkommnung veröffentlicht zu haben.
Professor Otto.