Titel: Bericht des Hrn. Saulnier über Hrn. Faivre's neue Anwendung gekuppelter Dampfmaschinen in Zuckerraffinerien zum Aufziehen der Formen etc.
Fundstelle: Band 102, Jahrgang 1846, Nr. LXXXII., S. 417
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LXXXII. Bericht des Hrn. Saulnier über Hrn. Faivre's neue Anwendung gekuppelter Dampfmaschinen in Zuckerraffinerien zum Aufziehen der Formen etc. Aus dem Bulletin de la Société d'Encouragement, Jul. 1846, S. 389. Mit Abbildungen auf Tab. VI. Saulnier, über Faivre's Anwendung gekuppelter Dampfmaschinen in Zuckerraffinerien. Die Maschine des Hrn. Faivre, Civilingenieur in Paris (rue des Marais Saint-Martin, No. 64), befindet sich in der Zuckerraffinerie des Hrn. Delessert zu Passy. Es ist bekannt, daß man in den Zuckerraffinerien eine große Anzahl Zuckerhüte, Formen etc. in die verschiedenen Stockwerke des Hauptgebäudes schnell transportiren können muß. Früher wurde diese Arbeit sehr mühsam durch Menschenhände verrichtet; seit einigen Jahren wandte man dazu eine Art Paternoster- oder Eimerwerke an, die mit der Noria Aehnlichkeit hatten und durch eine Dampfmaschine in Bewegung gesetzt wurden. In einigen Localitäten, wo die Dampfmaschine nicht bequem gelegen war, wurde die Transmission der Bewegung complicirt und kostspielig, und diese Uebelstände sind es, welchen Hr. Faivre abhelfen wollte. Seine Maschine, welche in der obersten Etage des Gebäudes aufgestellt ist, besteht aus zwei Dampfcylindern, welche an den Seiten eines gußeisernen Gestelles angebracht sind. Die Kolben theilen ihre Bewegung mittelst zweier Bleuelstangen zweien Kurbeln mit, die unter einem rechten Winkel auf die Enden einer Achse aufgekeilt sind, welche eine Seiltrommel trägt. Von dieser Trommel herab geht ein Seil in die tiefer gelegenen Stockwerke, so daß mittelst desselben die verschiedenen Gegenstände in die Höhe gezogen werden können. Die Dampfvertheilung hat auf die nämliche Weise wie bei den älteren Locomotiven statt, bei welchen weder Expansion noch Vorlaufen oder Voreilen des Schiebers angewandt wurde. Aus der Anordnung des Hrn. Faivre geht hervor, daß der Arbeiter, welcher die Maschine dirigirt, mittelst eines einzigen Handgriffes im Stande ist, die Maschine augenblicklich stille zu stellen oder eben so leicht rückwärts gehen zu lassen. Diese Leichtigkeit in der Handhabung der Maschine war nothwendige Bedingung für den Zweck, welchen Hr. Faivre erreichen wollte; es sollte nämlich jeder Zuckerhut mit der größten Schnelligkeit auf irgend eine verlangte Höhe gehoben und dann das Seil etwas nachgelassen werden können, damit die Schnüre, womit der Zuckerhut an das Hauptseil befestigt ist, nicht mehr gespannt sind, und derselbe deßhalb leicht abzunehmen ist; endlich sollte die Bewegung einen Augenblick unterbrochen werden können, damit der Arbeiter, welcher die Hüte abnehmen muß, diese Arbeit leicht verrichten kann. Hr. Faivre macht darauf aufmerksam, daß die Schwungräder, welche bei stationären Dampfmaschinen angewandt werden, den doppelten Nachtheil haben, daß sie einen beträchtlichen Theil der Triebkraft absorbiren, und nicht plötzlich stille gestellt, noch viel weniger augenblicklich in entgegengesetzter Richtung in Gang gebracht werden können, was zuweilen nothwendig ist. Ueberzeugt, daß man in manchen Fällen das Schwungrad entbehren und folglich Kraft oder Brennmaterial ersparen kann, vermied Hr. Faivre bei den gekuppelten Maschinen, welche er für die Zuckerraffinerie des Hrn. Delessert in Passy construirte, die Anwendung des Schwungrades. Diese Maschinen dienen dazu, entweder große Zuckerhüte von einem durchschnittlichen Gewichte von 75 Kilogr., oder ganze Kisten, welche mit kleineren Zuckerhüten gefüllt sind (von 200–300 Kilogr. Gewicht), in höher gelegene Stockwerke zu schaffen und haben die merkwürdige Eigenschaft, daß ihr Gang plötzlich unterbrochen, und die Kolbenbewegung augenblicklich in die entgegengesetzte verwandelt werden kann. Fig. 22 ist eine Seitenansicht der Maschine. Fig. 23 eine Ansicht von vornen. Fig. 24 ein horizontaler Durchschnitt durch die Mitte der Cylinder. Fig. 25 die Excentricumsstange und der Mechanismus, welcher die Schiebventile bewegt. A, A zwei Dampfcylinder, welche außerhalb an den beiden Seitentheilen eines gußeisernen Gestelles B angebracht sind. B' gußeiserne Fundamentplatte, worauf der ganze Apparat aufliegt und dauerhaft befestigt ist. Die Kolbenstange C, C theilen ihre Bewegung mittelst der Zugstangen C', C' und der Kurbeln E, E der Triebachse D mit. Die Kurbeln stehen unter einem rechten Winkel zu einander, und sind ihrer Verstärkung wegen in einen mit noch zwei Armen versehenen Ring E' eingegossen. F' Seiltrommel auf der Achse D. Es wickelt sich auf dieselbe ein Seil, das bis in die unteren Stockwerke hinabreicht, um da die gefüllten Formen aufzunehmen, welche auf eine Platte gestellt werden, die durch Stricke an das Hauptseil befestigt ist. Die Formen dürfen während des Hinaufziehens nicht schwanken, weil sonst der Syrup verschüttet würde. Die Last wird deßhalb mit der größten Schnelligkeit auf die gewünschte Höhe gehoben; hierauf läßt man sie ein wenig nieder, so daß die Platte dann auf dem Fußboden des höheren Stockwerkes aufliegt; in diesem Zustande sind die Stricke, welche die Platte mit dem Hauptseile vereinigen, schlaff. Die Maschine wird dann eine kurze Zeit stille gestellt, so daß man Zeit hat die Formen wegzuschaffen; ist dieß geschehen, so läßt man die Maschine rückwärts gehen, damit sich das Seil von der Trommel abwickelt und die Platte also wieder in das tiefer liegende Stockwerk hinabsinkt, wo sie alsdann von Neuem mit Formen vollgestellt wird. Um die Maschine rückwärts gehen zu lassen, bewegt der Maschinenwärter den Handgriff G, welcher auf halbe Mannshöhe angebracht und auf der tiefer liegenden Achse H befestigt ist. An den beiden Enden der Achse befinden sich die gabelförmig geschlitzten Hebel I. Durch die Bewegung des Handgriffes können nun die Hebel I in irgend eine gewünschte Lage gebracht werden, und durch dieselben wird dann auch die Stellung der Dampfschieber J bedingt. Die Hebel I sind durch einen Ring d, welcher sich auf der Gabel der Hebel befindet, mit dem unteren Ende der Excentricumsstangen L beweglich verbunden. Die Excentricumsstangen selbst haben eine doppelte Gabel K in Form zweier Schwalbenschwänze. Bewegt man nun die Hebel von oder gegen sich, so bringt man die Gabeln der Excentricumsstangen mit dem einen oder dem andern Daumen b, b in Berührung, welche sich an den Enden eines doppelarmigen Hebels M befinden. Hieraus geht hervor, daß die Dampfschieber bald durch den einen dieser Daumen, bald durch den andern bewegt werden; und da der Drehungspunkt des doppelarmigen Hebels M in c liegt, so ist klar, daß die Bewegung der Daumen und folglich diejenige der Dampfschieber, in die entgegengesetzte verwandelt werden kann. Je nachdem nun der Maschinenwärter den Handgriff G von sich weg oder gegen sich bewegt, verändert er auch, und zwar hiedurch allein, die Lage der Hebel I, die Lage der doppelarmigen Hebel M und die der Dampfschieber, so daß dadurch die Maschine entweder vorwärts oder rückwärts in Gang gesetzt wird. Die Bewegung des Handgriffes G wirkt zugleich auf beide Dampfkolben und folglich auf die Kurbeln und die Achse der Seiltrommel. Will man die Maschine stille stellen, so darf man den Handgriff nur in der Mitte der beiden Lagen erhalten, welche in Fig. 22 angedeutet sind. Fig. 23 und 25 zeigen die Form und die Maaße der mit Gabeln versehenen Excentricumsstangen, eben so die Art und Weise, wie dieselben mit den geschlitzten Hebeln I verbunden sind. Die Excentricumsstangen sind für beide Maschinen ganz gleich; nur die gußeisernen Kreisexcentrica N, welche sie in Bewegung setzen und die mit den Naben der Kurbeln E aus einem Stücke gegossen wurden, sind je nach der Lage der Krummzapfen auf der Achse verseht, so daß sie mit letzteren einen rechten Winkel einschließen. Hr. Faivre fügt noch hinzu, daß man in mehreren Fällen die Maschine schneller gehen lassen kann, als wenn sie mit einem Schwungrade versehen wäre. So bewegen sich zum Beispiele die Kolben der in oben genannter Raffinerie befindlichen gekuppelten Maschine mit einer Geschwindigkeit von 2 Meter in der Secunde, und dennoch kann die Maschine plötzlich stille gestellt, oder in entgegengesetzter Richtung in Gang gesetzt werden. Solche Maschinen könnten überhaupt sehr rasch Arbeiten ausführen, welche gewöhnlich mühsam und zeitraubend sind, wie z.B. das Aufziehen der Getreide- oder Mehlsäcke in Mühlen, oder der mit Erz oder Kohlen gefüllten Hunde in Bergwerken etc.; auch könnten durch dieselben Lasten auf schiefen Ebenen bewegt werden u.s.f. Bei Maschinen für Locomotiven und Dampfboote finden, obgleich sie kein eigentliches Schwungrad haben, doch andere Bedingungen statt als bei der gekuppelten Maschine von Faivre. Bei diesen Fahrzeugen vertritt die große Masse die Stelle des Schwungrades und es ist deßhalb unmöglich, sie plötzlich stille zu stellen oder gar in rückgängige Bewegung zu versetzen. Ihre Geschwindigkeit muß zuerst nach und nach verringert werden, ehe sie in den Zustand der Ruhe versetzt oder in entgegengesetzter Richtung bewegt werden können. Bei den gekuppelten stehenden Maschinen ohne Schwungrad ist dieß jedoch nicht der Fall, und sie können deßhalb plötzlich stille gestellt werden oder rückwärts laufen.

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