Titel: | Ueber einen neuen Saitenmesser, von J. B. Streicher, k. k. Hof-Fortepiano-Verfertiger in Wien. |
Fundstelle: | Band 109, Jahrgang 1848, Nr. XIX., S. 112 |
Download: | XML |
XIX.
Ueber einen neuen Saitenmesser, von J. B. Streicher, k. k.
Hof-Fortepiano-Verfertiger in Wien.
Aus Böttger's polytechn. Notizblatt, 1848 Nr.
2.
Mit Abbildungen auf Tab.
III.
Streicher, über einen neuen Saitenmesser.
Die Berechnung der Saiten-Längen und Dicken ist bei den Clavieren sehr
verschieden, und hängt sowohl von der mehr oder minderen Güte des Saitenmaterials,
als den nicht übereinstimmenden Ansichten der Instrumentenmacher ab. Darin kommen
jedoch alle Instrumentenmacher überein, daß zur Hervorbringung eines und desselben
Tones auf einem Instrumente, dasselbe auch immer mit Saiten von ganz gleicher Dicke
bezogen seyn müsse, wenn der Ton nicht unrein klingen soll.
Aus diesem Grunde wird auch in der Regel jedes neue, aus der Hand des
Instrumentenbauers hervorgehende Instrument richtig besaitet seyn, und deßhalb nie
einer Nachmessung bedürfen, wenn nicht früher oder später durch Zufall oder durch
übermäßig starkes Spiel, mehr oder weniger Saiten sprängen, und durch neue ersetzt
werden müßten.
Um für solche Fälle den Stimmer in den Stand zu setzen, wieder gleich dicke Saiten
aufziehen zu können, bezeichnen die Instrumentenmacher ihre Claviere an jenen
Stellen, wo die Dicke der Saite wechselt, mit den betreffenden Nummern der
aufgezogenen Saiten.
So zweckmäßig eine solche Bezeichnung auch scheint, so wird sie dennoch nicht selten
durch den Umstand nutzlos, daß die Saitenfabrikanten nicht nur verschieden
numeriren, sondern auch bei gleicher Numerirung, die entsprechenden Dicken selten
genau einhalten, wodurch dann in zweifelhaften Fällen — da die bisherigen
Saitenmesser zur Messung aufgespannter Saiten nicht
eingerichtet sind — der Stimmer nothgedrungen lediglich sein Augenmaaß über
die gleiche Dicke der Saiten entscheiden lassen muß.
Um diesem Uebelstande zu begegnen, und auch den feinsten Spinndraht — was bei den bisherigen Saitenlehren nicht möglich
gewesen — verläßlich messen zu können, habe ich
den in Fig.
47–49 in seiner natürlichen Größe und in drei verschiedenen Ansichten
abgebildeten Saitenmesser nach meiner Angabe verfertigen lassen. Er zeigt jede
Saitendicke in 73facher Vergrößerung. Um Saiten auf dem Claviere zu messen, faßt
man, gleich einem Cirkel, den Messer an der unter dem Zifferblatte befindlichen
Einkerbung a, und steckt während des Aufdrückens, die Spitzen b bei verticaler Haltung des Messers so tief in die zu
messende Saite, bis der Saitenmesser auf dem die Spitzen durchkreuzenden Querstift
c aufsteht. Das Zifferblatt hat, wie aus der Figur
zu ersehen, einen doppelten Kreis, dessen äußerer von 0 bis 60, der innere aber von
60 bis 120 Grade zeigt, und welch innerer Kreis für die zweite Umdrehung des Zeigers
gilt.
Ich habe das Zifferblatt aus dem Grunde in Grade theilen lassen, weil — wie
schon erwähnt — die Numerirung der Saitenfabrikanten verschieden ist, und
unter sich nicht stimmt. Es wird jedoch jedem Besitzer eines meiner Saitenmesser
leicht seyn, sich eine Reductions-Tabelle zu verfertigen, nach welcher er z.
B. augenblicklich sehen wird, daß z. B. 28 Grade mit Nr. 4/0 Wiener oder Nr. 16
englisch Saitenmaaß gleich sind.
Ohne in Abrede zu stellen, daß man, um die Dicken aufgezogener Clavier-Saiten
zu ermitteln, Saitenmesser in einfacherer Weise, billiger herstellen könne, so
glaube ich doch kaum, daß in anderer Art, Messungen bis auf die geringsten Dicken mit so großer Genauigkeit möchten
vorgenommen werden können, und eine so bequeme Handhabung des Werkzeuges gestatten
dürften.
Da endlich der geschickte hiesige Uhrmacher, Hr. Anton Zwach ähnliche nach meiner Angabe verfertigte Saitenmesser um 6 fl.
C.-M. zu liefern bereit ist, so bedarf es wohl nur der Bekanntwerdung des
fraglichen Instrumentes, um viele Stimmer und Instrumentenmacher, welche auf
vollkommene Werkzeuge doch noch Werth legen, zur Anschaffung zu veranlassen.