Titel: | Verfahren die relative Tauglichkeit des Weizenmehls zum Brodbacken mittelst des Aleurometers zu bestimmen, eines von dem Bäckermeister Boland in Paris erfundenen Instruments. |
Fundstelle: | Band 111, Jahrgang 1849, Nr. XXIV., S. 117 |
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XXIV.
Verfahren die relative Tauglichkeit des
Weizenmehls zum Brodbacken mittelst des Aleurometers zu
bestimmen, eines von dem Bäckermeister Boland in Paris
erfundenen Instruments.
Aus dem Bulletin de la Société
d'Encouragement, Nov. 1848, S. 704.
Mit Abbildungen auf Tab.
III.
Boland's Verfahren die Tauglichkeit des Weizenmehls zum Brodbacken
mittelst des Aleurometers zu bestimmen.
Die Bäcker in Paris sind von den Müllern abhängig und erhalten daher von denselben
oft ein unvollkommenes, verfälschtes, verändertes Product, besonders seitdem das amerikanische Mahlsystem das ältere verdrängt hat; bei letzterm vermochten die Bäcker wenigstens das
erzeugte Mehl ziemlich sicher durch das bloße Gefühl zu Probiren. Der griesige Theil
des Getreides, welcher bei dem älteren Mahlsystem nicht zermalmt wurde, rollte unter
ihren geübten Fingern und war für sie ein sicheres Anzeichen, daß das Getreide nicht
öfter als nöthig aufgeschüttet und überhaupt so vermahlen worden war, daß sich nicht
zuviel Wärme entbinden konnte. Bei dem jetzt gebräuchlichen amerikanischen
Mahlsystem wird aber das Getreide gleichmäßig zertheilt und beinahe in ein
unfühlbares Pulver verwandelt, wo dann das Mehl allerdings leichter zu Brodteig zu
verarbeiten ist, aber auch über seine wirkliche Güte der erfahrenste und geübteste
Bäcker mehr getäuscht werden kann.
Um die relative Tauglichkeit des Weizenmehls zur Teigbereitung beurtheilen zu können,
muß man nicht nur seine Natur und die Eigenschaften seiner Bestandtheile genau
kennen, sondern auch das Verhalten derselben zum Wasser bei der Teigbildung.
Das Mehl besteht fast bloß aus Stärke und Kleber; die Eigenschaften dieser beiden
Substanzen kennt man heutzutage ziemlich genau; ihr Verhalten zum Wasser, welches
noch nicht gründlich untersucht ist, spielt jedoch gerade bei der Brodbildung eine
sehr wichtige Rolle, je nachdem sich diese Substanzen mit dem Wasser bloß mechanisch
vermischen oder chemisch verbinden.
Die Stärke ist im Wasser bei keiner Temperatur auflöslich; wenn die Wärme aber
70° Celsius (56° Reaumur) überschreitet, dehnt sich die Stärke aus und
verändert ihre Form, welche nun sehr unregelmäßig wird. Der Kleister ist nämlich
keine Auflösung, sondern nur eine Ausdehnung der Stärke in dem mit ihren
auflöslichen Bestandtheilen gesättigten Wasser; ebenso die Brodkrume, welche man als
concentrirten und zusammengezogenen Kleister betrachten könnte; die Stärke erfordert
wenigstens ihr fünfzehnfaches Gewicht Wasser zu ihrer vollständigen Ausdehnung,
welche ihr dreißigfaches Volum beträgt; bei der Brodbildung kann sich jedoch die
Stärke nur mittelmäßig ausdehnen, weil sie an und für sich das Wasser nicht
absorbirt und von demselben nur insofern umgeben ist, als der Kleber, in dessen
Zellen sie eingeschlossen ist, ihr den Ueberschuß des Wassers abgibt, womit er
selbst gesättigt ist. Die Stärke spielt aber auch bei der Brodbildung nur eine
passive Rolle.
Der Kleber hingegen hat eine große Verwandtschaft zum Wasser; er absorbirt davon bei
gewöhnlicher Temperatur eine bestimmte Menge, ohne sich aufzulösen, und erlangt
dadurch die Elasticität, welche ihn zur Brodbildung ganz geeignet macht. Damit aber
der Kleber in Berührung mit dem Wasser elastisch werden kann, muß er sich im Mehl in
einem gewissen Aggregatzustande befinden, welcher durch verschiedene Umstände
merklich aufgehoben werden kann, z.B. durch ein zu schnelles Vermahlen des Getreides
oder eine sehr große Annäherung der Mühlsteine an einander; in diesem Falle erhitzt
sich der Kleber, verliert das Vegetationswasser, zertheilt sich so, daß sein
Zusammenhang aufgehoben wird und verliert zum Theil seine Elasticität; übrigens löst
sich auch bei der Brodbereitung, wenn der Teig die geistige Gährung überschreitet,
ein Theil des Klebers in der entstandenen Essigsäure auf, während derjenige Theil
desselben, welcher der Zersetzung entging, der Kohlensäure-Entbindung keinen
genügenden Widerstand darbietet, so daß der Teig nicht mehr gehörig aufgehen
kann.
Damit die Brodbildung vollkommen gut erfolgen kann, darf also die Elasticität des
Klebers aus keinerlei Ursache gelitten haben.
Wenn man reinen Kleber als Hydrat in dünner Schicht mit der Luft in Berührung läßt,
verliert er sowohl das chemisch-gebundene als das Vegetations-Wasser,
färbt sich gelblich-grau und sieht dann wie Hausenblase aus; in diesem
Zustand ist er, wie früher, in Wasser unauflöslich, wird nach langem Liegen in
demselben weich, erlangt aber seine ursprüngliche Elasticität nur unvollkommen
wieder; er ist folglich in diesem Zustande zur Brodbildung weniger geeignet und
verliert wohl auch als
Nahrungsstoff an Werth, denn unter allen näheren Bestandtheilen des Mehls erweist
sich der hydratische Kleber als der nahrhafteste; bei der zum Brodbacken
erforderlichen Temperatur erleidet jedoch der Kleber eine Veränderung, indem er
einen Theil seines chemisch gebundenen Wassers verliert.
Kleber hingegen, welchem man etwa 30 Procent Stärke zusetzte um ihn in einer
Trockenstube austrocknen zu können ohne daß er in Gährung übergeht, behält seine
Elasticität nach dem Vermahlen zu Gries; auch der Kleber der Stärkefabriken (durch
Auswaschen des Weizenmehlteigs auf Drahtsieben unter Wasserzufluß gewonnen) ist
elastisch und läßt sich mit Vortheil dem Mehl zur Brodbereitung beimengen; da jedoch
seine Elasticität je nach seiner Gewinnungsart in den Stärkefabriken gelitten haben
kann, so ist es nöthig ihn auf unten angegebene Weise zu Probiren.
Von den zwei Hauptbestandtheilen des Mehls besitzt also nur der Kleber die
Eigenschaft sich mit Wasser chemisch zu verbinden, wodurch er seine Elasticität
erlangt, ohne welche das Aufgehen des Teigs nicht stattfinden könnte.
Der zertheilte oder aus seinem Zusammenhang gebrachte Kleber verbindet sich nur in
geringem Verhältniß mit Wasser, dehnt sich nicht aus und verhält sich ungefähr wie
Stärke, welche bloß von Wasser umhüllt ist; in diesem Zustand kann er zum Aufgehen
des Teigs nichts mehr beitragen und schadet sogar der Brodbildung, indem er das
Eintreten der sauren Gährung begünstigt.
Die Absorption des Wassers durch das Mehl ist für den Bäcker die wichtigste
Umwandlung desselben, weil sie einerseits die Bildung des Brods bedingt und
andererseits das Quantum Brod, welches das Mehl liefern kann. Man darf aber das
Wasser, welches vom Mehl bloß mechanisch zurückgehalten wird, nicht mit demjenigen
verwechseln, welches von ihm chemisch gebunden ist. Ersteres verändert die
Eigenschaften der Bestandtheile des Mehls durchaus nicht, sondern verläßt sie durch
Verdunstung wieder, während durch das chemisch gebundene Wasser alle Substanzen
bekanntlich neue Eigenschaften erlangen.
Der elastische Kleber verbindet sich nicht nur chemisch mit dem Wasser, sondern hält
auch solches noch mechanisch zurück; letzteres gibt er an die Stärke ab, um deren
Ausdehnung zu begünstigen, welche jedoch in sehr engen Gränzen bleibt, weil ihre
größte Ausdehnung nur in einem großen Ueberschuß von Wasser stattfinden kann.
Durch wiederholte Versuche habe ich mich überzeugt, daß 25 Gramme Weizenmehl
enthalten:
Stärke, Zucker, Eiweiß etc.
19 Gr.
9 Centigr.
trockenen Kleber
2
64
Vegetationswasser
3
27
–––––––––––––––––––––
25 Gramme.
Um mit diesen 25 Grammen Mehl den Teig zu bilden, mußten 12,5 Gram. Wasser zugesetzt
werden; die 19,09 Gr. Stärke, Zucker etc. absorbirten nur 7,74 Gram. Wasser; die
2,64 Gram, trockener Kleber hingegen allein 4,76 Gram., wovon 4,01 Gr. chemisch
gebunden und 0,75 Gram. im freien Zustand.
Mehl, in welchem eine anfangende Gährung eingetreten ist, ferner solches, welchem ein
Theil seines Vegetationswassers durch Austrocknen entzogen wurde (wie es zur
Versendung über See geschieht), endlich solches, das sich unter den Mühlsteinen zu
stark erwärmte, hält ungeachtet seines trockenen Zustandes viel weniger Wasser
zurück, als das Mehl, welches sein Vegetationswasser behielt, weil in jenen
Mehlsorten der Kleber seinen Zusammenhang und folglich zum Theil seine Elasticität
verlor.
Man sieht also, daß das Mehl in Folge der Verbindung des Wassers mit dem Kleber alle
zur Brodbildung nöthigen Eigenschaften erlangt, besonders den elastischen
Widerstand, welcher das Aufgehen des Teiges bei der Gährung bedingt; diese Gährung
darf aber einen gewissen Punkt nie überschreiten, damit sich der Kleber nicht
zersetzt.
Um das Weizenmehl auf seine Tauglichkeit zum Brodbacken zu prüfen, genügt es daher
nicht, seinen Klebergehalt zu bestimmen, um sich von der Güte des vermahlenen
Getreides zu überzeugen, sondern man muß auch die Elasticität dieses Klebers
Probiren, um sich zu vergewissern, daß er durch das Mahlen, Austrocknen, eine etwa
eingetretene Gährung, oder aus irgend einem andern Grunde keine Veränderung erlitten
hat. Zu letzterm Zweck dient das von mir erfundene Instrument, welches ich schon im
Jahr 1842 der Société d'Encouragement zur
Prüfung übergab und seitdem nach den Rathschlägen mehrerer Chemiker verbesserte.
Beschreibung des
Aleurometers.
Dieses in Fig.
1 im senkrechten Durchschnitt abgebildete Instrument besteht aus vier
besonderen Stücken. Erstens dem Ofen A, einer schwach
conischen Hülle,
welche oben offen ist, um das Oelbad aufzunehmen; unten ist sie mit einem Boden
versehen, auf welchen man eine Weingeistlampe stellt. Das zweite Stück ist das
Oelbad B, ein Cylinder mit halbkugelförmigem Boden,
welchen man mit irgend einem Oel, vorzugsweise Klauenfett füllt, bis zu dem
erweiterten Theil, womit er auf dem Ofen aufliegt. Oben ist der Cylinder mit einem
Deckel C versehen, welchen man beliebig abnehmen kann
und in dessen Mitte ein bloß unten geschlossenes Futteral oder Gehäuse D befestigt ist, welches also in das Oel taucht. In
dieses Gehäuse senkt man abwechselnd den Thermometer und den Aleurometer.
Das dritte Stück ist ein gewöhnlicher Thermometer, Fig. 2, auf dessen
Glasröhre von 50 zu 50 Graden 200 Grade Celsius eingravirt sind.
Das vierte Stück ist der eigentliche Aleurometer: er besteht aus einem kleinen
Cylinder E, an welchen unten ein Kesselchen oder eine
Schale F angeschraubt ist, während er oben durch einen
Schraubenpfropf G verschlossen wird. Mitten durch diesen
Pfropf geht ein graduirter Stab, welcher in 25 Grade eingetheilt ist und sich in ein
kreisförmiges, schwach gewölbtes Plättchen I endigt. Unter diesem Plättchen, bis zum
oberen Ende der an den Cylinder angeschraubten Schale, befindet sich ein leerer
Raum, dessen Höhe 25 Grade des Stabes repräsentirt.
Letzterer Theil des Instruments, der Aleurometer, genügt für die Bedürfnisse des
Bäckers, weil der Backofen, in welchen er den Aleurometer vertical stellt, ihm das
Oelbad mit dem chemischen Ofen ersetzt, welche dem Instrument nur behufs
wissenschaftlicher Untersuchungen beigefügt wurden. Da jedoch die Temperatur der
Backöfen nicht ganz regelmäßig und an allen Stellen gleich ist, so können allerdings
geringe Abweichungen stattfinden, die jedoch von keiner Bedeutung sind.
Verfahren. Man bereitet sich einen Teig mit 30 Grammen
Weizenmehl und 15 Grammen Wasser. Um kein Atom Mehl zu verlieren, bedient man sich
hiezu einer Schale von Glas oder Porzellan und eines massiven Glasstabs.
Diesen Teig knetet man in der hohlen Hand, indem man ihn zwischen den Fingern schwach
drückt und ihn unaufhörlich in einer Schüssel mit Wasser umkehrt. Man beendigt das
Kneten unter einem Wasserstrahl; sobald das Wasser klar ablauft, kann man überzeugt
seyn, daß vom Kleber alles Stärkmehl abgeschieden ist; man preßt denselben dann stark in der Hand, um
einen Theil des Wassers auszudrücken, welches er noch mechanisch zurückhält. In
diesem Zustand wiegt man ihn; hierauf zieht man 7 Gramme heraus, aus welchen man
eine kleine Kugel bildet, die man in trockenem Stärkmehlpulver oder besser in
Kartoffelstärkmehl rollt, um dem Kleber alle Adhärenz zu benehmen. Die so bereitete
Kleberkugel legt man in die Schale F des Aleurometers,
welche man zuvor innen überall schwach mit Oel einrieb. Der Stab H braucht nicht geschmiert zu werden.
Während der Kleber geknetet wird, erhitzt man das Oelbad mittelst der Weingeistlampe,
und wenn der im Gehäuse D befindliche Thermometer, Fig. 2,
anzeigt, daß das Oelbad die Temperatur von 150° C. besitzt, ersetzt man ihn
sogleich durch den Aleurometer, in dessen Schale man die Kleberkugel gelegt hat. Man
läßt die Weingeistlampe noch zehn Minuten fortbrennen, zieht sie dann heraus und
löscht sie aus; zehn Minuten später nimmt man den Kleber aus dem Aleurometer,
nachdem man vorher die Anzahl von Graden notirt hat, welche der Stab beim Steigen
entblößte.
Der Kleber wird bei dieser Probe durch das in ihm enthaltene Wasser, welches sich in
Dampf verwandelt, gerade so mechanisch ausgedehnt wie bei der Gährung durch das
kohlensaure Gas; er steigt und behält beim Festwerden die innere Form des
Aleurometers. Bei seiner Ausdehnung durchlauft er zuerst den leeren Raum von 25
Graden, welcher ihn von dem Stab trennte, und hebt dann letztern noch bis zum
Maximum seiner Ausdehnung, welche durch die über dem Schraubenpfropf G entblößten Grade ausgedrückt wird.
Wenn ein Kleber bei seiner Ausdehnung den Stab nicht erreichen, d.h. sich nicht um 25
Grade ausdehnen sollte, so ist das Mehl, woraus er abgeschieden wurde, zum
Brodbacken nicht geeignet.
Das Innere des aus dem Aleurometer genommenen Klebercylinders stellt genau das
Skelett des Brods dar.
Mehlproben mittelst des
Aleurometers.
Mehlsorten.
Hydratischer Kleber.
Ausdehnungvon 7 Gram. Kleber.
Mehl von Etampes
33
Proc.
29
Grade
Deßgl.
33
35
Mehl von Chartres
33
36
Mehl von Brie
35
32
Deßgl. von
1842
38
29
Mehl aus Getreide von Berg
30
39
Deßgl.
32
50
Getrockneter und zu grobem Gries gemahlener Kleber der Stärkefabriken zeigte 38
Grade.
Getrockneter und zu feinem Gries gemahlener Kleber der Stärkefabriken zeigte 50
Grade.
Man sieht also, daß der durch Auswaschen in den Stärkefabriken gewonnene Kleber
getrocknet und sehr zertheilt werden kann und doch seine Elasticität vollkommen
beibehält, also zur Brodbereitung ganz tauglich ist.
In obiger Tabelle bezeichnet die Quantität des Klebers genau die relative Güte des
Getreides, und die Ausdehnung des Klebers bezeichnet uns die mehr oder weniger große
Veränderung desselben (Verminderung seiner Güte) in Folge des Mahlens oder anderer
Umstände.