Titel: | Ueber das Princip der Eisenbahnen; von James Nasmyth. |
Fundstelle: | Band 111, Jahrgang 1849, Nr. LXXXI., S. 403 |
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LXXXI.
Ueber das Princip der Eisenbahnen; von James Nasmyth.
Aus dem Civil Engineer and Architect's Journal, Febr.
1849, S. 52.
Mit Abbildungen.
Nasmyth, über das Princip der Eisenbahnen.
Wenn man von irgend einem Gegenstand eine richtige Kenntniß erlangen will, muß man
sich vor Allem das „Princip“, auf welchem er beruht, klar
machen. Wäre ich nicht überzeugt, daß ein großer Theil des
Eisenbahnen-Publicums (sowohl des technischen als des durch Actienbesitz
betheiligten) wirklich nöthig hat erst das A B C oder die
Elementar-Principien des Eisenbahnwesens zu lernen, so hätte ich diesen Aufsatz nicht
niedergeschrieben. Hauptsächlich veranlaßte mich dazu der Umstand, daß man jetzt
allgemein anfangt Locomotiven von sehr bedeutender Kraft und ungeheurem Gewicht
anzuwenden, welche unsere Eisenbahnen tagtäglich in allen Richtungen dermaßen
abnutzen, daß die höchste Dauer der Schienen nicht mehr über acht Jahre beträgt,
besonders auf den Linien mit beträchtlichem Verkehr. Wir wollen nun die Sache in
ihrem wahren Licht betrachten.
1ste Frage. Welchem Umstand verdanken wir es, daß die
erforderliche Zugkraft, um schwere Körper auf einer Eisenbahn fortzubewegen, so
wenig beträchtlich ist?
Antwort. Bloß der Undurchdringlichkeit oder Härte der
Oberfläche, nämlich der Bahnschiene und des Rades.
Textabbildung Bd. 111, S. 404
Beweis. Es bezeichne aaa ein Rad von vollkommen harter und undurchdringlicher Substanz, und
bb eine Schiene von demselben Material; es
ist klar, daß die Berührungsstelle eines solchen Rades mit einer solchen Schiene
ein absoluter Punkt P seyn wird. Es folgt auch, daß
die zum Vorwärtsbewegen des Centrums oder der Achse C erforderliche Kraft unendlich klein seyn wird.
Das Princip sowohl als die Vollkommenheit einer Eisenbahn besteht also in der möglich
geringsten Durchdringung des Rads und der Schiene, so daß (unter allen Umständen)
die Berührung zwischen dem Rade und der Schiene einem absoluten Punkt nahe
kommt.
Wir wollen nun den Fall betrachten, wenn die Schiene und das Rad nicht aus vollkommen
harten, undurchdringlichen Substanzen bestehen.
2te Frage. Welchem Umstand haben wir es zuzuschreiben, daß
die zum Fortbewegen eines Wagens auf einer weichen oder sandigen Straße
erforderliche Zugkraft so bedeutend ist?
Antwort. Der Durchdringlichkeit oder Weichheit der
Straße.
Beweis. Es bezeichne aaa ein Rad, welches auf einer sandigen oder durchdringlichen weichen
Straße hinrollt, in die das Rad von D bis D einsinkt. Wenn man die Achse c eines solchen Rades vorwärts bewegt, findet man, daß der Act derselbe ist, als wenn das
Rad beständig einen Hügel hinaufsteigen würde, dessen Abhang eine Tangente zum Kreis
am Punkt C darstellt; um ein solches Rad über eine
wagrechte Ebene von derartiger Weichheit oder Durchdringlichkeit hinzubewegen, ist
daher ein so großer Kraftaufwand erforderlich, als nothwendig wäre um dasselbe Rad
eine vollkommen harte geneigte Ebene von dem durch die Linie fh bezeichneten Abhang (Liegenden)
hinaufzurollen.
Textabbildung Bd. 111, S. 405
Wir wollen nun das Vorhergehende auf die Eisenbahnen im Allgemeinen und die schweren
Locomotiven insbesondere anwenden.
Härte oder Undurchdringlichkeit ist ein relativer Ausdruck. Eine Schiene, welche von
dem Rad eines leeren Wagens nicht merklich durchdringlich ist, ist es sehr wohl von
demjenigen einer Riesen-Locomotive, deren Treibräder mit etwa acht Tonnen
(160 Centner) belastet sind.
Textabbildung Bd. 111, S. 405
In dem Falle wo sich das Rad eines leeren Wagens auf der Eisenbahn bewegt, ist
die Berührung der Radschiene mit der Bahnschiene nahezu ein absoluter Punkt; man
belaste aber das Rad mit acht Tonnen, so bewirkt man dadurch, daß es gleichsam
in die „sandige Straße“ einsinkt, d.h. daß ein solches Rad
und die Bahnschiene sich gegenseitig zusammendrücken oder einander durchdringen;
während vorher die Berührungsstelle ein Punkt war,
wird sie eine Linie, wie die Seite eines Polygons;
die zur Bewegung erforderliche Kraft wird nun gleich derjenigen, welche
nothwendig wäre, um ein solches Rad und seine Last eine vollkommen harte Rampe
hinaufzurollen, deren Liegendes der vom Punkt c
gezogenen Tangente des Radzirkels oder ihrer Parallel C gleich wäre.
Es ist daher von höchster Wichtigkeit, daß man in der Praxis der absoluten Härte der
Rad- und Bahnschienen so viel als möglich nahe zu kommen sucht und das Mittel
dazu ist, daß wir unser Transportsystem auf Eisenbahnen so einrichten, daß eine
Locomotive auf keinem ihrer Räder jemals mit mehr als höchstens vier Tonnen belastet
zu werden braucht. Wenn man dieses beachtete, würde ungeheuer viel durch die Kohks
erspart, welche jetzt bloß dazu verwendet werden, um die Locomotivenräder beständig
den Eisenhügel hinaufzutreiben, welchen sie vor sich erzeugen; andererseits würde
die Ersparniß in Folge der geringeren Abnutzung der Bahn, die Kosten für die größere
Anzahl von Locomotivenführern und der für denselben Gesammt-Transport
erforderlichen leichteren Locomotiven reichlich ersetzen; letztere würden in jeder
Hinsicht den Transport wohlfeiler bewerkstelligen, da ein so großer Theil der Kraft
unserer gegenwärtigen Riesen-Locomotiven lediglich verwendet wird, um sie
selbst in Bewegung zu erhalten und fortwährend über den von ihnen erzeugten
Eisenhügel hinaufzuwälzen.
Es liegt auf platter Hand, daß die Anwendung schwerer Locomotiven die Hauptursache
des geringen Ertrags vieler Eisenbahnen ist; auf einigen unserer frequentesten
Linien beträgt das Gewicht der Locomotiven und Wagen, um eine Tonne Reisender zu
transportiren, durchschnittlich über achtzehn Tonnen; da sich zu diesem ganz
unverhältnißmäßigen Aufwand von Mitteln noch die vom System schwerer Locomotiven
unzertrennliche rasche Zerstörung der ganzen Schienenlinie gesellt, so kann man sich
über den verminderten Gewinn der Actionäre nicht wundern.
Das System leichter Locomotiven und Wagen für den Personentransport, welches die
HHrn. Adams und Samuel gegenwärtig in Aufnahme zu
bringen bemüht sind, wobei das Minimum von nichtbezahlendem Gewicht mit dem Maximum
von bezahlendem Gewicht auf eine bewundernswerthe Weise vereinigt ist, verspricht
einerseits den Eisenbahn-Actionären die Rettung ihrer Dividenden und
andererseits dem reisenden Publicum im Allgemeinen die größte Bequemlichkeit.