Titel: | Bericht über eine Abhandlung des Hrn. Dr. Richard, Director der Gestütschule, über die Pferderennen als Verbesserungsmittel der Dienst- und Militärpferde; erstattet von den HHrn. Boussingault, Magendie, Rayer und Duvernoy. |
Fundstelle: | Band 113, Jahrgang 1849, Nr. LVI., S. 229 |
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LVI.
Bericht über eine Abhandlung des Hrn. Dr.
Richard, Director der
Gestütschule, über die Pferderennen als Verbesserungsmittel der Dienst- und
Militärpferde; erstattet von den HHrn. Boussingault, Magendie, Rayer und Duvernoy.
Im Auszug aus den Comptes rendus, April 1849, Nr.
16.
Richard, über Verbesserung der Pferderennen.
Der Inhalt dieser Abhandlung läßt sich in folgenden Sätzen zusammenfassen:
1) Die zur Abhaltung von Rennen künstlich gezogenen Pferde bilden eine besondere
Race, die ursprünglich in England bloß für eine kurze Zeit andauernde große
Geschwindigkeit auf besonders dazu gewähltem und zubereitetem Boden erzeugt
wurde.
Diese Pferde sind sehr zarter Natur und von einem Temperament, welches sich zu den
Arbeiten, wofür die Dienst- und Militärpferde herangezogen werden, wenig
eignet.
2) Ihre Vermischung mit unsern (den französischen) Racen trug, statt zur
Verbesserung, nur zur Verschlechterung der letzteren bei.
Die von ihnen erzeugten Bastarde sind schwer aufzuziehen, unregelmäßig gebaut und
ohne besondere Diensttauglichkeit.
3) Es gibt gegenwärtig in Frankreich keine besondere Race von Reitpferden mehr.
4) Die einzigen Pferderacen, welche in Frankreich gediehen und sich nicht
verschlechterten, sind die auf dem Lande erzeugten, durch sich selbst
verbesserten.
5) Das arabische Pferd, gut ausgesucht, ist die einzige fremde Race, welche angewandt
werden kann, um unsere alten Racen leichter Pferde, wie sie vor 1790 waren,
wiederherzustellen, hauptsächlich durch Kreuzung mit unsern Pferden aus der
Auvergne, dem Limosin und den Pyrenäen, die sich dazu sehr eignen.
6) Die Verbesserung des Pferdes, wie aller Hausthiere, ist durch Naturgesetze bedingt
und kann nur durch das Studium dieser Gesetze und ihre Anwendung auf die
Verbesserung der Racen erzielt werden.
Aus den Bemerkungen der Commission zu diesen Sätzen heben wir für unsere Leser nur
das Wichtigste aus.
ad 1. Das Probiren der Pferde durch Rennen hält Richard mit Recht für das beste Mittel, um ihre Kraft und
Stärke zu beurtheilen. Man findet oft schöne Pferde, welche alle Eigenschaften der
thierischen Mechanik, die man nur wünschen kann, vereinigen, und doch aller Kraft
und Stärke entbehren. So viel aber auch den verschiedenen Racen und
landwirthschaftlichen Hülfsmitteln angepaßte Pferderennen zur Verbesserung der
leichten Pferde beitragen könnten, so haben doch thatsächlich unsere gegenwärtigen
Rennen, mehr als man glauben sollte, zum Verderben unserer früher so geschätzten
Reitpferde mitgewirkt. Welch große Mühe, Pflege und Kosten die Engländer
aufwendeten, um die Race ihrer Rennpferde zu erzeugen, ist bekannt. In Frankreich
besitzt man bei weitem die Ausdauer nicht, um Racen zu schaffen; die Kreuzung
Verschiedener Racen wird daselbst nur vorgenommen, um das an uns verkaufte Rennpferd
in seiner Race zu erhalten. Das von allen andern Arten von Dienstpferden
verschiedene Rennpferd würde, sich selbst und den normalen Einflüssen der Natur
überlassen, bald seinen eigenthümlichen Bau verlieren und sich den Varietäten des
Orts, wo es sich fortpflanzt, annähern.
ad 2. Ist es möglich, frägt der Verf., daß zwei so
verschiedene, zu so entgegengesetzten Zwecken und unter so ungleichen Umständen
aufgezogene Thiere sich wechselseitig verbessern? Ueber 20 Jahre lang stellte er in
allen französischen Departements, wo die Pferdezucht einen Hauptbestandtheil der
Landwirthschaft ausmacht, Beobachtungen über die Anwendung von Beschälhengsten von
ächtenglischem Rennpferd-Vollblut an. Die Resultate derselben fassen wir in
Folgendem zusammen.
Im Elsaß wurde vor 20 Jahren ein Beschälhengst von
Renner-Vollblut aus England angekauft. Derselbe (Fulford genannt und Sohn eines der berühmtesten Renner, des d'Orville) hinterließ nach seinem Tode (1831) nicht die
geringste Spur einer Verbesserung der elsässischen leichten Pferde.
Die alte Race des Ardennen-Pferdes, zum Remontiren
der Armee sehr geschätzt, ist in den französischen Ardennen ganz erloschen; in den
belgischen mögen sich noch Spuren davon vorfinden. Man hat sich überzeugt, daß die
Renner-Racen hier so wenig anschlagen wie in andern Gegenden Frankreichs, und
die Pferdezüchter wollen keine andern Beschäler, als Dienstpferde wie sie vom
Departements-Rath angekauft werden. Die Vollblut-Renner, deren es nur
zu viele gibt, sind für die Ardennen, wie beinahe für ganz Frankreich, wahrhaft
widersinnig; sie sind in jeder Beziehung von schlechter Beschaffenheit. Die einzigen
schönen Producte, welche ich zu sehen bekam, rühren von Hengsten her, die aus dem
Departement selbst stammen, und sie allein sind im Stande die Ardennen-Race
wiederherzustellen.
Die Normandie, dieses sonst classische Land für
Pferdezucht, muß gegenwärtig auf die Erzeugung von Luxuspferden, wovon sie ehemals
fast das Monopol hatte, verzichten. Die zu ausschließliche Anwendung der
Renner-Vollblut-Race ist die nächste Ursache der mißglückten
Operationen in der reichen Ebene von Caen. Indessen war das Gestüte zu Pin in
Frankreich in Folge der Auswahl guter Renner-Hengste immer mit allem Recht
bevorzugt; und doch ist die Normandie gegenwärtig hinsichtlich der Pferde in einer
höchst kritischen Lage und niemals befanden sich so viele fremde Pferde auf ihren
Märkten. Das Zugpferd nimmt jetzt bald die Stelle des normännischen Renners ein, um
welchen sie ehedem ganz Europa, England nicht ausgenommen, beneidete; jetzt ist kaum
mehr eine Spur davon vorhanden. Ein einheimisches Pferd (Ratler genannt), englisches Halbblut, hatte die normannische Race, durch
die vielen aus ihm hervorgegangenen Beschäler, wieder etwas gehoben; es sind aber
nur noch einige wenige und alte Ueberreste davon vorhanden; hätte man, statt sich
gedankenlos an die Renner-Race zu halten, sich an den Ratler-Schlag
gehalten, so besäße man jetzt die besten Dienstpferde von ganz Europa.
Das Limosin-Pferd, auf unsern Reitschulen und bei
unserer leichten Cavallerie geschätzt, besitzt keine Spur mehr von seinen alten
schätzbaren Eigenschaften als Reitpferd. Auch bei diesem waren die Beschäler von der
Renner-Race von keinem bessern Erfolg.
Das Auvergne-Pferd traf aus gleichen Ursachen
dasselbe Schicksal. Dieses kleine, so derbe, anspruchlose, im Besteigen steiler
Berge so geschickte Pferd existirt nicht mehr. Es hatte einen ganz eigenthümlichen
Charakter; sein ganzer Bau verrieth Kraft und Ausdauer, wie bei allen Thieren des
Gebirges. Es wurde durch die Natur der Beschäler völlig zu Grunde gerichtet.
Die leichten Pferde der ganzen Pyrenäen-Kette
hatten gleiches Schicksal. Das schöne navarrische Pferd wurde überall von den
Producten der Renner-Race verdrängt. Die Pferde in den Pyrenäen haben jetzt
alle etwas Unregelmäßiges im Bau, als Folge einer unglücklichen Kreuzung mit der
Renner-Race; ein solches Pferd verbindet oft Schönheiten mit Fehlern im Bau,
wodurch es eine verführerische Eleganz erhält; der Kenner findet aber die zu einem
guten, anhaltenden Dienste unerläßlichen Eigenschaften nicht daran. Diese Pferde
haben alle im Ganzen genommen etwas mehr oder weniger Auszeichnendes, aber unter den
verschiedenen Theilen ihres Körpers fehlt die Harmonie; es fehlt ihnen gewöhnlich an
Brust; ihre Glieder sind dünn und zu lang, und da sie sehr hitzig sind, so gehen sie
bald zu Grunde; sie sind zu reizbar, zu zart, und erfordern eine mit den
gewöhnlichen Arbeiten, besonders dem Felddienst, unverträgliche Pflege und
Schonung.
ad 3. An die Stelle der Reitpferde-Race sind
jetzt Bastarde aller möglichen Arten getreten, welche an den Gliedern größtentheils
mit den erblichen Fehlern der Rennpferde behaftet sind, namentlich mit den unter dem
Namen: Rappe, Spath, Ueberbein, Leist etc. bekannten Exostosen. Auch haben sie oft
chronische Krankheiten an den Sehnen und Bändern, wenn sie zu jung schon gelaufen
sind.
Dieser Uebelstand ist jedoch kein neuer, sondern wurde schon im J. 1802 von Hrn.
Huzard beklagt und zum
Theil der Einführung fremder Pferde englischer Race von größter Mittelmäßigkeit
zugeschrieben. Es spricht dieß jedoch nicht sowohl gegen die Pferderennen als
vielmehr gegen die frühere Bestellung der Gestüte.
Die seit einigen Jahren entstandene Gesellschaft für Pferdezucht stimmt ebenfalls mit
der Klage des Hrn. Richard
überein, daß es in Frankreich an leichten Pferden für den Ackerbau und leichtes
Fuhrwerk, an Luxuspferden zum Reiten und Ziehen, an Militärpferden für die
Cavallerie und Artillerie fehle. So sagt auch David Low
(in seiner Histoire naturelle agricole des animaux
domestiques de l'Europe. 13. livraison p. 106
etc.), daß man auf Kosten der Kraft und Dauer die Geschwindigkeit zu sehr
berücksichtigt habe, daher die jetzige Race an Kraft und Knochen den alten
Turf-Pferden nachstehe.
ad 4. Der Grundsatz der Verbesserung der Racen durch
sich selbst wurde schon im J. 1766 von Daubenton
aufgestellt und durch die Verbesserung der einheimischen Schafe und Verfeinerung
ihrer Wolle nachgewiesen (erst 1786 wurden Merinos-Widder eingeführt).
Die allgemeinen und stets gleichbleibenden klimatischen Einflüsse auf unsere
Hausthiere müssen auch von dauernder Wirkung auf die Erzeugung und Erhaltung natürlicher Racen oder Varietäten seyn. Es kann sich bei
ihrer Fortpflanzung nur um die Auswahl schöner und gesunder männlicher und
weiblicher Individuen handeln. Anders aber verhält es sich bei den künstlichen Racen, die durch Kreuzung zweier, aus sehr verschiedenen
Klimaten herstammenden Racen entstehen oder von den Landwirthen durch Auswahl einer
besondern Organisation der Begattenden erzeugt werden. Solche künstliche Racen
bedürfen einer um so andauerndern und sorgfältigern Pflege, je ferner sich die Racen
der Eltern stunden.
ad 5. Hr. Huzard stellt hinsichtlich der Kreuzung als erste, feste und sichere
Regel auf, die nördlichen Racen mit den südlichen, aber nicht, wie Buffon empfahl, die südlichen Racen mit den nördlichen zu
kreuzen. Indem Hr. Richard
empfiehlt, zur Wiederherstellung unserer leichten Pferderacen ausschließlich
arabische Pferde zu benutzen, schließt er sich dieser durch Erfahrung bewährten
Regel an. So haben auch die Engländer ihre berühmte Rennpferd-Race durch
Pferde aus Nordafrika und dem westlichen und südlichen Asien geschaffen und
erhalten. Das arabische Pferd scheint von diesen allen der Urtypus und das
vollkommenste zu seyn; man bedient sich desselben sehr häufig in Deutschland, auch
in Rußland, um die sonst bald zu der einheimischen Race degenerirenden Nachkommen
wieder zur eigentlichen Bastard-Race aufzufrischen. Man muß also dem in
Frankreich unrichtig Vollblut (pur sang) genannten
englischen Rennpferd entsagen.
ad 6 ist nichts zu bemerken.
Obgleich Hr. Richard von seiner
Ueberzeugung so innig durchdrungen ist, daß er im J. 1847 lieber sein Amt als
Director der Gestütschule aufgab, als, wie ihm von der höhern Verwaltung zugemuthet
wurde, gegen seine Ueberzeugung handelte, so ist doch zu berücksichtigen, daß die
Mehrheit einer Commission von ausgezeichneten Männern, welche vom Ministerium für
Ackerbau und Handel im J. 1848 wegen dieses Gegenstandes ernannt wurde, mit seiner
Ansicht nicht übereinstimmt. In dem Bericht dieser Commission werden zwar die
arabischen Pferde als Wiederhersteller unserer südlichen Racen empfohlen, aber nicht
ausschließlich; für die Normandie hingegen die englische Race, welche für dieselbe
unentbehrlich seyn soll. Das Probiren der Pferde durch Wettrennen wird von der
Commission ebenfalls als das beste Mittel zur Beurtheilung ihres Werthes in jeder
Beziehung anerkannt. Endlich ist jene Commission insofern in Widerspruch mit Dr. Richard, als sie
überzeugt ist, daß in den letzten Jahren in der Verbesserung der verschiedenen
französischen Pferderacen Fortschritte gemacht wurden, woraus folgt, daß auf der
einen oder andern Seite die Beobachtungen nicht vollständig waren und zu allgemeine
Schlüsse daraus gezogen wurden.
Im Ganzen ist die akademische Commission der Ansicht:
1) daß die von Dr. Richard
nachdrücklich bezeichneten Uebelstände der Paarung des englischen
Vollblut-Renners mit allen französischen Racen ohne Unterschied unbestreitbar
sind;
2) daß die von ihm aufgestellte Behauptung, daß es jetzt vortheilhafter sey, unsere
Pferderacen durch sie selbst zu verbessern, mittelst
Zusammensuchens passender Individuen, anstatt sich ausschließlich des englischen
Rennpferdes zu bedienen, Beachtung verdiene;
3) daß Hrn. Richard's Rath,
unter den fremden Racen sich nur des orientalischen
Pferdes zu bedienen, um die Pferderacen des südlichen Frankreichs
wiederherzustellen, wofür vieljährige Erfahrung durch den stets gleichmäßigen Erfolg
der Gestüte-Verwaltung vor 1790 spricht, befolgt werden sollte;
4) daß nur eine administrativ-wissenschaftliche Untersuchung des gegenwärtigen
Zustandes unserer Pferderacen hinlängliche Aufschlüsse darüber zu geben vermag, in
welchem Grade die Einführung des englischen Rennerbluts unsern verschiedenen
Pferderacen günstig oder nachtheilig war.