Titel: Ueber Melsens' Verfahren zur Zuckerfabrication; von Hrn. Barral.
Fundstelle: Band 114, Jahrgang 1849, Nr. LVI., S. 304
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LVI. Ueber Melsens' Verfahren zur Zuckerfabrication; von Hrn. Barral. Aus dem Moniteur industriel, 1849, Nr. 1392. Barral, über Melsens' Verfahren zur Zuckerfabrication. Die ganze Frage hinsichtlich des Hrn. Melsens kommt nach meiner Ansicht darauf hinaus, ob er der Summe unserer Kenntnisse etwas beigefügt hat, oder – wenn er auch nichts Neues ermittelt hat – ob es ihm gelang aus einem Verfahren Nutzen zu ziehen, welches in den Händen seiner Vorgänger unfruchtbar blieb. Wenn man aus dem Zuckerrohr oder der Runkelrübe den Saft auszieht, so besteht die zu beseitigende Gefahr in der leichten Gährung dieser Flüssigkeit, welche zu einer schnellen Zersetzung sehr geneigt ist. Um dieselbe zu verhindern, benutzte man bisher in den Zuckerfabriken kein anderes Mittel, als daß man die Beendigung der verschiedenen Operationen so viel als möglich beschleunigt und die Berührung der Luft vermeidet, welche letztere die Gährung hauptsächlich möglich macht. Man weiß jedoch schon lange, daß sich die Gährung der Syrupe durch das sogenannte Schwefeln, d.h. durch die beim Verbrennen von Schwefel entstehende schweflige Säure verhindern läßt. Proust verbesserte zuerst die alte und barbarische Methode der Böttcher und Winzer, nämlich die Anwendung von Schwefelschnitten behufs des Schwefelns, indem er den schwefligsauren Kalk anstatt der schwefligen Säure zur Conservirung des Traubensafts empfahl. „Der schwefligsaure Kalk, schrieb Proust Journal de Physique, Bd. LXXI S. 465. im J. 1810, wird mit der Zeit manche nützliche Anwendung finden, besonders wenn man die Dienste, welche er leisten kann, in den tropischen Ländern kennen gelernt hat; man könnte z.B. mit einigen Quentchen schwefligsauren Kalks den Saft des Zuckerrohrs, des canadischen Ahorns, des Palmbaums etc. gegen die rasch eintretenden Gährungen schützen, welche den Pflanzern so große Verluste verursachen, wenn sie säumen diese Säfte in die Kessel zu bringen.“ Diese Bemerkung von Proust führte jedoch zu keiner industriellen Anwendung, bis im J. 1829 Hr. Dubrunfaut Versuche anstellte, um die Runkelrüben vor jeder mechanischen Behandlung durch Anwendung von schwefliger Säure oder eines neutralen schwefligsauren Salzes zu schwefeln. Etwa zehn Jahre später geschah ein weiterer Fortschritt, indem Dr. Stolle nicht mehr bloß schweflige Säure oder neutralen schwefligsauren Kalk (Substanzen von denen jede ihre besonderen Nachtheile und Vortheile hat), sondern doppelt-schwefligsauren Kalk zur Zuckerfabrication empfahl. Hr. Stolle schlug vor, den Runkelrüben oder Zuckerrohr-Saft erst nach der Läuterung zu schwefeln und er glaubte dadurch die Anwendung der Knochenkohle als Entfärbungsmittel entbehrlich zu machen. Dieser Versuch hatte aber keine Folgen, denn Stolle's Patente wurden veröffentlicht, ohne daß sein Verfahren angewandt worden wäre. Dasselbe ist nämlich mit praktischen Schwierigkeiten verbunden, welche Hr. Melsens noch jetzt zu bekämpfen hat. Ist letzterer zu einem in den Fabriken anwendbaren Verfahren gelangt? Offenbar nicht, wenigstens nicht hinsichtlich des Rübenzuckers. Dürften seine Bemühungen, die er ohne Zweifel fortsetzen wird, mit einem baldigen Erfolg gekrönt worden? Hr. Melsens scheint es bezüglich des Rübenzuckers nicht zu hoffen, glaubt aber an seinen Triumph hinsichtlich des Rohrzuckers. Das gegenwärtige, sehr mangelhafte Verfahren zur Gewinnung des Rohrzuckers, ist aber auch viel größerer Verbesserungen fähig als die Rübenzuckerfabrication. Jedenfalls hat Hr. Melsens das Verdienst, die Aufmerksamkeit in hohem Grade auf das zu lösende Problem gelenkt und zuerst gezeigt zu haben, daß man den zuckerhaltigen Saft vor jeder mechanischen oder chemischen Operation, wie sie gegenwärtig in den Zuckerfabriken gebräuchlich sind, schwefeln kann, indem man sich schon beim Auspressen (Ausziehen) des Safts einer Auflösung von doppelt-schwefligsaurem Kalk bedient; man gießt dieselbe beim Zerreiben der Runkelrüben auf den Brei, das Zuckerrohr aber wird in dünne Scheiben geschnitten systematisch mit derselben ausgewaschen. Dieß ist seine Erfindung; sie besteht in einer eigenthümlichen Anwendungsweise eines schon bekannten und bereits bei der Zuckerfabrication benutzten Agens. Es ist aber bei weitem noch nicht bewiesen – wie Hr. Lanjuinais in seinem Berichte sagte – daß Melsens' Erfindung es möglich macht, aus den Runkelrüben um ein Drittel und aus dem Rohr um die Hälfte mehr Zucker als bisher zu gewinnen, und es ist eben so wenig erwiesen, daß sie die complicirten und kostspieligen Apparate entbehrlich macht, welche man bei der Fabrication und dem Raffiniren des Zuckers anwendet. Daraus, daß es möglich ist nach Melsens' Methode im Kleinen aus den Syrupen bei der ersten Krystallisation schönen Zucker zu erhalten, folgt keineswegs, daß sein Verfahren im Großen mit Vortheil angewandt werden kann. Patent des Hrn. Dubrunfaut. Hr. Dubrunfaut schlägt in dem Patent, welches er im J. 1829 nahm, drei Methoden vor, um die Runkelrüben zur Gewinnung von krystallisirtem Zucker zu schwefeln: 1) man kann die Rüben selbst mit gasförmiger schwefliger Säure behandeln, oder diese Säure, sowie auch ein doppelt-schwefligsaures Salz, in dem Waschwasser auflösen; 2) man kann mit denselben Agentien den Brei behandeln; 3) endlich kann man diese Methoden beim Zuckerrohrsaft anwenden. Hr. Dubrunfaut gibt der ersten Methode den Vorzug; er empfiehlt das schwefligsaure Gas, durch Verbrennen von Schwefel oder durch Erhitzen von Schwefelsäure mit Kohle bereitet, über die in den Gräben aufgehäuften Wurzeln zu leiten. Er behauptet, daß das Schwefeln des Breies nicht so bequem, nicht so wirksam und nicht so sicher auszuführen wäre; übrigens könnte man es vornehmen, indem man entweder a) den beim Zerreiben der Rüben erhaltenen Brei mit schwefliger Säure in Berührung bringt, oder b) während des Zerreibens der Rüben eine Auflösung von schwefliger Säure oder einem schwefligsauren Salz auf die Trommel der Maschine gießt. Den Zuckerrohrsaft soll man, sobald er von der Presse abläuft, mit aufgelöster schwefliger Säure oder schwefligsaurem Salz versetzen, oder auch in einem Faß schütteln worin man Schwefelschnitte verbrannt hat. In allen Fällen nimmt der Erfinder die Läuterung erst nach dem Schwefeln vor. Patent des Hrn. Stolle. Hr. Stolle nahm am 18. Mai 1838 in Frankreich ein Patent für zehn Jahre auf die Fabrication und das Klären des Zuckers; am darauffolgenden 4. Juli ließ er sich noch Zusätze und Verbesserungen patentiren. In seinem ersten Patent sagt Hr. Stolle: „Die schweflige Säure, sowohl im gasförmigen Zustand, als im Wasser aufgelöst, wirkt entfärbend und verhindert die Gährung. Die sauren Salze dieser Säure besitzen dieselbe Eigenschaft und eignen sich also vollkommen zu dem von mir beabsichtigten Zweck. Ich wünsche daher nicht bloß auf das Princip, sondern insbesondere auf seine Anwendung zur Fabrication des Runkelrüben- und Rohrzuckers, sowie auf seine Anwendung zum Raffiniren des Zuckers im Allgemeinen ein Patent zu erhalten.“ Er empfiehlt folgende Methode: man versetze entweder den Brei oder den Saft mit einer bestimmten Menge sauren schwefligsauren Kalks; nach einstündiger Berührung sättige man die überschüssige Säure in der Kälte mit kohlensaurem Kalk, filtrire und dampfe bis zum Krystallisationsgrad ab. Von dem sauren schwefligsauren Kalk muß man 1/100 bis 2/1000 vom Gewichte des Safts anwenden. Das zweite Patent nahm Hr. Stolle auf folgende Methode: „Den Runkelrübensaft, derselbe mag durch Pressung oder Maceration oder mittelst der Verdrängungsmethode gewonnen seyn, läutere ich mit wenigstens einem Fünftel bis einem Viertel Kalk nach dem gewöhnlichen Verfahren, nachdem der geläuterte Saft klar abgezogen ist, versetze ich ihn unverzüglich mit 1, 2 bis 3 Proc. meiner Auflösung von schwefliger Säure oder eines sauren schwefligsauren Salzes; ich dampfe ihn auf 20 bis 22° Baumé ab; ich filtrire den Saft dann durch wollene Beutel, was sehr schnell geht, und dampfe ihn hierauf bis zum gewünschten Grade des Verkochens ab. Indem ich so die Knochenkohle und die complicirten Filter erspare, vereinfache ich die Operationen, gewinne an Zeit und erhalte aus demselben Gewicht Saft mehr Zucker.“ Man sieht, daß zwischen diesem Verfahren und den von Hrn. Melsens vorgeschlagenen Methoden kein wesentlicher Unterschied ist; nur wendet Melsens den doppelt-schwefligsauren Kalk vor jeder Operation mit dem Brei oder Saft an, während Hr. Stolle sich desselben erst nach der gewöhnlichen Läuterung mit Kalk bedient.Man vergl. über Melsens' Verfahren die Notizen im polytechn. Journal Bd. CXIII S. 393 und in diesem Bande S. 158, sowie die Abhandlung von Dr. Lüdersdorff S. 145.A. d. Red.