Titel: Neues Verfahren zur Gewinnung des Zuckers aus dem Zuckerrohr und der Runkelrübe; von Hrn. Melsens.
Fundstelle: Band 114, Jahrgang 1849, Nr. LXXXI., S. 411
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LXXXI. Neues Verfahren zur Gewinnung des Zuckers aus dem Zuckerrohr und der Runkelrübe; von Hrn. Melsens. Aus den Annales de Chimie et Physique Novbr. 1849, S. 272. (Schluß von Seite 389 des vorigen Heftes.) Melsens, über Gewinnung des Zuckers aus dem Zuckerrohr und der Runkelrübe. Die Rübenzuckerfabrication ist viel mehr vorgeschritten und bietet daher kein so großes Feld für Verbesserungen mehr dar, wie die Behandlung des Zuckerrohrs. Der Saft wird aus den Runkelrüben genauer ausgezogen und man verliert daher viel weniger Zucker im Rückstand; der in letzterm zurückbleibende Zucker ist sogar nicht eigentlich verloren, weil der abgepreßte Rückstand als Viehfutter benutzt wird. Zum Abdampfen ist man in unserem Klima ohnedieß auf die Benutzung der Steinkohlen und anderer wohlfeilen Brennmaterialien angewiesen. Endlich enthält der Rübensaft viele Salze, welche die Krystallisation des Zuckers zu verhindern vermögen, und diese Ursache von Verlust konnte das neue Verfahren nicht beseitigen. Durchschnittlich enthalten 100 Kil. Runkelrüben 10 Kil. Zucker, wovon 1 Kilogr. in dem abgepreßten Rückstand und 2 Kilogr. in der Melasse bleiben, so daß der Fabricant 7 Kilogr. in Form von Rohzucker in den Handel bringen kann. Einige Fabricanten sollen letztere Ziffer erreichen; ich möchte aber glauben, daß man selbst in Frankreich, wo dieser Industriezweig so geschickt betrieben wird, im allgemeinen Durchschnitt nicht über 6 Kil. gewinnt, so daß als absoluter Verlust 1 Procent Zucker bei der Arbeit verschwände. Jedenfalls betrachte ich als die Gränze der für jetzt von meinem Verfahren zu hoffenden Verbesserungen eine Erhöhung des Rohzucker-Ertrags auf 8 Procent in guter vierter Sorte, also 33 Procent über das gegenwärtige durchschnittliche Ergebniß in den Rübenzuckerfabriken. Ich war jedoch nicht sowohl bemüht, den großen Rübenzuckerfabriken vollkommenere Fabricationsmethoden zu verschaffen, als vielmehr Methoden zu liefern, welche Jedermann leicht anwenden kann und die sich für die Zuckergewinnung in kleinerem Maaßstabe auf den Pachtgütern selbst eignen. Während ich die Frage unter diesem Gesichtspunkt studirte, benutzten die HHrn. Gebrüder Claes ohne mein Wissen Verfahrungsarten derselben Natur bei der Fabrication im Großen; es ist folglich ihre Sache, deren Resultate bekannt zu machen. Ich selbst habe meine Methode noch nicht mit den in den Rübenzuckerfabriken jetzt gebräuchlichen Apparaten im Großen versucht, und kann daher nur die im Laboratorium erhaltenen Resultate zur Beurtheilung veröffentlichen. Zuerst fragte es sich, ob man aus der Runkelrübe allen darin enthaltenen Zucker ausziehen kann. Dieß ist nicht zweifelhaft. Man braucht nur den Brei mit Wasser auszuwaschen, welches zweifachschwefligsauren Kalt enthält, und wenn dieses systematisch bewerkstelligt wird, muß man einerseits einen sehr concentrirten Saft und andererseits einen beinahe erschöpften Rückstand erhalten. Von der so erhaltenen Flüssigkeit gießt man auf die Reibmaschine, um neuem Brei das conservirende Kalksalz einzuverleiben. Den erschöpften Rückstand betreffend, weiß ich nicht, ob er in Folge seiner Erschöpfung als Viehfutter wirklich nicht mehr zu benutzen ist. Darüber muß die Erfahrung entscheiden; man sollte aber vermuthen, daß der ausgewaschene Rückstand, welcher von stickstoffhaltigen und assimilirbaren Substanzen noch so viel enthält, seine nährende Eigenschaft nicht ganz verloren hat. Uebrigens könnte man denselben mit Melasse würzen, um ihm den Zucker und die verlorenen Salze wieder zu ersetzen; die Erfahrung allein kann uns aber lehren, welches Quantum von Melasse das Vieh verträgt. Die gänzliche Erschöpfung des Rübenbreies ist jedenfalls im Großen leicht ausführbar, und da der Zusatz von saurem schwefligsaurem Kalk jede Veränderung und Gährung verhindert, so kann man sogar mehrere Tage auf diese Arbeit verwenden. Ueber den absoluten Verlust von 1 Procent Zucker oder von 10 Procent des in den Rüben enthaltenen Zuckers, darf man sich nicht wundern; in der Regel wird aber der Verlust bedeutender seyn, und in dieser Hinsicht wird mein Verfahren ohne Zweifel Vortheil gewähren. Dieser Verlust entsteht, indem Zucker im Schaum, in der Knochenkohle, in den Beuteln und Filtern zurückbleibt, indem ferner Zucker durch die Gährungen zerstört wird, welche die mit verschiedenen Fermenten imprägnirten Säcke und Werkzeuge in Berührung mit dem Saft einleiten können. Diese Verluste dürften durch Anwendung des sauren schwefligsauren Kalks fast ganz zu beseitigen seyn. Die Knochenkohle wird entweder ganz entbehrlich, oder es wäre von solcher beim Verarbeiten des Rohzuckers doch beträchtlich weniger erforderlich. Auf den Schaum wirkt der saure schwefligsaure Kalk auf zweierlei Art. Er bewirkt leichter und vollständiger das Gerinnen der eiweißartigen Substanzen welche den Schaum bilden; außerdem erzeugt er einen Schaum, welcher sich in Berührung mit der Luft nicht verändert und nicht in Gährung übergeht. Sollten bei der Arbeit im Großen in letzterer Hinsicht dennoch Schwierigkeiten eintreten, so dürfte man dem Schaum nur einige Tausendstel zweifach-schwefligsauren Kalks zusetzen, um ihnen zu begegnen. Um alle Säcke, Beutel, Filter, Werkzeuge gegen den Einfluß der Fermente zu schützen, braucht man sie nur vor ihrem Gebrauch und in dem Augenblick, wo man aufhört sie anzuwenden, mit einer schwachen Auflösung jenes Kalzsalzes zu waschen, was schon Dubrunfaut und Kuhlmann empfahlen. Aus allem diesem glaube ich schließen zu dürfen, daß man mittelst zweckmäßiger Anwendung des sauren schwefligsauren Kalks nicht nur den bisher in dem abgepreßten Rückstand zurückgebliebenen Zucker gewinnen, sondern auch noch großentheils den Verlust vermeiden kann, welchen zufällige Gährungen des Schaums, der Säcke, Beutel, Filter etc. verursachen. Wenn dieser Verlust von den 10 Procent Zucker welche die Runkelrübe enthält, nur zwei oder drei ausmacht, so ist seine Verminderung jedenfalls von einiger Wichtigkeit. Ich gehe nun auf eine andere Ursache von Verlust über, nämlich die Gegenwart der Salze im Rübensaft, welche man als die Hauptursache der Melassebildung betrachtet. Bei dem Zuckerrohr reicht ein wenig saurer schwefligsaurer Kalk hin, damit es bei der Behandlung mit Wasser dieselben Resultate wie bei der Behandlung mit Weingeist gibt; weil nämlich der Rohrsaft keine oder nur sehr wenig Salze enthält. Mit dem Runkelrübensaft ist es eine ganz andere Sache; er gibt bei jeder Behandlungsweise mit saurem schwefligsaurem Kalk immer andere Resultate als bei der Behandlung mit Weingeist, gerade weil das Wasser des Safts die Salze auflöst, welche der Weingeist nicht auflöst. Man erhält daher auch selten den Runkelrübenzucker in scharfen und deutlichen Krystallen, wie sie der Rohrzucker leicht gibt. In der Regel bekam ich auch, wo nicht Melassen, doch wenigstens weiche Producte. Daß die Salze einen Einfluß auf die Krystallisation des Zuckers ausüben können, ist unbestreitbar; man kann ihn aber nicht als die alleinige Ursache der Bildung von Melasse oder weichen Krystallen betrachten, wie folgender Versuch beweist. Ich dampfte 40 Liter Rübensaft ab, verbrannte deren Rückstand und setzte die so erhaltenen Salze 10 Litern Saft zu, welche unter obiger Voraussetzung keinen krystallisirten Zucker mehr geliefert hätten; nun kann man sich aber leicht überzeugen, daß in dieser Dosis die Salze der Runkelrübe keinen solchen Einfluß haben. Die Entstehung der Melasse muß also noch andern Ursachen zugeschrieben werden. Es wäre jedenfalls unrichtig zu behaupten, daß ein Verfahren, welches die Salze nicht entfernt, deßwegen ohne Einfluß auf die Bildung der Melasse bleiben muß. Alle meine Versuche haben das Gegentheil bewiesen. Es ist mir allerdings nicht gelungen die Bildung von Melasse ganz zu vermeiden, aber ich habe sie doch auf ein viel niedrigeres Quantum reducirt, als man bei den gegenwärtigen Verfahrungsarten erzeugt. Man versichert, daß in einigen französischen Rübenzuckerfabriken, welchen sehr erfahrene Personen vorstehen, das Ergebniß an Rohzucker 8 Procent vom Gewicht der Runkelrüben in gewöhnlicher vierter Sorte beträgt. Dieses Resultat würde die Meinung, auf welche ich durch meine eigenen Versuche gebracht wurde, vollkommen bestätigen und ich wünschte nur durch die Sicherheit der Methoden einen bisher ausnahmsweisen Erfolg allgemein zu machen. Die Rübenzuckerfabrication hat in einigen Ländern des Kontinents einen solchen Aufschwung genommen, daß besondere Fabriken für die Herstellung der dabei erforderlichen Maschinerien sowie zur Bereitung und Wiederlebung der Knochenkohle errichtet wurden; außerdem riefen sie Brennereien hervor, welche die Melassen verarbeiten, um einerseits Alkohol und andererseits die in denselben concentrirten Salze zu gewinnen. Wenn die Anwendung des zweifach-schwefligsauren Kalks eingeführt wird, dürften die veränderten Umstände zu neuen Entdeckungen führen, welche sich noch nicht voraussehen lassen. Die Reibmaschine muß man jedenfalls beibehalten, bis man über die Zweckmäßigkeit eines systematischen Auswaschens der mittelst einer Schneidmaschine erhaltenen Rübenschnitte vollends im Reinen ist. Es schien mir, daß die Zuckerauflösungen, welche man durch Maceration erhält, leichter zu verarbeiten sind, als der natürliche Saft, wie man ihn mittelst der Reibmaschine und Pressen gewinnt. Es ist zweifelhaft ob man die gegenwärtigen Pressen beibehalten wird, selbst wenn man die Reibmaschine nicht aufgibt. Jene sind für eine sehr rasche Arbeit berechnet; wenn aber einmal der Brei unveränderlich gemacht ist, dürften langsame Pressen welche große Massen fassen, Handarbeit ersparen, keine Säcke und Horden erfordern, vortheilhafter seyn und vorgezogen werden. Da die Läuterung mittelst zweifach-schwefligsauren Kalks gerade so ausgeführt wird wie mit dem Kalk, so dürften die dazu gebräuchlichen zweckmäßigen Kessel unentbehrlich bleiben. Die Taylor'schen und anderen Filter dienen bei der neuen Methode zu demselben Zweck wie bisher, man müßte denn die Niederschläge sich absetzen lassen, was möglich ist. Die Apparate zum Abdampfen über freiem Feuer ließen sich am Anfang zum Concentriren des Safts benutzen, aber am Ende müßte man entweder in Dampfkochapparaten rasch verdampfen oder in geheizten Räumen die langsame Krystallisation bewerkstelligen. Ich habe mich überzeugt, daß man Pfannen aus Schwarzblech, Gußeisen, verzinntem Kupfer und Weißblech anwenden kann, und sehr wahrscheinlich auch Gefäße aus Holz oder cementirten Backsteinen. Die Anwendung der Knochenkohle wird man ganz unterlassen, vermindern oder beibehalten, je nachdem man Rohzucker oder raffinirten Zucker fabriciren will. Die Melassen und ihre Salze benutzt man wie bisher, abgesehen von dem Theil, welchen man dem erschöpften Rückstand beigibt, um ihn als Viehfutter verwenden zu können. Im Dept. du Nord hat man Salze mit Kalibasis in der Melasse; man brauchte dieselben nur zu verfüttern, um sie in dem Dünger dem Boden zurückzugeben; anstatt dessen werden sie im Großen für den Handel aus der Melasse abgeschieden; man dürfte es in der Folge bedauern, sie auf diese Weise dem eigenen Boden entzogen zu haben. Die Gegenden welche Rübenzucker produciren, können von demselben ausführen so viel sie wollen, denn die Luft und das Wasser erstatten ihnen die Elemente des Zuckers zurück; wenn aber die Salze der Melasse einmal ausgeführt sind, finden sie sich nicht so leicht wieder. Im Interesse des landwirthschaftlichen Fabrikbetriebs halte ich es für das Zweckmäßigste, daß man dem Rübenbrei allen krystallisirbaren Zucker, welchen er liefern kann, entzieht und dem erschöpften Rückstand dann zum Füttern des Viehes einen Theil der Melasse und ihrer Salze zusetzt; diese Methode wird aber nur in dem besondern Fall Eingang finden, wo es für die Fabricanten vortheilhafter ist den Zucker aus dem Brei zu gewinnen als die Melasse zu verkaufen; ob dieser Vortheil besteht, wie ich glaube, kann nur die Erfahrung im Großen lehren. Ich habe die Runkelrüben zerrieben, indem ich den Brei mit 2 1/2 Procent des Gewichts der Wurzeln einer Auflösung zweifach-schwefligsauren Kalks von 10° Baumé begoß. Der Brei wurde dann ausgepreßt und der gesammelte Saft zum Kochen erhitzt; nach bewerkstelligter Läuterung seihte man die Flüssigkeit durch Wollenzeug und analysirte sie mittelst des Polarisationsapparats. Der geläuterte Saft wurde durch Kochen über freiem Feuer bis zur Syrupsconsistenz abgedampft; der Syrup wurde nach dem Filtriren in die Trockenstube gestellt, wo er sich in krystallisirte Massen von strohgelber Farbe verwandelte, welche man ebenfalls mittelst des Polarisationsapparats analysirte. Nachdem die Analyse dieser feuchten Masse gemacht war, konnte man bestimmen wieviel von ihrem Gewicht wirklicher Zucker ist, indem der Rest das Wasser, die Salze etc. repräsentirt. 4,356 Liter Saft, welche 521,4 Gramme Zucker enthielten, lieferten eine körnige Masse, die 528,2 Gr. Zucker enthielt. 0,984 Liter Saft, welche 105,3 Gramme Zucker enthielten, lieferten eine körnige Masse, welche 104,9 Gr. Zucker enthielt. 1,045 Liter Saft, welche 112,4 Gramme Zucker enthielten, lieferten eine körnige Masse, die 113,1 Gr. Zucker enthielt. Daraus folgt, daß während der Läuterung, des ersten Abdampfens über freiem Feuer, des zweiten Abdampfens in der Trockenstube und der in derselben stattfindenden Krystallisation, der mit zweifach-schwefligsaurem Kalk behandelte Zucker unversehrt bleibt. Bei allen meinen Proben zeigte sich dieselbe Uebereinstimmung. Die stets geringen Differenzen, welche bald in dem einen bald in dem andern Sinne beobachtet wurden, betrugen in der Regel nicht über zwei bis drei Procent und können also in der Praxis vernachlässigt werden. Die Rückstände, aus welchen die vorhergehenden Säfte ausgepreßt worden waren, mit Wasser angerührt und wieder in die Presse gebracht, lieferten zuckerhaltige Flüssigkeiten. Als man diese Operation noch einmal wiederholte, enthielten die Flüssigkeiten fast keinen Zucker mehr; für die letzten Auswaschungen setzte man dem Wasser ein wenig sauren schwefligsauren Kalk zu. Diese Flüssigkeiten zusammengegossen, filtrirt und durch Kochen über freiem Feuer abgedampft, neuerdings filtrirt, dann in die Trockenstube gestellt, gaben ähnliche krystallisirte Massen, wie man sie mit dem directen Saft erhielt. Der in diesen Massen enthaltene Zucker entsprach, Gewicht für Gewicht, demjenigen welchen die Analyse in den angewandten Flüssigkeiten anzeigte. Der Schaum und die Beutel wurden mit Wasser gewaschen, welches ein wenig zweifach-schwefligsauren Kalk enthielt; man ließ dasselbe zehn Tage lang in Berührung mit der Luft stehen, indem man jeden Tag das Spülwasser von den angestellten Versuchen beigab. Nach dieser Zeit wog die Flüssigkeit 4 1/2 Baumé; sie wurde geläutert etc. wie der Runkelrübensaft selbst und man erhielt davon krystallisirte Massen, welche mit den directen Producten ziemlich den Vergleich aushielten. Bei meinen zahlreichen Versuchen mit Runkelrüben, habe ich solche von allen Größen, von allen Farben, rothe, gelbe, weiße behandelt; ferner von jedem Alter, junge und noch nicht zur Reife gelangte, reife welche nach der Ernte in gutem Zustande waren und Wohl conservirt aus den Silos genommen wurden, endlich in verschiedenem Grade veränderte. Die krystallisirten Massen, welche ich damit bekam, enthielten immer den Zucker, welchen die Analyse im Saft vor dessen Verarbeitung anzeigte, unverändert; die beobachteten Unterschiede werden hauptsächlich durch physische Ursachen veranlaßt, denn der erhaltene Zucker besaß nicht immer dieselben physischen Eigenschaften. Die Runkelrübe gab mir nur sehr selten ebenso schöne Producte wie das Rohr; anstatt ein hartes und gut gebildetes Korn zu liefern, erstarrten die Massen oft auf eine ähnliche Art wie es bei einer verworrenen Krystallisation geschieht. Die Chemiker und Fabrikanten, welche in der Anwendung von Payen's vortrefflicher ProbirmethodeMan vergl. polytechn. Journal Bd. C S. 127. geübt sind, können sich durch einen sehr einfachen Versuch von der Zweckmäßigkeit meiner Methode überzeugen. Sie brauchen nur etwa zehn Runkelrüben mit zweifachschwefligsaurem Kalk zu behandeln und den Saft nach der Läuterung zuerst bis auf 25° Baumé abzudampfen. Nun klärt und filtrirt man, oder kann auch ohne Klärung filtriren. Man dampft hierauf bis zu 37 oder 38° Baumé ab und läßt die Masse drei oder vier Tage in einer Trockenstube bei 32° R. stehen. Die krystallisirte Masse, stark ausgedrückt, wird ein Rohzucker von sehr schöner Farbe seyn, dessen Gehalt an Zucker in der Praxis auch zu realisiren ist, wie die Probe mittelst Payen's Methode beweist. Aber Jedermann der einige Runkelrüben mit zweifach-schwefligsaurem Kalk zu behandeln versucht, wird ohne Mühe finden, daß man aus dem Saft, welchen sie liefern, 13 bis 15 Procent seines Gewichts teigigen Rückstand erhält, welcher zwischen Filtrirpapier stark gepreßt, 7 bis 10 Procent vom Gewicht des Safts an weißem Zucker hinterläßt. Bei Anwendung des zweifach-schwefligsauren Kalks ist das Kochen gewöhnlich sehr stürmisch. Ich kann diese Eigenthümlichkeit nicht erklären, man kann sie aber durch ein wenig Fett, oder besser durch Oelsäure (aus den Stearinkerzen-Fabriken) leicht beherrschen. Wegen dieses Aufwallens wäre es auch wünschenswerth, den Abdampfpfannen eine andere Form zu geben, besonders für den Saft von Rüben welche noch nicht zur Reife gelangt sind. Ich habe mich überzeugt, daß man beim Verarbeiten schwarz gesteckter und bis auf einige Centimeter unter dem Hals brandiger Rüben, nach meiner Methode den Zucker ebenso gut gewinnen kann wie mit den gesunden Rüben. Im Aussehen unterscheiden sich die Producte wenig und die krystallisirten Massen enthalten soviel Zucker als die Analyse in den angewandten Wurzeln anzeigte. Ich will nun den jetzigen Gang der Arbeit in den Rübenzuckerfabriken mit demjenigen vergleichen, welcher bei Anwendung meines Verfahrens eingeschlagen werden dürfte. Da das Zerreiben der Rüben gegenwärtig in freier Luft ohne besondere Vorsicht vorgenommen wird, so machen die in Folge desselben eintretenden Veränderungen des Safts ein rasches Auspressen desselben unumgänglich. So schnell man es aber bewerkstelligen mag, muß der Saft doch eine Veränderung erleiden. Die mittelst Kalk bewerkstelligte Läuterung begünstigt oder erhöht die Färbung, und man muß nun Knochenkohle anwenden, um den Saft zu entfärben und den überschüssigen Kalk zu absorbiren. Das Abdampfen bei erhöhter Temperatur modificirt einen Theil des Zuckers welchen die Wärme unkrystallisirbar macht; man ist daher genöthigt einigemal nach einander das Klärsel zu verkochen und den festen Zucker in vier oder fünf, immer weniger ergiebigen Krystallisationen zu gewinnen. Mein Verfahren würde gestatten: Die Rüben im Vorrath zu zerreiben, den Brei von einem Tag zum andern aufzubewahren, auch langsam und wiederholt auszupressen, indem man den Brei durch Auswaschen erschöpfte. Es würde einen vollkommen klaren und farblosen geläuterten Saft liefern, welcher dann nicht mehr mit Knochenkohle behandelt zu werden braucht. Der zuerst durch Kochen auf beiläufig 1,3 spec. Gewicht abgedampfte und hierauf in der Trockenstube concentrirte Saft würde ohne Färbung krystallisiren und fast ganz in eine feste Masse verwandelt werden. Ich komme also auf das Verfahren der langsamen Krystallisation zurück, welches Hr. Crespel-Delisse schon im Jahr 1827 in seiner Rübenzuckerfabrik anwandte; ich bin aber überzeugt, daß durch Benutzung des zweifach-schwefligsauren Kalks dieses Verfahren vereinfacht und leichter ausführbar wird, überdieß eine viel größere Ausbeute liefert. Bei meiner Methode entstehen aber sogleich zwei Fragen: Ist der mit dem Kochsalz behandelte Brei als Viehfutter ohne allen Nachtheil verwendbar? Macht der mittelst zweifach-schwefligsauren Kalks erhaltene Rohzucker keine besonderen Schwierigkeiten beim Raffiniren, und wird er im Handel zu demselben Preise abgesetzt werden können wie der nach dem bisherigen Verfahren gewonnene? Diese zwei Fragen können nicht durch Versuche im Kleinen, sondern nur durch die Ergebnisse der Anwendung meiner Methode im Großen genügend beantwortet werden. So weit war ich mit meiner Arbeit vorgeschritten, als Hr. Paul Claes, Rübenzuckerfabricant zu Lembecq, nach Paris kam, als Mitglied der Commission welche der belgische Minister des Innern zur Begutachtung der Resultate meiner Versuche abgeordnet hatte. Hr. Claes bemerkte mir sogleich, daß er selbst ein Verfahren im Großen angewandt habe, welches wahrscheinlich dem meinigen analog sey; im Falle die Methoden übereinstimmen, erkenne er an, daß meine Deponirung zweier versiegelten Packete in den Archiven der k. Akademie von Belgien und des Instituts von Frankreich, mir die Priorität sichere. Er schrieb die Resultate seines Verfahrens mit folgenden Worten nieder: „Wir behandelten während der letzten Fabrication zu Lembecq fast 2,500,000 Kil. Runkelrüben mit schwefliger Säure. Flüssige schweflige Säure von 4 1/2° Baumé, mit ihrem 200fachen Volum Wasser verdünnt, wurde auf die Reibmaschine gegossen. Der Saft wurde bei 48° R. mit Kalk geläutert; man setzte Kreide zu und erhielt sehr große Klumpen. Der geläuterte Saft war fast farblos. Die Ausbeute an Zucker war beträchtlicher. Die Farbe des Zuckers ist auch ohne Anwendung von Decksel besser, ferner ist sein Korn viel schöner. Diese Zucker, welche mit den schönsten in jeder Hinsicht den Vergleich aushielten, waren im Handel sehr gesucht.“ Bald darauf überschickten mir die HHrn. Gebrüder Claes viertes raffinirtes Product und fünftes rohes Product, welche die vorhergehenden Behauptungen vollkommen rechtfertigten. Ich war nun sehr erfreut zu erfahren, daß der mit Beihülfe von schwefliger Säure gewonnene Zucker sich beim Raffiniren gut verhielt und im Handel beliebt war; ferner daß der abgepreßte Rückstand von 2,500,000 Kil. mit schwefliger Säure behandelter Runkelrüben durch das Vieh ohne Schwierigkeit verzehrt wurde; endlich daß die Ausbeute an Zucker bei Anwendung von schwefliger Säure zu Lembecq größer war als früher. Hr. Paul Claes stimmte meiner Meinung bei, daß die directe Anwendung des zweifach-schwefligsauren Kalks der Benutzung von schwefliger Säure vorzuziehen ist. Bis Hieher waren meine Untersuchungen in der Ruhe des Laboratoriums angestellt worden; das Resultat derselben wurde aber ruchtbar; die Zuckerfabricanten des Dept. du Nord wurden durch dasselbe beunruhigt, die Abgeordneten der Colonien wandten sich an den französischen Marineminister und auf ihre Bitte ernannte die französische Regierung eine Kommission zur Prüfung meines Verfahrens. Das Stillschweigen welches die belgische Regierung so lange Zeit beobachtet hatte, war also gewaltsam gebrochen. Die französische Commission erkannte schon in ihrer ersten Sitzung an, daß es für die Sicherheit ihrer Operationen nöthig sey, daß ich ein Erfindungspatent nehme, was ich auch that, damit mir Niemand mit einem Patentgesuch zuvorkomme. Um den Werth eines neuen Systems in einem Industriezweig wie die Zuckerfabrication beurtheilen zu können, ist eine Campagne erforderlich, oder es müssen wenigstens in verschiedenen Epochen dieser Campagne genaue und zweckmäßig geleitete Versuche angestellt werden. Ich veröffentliche daher jetzt diese erste Abhandlung, worin ich die wesentlichen Thatsachen genau mitzutheilen bemüht war, und ersuche alle belgischen und französischen Zuckerfabrikanten, welche es ihrem Interesse angemessen finden, im Verlauf dieser Campagne die von mir beschriebenen Verfahrungsarten anzuwenden und mir die Resultate mitzutheilen. Ich mache dieselben besonders auf folgendes aufmerksam: wenn man den zweifach-schwefligsauren Kalk auf die Reibmaschine gießt, so macht er den Brei und den Saft während der ersten Operationen der Zuckerfabrication unveränderlich; er gestattet ohne alle Gefahr die Maceration der Rüben anzuwenden, oder sie zum zweitenmal auszupressen nachdem sie mit Wasser getränkt worden sind; er verbessert den schlechten Zustand der Rüben am Ende der Campagne und macht daher die Fabrication während ihrer ganzen Dauer gleichförmig und regelmäßig; man versuche ihn daher in dieser Hinsicht, indem man seine Anwendung auf diese conservirende Rolle beschränkt; die Fabrikanten und Arbeiter werden sich gewiß nach und nach mit diesem neuen Product vertraut machen und bald die günstigsten Umstände für seine Anwendung im Großen ermittelt haben. Sollten gegen alles Erwarten die Rübenzuckerfabrikanten keinen Vortheil bei der Anwendung meines Verfahrens finden, so wäre selbst dadurch sein Einfluß auf die Gewinnung des inländischen Zuckers schwerlich vernichtet. Wenn man mit einer Wurzelschneidmaschine, ein paar Fässern, einem Laugenkessel und einigen großen irdenen Schüsseln ausreicht, um sehr leicht den Zucker aus 1000 Kil. Runkelrüben zu gewinnen, wenn man ihn gleich bei der ersten Krystallisation weißer erhält als die schönsten im Handel vorkommenden Rohzucker, so darf man wohl hoffen daß der stets wachsende Zuckerbedarf die Fabrication unter dem Landvolk verbreiten wird. Die Landwirthschaft gewänne dadurch die Vortheile der besten Koppelwirthschaft und der Bauer würde in Stand gesetzt mehr Zucker consumiren zu können; während in England jährlich über 19 Kil. Zucker per Kopf verzehrt werden, erreicht ganz Europa nicht die Consumtion von jährlich 2 1/2 Kil. per Kopf. Wie man aber auch bei der Praxis im Großen nach meiner Methode im Detail arbeiten mag, so kann ich es nicht genug empfehlen, daß man stets damit anfängt das conservirende Kalksalz auf den Saft zu gießen, in dem Augenblick wo er mit der Luft in Berührung kommt; im Uebrigen können die Fabrikanten die oben mitgetheilten Thatsachen und Principien verschiedenartig anwenden. Ich werde später die vergleichenden Resultate meiner fortgesetzten Versuche mittheilen und will hier nur einige solcher abgeänderten Verfahrungsweisen angeben: 1) Man kann die Läuterung über dem Brei selbst vornehmen. 2) Man kann den Saft, wie man ihn durch Auspressen oder Auswaschen erhält, bloß mittelst zweifach-schwefligsauren Kalks läutern; nach der Läuterung ihn über Taylor'sche Filter filtriren oder bloß decantiren. Die so erhaltene klare Flüssigkeit kann man dann direct zum Verkochen treiben, ungeachtet der Trübung welche während des Abdampfens darin entsteht. 3) Man kann mittelst zweifach-schwefligsauren Kalks läutern, filtriren oder decantiren, auf 25° Baumé abdampfen, zum zweiten Mal filtriren, zum Verkochen treiben. 4) Man läutert mit zweifach-schwefligsaurem Kalk, filtrirt oder decantirt, dampft auf 25° Baumé ab, verkocht nur bis 38° Baumé und stellt den Syrup dann in die Trockenstube, um die langsame Krystallisation nach der Methode von Crespel-Delisse zu bewerkstelligen. 5) Man bewirkt die Conservirung des Breies durch eine schwache Dosis von zweifach-schwefligsaurem Kalk; läutert mit Kalk nach der gewöhnlichen Methode; filtrirt oder läßt über Knochenkohle laufen; setzt dann soviel zweifach-schwefligsauren Kalk zu, daß man eine neutrale oder schwach saure Flüssigkeit erhält; dampft auf 25° Baumé ab, treibt zum Verkochen. In allen diesen Fällen erhielte man gute Resultate, wenn man die Tröpfelsyrupe wieder in den Läuterungskesseln zusetzen könnte. 6) Man läutert mit zweifach-schwefligsaurem Kalk; filtrirt oder decantirt; dampft den Saft auf 25° Baumé ab; neutralisirt ihn oder macht ihn schwach alkalisch; filtrirt über Knochenkohle und fährt dann mit der Arbeit fort wie bei den bisherigen Verfahrungsarten. 7) Man läßt eine schwache Auflösung von zweifach-schwefligsaurem Kalk auf die Reibmaschine laufen; man bewerkstelligt die Läuterung mit Kalk; man fährt dann fort wie bisher. Schließlich will ich mit wenigen Worten die Arbeiten der Chemiker oder Fabrikanten erwähnen, welche meines Wissens vor mir denselben Weg eingeschlagen haben. Proust benutzte zuerst das Schwefeln mit schwefligsaurem Kalk zur Darstellung des Traubenzuckers und empfahl es auch für den Saft des Zuckerrohrs etc. und ihm gebührt also die ganze Ehre der Entdeckung. Früher oder später muß seine originelle Idee triumphiren; ich würde mich glücklich schätzen, sein Verfahren von einigen Schwierigkeiten befreit und in die Praxis eingeführt zu haben. Hr. Drapiez wandte im Jahr 1811 die schweflige Säure an. Hr. Perpère scheiterte im Jahr 1812 bei deren Anwendung. Hr. Jordan v. Haber schlug die schweflige Säure (anstatt derselben aber auch Schwefelsäure oder Kalk) für die getrockneten Rübenschnitte vor Hr. Boutin nahm im Jahr 1846 ein Patent auf die Anwendung der schwefligsauren Thonerde, welche bereits Hr. Stolle in seinem Patent vom Jahr 1838 angegeben hatte. Endlich nahm im Jahr 1848 Hr. Meige ein Patent auf die Anwendung der schwefligen Säure und des Schwefelcalciums, welche vor ihm Hr. Meiret in Reims für den Traubenzucker empfohlen hatte. Die Patente welche Hr. Dubrunfaut im Jahr 1829 und Hr. Stolle im Jahr 1838 auf die Anwendung der schwefligen Säure und der schwefligsauren Salze nahmen, sind in den Brevets d'invention Bd. XXVII und Bd. LXVII veröffentlicht.Man vergleiche S. 305 in diesem Bande des polytechn. Journals. Die Fabrikanten und Chemiker können darnach beurtheilen, worin Hr. Stolle von mir abweicht, welches der Ausgangspunkt eines jeden von uns ist und auf welche Thatsachen wir uns stützen.