Titel: Der Reichenbach'sche Distanzmesser und Romershausen's Längenmesser. Ein Nachtrag zu S. 29 Bd. CXVI des polytechnischen Journals.
Autor: E. Romershausen
Fundstelle: Band 116, Jahrgang 1850, Nr. LXVII., S. 352
Download: XML
LXVII. Der Reichenbach'sche Distanzmesser und Romershausen's Längenmesser. Ein Nachtrag zu S. 29 Bd. CXVI des polytechnischen Journals. Ueber den Reichenbach'schen Distanzmesser und Romershausen's Längenmesser. Es ist nach mehreren vorliegenden Beispielen eine offenbare Unart einiger neuerer praktisch-mathematischer Schriftsteller, daß sie über Instrumente ein absprechendes Urtheil fällen, ohne durch persönliche Prüfung eine nähere Bekanntschaft mit denselben gemacht zu haben. Sie gründen ihr Urtheil auf ungenügende und mißverstandene Beschreibungen – verbreiten dadurch unrichtige Ansichten unter dem ohnehin gegen alles Neue mißtrauischen Publicum und schaden den Fortschritten ihres eigenen Faches. Hr. Professor Decher beklagt sich in obigem Aufsatz über dieses unangemessene Verfahren hinsichtlich des von ihm vertheidigten Reichenbach'schen Distanzmessers – verfällt aber in denselben Fehler, indem er sich über meine Instrumente tadelnd ausspricht, ohne dieselben je gesehen, noch praktisch geprüft zu haben. Er sagt nämlich: „Der Reichenbach'sche Distanzmesser gibt die Entfernungen einer richtig getheilten Latte von dem Instrument sehr leicht auf 1/500 derselben durch unmittelbares Ablesen und zwar bei 25 bis 30maliger Vergrößerung des Fernrohrs von 100' und selbst von 50' an bis 1000' – eine Genauigkeit, welche mit dem Längenmesser (Diastimeter) von Dr. Romershausen bei weitem nicht erreicht werden kann; denn zugegeben, daß dieses Instrument, wie behauptet wird, die Parallaxe des anvisirten Objects auf Secunden genau angibt – für ein Object von 15 Fuß und eine Entfernung von 300', muß das Instrument 1' 5'' lang seyn, wenn die Entfernung der Stahlspitzen 1'' betragen soll. Ein Fehler von 1 Secunde entspricht dann einem Fehler von 0'',015 im Einstellen der Stahlspitzen und demnach einem Fehler von 15/1000 oder 1 1/2 Proc. der gemessenen Entfernung; und die Unsicherheit der Messung wäre über 7mal so groß als bei dem Reichenbach'schen Distanzmesser etc.“ Diese Aeußerung beurkundet aber eine vollkommene Unbekanntschaft mit meinem Instrument, denn: 1) Werden die Stahlspitzen (Tangenten) des Längenmessers nicht eingestellt, sondern sie sind constant und nach sorgfältiger trigonometrischer Berechnung mit mikroskopischer Genauigkeit für immer fixirt. Dagegen ist der Radius (Auszug) veränderlich und der parallaktische Winkel wird durch dieses veränderliche Verhältniß des Radius zur constanten Tangente bestimmt. Da nun die Richtigkeit der Distanzmessung lediglich von der genauesten Bestimmung der kleinen und kleinsten Winkel abhängig ist – so möchte meine Winkelmessungsmethode wohl unstreitig vortheilhafter seyn als die gewöhnliche an der Kreistheilung, indem die Veränderung des Radius in den Secundentheilen bei meinem Längenmesser noch eine bedeutende, dem unbewaffneten Auge sichtbare Größe ist – während dieselbe im Limbus des Kreises dem Auge entschwindet und durch eine so leicht trügliche mikrometrische Hülfe aufgesucht werden muß. Ein Beispiel wird dieses erläutern (vergl. Helmuth, die Distanzmessung der Artillerie etc. mit Hülfe des Romershausen'schen LängenmessersLängenmesscrs. Halle 1848, S. 50 etc.). Die Berechnung zeigt daselbst, daß der zwischen den Winkeln von 0°3'26'',52 und 0°3'26'',32 liegende und der constanten Tangente entsprechende Raum der Scale des Radius bei diesem mit Fernrohr versehenen Diastimeter 1/2 rheinl. Decimallinie beträgt; daß also ein am Limbus der Peripherie messendes Instrument bei gleicher augenfälliger Größe seiner Theilung, einen Umfang von 2592 Decimalfuß haben müsse. Eine Größe, welche zwar in das Lächerliche hinausragt, aber doch den Künstlern die großen Vortheile dieser meiner – namentlich auch für astronomische Zwecke geeigneten Winkelmessungsmethode einleuchtend machen wird.Dieses Extrem einer Winkelmessung soll nur das gegenseitige Verhältniß beider Instrumente hervorheben – bei der gewöhnlichen terrestrischen Distanzmessung wählt man natürlich größere Objecte und erhält mit gleicher Genauigkeit die größern Winkel. Vielfache Vergleichungen der Leistungen des Diastimeters mit denen des kostbarsten Theodolits sind daher stets zum Vortheil des erstern ausgefallen. 2) Ist bei dem betreffenden Längenmesser weder die Entfernung der Stahltangenten 1 Zoll, noch die Länge des Instruments = 1' 5'', sondern es gleicht einem kleinen Taschenfernrohr von 8 Zoll Länge und hat fünf Stahltangenten, welche den Scalen des Radius entsprechen. 3) Ist es nicht wohl erklärlich, warum Hr. D. voraussetzt, daß der Längenmesser bei Messung der angegebenen geringen Entfernung, einen Fehler von 1 Secunde im parallactischen Winkel machen müsse – da dieses, aus obigen Gründen, weit eher bei dem Reichenbach'schen Instrument der Fall seyn könnte, indem ein solcher Fehler im Winkel – nach meinen Erfahrungen – selbst dem besten Theodolit begegnen kann. Ich würde ihm wenigstens rathen, anstatt der Fäden das Ocular mit meinen feinen, die schärfste Bisection gestattenden Stahlspitzen zu versehen, da schon bei der geringen, von ihm als äußerste Gränze seiner Distanzmessung angegebenen Entfernung von 100°, die kleinen Unterabtheilungen seiner Latte von dem feinsten Faden gedeckt werden und die Messung unsicher machen. Dazu kommt, daß sich die schwere, oft in weichen Boden bis zu einer Neigung von 30° einzusetzende Distanzlatte bei freier Stellung nothwendig senken muß – oder wenn sie vom Gehülfen gehalten werden soll – einem jedem Sterblichen unvermeidlichen Zittern und Wanken unterliegt, welches den scharfen Schnitt der feinen Abtheilungen jedenfalls vereitelt. Hr. D. wird daher wohlthun, wie bei dem Längenmesser, hellleuchtende, senkrecht in den Boden eingesetzte Meßstäbe als ein größeres, und daher sichereres horizontales Signal zu benutzen. Hieraus geht nun hervor, daß Hr. D. meinen Längenmesser persönlich nicht kennt und noch weniger ihn praktisch geprüft hat. Eben so wenig kenne ich den Reichenbach'schen Distanzmesser und enthalte mich daher eines jeden Urtheils über denselben, glaube vielmehr – nach der sehr instructiven Darstellung des Hrn. D., daß er ein zu seinen Zwecken sehr brauchbares Instrument ist. Jedenfalls können aber diese unsere beiden Instrumente nicht mit einander verglichen werden, da sie auf ganz verschiedenen Principien beruhen und ganz verschiedene Bestimmungen haben, denn: Der Reichenbach'sche Distanzmesser mißt die höchstens 100° betragende Entfernung an den Abtheilungen einer am Zielpunkt aufgestellten Latte – der Längenmesser mißt hingegen jede noch in richtiger Sehweite gelegene Entfernung durch Beobachtung eines am Zielpunkte liegenden Objects, dessen Größe bekannt oder auch unbekannt seyn kann, und bestimmt zugleich alle Dimensionen desselben, bedarf dazu also auch nicht der Absendung eines Meßgehülfen. Das Reichenbach'sche Instrument ist nach der Beschreibung sehr kunstreich zusammengesetzt und kann daher schwerlich unter 100 Rthlr. geliefert werden – ist also nur Wenigen zugänglich. Es möchte daher wohl für den gewöhnlich unbegüterten praktischen Feldmesser nicht ohne Werth seyn, daß ihm der Längenmesser für den geringen Preis von 8 Rthlr. zu Diensten steht und ihm, namentlich bei coupirtem Terrain, die mühsame und nie mathematisch genaue Kettenmessung vollkommen ersetzt. Beide Instrumente können demnach bei ihren verschiedenen Bestimmungen recht wohl ohne Beeinträchtigung neben einander bestehen – und das Urtheil des ausgezeichneten Mathematikers Hrn. Dr. Wiegandt bezieht sich auch wohl nur auf die nach Obigem beschränktere Benutzung und Brauchbarkeit des Reichenbach'schen Instruments. Weit eher könnte mein Distanzfernrohr (Militärfernrohr) mit dem Reichenbach'schen verglichen werden; denn letzteres mißt die Entfernung bis zu 100° an einem von einem Gehülfen am Zielpunkt aufgestellten Maaßstabe – und ersteres jede beliebige Entfernung an einem solchen im Bildpunkt des Fernrohrs aufgestellten mikrometrischen Maaßstabe – indem es zugleich, wie das Diastimeter, die unbekannten Dimensionen entfernter Objecte findet. Indessen möchte wohl mein Distanzfernrohr, namentlich für militärische Zwecke, den Vorzug verdienen, da man vor dem Feinde weder einen Gehülfen an den Zielpunkt senden, noch eine Distanzlatte aufstellen kann – und schon die Schußweite des Zündnadelgewehrs die Gränze der Reichenbach'schen Distanzmessung überschreitet etc. Auch ist dasselbe für den praktischen Gebrauch billiger (8–10 Rthlr.), fordert keine mathematischen Kenntnisse, sondern gibt das Resultat sogleich unmittelbar. Dazu kommt, daß es zugleich als gewöhnliches gutes Taschenfernrohr dient. Noch muß ich bemerken, daß es Hrn. D. unbekannt gewesen ist, daß mein größeres mit Fernrohr und Libelle etc. versehenes und daher nicht minder kostbares Diastimeter (vergleiche meine Schrift: Diastimeter etc., Zerbst 1818, S. 104 etc.) ebenso wie der Reichenbach'sche Distanzmesser, die Elevations- und Depressions-Winkel bis zu 45° und zwar ohne den Gebrauch von Tabellen, auch die Horizontalprojection unmittelbar angibt. Alle diese mit mathematischer Genauigkeit construirten Instrumente müssen auch mathematisch genau behandelt werden, und es kommt daher am Ende lediglich auf persönliche Uebung im Gebrauch und in der ihnen eigenthümlichen Visirmethode an. Die Erfahrung hat aber gewiß eben sowohl den hochverdienten Hrn. Reichenbach wie mich belehrt, daß nur wenige Praktiker sich die Mühe geben, sich diese Uebung zu verschaffen, sondern sich lieber mit den alten gewohnten, wenn auch ungenügenden Instrumenten behelfen. Dieses zeigt namentlich auch der fortgesetzte Gebrauch des alten Adam'schen Winkelspiegels – während mein in gleichem Preis (5 Rthlr.) stehendes Spiegeldiopter nicht allein mehr als das Doppelte leistet, sondern auch sicherer in der Rectification und bequemer zu behandeln ist. Es ist daher wohl kein unbilliger Wunsch, daß praktisch-mathematische Schriftsteller zur Förderung der immer noch sehr unvollkommenen Feldmessung, meine Instrumente nicht übereilt verdächtigen, sondern sie sorgfältig prüfen und ihnen, wenn sie dieselben in ihren Leistungen bewährt gefunden haben, zur Beseitigung des alten Schlendrians, eine angemessene Empfehlung gewähren. Halle, im Mai 1850. Dr. E. Romershausen.