Titel: Ueber die Cochenillezucht in Algier; von Hrn. Cap.
Fundstelle: Band 116, Jahrgang 1850, Nr. XCIV., S. 469
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XCIV. Ueber die Cochenillezucht in Algier; von Hrn. Cap. Im Auszug aus dem Journal de Pharmacie, April 1850, S. 263. Cap, über die Cochenillezucht in Algier. Die Nopalschildlaus, wahre Cochenille (Coccus Cacti), lebt bekanntlich auf der Nopalpflanze (Fackeldistel, indianische Feige), Cactus Opuntia Lin. und Opuntia coccionellifera Müller. Die ersten vierzehn Tage nach ihrem Ausschlüpfen kriechen die jungen Thierchen auf den zartesten Blättern der Fackeldistel herum, als wollten sie sich die Stelle suchen, wo sie sich festsetzen. Wenn diese Wahl geschehen ist, so sieht man, wie ungefähr ein Drittheil der Individuen sich mit einem weißen Pulver überzieht, womit der Körper zuletzt ganz umhüllt ist, indem er die Gestalt eines Cocons annimmt, dessen eines Ende offen bleibt. Die Larve verpuppt sich dann und bald beobachtet man an dem offenen Ende des Cocons zwei dünne Fäden, welche dessen Oeffnung unmerklich erweitern, durch die endlich das Insect rücklings herausschlüpft; es sind dieß die Männchen. Die zwei andern Drittel sind die Weibchen, welche auf ihrem Platze bleiben ohne eine Metamorphose zu erleiden, und deren Körper täglich an Volum zunimmt, während die Männchen immer um sie herumflattern, oder auf ihnen herumkriechen. Die Weibchen, welche an der Pflanze festhaften, auf der sie, nachdem sie eine neue Generation zur Welt gebracht, auch sterben müssen, halten sich an derselben mittelst eines äußerst feinen, 6–8 Millimeter langen Saugrüssels, des einzigen Organs, durch welches das Thierchen mit der Pflanze in Verbindung steht; wird dieses Organ ausgezogen oder zerbricht es, so fällt das Insect herab und stirbt, denn seine Wohlbeleibtheit gestattet ihm nicht, wieder die Pflanze zu erklettern und sich darauf festzusetzen. Die völlig entwickelte Cochenille ist beinahe kugelförmig und erbsengroß. Zu dieser Zeit wird sie gesammelt. Die intensiv rothen, ovalen Eier, 250 bis 300 an Zahl, hängen rosenkranzartig aneinander, welcher Kranz sich zusammenziehen kann und unter den Seiten der Mutter Platz hat. Diese umhüllt sie mit einer mehlartigen Absonderung zu ihrem Schutze und macht sich dann von der Pflanze los, worauf sie bald stirbt. Bei der Zucht der Cochenillen ist vorzüglich darauf zu achten, daß sie vor Regen und Wind geschützt seyen. Einfache, über die Nopalpflanzen ausgebreitete Strohmatten reichen hin, um die der Entwickelung des Insects so schädlichen Erschütterungen zu verhüten. Zur Erntezeit breitet man am Fuße der Pflanzen Tücher auf dem Boden aus, schneidet die Blätter beim Einsatz jedes Gliedes ab, und nimmt die Cochenillen davon ab, welche man in Körben sammelt; alsdann taucht man diese Körbe in siedendes Wasser um die Insecten zu tödten, und breitet letztere auf Hürden die mit Tüchern bedeckt sind, aus, um sie zuerst an der Sonne, und dann im Schatten in gehörig gelüfteten Trockenkammern zu trocknen. Wenn man diese Cultur betreiben will, hat man zuvörderst eine Cactuspflanzung, eine sogenannte Nopalerie, anzulegen. Man wählt dazu offenes, d.h. unbeschattetes Land, welches aber vor dem Westwind geschützt ist, und umgibt es mit einer Rohrhecke, sowohl um den Wind daran zu brechen als um die Pflanzung vor Thieren zu schützen. Eine solche Nopalerie soll nicht über eine Hektare Flächeninhalt haben; will man der Unternehmung eine größere Ausdehnung geben, so thut man dieß ohne jede Pflanzung zu vergrößern. Ist der Boden wohl bearbeitet, so geschieht die Anpflanzung durch Ableger, d.h. durch von der Pflanze abgenommene Blätter oder Glieder, welche man halb in die Erde steckt. Man macht 1 1/2 Meter von einander entfernte Zeilen und setzt in der Zeile die Ableger 30 Centimeter von einander. Nach zwei Jahren gibt jeder derselben vier über einander stehende Blätter. Mit Beginn des dritten Jahrs, im April, setzt oder, um technisch zu reden, säet man die Cochenillen auf die Nopalpflanzen. Man nimmt dazu die ihre Eier mit sich führenden Mütter, welche man auf wohlgeschützten Cactuspflanzen überwinterte. Man bringt deren eine gewisse Anzahl in kleine cylindrische Körbchen aus Zwergpalmenblättern, mit Zwischenräumen, welche Körbchen man zwischen die Gabeltheilungen der Cactusglieder steckt. Die Insecten kriechen bald aus den Körbchen heraus und verbreiten sich über die Blätter. Man vertheilt sie dann gruppen- oder nesterweise auf dem fleischigsten und kräftigsten Theil der Pflanze. Die Ernte der im April gesäeten Cochenillen findet im Lauf des Junius statt. Man sucht die Mütter aus ihnen heraus und bestimmt sie für die Sommerzucht, welche Ende Mai beginnt und mit September zu Ende geht; bei dieser zweiten Ernte behält man die für die Winterzucht, d.h. die zum Vorrath für das Frühjahr bestimmten, zurück. Bei recht günstiger Jahreszeit können in Einem Jahre bis drei Ernten gemacht werden. Die aus Mexico stammende Cochenille wurde anfänglich für ein Pflanzenproduct gehalten und lange mit dem Namen Scharlachbeere bezeichnet. Sie wurde bald zu einem sehr bedeutenden Handelsartikel. Gegen Ende des vorigen Jahrhunderts suchte man ihre Cultur in Europa einzuführen. Spanien machte damit den Anfang. In Frankreich sind keine Versuche gelungen; auch in Algier scheiterten dieselben längere Zeit an verschiedenen Hindernissen, bis endlich der Marinearzt Loze im Jahr 1834 günstigen Erfolg hatte, und etwas später Hardy. Das Klima Algiers eignet sich ganz zu dieser Cultur und einige Kisten dieser Cochenille, welche über Marseille in den Handel kamen, können, wenn auch nicht mit den besten mexicanischen Sorten, doch mit der besten Waare von den canarischen Inseln concurriren. Es ist dieser Culturzweig einer der einträglichsten, und die Cochenillezucht viel leichter als diejenige der Seidenwürmer und viel weniger der Gefahr durch Verlust oder des Mißrathens ausgesetzt. Nach Hrn. Guerrin-Mèneville betrug die Cochenille-Cultur, welche von der holländischen Regierung kräftig unterstützt, im Jahr 1845 in Java sich erst zu verbreiten begann, in den Staatsanstalten schon 45,000 Pfd. Auf den canarischen Inseln betrug die erste Ernte im Jahr 1831 nur 8 Pfd., im folgenden Jahr 120 Pfd.; im Jahr 1833 schon 1319 Pfd. und im Jahr 1838 bereits 18,000 Pfd. Nach den neuesten Berichten wurde im Jahr 1849 die ungeheure Quantität von 800,000 Pfd. daselbst ausgeführt, wovon der größte Theil nach Frankreich und England ging. Dieser Industriezweig gewinnt auf den canarischen Inseln mit jedem Jahr an Ausdehnung, während zugleich die Bevölkerung und die Einkünfte der spanischen Staatscasse zunehmen; alles für den Weinstock und die Kartoffel sich nicht eignende Erdreich wird jetzt daselbst dem Nopalbau und der Cochenillezucht gewidmet.