Titel: | Bericht über (mißlungene) Versuche, das Melsens'sche Verfahren beim Zuckerrohr anzuwenden. |
Fundstelle: | Band 119, Jahrgang 1851, Nr. XCIII., S. 449 |
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XCIII.
Bericht über (mißlungene) Versuche, das Melsens'sche Verfahren beim
Zuckerrohr anzuwenden.
Aus dem Moniteur industriel, 1850, Nr.
1513.
Versuche, das Melsens'sche Verfahren beim Zuckerrohr
anzuwenden.
Das Melsens'sche Verfahren zur Zuckerfabrication machte
großen Lärm in der Welt; die wetteifernden Fabrikanten des inländischen und
Colonialzuckers ergriffen es mit Hast, denn dieses Verfahren versprach nicht weniger
als: „die Gährung des zuckerhaltigen Saftes auf lange Zeit hinaus zu
verhindern und ihn beinahe gänzlich zu entfärben; daher auch das Ergebniß an
krystallisirtem Zucker zu erhöhen, mit entsprechender Verminderung der Menge des
Syrups.“
Da das Resultat der in Frankreich und Belgien angestellten Versuche den Verheißungen
nicht entsprochen hatte, hoffte man auf ein besseres Gelingen bei der
Rohrzuckerfabrication, und die französischen Minister des Handels und der Marine
sandten in der wohlwollendsten Absicht für die Colonien einen jungen geschickten
Chemiker nach Guadeloupe, mit dem Auftrag dort neue Versuche anzustellen.
Gleich nach seiner Ankunft ging Hr. Guiet mit Eifer an das
Werk, und nach vielen mit Einsicht und Beharrlichkeit durchgeführten Arbeiten
erklärte er sich im Stande, zu einem öffentlichen Versuche zu schreiten, von dessen
Resultaten sich zu überzeugen eine Commission ernannt wurde, deren Mitglieder hiemit
gewissenhaft über die dabei beobachteten Thatsachen und die Ansicht, welche sie sich
über Melsens' Methode gebildet haben, Bericht
erstatten.
Es wurden zwei Versuche angestellt; einer am 20. September auf der Hrn. Navailles gehörenden Pflanzung l'Jlet; der andere am 2.
Octbr. auf der Hrn. Bonnet, dem Vorsitzenden der
Commission, gehörenden Pflanzung St. Charles.
Die Commission muß vor Allem bemerken, daß in beiden Versuchender
doppelt-schwefligsaure Kalk das gewöhnliche Klären mit
Kalk nicht entbehrlich machte. Wir haben die Anwendung dieses gemischten
Verfahrens, zu welchem Hr. Guiet durch die Unmöglichkeit
veranlaßt worden zu seyn scheint, mit dem doppelt-schwefligsauren Salze
allein einen trockenen Zucker zu erhalten, nicht zu erörtern, sondern bemerken nur,
daß die Anwendung des Kalks eine Haupteigenschaft des doppeltschwefligsauren Salzes,
nämlich zu entfärben, nothwendig aufheben oder doch schwächen muß. Es ist
nämlich notorisch, daß der Kalk, so werthvoll er im Uebrigen bei der
Zuckerfabrication ist, den Saft zu färben strebt, und daß, wenn man das Filtriren
durch Thierkohle nicht benutzen kann, diese Färbung ihn bis zu seiner Concentration
begleitet.
Beim ersten Versuch — die unvollkommene Einsetzung des Klärkessels gestattete
uns keine ganz genaue Verfolgung der Operation — wurde dem aus der Mühle
kommenden frischen Saft ½ Procent doppelt-schwefligsaurer Kalk
zugesetzt, die Flüssigkeit einige Zeit im Kochen erhalten, und hierauf eine
beträchtliche Menge Kalks zugesetzt; nach kurzer Ruhe wurde der Saft abgegossen und
mit dem Abdampfen begonnen und fortgefahren bis zum Verkochen. Letzteres war
unzulänglich, und durch ein zweites Verkochen wurde ein Zucker von ziemlich schöner Farbe erhalten, der aber nicht abtropfte.
Der zweite Versuch, welcher angestellt wurde, weil der erste so schlecht ausgefallen
war, ging hingegen sehr regelmäßig vor sich.
4000 Pfd. frischen Saftes, von 7½° Baumé wurden mit 30 Liter oder
¾ Gewichtsprocenten doppelt-schwefligsaurem Kalk versetzt.
Das Sieben, Klären mit Kalk und das Verkochen gingen in derselben Ordnung wie das
erstemal, aber unter guten Umständen, vor sich. Nur ist zu bedauern, daß der Gang
der Operation nicht gestattete, den Bodensatz vor dem Abgießen sich bilden zu
lassen; diese Vorsicht wird aber auch bei der gewöhnlichen Fabrication niemals
beobachtet. Der Saft lief sehr schön vom Rührer ab, derselbe konnte mit Kraft
arbeiten, und ein trockener weißer Schaum ließ bis zum Ende ein ausnehmend gutes
Product hoffen.
Die Krystallisation in Formen war wirklich sehr schön, und alle Formen, eine
abgerechnet, die den andern Tag in einen Kasten entleert wurden, fingen thätig
abzutropfen an und gaben ein kräftiges Korn.
Die Farbe des Zuckers entsprach aber unserer Erwartung nicht; er erreichte nicht
einmal die Qualität einer guten vierten Sorte.
Der abgetropfte Syrup (welcher behufs der Destillation leicht in Gährung versetzt
werden kann) führte zu einer zweiten Enttäuschung; 10 Liter mit Zusatz von Kalkmilch
besonders einem nochmaligen Verkochen unterzogen, lieferten nach drei Tagen bloß
eine mit fast unmerklichen Körnern durchstreute klebrige Masse; 10 Liter mit Zusatz
von saurem schwefligsaurem Kalk noch einmal verkocht, ließen keine Spur einer
Körnung erkennen.
Endlich hat auch der Ertrag den Mangel an Farbe und das Verderben des Syrups nicht
ausgeglichen.
4000 Pfd. frischer Saft von 7½° B. vor dem Klären gaben nur 215,5
Kilogr. gut gereinigten Zuckers, und 128 Liter oder 184 Kilogr. Syrup, zusammen
399,5 Kilogr. Zuckersubstanz, oder 9,15 Proc. vom Gewicht der Flüssigkeit.
Aus diesen Ziffern folgt, daß das Verhältniß des Zuckers und Syrups nicht so
vortheilhaft ist, als es bei der Fabrication in den Colonien zu seyn pflegt.
Von den dem doppelt-schwefligsauren Kalk zugeschriebenen Eigenschaften bleibt
also nur eine übrig, welche sich bei unseren Versuchen bewährt hat. Das Entfärbungsvermögen dieses Salzes wird durch die
Nothwendigkeit, es in kleiner, den Kalk aber in großer Menge anzuwenden, wieder
aufgehoben; der Ertrag und das Verhältniß des Zuckers zum Syrup sind geringer als die gewöhnlichen
Resultate auf den Pflanzungen Guadeloupes; so bleibt nichts übrig, als die
Eigenschaft dieses Salzes, die Gährung des Safts zu
verhindern oder wenigstens zu mildern. Dieser Vorzug wiegt aber bei weitem die mit
der Anwendung dieses Kalksalzes verbundenen Verluste nicht auf. Ueberdieß weiß
Jedermann, daß wenn man den frischen Saft rasch auf 50–60° B. bringt
und die gehörige Portion Kalk anwendet, seine Gährung leicht zu vermeiden ist.
Unsere Commission beschloß daher, das Melsens'sche
Verfahren aufzugeben und wendet ihre Aufmerksamkeit dem
Rousseau'schen Verfahren zu, welches demnächst in der
Zevallos'schen Zuckersiederei im Großen versucht
werden soll, und zwar in Verbindung mit dem Austrocknen des Rohrs, welches allen
darin enthaltenen Saft zu gewinnen gestattet.
Basse-Terre, den 14. October 1850.
Bonnet, Präsident der
Commission;P. Daubrée, Berichterstatter;Cornuel, Navailles, Dayer,V. Eggimann, Nicolay, Pelletant.
Zusatz.
Prof. Payen sagt in der zweiten Ausgabe seines Précis de Chimie industrielle, Paris 1851, über Melsens' Verfahren: „Wenn man sogleich beim Reiben
der Rüben auf 100 Theile Brei 8 Theile einer Auflösung von
doppelt-schwefligsaurem Kalk (10°B. stark) zusetzt, so vermeidet
man jede Gährung und die Färbung des Safts an der Luft: der Saft bleibt weiß,
beim Sieden gerinnt eine kleine Menge Eiweiß, und der farblose und klare Saft
kann langsam abgedampft werden, und liefert ohne Filtriren über Knochenkohle
krystallisirten weißen Zucker. Leider hält dieser
Zucker mehr fremdartige Stoffe und Melasse zurück als bei den anderen
Verfahrungsarten; er verliert mehr beim Raffiniren; auch sind fast alle
Hoffnungen, welche man auf dieses Verfahren gebaut hatte,
verschwunden.“
Dr. Eduard Stolle in Berlin,
welcher die schweflige Säure vor Melsens und nach einem
andern Princip zur Zuckerfabrication anwandteMan vergleiche polytechn. Journal Bd. CXIV S. 306., hat dagegen
sein Verfahren mit Erfolg dem Zuckerrohr angepaßt. Nach dem Colonial Standard (aus Kingston) und der Jamaica
dispatch vom 27. und 28. Septbr. v. J. gab die Stolle'sche Methode auf Jamaica und Demerara bei der Anwendung im Großen
durch mehrere Monate gleichmäßig günstige Resultate, selbst mit sehr schlechtem, in
den Lagunen gewachsenen Zuckerrohr. Für den nach dem neuen Verfahren erzeugten
Zucker wurde in London ein durchschnittlich 2 auch 3 Sh. höherer Preis als für
gleichzeitig nach der alten Methode aus demselben Zuckerrohr gewonnenes Product
erzielt; überdieß verloren die nach dem neuen Verfahren gewonnenen Producte auf der
Ueberfahrt nicht an Gewicht (durch Leccage), während die nach der herkömmlichen
Methode erzeugten Zucker 9½ Proc. einbüßten. Das alte Verfahren hatte (bei
einmaligem Verkochen) im Durchschnitt auf je einen Centner Zucker 107 Pfd. Melasse
ergeben, die neue Methode hingegen nur 66½ Pfd., also 40½ Pfd. mehr an Zucker.
Δ.